E-Book, Deutsch, 348 Seiten
Funke Jacek Boehlich und das Gold der Toten
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7494-8810-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 348 Seiten
ISBN: 978-3-7494-8810-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Klaus Funke, geboren in Dresden, hat mit dem Hauptkommissar Boehlich eine Art sächsischen Maigret erfunden. Mit großer Menschenkenntnis und psychologischem Gespür geht er zu Werke. Der erste Boehlich-Krimi - Jacek Boehlich und das Gold der Toten - weckte bereits großes Interesse. Weitere Boehlich-Krinmis werden folgen.
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Erster Teil
1
Warst du schon mal in Meißen?
Die mit dem Dom, meine ich? Porzellanmanufaktur, St. Afra, Altstadt inklusive. Sagenhaft, das reinste Biedermeieridyll, Kultur und Kunst pur. Genau wie auf den Postkarten. Allein schon die kleinen Gässchen, wenn man zur Burg hinauf wandert. Die zahllosen kleinen Cafés, die Läden und Hinterhöfe. Adrian Ludwig Richter hätte seine Freude dran gehabt. Alles Mögliche kriegt man zu sehen, freilich auch Kitsch, aber das muss so sein.
Wie ein Tourist, so mit Fotoapparat und Strohut, fahr auch ich jedes Jahr ein paar Mal hin. Im Frühjahr, im Sommer, auch im Herbst, nur im Winter nicht, da fehlt was, da ist es einfach zu kalt, man kann nicht draußen sitzen, in den Biergärten, den Cafés, und die Läden haben ihre Auslagen nicht an der Straße ausgebreitet, nee Winter, da nicht, aber sonst…
Am liebsten, weißt du, sitze ich oben auf dem Burgberg in dem Biergärtchen vom Domkeller.
Die ganze Stadt liegt einem zu Füßen. Dach an Dach, liebevoll restauriert. Wenn ich da an die Zeit von früher, also an vor der Wende denke, grauenhaft, die meisten Dächer waren kaputt, alles grau in grau. Der Putz abgebröckelt, die Dachrinnen hingen runter. Und Weißbier gab es auch nicht, von Weißwurst ganz zu schweigen. Aber jetzt! Alles so schön in verschiedenem Rot, so sauber und adrett. Und Weißbier und Weißwürste gibt es. Tafelspitz und Pizza Bolognese. Und auch der Kaffee schmeckt. Nicht etwa Mocca Fix oder Mona, nein Jacobs Krönung und Dallmayer pro domo. Einfach Spitze.
Auch in dem Biergärtchen selber. Sonnenschirme mit Sponsorenaufdruck, kleine gehäkelte Tischdeckchen, überall, auf jedem Tisch ein Sträußchen mit Feldblumen, hübsch, gut, manchmal in Plastik; sogar Ferngläser gibt es an jedem Tisch, damit man alles genauer sehen kann. Natürlich angekettet. Man traut eben den Gästen nicht. Verstehe ich, ganz klar…
Mit so einem Biergärtchen hängt meine Geschichte zusammen, die ich erzählen will, das heißt, hier beginnt sie. Im Domkeller. Schade, dass ich nicht selber dabei war. Man soll bei einer Geschichte immer von Anfang an dabei sein. Schade. Hätte das Ganze zu gerne live erlebt. Aber gut, erzähl ich´s eben nach…
Also, es war ein schöner Herbsttag. Sogenanntes Bilderbuchwetter. Auch oben im Biergarten vom Domkeller. Die Luft so lind und lau, wie der Dichter singt, so Ende September, Anfang Oktober, wo es manchmal noch bis über 20 ° C warm wird und die Cafés und die Biergärten richtig zu tun kriegen. Wo auch die Wespen das letzte Mal zuschlagen. Genauer gesagt, es war an der Monatsscheide September zum Oktober. Genauer gesagt am 30. September. Später Nachmittag. An einem Mittwoch.
Man sollte denken, mitten in der Woche hätten die Leute keine Zeit für den Domkeller und für Kaffee und Kuchen, für Sahne und Eisbecher und so. Alles Quatsch. Pustekuchen. Touris gibt es immer, Leckermäuler und Spaziergänger auch und Leute, die das letzte schöne Wetter ausnutzen wollen, ebenfalls. Das Biergärtchen vom Domkeller jedenfalls - „rammelvoll“, wie der Sachse sagt. Kaum ein Platz zu kriegen. Manche standen sogar im Durchgang zum Domplatz und äugten, machten lange Hälse, ob nicht bald einer bezahlen, aufstehen und gehen würde. Genau, wie früher, zu Ostzeiten, wo man noch platziert wurde. Einige gaben schließlich auf und marschierten durch den langen, halbdunklen Gang der Kneipe wieder nach draußen auf den Domplatz, suchten sich was anderes. Pilgerten in den Burgkeller zum Beispiel oder in den Klosterkeller. Komisch, alles Namen mit „Keller“, obwohl die Etablissements doch oben auf dem Berg liegen. Na egal. Aber gegen sechs wird es dann allmählich ruhiger, es kommen weniger Gäste, die Sonne steht schon ziemlich tief, und merklich kühler ist es auch geworden. Die Kellner werfen sich Blicke zu.
Gott sei Dank! Uff! Der Trubel scheint vorüber.
