Funke | Interaktion und Kommunikation im Autismus-Spektrum | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 236 Seiten

Funke Interaktion und Kommunikation im Autismus-Spektrum

Mit Komm!ASS® Sprache entdecken
erweiterte und überarbeitete Auflage
ISBN: 978-3-17-043585-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Mit Komm!ASS® Sprache entdecken

E-Book, Deutsch, 236 Seiten

ISBN: 978-3-17-043585-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine lebendige Interaktion bildet die Grundlage für Kommunikation und Sprachanbahnung. Der ganzheitliche Therapieansatz Komm!ASS® nutzt gezielte Impulse und Regulationshilfen zur Verbesserung der (Körper-)Wahrnehmung von Menschen im Autismus-Spektrum. Beim freudvollen, berührenden gemeinsamen Spiel finden vielfältige Modalitätenwechsel statt. Dabei können bedeutungstragende Informationen leichter fokussiert und auf Neuerungen kann flexibel reagiert werden. In der umfassend überarbeiteten Neuauflage wurde der ressourcenorientierte Blick vertieft und um neue Erkenntnisse besonders zu Regulation und Stimming sowie zum Erleben und Verstehen von Emotionen erweitert. Der Befundbogen im Anhang wurde ebenfalls überarbeitet und steht auch als Online-Zusatzmaterial zur Verfügung.

Ulrike Funke, Logopädin, seit 25 Jahren in eigener Praxis, gründete und leitete mehrere Jahre ein Autismuszentrum. Sie entwickelte das Konzept Komm!ASS® und vermittelt ihr Wissen in Fortbildungen und Vorträgen.
Funke Interaktion und Kommunikation im Autismus-Spektrum jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1          Einführung


1.1        Was ist Wahrnehmung?


Wahrnehmung und die folgende Wahrnehmungsverarbeitung sind ein aktiver, selektiver und konstruktiver Prozess. Die Informationen in Bezug auf den eigenen Körper und der umgebenden Umwelt müssen identifiziert, weitergeleitet, koordiniert und im Gehirn mit bereits gespeicherten Informationen verknüpft werden.

Dabei erfolgt die Aufnahme der Impulse über die Rezeptoren des spezifischen Sinnesorganes. Diese Informationen werden an das Gehirn weitergeleitet und in den jeweiligen Zentren der Großhirnrinde abgespeichert. Das Wahrgenommene wird dann mit bereits erworbenem Wissen verglichen, daraufhin erfolgt die Auswahl sowie Bewertung der Impulse und ggf. die Koordination und Verknüpfung in verschiedenen Gehirnarealen. Das folgende beobachtbare Verhalten ist somit auch eine Folge der Wahrnehmung und deren Verarbeitung.

1.2        Jede Wahrnehmung ist einzigartig


Wahrnehmung ist individuell

Der Prozess der Wahrnehmungsverarbeitung ist bei jedem Menschen einzigartig und individuell. Wahrnehmung ist eine subjektive Sicht auf die Wirklichkeit und jede Person nimmt ihre Wirklichkeit anders und somit ganz besonders wahr.

So können z. B. Berührungen, welche von einer Person bevorzugt werden, bei einer anderen Person Schmerzen auslösen. Bestimmte Musikstücke oder Geräusche werden von manchen Menschen als angenehm empfunden, für einige sind sie unangenehm oder nicht auszuhalten.

Wahrnehmung ist variabel

Die Wahrnehmung kann zudem variieren, je nach Tagesform, Gesundheitsstand, Stressbelastung und dem allgemeinen (Wohl-)Befinden. Bilder, welche an manchen Tagen faszinieren, wirken in anderen Situationen beängstigend. Musik, deren Rhythmus gestern als positiv anregend empfunden wurde, hört und fühlt sich am nächsten Tag vielleicht unangenehm an. Viele verschiedene Faktoren wirken sich auf den Prozess und das Ergebnis der Informationsaufnahme, der Bearbeitung und Bewertung von Impulsen aus.

