E-Book, Deutsch, 480 Seiten
Fussenegger Das Haus der dunklen Krüge
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7844-8345-0
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der große Familienroman aus der k. u. k. Zeit
E-Book, Deutsch, 480 Seiten
ISBN: 978-3-7844-8345-0
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
"Es war im Jahre 1870: Im Hause Bourdanin wurde Hochzeit gefeiert." Stolz präsentiert der kaiserliche und königliche Rittmeister a. D. Balthasar Bourdanin seine Braut, überzeugt davon, dass sie mit ihm das große Los gezogen hat. Doch das Glück will sich nicht recht einstellen.
Ein grandioser Familien- und Gesellschaftsroman vor dem Hintergrund der untergehenden Habsburger Monarchie. Es ist das meisterhafte Porträt einer Familie, psychologisch brillant und in bezwingender Sprache – ein Stück Literatur, wie man es heute kaum noch findet.
Autoren/Hrsg.
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ERSTES HAUPTSTÜCK Die dunklen Krüge Die Hochzeitsnacht Es war im Jahre 1870: Im Hause Bourdanin wurde Hochzeit gefeiert. Ehe die Sonne des langen glühendheißen Augusttages unterging, führte der Bräutigam, der kaiserliche und königliche Rittmeister Balthasar Bourdanin, seine jungangetraute Frau aus der Gesellschaft der Festgäste in die für ihn eingerichteten Gemächer seines Vaterhauses. Die Stuben waren still und leer. Die Fenster standen offen; durch die weißen Schleierbahnen der Vorhänge drang, in schräge Strahlen gebrochen, das schwere gelbrote Abendlicht. Der Rittmeister warf Hut und Handschuhe ab und schwang seinen Hochzeitsrock über die Sessellehne. »Und nun«, sprach er, »nun sage mir auch, Marie, wie glücklich du bist!« Zwischen den Fenstern hing ein Spiegel. Der Mann konnte es sich nicht versagen, sein Bild mit einem Blick zu messen. Balthasar Bourdanin war ein schöner Mann, fest und gedrungen gebaut, breitschultrig, rundköpfig, von kräftiger Hautfarbe und dunklem Haar. Die Nase stand zwar ein wenig schief in dem Gesicht und zielte mit ihrer Spitze abwärts gegen den buschigen Schnurrbart; doch stand sie nicht übel zu dem festen Munde, zu der starken Braue, zu dem dunkelrollenden hephaistischen Blick. Der Rittmeister mußte es sich selbst gestehen, er war ein in seiner Art prächtiger Mann; darum hielt er die Frau, die ihn bekommen, für ein vollendet glückliches Geschöpf. Die Frau saß hinter ihm auf dem geblümten Ruhebett. Die gute Marie! – der Mann lachte ein wenig in sich hinein: hatte das einer Mühe bedurft, bis er sie bekam, seine Base und Kindheitsgespielin, obwohl ihr doch, soviel er wußte, vorher die Freier nicht gerade das Haus eingelaufen hatten. Diese Ehe hatte eine eigentümliche Vorgeschichte. Als Kinder schon waren Balthasar und Marie im Spiel darauf verfallen, einander Treue zu geloben. Viele Jahre später hatte er sich des kindischen Verspruchs wieder erinnert. Es war damals, als er, durch dienstliche Ungelegenheiten verärgert und des rastlosen Lebens in den Garnisonen müde geworden, beschlossen hatte, den Abschied zu nehmen und in der Heimat einen Hausstand zu gründen. Er schrieb an Marie, sie willigte ein. Aber als sie ihre Verlobung bekanntgaben, erhob sich die ganze Verwandtschaft dagegen. Mariens Eltern, seine eigene Mutter, seine vier Schwestern, alle fielen über sie beide her: Marie sei kränklich, sie passe nicht zu ihm, er nicht zu ihr, und überhaupt tauge es nicht, wenn Vetter und Base einander ehelichten. Der Rittmeister verlachte alle diese Gründe. Aber Marie schien beeindruckt und hätte