Funke | Eine deutsche Tragödie | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 334 Seiten

Funke Eine deutsche Tragödie

Die Odyssee des Reinhard Malef
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7583-5259-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Odyssee des Reinhard Malef

E-Book, Deutsch, 334 Seiten

ISBN: 978-3-7583-5259-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Vater liegt in einem Hospiz im Sterben. Er ruft seinen Sohn zu sich und will vor ihm eine Art letzter Beichte ablegen. Er erzählt ihm, was er zuvor nie getan, von seinen Kriegserlebnissen. Und die sind wahrhaftig erschreckend, wirr und bunt. Von den Sowjets gefangen genommen, gelingt ihm die Flucht. Fast ohne jedes Hilfsmittel flieht er zu Fuß durch das winterliche Nordrussland. Mannigfaltig und gefährlich gestaltet sich diese Flucht. Verletzt erreicht er die deutschen Linien und wird in einem Lazarettzug in die Heimat gebracht. Dort heiratet er, inzwischen genesen, eine Krankenschwester, die er im Lazarettzug kennengelernt hat. Dennoch meldet er sich an die Westfront, nimmt an der Ardennenoffensive teil, wird von den Briten gefangen genommen, wird Freund eines britischen Offiziers, flieht erneut, kommt nach Hause. Viele Jahre später erkennt er einen Nazi-Kriegsverbrecher, der ihm einst übel mitgespielt hat. Er bittet, inzwischen todkrank, seinen Sohn um die späte Rache und die Enttarnung dieses Mannes. Dieser erfährt davon und bringt seinen Rächer mit einer Giftkapsel um, kann aber unerkannt entfliehen. Wird der Sohn seinen Vater rächen? Ein bis zur letzten Zeile packendes Buch und zugleich ein stimmiges Zeitdokument.

Klaus Funke, in Dresden geboren, ist Autor zahlreicher bekannter und erfolgreicher Romane, Novellen und Erzählungen. Die meisten davon sind bei bekannten Verlagen erschienen.