Gut zu wissen: Migräne – eine kurzzeitig veränderte Wahrnehmung


Einige der Autismus-Symptome ähneln denen einer akuten Migräneattacke: Ein erhöhtes Druckgefühl im Kopf, eine Überempfindlichkeit des vestibulären, des visuellen oder auditiven Systems, eine erhöhte gustatorische und olfaktorische Sensibilität sowie weitere Symptome sorgen dafür, dass einige Informationen aus der Umgebung kaum, andere besonders intensiv wahrgenommen werden.

Die Betroffenen möchten sich am liebsten in einen dunklen Raum zurückziehen, jede Aufgabe, jeder Austausch wird, wenn möglich, vermieden. Die stark belastenden unterschiedlichen Symptome vergehen im Laufe eines oder mehrerer Tage mit ausreichender Erholungszeit. Medikamente können die Schmerzen und weitere begleitende Symptome der Migräne lindern. Bald reagiert der Körper wieder wie gewohnt auf die unterschiedlichen Impulse, anstehende Aufgaben können bewältigt werden und auch Wohlbefinden und Freude sind wieder erlebbar.

Erfahrungen prägen die Wahrnehmung

Auch die eigenen Erfahrungen, Erlebnisse und Lernprozesse verändern die persönliche Wahrnehmung. Sie haben Einfluss darauf, ob und wie eine Information wahrgenommen wird und welche Reaktionen diese auslöst. Essen, was in jungen Jahren als wohlschmeckend eingestuft wurde, wird im Erwachsenenalter nur noch ungern gegessen, Aktivitäten, die einst Freude bereiteten, lösen nun vielleicht Angst aus. Besonders der Prozess der Selektion und welche Informationen als bedeutungstragend eingestuft werden, beeinflusst die weitere Handlung oder die folgenden Reaktionen.

1.3        Eine ganz besondere Wahrnehmung


»[Autistische Menschen] nehmen nicht nur viel mehr Reize bewusst wahr als nichtautistische Menschen, sondern reagieren auch anders, weil in ihrem Gehirn ein anderes Modell der Welt entsteht, auf das sie dann mit einem anderen, für die Umgebung unerwarteten Verhalten reagieren.[…] Sie werden mein Verhalten nicht einordnen können und als komisch oder gar abartig empfinden. Dass es innerhalb meines Systems ein korrektes Verhalten ist, spielt keine Rolle mehr« (Vero, 2014, S. 21 f.).

Ein Leben in Extremen

Die Wahrnehmung und damit die Aufnahme und Verarbeitung von Sinnesinformationen ist bei Menschen mit Autismus besonders. Im Vergleich zu den Empfindungen von neurotypischen Menschen werden viele Informationen entweder kaum wahr- oder aufgenommen (Hyposensibilität) oder besonders intensiv gespürt (Hypersensibilität). Abstufungen zwischen den beiden gegensätzlichen Intensitäten sind kaum zu beobachten, so dass entweder eine Unterstimulation oder eine Überstimulation des zentralen Nervensystems vorliegt. Für die Betroffenen bedeutet dies ein Leben in Extremen.

Ob in einer bestimmten Situation eine Hypo- oder Hypersensibilität für einen bestimmten Wahrnehmungsbereich vorliegt, lässt sich zum Teil schwer erkennen. Ist das gezeigte Verhalten eine Vermeidung eines Impulses oder ist es die intensive Suche nach dem gegensätzlichen Impuls? So kann das bei einer Überforderung gezeigte feste Schlagen auf die Ohren anzeigen, dass eine bestimmte auditive Information ausgeblendet werden soll, zugleich kann diese Handlung aber auch einer Suche nach einem starken Druck auf das Ohr und das Trommelfell zugeordnet werden. Die Beobachtung ähnlicher Situationen und der Vergleich, bei welchem Impuls, mit welcher Intensität eine Reaktion erfolgt, erfordert eine differenzierte Betrachtungs- und Vorgehensweise.