sich, nach Frauenzimmerart, leicht abspenstig machen lassen. Da riß ihm die Geduld, und er beschloß zu handeln. In einem offenen Zweispänner war er eines schönen Sonntagmorgens vor ihrem Hause vorgefahren; unter einem Vorwand gelang es ihm, das Mädchen aus der Wohnung und über die Treppen herabzulocken. Marie war, weil sie am Morgen nie fertig werden konnte, noch in Schlafrock und Häubchen. Hinter dem Tor umfaßte er sie und trug sie auf den Armen aus dem Haus. Der Wagen wartete; ehe sie sich entwinden konnte, hatte er die Braut hineingesetzt, den Schlag zugeworfen und dem Kutscher zugerufen, frisch drauflos und dreimal um den Ringplatz zu fahren. Es war noch früh am Tage; aber die Maiensonne schien schon recht dreist hernieder, die Leute waren auf dem Weg zur Kirche. Sie machten Augen wie gläserne Teller, als sie die sittsame Marie Bourdanin ungekämmt, im Hausrock, das Rüschenhäubchen im Genick an der Seite des Vetters vorbeikutschieren sahen. Das Mädchen jammerte, schrie, machte einen Versuch, den Schlag zu öffnen und hinauszuspringen. Der Mann ließ sie lachend gewähren, denn er wußte, Marie würde nicht springen; sie sprang auch nicht, sondern gab sich darein, kauerte kläglich in ihrer Ecke, ein Häuflein Elend, und wagte nicht aufzuschauen. Dafür blickte er stolz umher und weidete sich daran, wie die Leute gafften. Nach der dritten Runde ließ er den Kutscher halten und entließ die Schluchzende in die Dunkelheit des heimischen Torflurs. Eine Stunde später erschien er, einen riesigen Rosenstrauß in der Hand, bei Mariens Eltern. Jetzt, gab er ihnen zu verstehen, könnten sie ihm die Hand der Tochter nicht mehr verweigern. So begann Balthasar Bourdanins Brautzeit. Von nun an erschien er täglich, eine Blume im Knopfloch, bei den Verwandten. Er blieb zum Kaffee, er spielte mit Mariens Bruder Schach oder führte achtungsvolle Gespräche mit ihrem Vater, seinem Onkel. So gewalttätig er aufgetreten war, um seinen Willen durchzusetzen, so sehr bemühte er sich jetzt, die gekränkten Eltern durch artig-ritterliches Wesen zu versöhnen. Sie schienen sich auch bald beruhigt und abgefunden zu haben; nicht so die Braut: sie hielt sich meist abseits, wenn der Bräutigam zu Besuch kam. Sie hatte nie viel mit ihm zu reden gewußt. Jetzt ließ sie sich manchmal entschuldigen, sie habe Kopfschmerzen oder Herzklopfen, und schloß sich in ihrem Zimmer ein. Ihre Mutter, Frau Margaret, blickte den Neffen kummervoll an und seufzte: Ja, es sei nur zu wahr, Mariechen sei ein doch gar zu schwächliches Kind. Der Rittmeister lachte. Ein Kind war Marie wahrlich nicht mehr zu nennen mit ihren bald dreißig Jahren, und für schwächlich konnte man sie ebensowenig halten, war sie doch eher rundlich geraten und zu früher Behäbigkeit neigend. Sie sollte nur froh sein, daß sie noch unter die Haube kam, dazu in der eigenen Familie. Die längst vorbereitete Ausstattung wurde aus ihren Truhen und Verstecken gehoben. Leinen und Damaste stapelten sich zu wahren Gebirgen. Von Zeit zu Zeit wurde ein Teil in Buckelkörbe verpackt, und Mariens Mutter zog mit drei Lastträgerinnen in die zukünftige Wohnung der Tochter. Dort füllte sie die Schränke, steckte Vorhänge auf und zierte die Wände mit frommen Bildern. Diese Arbeit des Nestbaues stimmte die gute Frau wie jede ehrliche Mutter, die ihrer Tochter das Ehehaus bereitet, wehmütig, aber zufrieden. Nur das eine war merkwürdig, daß Marie selbst niemals den Wunsch zeigte, sich an diesen Unternehmungen zu beteiligen. Balthasar Bourdanin wohnte in der Neustadt, in