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Shenja stellte flache Teeschalen auf, solche wie sie auch im fernen Osten verwendet werden. Ob sie aus echtem chinesischem Porzellan waren, habe ich nicht feststellen können. Auch eine Karaffe mit eisgekühltem Wodka stellte er hin, kandierten Zucker, ein paar saure Gürkchen, scharfen Paprika und Zwieback nebst Honig in einem Tontöpfchen. Er goss den Tee in die Schalen, umfasste diese mit beiden Händen, spitzte den Mund, schlürfte… Also pass auf, das war so: Als ich am Tag des Abmarsches (wir sollte ja zu Fuß von der Lubjanka - das heißt das Zentralgefängnis des Inlandsgeheimdienstes in Moskau - zu unserem Lager in Workuta laufen) geholt wurde, standen schon neun Gefangene, in drei Dreierreihen bereit, mit dem Rücken zu mir. Sie trugen abgewetzte Soldatenblusen, auf ihren Rücken war mit weißer Farbe ein großes ? (für ????? – Gefangener) gemalt. Ich kannte dieses Zeichen, sah es nicht zum ersten Mal auf den Rücken unserer gefangenen Landsleute, ich sah wie sie ihren Befreiern mit gesenkten Köpfen entgegen trotteten und wie diese, wenn sie Frontsoldaten waren, sie misstrauisch anblickten, misstrauischer noch als einen deutschen Kriegsgefangenen. Ich wurde in die neu gebildete vierte Reihe geschoben. Zu allem Unglück erkannte ich in dem Führer der Eskorte, der mich an die richtige Stelle in meiner Reihe dirigierte, ja sogar schubste, einen ehemaligen Schüler von mir, ein rothaariger Kerl mit abstehenden Ohren. Ich hatte ihn oft maßregeln und bestrafen müssen, denn er war faul und aufsässig. Auch er hatte mich sofort erkannt, über sein Gesicht glitt eine dreiste Genugtuung. Glaub mir, nichts ist schlimmer, als wenn einem Lehrer wie mir so etwas passiert: Der Lehrer in der Willkür und in der grenzenlosen Macht eines ehemaligen, schlechten Schülers. Was da für Gefühle in seiner Brust frei geworden sind, konnte ich mir gut vorstellen. Ich verstand es sogar. Und ich bekam es sofort zu spüren, denn Karl Sowtschuk, so hieß er, sein Großvater war Deutscher, war kein Mensch, der sich allzu viele Hemmungen auferlegte… Er trat an mich heran und grinste unverschämt. Na, Väterchen, sagte er und er sprach laut mit mir, kümmerte sich nicht, ob die anderen zuhörten: Na? Wie ist es? Willst du mich immer noch vor die Tür stellen oder mir irgendeine Strafarbeit aufbrummen, wie „Schreiben Sie hundertmal: Ich soll meinen Lehrer ehren!“ oder so´n Quatsch. Jetzt, mein Alter, bin ich mal am Drücker! Und, um mir zu beweisen, wie armselig und rechtlos ich wäre, fummelte er mir an meiner Jacke herum, riss einen Knopf ab, schrie: „Was ist denn das, Gefangener 4123 (ich trug diese Nummer, aufgenäht am Ärmel)? Willst du nicht den Knopf aufheben? Folgsam bückte ich mich, den abgerissenen Knopf aufzuheben, da stieß er mir das Knie in die Seite, schrie wie ein Besessener „Was ist denn das? Willst dich hinlegen? Bist wohl müde, was, Du alter Sack?!“ Und so ging es fort. Bei jeder Gelegenheit schikanierte er mich und er hatte seine Freude daran, auch weil ein paar rohe Kerle lachten und sich an meinem Unglück weideten. Immer schon hat die Qual anderer einen Unterhaltungswert für bestimmte Rohlinge gehabt… Zum Glück musste ich diesen Dummling nicht länger ertragen. Er verschwand zwar nicht, aber ich kam mit ihm nicht mehr in Berührung. Man hatte höheren Ortes erkannt, dass ein Marsch mit 400 Gefangenen über offene Straßen und Plätze oder auch über Land doch nicht das Richtige wäre, weil zu unübersichtlich, zu schwer zu beherrschen. Man brauchte zu viele Leute, Aufpasser, Wachpersonal, und was noch unangenehmer war, es erregte Aufmerksamkeit beim gemeinen Volk, es sprach sich herum. Die Presse erfuhr es, das Ausland. Vielleicht machte irgendeiner ein paar Fotos. Und dann sähe man in Paris, in London oder in Berlin, was in der Sowjetunion los wäre. Also kehrte man zum bewährten Bahntransport zurück. Das war diskreter. Die Nazis haben es in Deutschland ja auch so gemacht. Nach Auschwitz und in die anderen Lager wurde im geschlossenen Waggon gefahren, ohne Fenster, ohne Publikum. Wir wurden zum Kasaner Bahnhof getrieben, musste dort freilich fast einen ganzen Tag warten, bekamen auch kaum etwas zu essen. Endlich wurde ein Zug bereitgestellt, geschlossene Waggons, ehemals zum Viehtransport bestimmt, hinten zwei Personenwaggons für´s Personal und die Wachen. Einsteigen! Los, Tempo, dawei. Und ab ging es, in nordöstliche Richtung, nach Workuta. Ins Lager. Über die Fahrt, die fast eine Woche mit häufigen Stopps und Wartezeiten auf offener Strecke dauerte, will ich nicht weiter