»Bereits seit längerem weiß man, dass Menschen mit autistischen Störungen in allen Sinnessystemen empfindlicher reagieren können oder Wahrnehmungen anders empfinden können als nicht autistische Menschen. […] Es fanden sich statistisch hochsignifikante Unterschiede: Die autistischen Kinder hatten im Durchschnitt eine mehr als doppelt so hohe Überempfindlichkeit. Es traten aber auch doppelt so häufig Unterempfindlichkeiten gegenüber Schmerzen auf« (Jansen & Streit, 2015, S. 221 f.).

Scheinbar widersprüchliche Wahrnehmungsbesonderheiten

Durch die kaum vorhandenen Abstufungen in der Bewertung und somit einem häufigen Erleben von Extremen kann es sein, dass eine leicht veränderte Information (evtl. eine Variation der Frequenz) eine völlig gegensätzliche Reaktion auslöst. Für Außenstehende erscheint dies oft widersprüchlich oder willkürlich. Erst mithilfe genauer Beobachtung und einem Verstehen der individuellen Wahrnehmungsbesonderheiten werden passende Hilfen möglich.

Gut zu wissen: Ähnliche Informationen können zu »scheinbar« gegensätzlichen Reaktionen führen


Ein Beispiel: Im Mundbereich kann der vordere Teil der Zunge eine Hyposensibilität gegenüber sanften Berührungsimpulsen aufweisen. Andererseits wird dort eine starke Druckinformation gesucht, infolgedessen wird das Essen regelrecht in den Mund gestopft. Im hinteren Zungenbereich werden jegliche Impulse als unangenehm wahrgenommen und bereits beim Gebrauch der Zahnbürste auf den mittleren oder hinteren Molaren wird der Würgereiz ausgelöst.

Auch auf den gesamten Körper bezogen zeigen sich diese scheinbar widersprüchlichen Reaktionen. Es kann sein, dass Betroffene auf sanfte Berührungen sehr empfindlich reagieren und sie als schmerzhaft wahrnehmen. Andererseits genießen sie starke Impulse, wie eine Massage mit einem Ball oder das feste Ausstreichen der Haut mithilfe der Fingerknöchel.

Auch beim Hören ist es möglich, dass bereits bei einer geringen Lautstärke eine bestimmte Sprechstimmlage, wie eine besonders hohe Frauenstimme, als unangenehm oder sogar schmerzhaft empfunden wird. Ein tiefer, aber doch deutlich lauterer Ton wird hingegen positiv bewertet, wie z. B. das Brummen eines Motors.

Verstehen und begegnen

Bei der Arbeit mit neurodiversen Menschen aus dem Spektrum ist erlebbar, wie anders die Wahrnehmung ist, im Gegensatz zur Wahrnehmung neurotypischer Menschen. Trotzdem ist ein gegenseitiges Verstehen möglich. Es gilt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu finden und mithilfe dieses Wissens und einer intensiven Beobachtung das gezeigte Verhalten besser nachzuvollziehen und das Angebot darauf abzustimmen: Impulse, die keine oder negative Reaktionen auslösen, sollten vermieden werden. Vor allem aber sollten Impulse und Materialien ausgewählt werden, die eine positive Antwort erkennen lassen, um freudvolle Begegnungen sowie lebendiges Miteinander in Therapie und Alltag zu ermöglichen und um eine tragfähige Beziehung aufzubauen.

1.4        Diagnose Autismus-Spektrum


»Autismus ist eine komplexe und...


Ulrike Funke, Logopädin, seit 25 Jahren in eigener Praxis, gründete und leitete mehrere Jahre ein Autismuszentrum. Sie entwickelte das Konzept Komm!ASS® und vermittelt ihr Wissen in Fortbildungen und Vorträgen.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.