einem Haus, das sein Vater gekauft hatte; es hieß »das Kamerale«, weil in einem seiner Flügel eine Behörde, eben das Kameralamt mit seinen Registern und Katastern, einquartiert war. Die Bourdaninschen Wohngemächer nahmen den anderen, besseren Trakt ein. Er war ein großer, gelbgestrichener Kasten im nüchternen Stil der josephinischen Fiskalbauten. Der Weg dahin war nicht weit. Aber Marie, die sonst eine eifrige Spaziergängerin war, schien in jener Zeit den Gang vor die alte Stadt zu scheuen. Wenn die Mutter sie aufforderte, mitzukommen und sich doch auch einmal in ihrem neuen Heim umzutun, senkte die Tochter das ein wenig schwere, ein wenig gelbliche Gesicht und erwiderte mit sanfter Stimme: »Ach, Mamachen, das wirst du allein alles viel besser machen.« Aber am Abend des Hochzeitstages gab es keine Ausflüchte mehr, da halfen nicht Kopfschmerzen oder Herzbeschwerden: Das Weib mußte dem Manne folgen, wie das Gesetz es befahl. So stieg sie in den Wagen, nahm Abschied, sie streckte die Hände noch nach den Ihren aus, als die Pferde schon anzogen. Eine späte pomeranzenfarbene Sonne stand über dem Horizont und schien der Braut in das hochglühende Gesicht. Sie tastete nach dem Miederrand: dort stak das Muttergottesbild, das ihr die alte Küchenmagd heute morgen ins Schnupftuch geschmuggelt, es sei dreimal stark geweiht, hatte ihr die Alte zugeraunt, dreimal mit besonderem Segen. Daran dachte die Braut, während sie an der Seite des Mannes saß, und es war ihr in diesem Augenblick der einzige Trost. Balthasars Mutter und seine Schwestern waren dem jungen Paar schon vorausgefahren. Marie kam nicht als Herrin in ein eigenes Heim. Die alte Witwe Bourdanin herrschte noch immer dahier, und ihr Sohn, der Rittmeister, fand es nur natürlich, daß seine Frau unter der Regentschaft seiner Mutter, ihrer Tante, hausen sollte. In einer Küche sollten sie wirtschaften, von demselben Gesinde bedient werden. Von den vier Bourdanin-Töchtern, seinen Schwestern, waren drei verheiratet. Aber auch diese tauchten fast alle Tage im Kameralamt auf. Das lag den Bourdaninschen so im Blut, daß sie sich eng beinander hielten oder, wenn sie schon einmal getrennt waren, unfehlbar zurückstrebten in dasselbe Nest. Der Torbogen des Hauses war bekränzt. Als die Neuvermählten ankamen, standen die Mutter und die Schwestern des Ehemannes schon davor. Sie traten auf die Braut zu und hießen sie willkommen, wie es sich gehörte. Sie hatten alle ein wenig Furcht vor Balthasar. Auch hätte es gegen die Spielregeln ihres Standes und ihrer Bildung verstoßen, heute, am Tag der Vermählung, in starrsinniger Ablehnung zu verharren. Sie waren Bürgersfrauen und Österreicherinnen und also erfahren, wie man Feldzüge mit Anstand verliert und wie man halsstarrige Absolutismen durch mildere Patente ersetzt. Später am Abend weilte Frau Josefin Bourdanin in der Küche und überwachte die Arbeit der Mägde, die das durch die vorausgegangenen Feierlichkeiten in Unordnung gebrachte Silberzeug putzten und polierten. Unablässig liefen die Augen der Frau zählend und prüfend über die Reihen der Bestecke, aber ihre Gedanken irrten ab und suchten das junge Paar, das allein zu lassen jetzt Sitte und Anstand geboten. In der Mutter des Mannes wallten allerlei Ahnungen. Ihr war bänglich zumute, und doch empfand sie eine Art Genugtuung, als nun das Stubenmädchen zu ihr trat und mit einem schlecht verhehlten Lächeln raunte: Die Gnädige möchte so gut sein, zur jungen Gnädigen zu kommen. Die junge Gnädige liege auf dem Sofa und weine. Die...