Nun musst du eins wissen, weil, das ist eine Besonderheit vom Domkeller. Die Touris, will sagen die aus dem Westen, die sitzen dort immer an der Brüstung, am Geländer sozusagen. Da können sie wunderbar über die Stadt schauen, und den Fels hinunter in den Abgrund starren. Also die Touris, weiß ich warum, hocken immer am Geländer und die Einheimischen an der Felswand, an der Hauswand des Domkellers, wie man sagen muss. Hat sich so ergeben. Vielleicht, weil die Touris aus dem Westen es gewöhnt sind in den Abgrund zu starren, wie man uns früher immer erzäht hat. Die leben ja schon Jahrzehnte im Kapitalismus, das heißt eigentlich schon immer, während die Einheimischen, also wir, ja erst fünfundzwanzig Jahre den Westen bei sich haben, und sich sozusagen erst gewöhnen müssen, in den Abgrund zu starren. Ich weiß nicht, vielleicht ist das auch Quatsch. Jedenfalls sitzen die Wessis immer am Geländer und die Unsrigen mit dem Rücken an der Hausmauer. Deshalb ist es auch verwunderlich gewesen, dass die alte Dame, um die es gleich ganz massiv gehen wird, an der Hauswand gesessen hat. Denn die war aus dem Westen. Das hat man gleich gesehen. Wieso ich das sage, dass man das gesehen hat? Nu, guck dir doch mal die Wessis an! Die sehen doch auch nach zwanzig Jahren Wende nicht wie wir aus. Eben irgendwie anders. Fang mal mit der Brille an. Solche Brillen, wie die haben, gibt´s bei uns gar nicht, auch nicht bei Apollo. Dann die Haarfrisuren. Da haben selbst die Siebzigjährigen noch Strähnchen, auch, wenn ihr Haar vollkommen grau oder weiß ist. Ja, glaub mir das. Und auch bei der alten Dame, um die es gleich gehen wird, war das so. Die hat so eine Art Fönwelle gehabt, weißt du, mit Stirnlocke. Fech, ganz und gar fech. Hat sie auch jünger gemacht. Na gut, das nützt ihr jetzt auch nichts mehr. Und ihre Strähnchen waren so rötlich ins weiße Haar hineingezaubert. Fech, ganz klar. Na, das sag ich dir, die Frauen von drüben, die wollen ja immer jünger aussehen, selbst, wenn es nichts mehr zum Verjüngen gibt. Und die alte Dame hat durch ihre Fönlocke wie Anfang Fünfzig ausgesehen. Dabei ist sie doch über Siebzig gewesen, wie man später aus ihrem Ausweis ersehen konnte.
Also, das war so: Die Lonny, was die erste Kellnerin ist, na so eine Art Brigadeleiter eben, die hat zum Kay, dem Azubi, gesagt, er soll mal nach der Omi schauen. Die sitzt dort so unbeweglich, mit dem Rücken halb ins Weinspalier gedrückt, und die anderen sind schon lange weg. Frag die mal, ob die noch was will, sonst würden wir gerne abkassieren, es sei schon eine Viertelstunde über den Feierabend…
Und es war tatsächlich so. Seit einer Viertelstunde war Feierabend und die Alte sitzt und sitzt und bewegt sich nicht von der Stelle, die ganze Terrasse leer, kein Mensch mehr da, nur noch ein paar halb ausgetrunkene Kaffeetassen und an dem Tisch vorne rechts eine halbe Flasche Wein. Also Kay frag die mal… aber sei höflich und quatsch nicht so sächsisch - die ist von drüben.
Und da ist der Kay zu der alten Dame hingestiefelt.
Netter Kerl, der Kay, wirklich, vielleicht ein bisschen in die Länge geschossen und zwei, drei Pickel zu viel im Gesicht, aber sonst, ein wirklich netter Kerl.
Doch wie der Kay vor der einzelnen, übrig gebliebenen Dame dann gestanden ist, da ist ihm gleich aufgefallen, mit der stimmt was nicht. So sitzt man nicht. So nicht. So starr und steif und mit geschlossenen Augen. Und da hat der Kay erst mal gehustet; ja ich weiß, man sagt, er habe sich geräuspert, gut, hat er sich eben geräuspert. So drei, vier Mal hat er „ahem, ahem!“ gemacht, doch die Alte hat ihre Augen nicht geöffnet. Schläft die? hat der Kay gedacht, aber gleich ist er zusammengezuckt, weil, ihm ist eingefallen, wie er vor einem Jahr in Doberschütz seine Oma gefunden hat, die hat auch so gesessen in ihrer Gartenlaube und dann ist sie tot gewesen. Damals hat er auch nicht gewusst, was er machen sollte, weil, man trifft ja nicht andauernd auf eine Tote; und der Kay hat damals das erste Mal in seinem Leben, als Siebzehnjähriger, eine Tote gesehen. Und dann ist es ausgerechnet die eigene Großmutter gewesen. Das muss man erst einmal verkraften. Verstehst du? Und wie der Kay jetzt vor der alten Dame aus dem Westen gestanden ist, und wie die so in das Weinlaubspalier gedrückt gesessen hat, mit ihren zugekniffenen Augen, da hat er, nachdem er sich an seine Großmutter erinnert hat, genau gewusst: die Alte ist mausetot. Da hilft nichts mehr. Erst hat er noch überlegt, ob er sie antippen soll, die Westdame, weil im Kino tippen die Leute immer die Toten an, im Kino bei Edgar Wallace zum Beispiel, und dann kippen die Toten so zur Seite und aus ihrem Rücken ragt ein Messer. Aber dann hat er sich gesagt, dass er das nicht fertig bringt. Auch schreien wollte er erst noch, die Alte anschreien, was ihr einfällt, hier so tot rumzusitzen, doch dann hat er das alles nicht gemacht und ist ganz fix rein ins Lokal und hat die Lonny gesucht. Die stand an der Kasse und hat die Abrechnung gemacht, ganz konzentriert und mit einer steilen Falte auf der Stirn. Da ist der Kay an sie heran getreten und hat geschwiegen. Doch wie die Lonny den Azubi Kay so neben sich stehen...