reden, sie war so übel wie alles andere. In Workuta ging das Gefängnisleben weiter, nur ein wenig variiert, in einer neuen, aber nicht etwa optimistischeren Farbe. Ich will ein paar Ausschnitte daraus zum Besten geben. Die Zeit der Einzelzelle wie in der Lubjanka war jedenfalls vorbei, wir hausten zu viert, zu fünft oder zu sechst Das war zumindest abwechslungsreicher, man hatte Menschen um sich herum, viele mit gleichem Schicksal, freilich gab es auch da Besonderheiten und Groteskes, wie ich es nennen will An einem nasskalten und unfreundlichen Februarmorgen zum Beispiel, nachdem wir zu sechst in eine geräumige Zelle mit der Nummer 313 verlegt worden waren, schoben sie uns einen siebenten herein. Er trat ein wie lebendiges Nichts, fast zum Skelett abgemagert, mit eingefallenen Wangen, großen, dunklen, fiebrigen Augen und mit Bartstoppeln wie ein Igelfell, er hockte sich sogleich auf den Fußboden, die Knie stachen wie stumpfe Stecken hervor. Er legte sein Bündel neben sich und schwieg. Seine Bluse ließ keinen Schluss zu, wo er herstammte, aus welcher Waffengattung oder ob er gar ein Zivilist oder von einer fremden Armee wäre. Sein Gesicht war schmal, mit scharfen Längsfalten, die Nase ragte wie bei allen Abgemagerten spitz und groß hervor. Wir sprachen ihn auf Russisch an – er aber schwieg. Einer versuchte es auf Polnisch, ein anderer auf Französisch, ein Dritter auf Deutsch – der Neue schwieg. Nur ganz zaghaft zeigte sich auf seinem Gesicht ein verlegenes Lächeln. Es war so absonderlich, mehr ein Grinsen, als ob ihn Schmerzen peinigten. Nie habe ich ein solches Lächeln bei einem anderen Menschen gesehen. Ka..mera…den! Freu…nde! hauchte er und streckte uns seinen dürren Arm entgegen. In seiner Skeletthand hielt er etwas umklammert. Wir konnten zunächst nicht erkennen, was es war. Einer von uns, es war Fedja, der Spitzel, den sie uns mit hereingegeben hatten – in fast jeder Zelle gab es solche Schleicher - er erriet es. Wie eine Katze schnellte er hin und entriss dem armen Kerl ein kleines Lederbeutelchen, band es hastig auf. Es waren ein paar Hundert Gramm bräunlichen Tabaks, nein, kein Machorka, sondern europäischer Feinschnitt, vielleicht holländischer. Er duftete köstlich. Fedja hielt plötzlich Papier in der Hand, leckte den Falz, drehte sich im Handumdrehen eine dicke Zigarette… So kam der siebente Insasse, Nikita Gorjewitsch Panin, in unsere Zelle. Er war drei oder vier Wochen im Keller gewesen. So nannten wir die unterirdischen Arrestzellen, dunkel, feucht und voller Ratten. Das Schicksal dieses Menschen war ein außergewöhnliches und sehr wechselhaft. Er stammte aus einer zaristischen Offiziersfamilie, sein Vater war Oberstleutnant gewesen und hatte den russisch-japanischen Krieg mitgemacht. In der neuen Ordnung musste der Sohn seinen Vater verdammen, alles leugnen, was die Tradition ausgemacht hatte, denn auch sein Großvater war als Flügeladjutant ein ranghoher Offizier des Zaren gewesen. Das fiel ihm schwer, schwerer als jedem anderen von uns. Ich konnte ihn verstehen, andere nicht. Im weiteren Verlauf des jetzigen Krieges wurde er Dolmetscher und wegen seiner Sprachkenntnisse Ausbilder für Offiziere der Spionage und der Abwehr. Er wechselte die Front, ging zu den Deutschen, bereiste halb Westeuropa, trat der deutschen Wehrmacht bei, brachte es bis zum deutschen Major, wurde irgendwann – ich glaube in der Schlacht um Stalingrad – von den unsrigen wieder gefangen genommen und entging der Erschießung nur durch einen Zufall, schließlich kam er in unser Lager, wo er wegen Aufsässigkeit häufig bestraft wurde. Die Lageroberen und die vom NKWD hatten ihn auf dem Kieker. Er war andauernd dran. Dann kam die Kampagne – ich glaube, es war Ende 43 – und die Werbung für die Bjelorussische Front und die dortigen Truppenteile. Jeder halbwegs verwendbare Mann wurde gebraucht und übernommen, auch aus den Reihen der Gulag-Gefangenen. Natürlich war Panin als ehemaliger Frontoffizier und Dolmetscher geeignet, sogar supergeeignet. Er verließ bald unser Zimmer und verschwand aus dem Lager. Man stufte ihn gleich wieder als Offizier ein, natürlich nicht als Hauptmann, was er zuletzt bei uns gewesen war, sondern zwei Stufen tiefer als einfachen Leutnant… Shenja seufzte. Traurig sagte er: Ich weiß nicht, was aus ihm weiter geworden ist, ob er gefallen ist oder weiter nach oben stieg, vielleicht bis zum Major oder Oberstleutnant, ich weiß nicht, ob er wieder zu den Deutschen überlief oder in unserer Abwehr arbeitet. Ich würde mich gern wieder einmal mit...



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