Galeano | Die offenen Adern Lateinamerikas | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Galeano Die offenen Adern Lateinamerikas

Die Geschichte eines Kontinents
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7795-0574-7
Verlag: Peter Hammer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Geschichte eines Kontinents

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

ISBN: 978-3-7795-0574-7
Verlag: Peter Hammer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der weltweite Ruhm Eduardo Galeanos gründet auf einem Buch, das er 'in neunzig Nächten' geschrieben hat: das unorthodoxe Geschichtswerk 'Die offenen Adern Lateinamerikas'. Scharfsinnig, schonungslos und sprachlich brillant zeigt der Autor, dass es keinen Reichtum gibt, der unschuldig ist und formuliert das große Paradoxon seines Kontinents: 'Wir Lateinamerikaner sind arm, weil der Boden, auf dem wir gehen, reich ist.' 'Der Autor bedauert, dass diese Seiten nicht an Aktualität verloren haben.' Eduardo Galeano in seiner Einleitung zur Neuausgabe in 2009 (Die erste Ausgabe erschien im Peter Hammer Verlag in 20 Auflagen zwischen 1973 und 2008).

Eduardo Hughes Galeano, 1940 in Montevideo/Uruguay geboren und dort 2015 gestorben, begann seine journalistische Karriere 1960 als Chefredakteur der Wochenzeitung MARCHA. 1964 wurde er Herausgeber von EPOCA, der Zeitschrift der 'unabhängigen Linken' in Uruguay, 1973 Chefredakteur der Zeitschrift CRISIS in Buenos Aires. Ab 1976 lebte Galeano im spanischen Exil. 1985, nach Beendigung der Militärdiktatur in Uruguay, kehrte er nach Montevideo zurück. Für seine literarische Arbeit erhielt er u.a. den Preis der 'Casa de las Americas' und den 'American Book Award'. Er ist Ehrendoktor der Universitäten La Paz, Havanna und Neuquén/Argentinien.
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Goldfieber, Silberfieber


Das Zeichen des Kreuzes auf den Griffen der Schwerter


Als Christoph Kolumbus sich aufmachte, das große Nichts westlich der bewohnten Welt zu durchqueren, war dies eine Kampfansage an die alten Legenden. Schreckliche Stürme würden mit seinen Schiffen spielen, als wären es Nussschalen, und sie Meeresungeheuern in den Rachen werfen; die riesige Seeschlange der finsteren Tiefen würde ihnen auflauern, hungrig nach Menschenfleisch. Es fehlten nur noch tausend Jahre, bis die reinigenden Flammen des Jüngsten Gerichts über die Welt hinwegfegen würden, wie man im 15. Jahrhundert glaubte, und die Welt war damals das Mittelmeer mit seinen nach Afrika und dem Orient ausgerichteten Küsten. Die portugiesischen Seefahrer beteuerten, der Westwind schwemme seltsame Leichname an und treibe bisweilen sonderbar geschnitzte Hölzer heran, doch niemand ahnte, dass die Welt schon bald erstaunlich viel größer werden sollte.

Amerika fehlte nicht nur der Name. Die Norweger wussten nicht, dass sie es längst entdeckt hatten, und Kolumbus selbst starb nach seinen Reisen in der Überzeugung, er habe Asiens Rückseite erreicht. Als sich 1492 zum ersten Mal ein spanischer Stiefel in den Sand der Bahamas bohrte, hielt der Admiral sie für Japan vorgelagerte Inseln. Kolumbus führte ein Exemplar von Marco Polos Reisebericht mit sich, das er mit zahllosen Randbemerkungen versehen hatte. Die Bewohner von Zipangu, schrieb Marco Polo, »besitzen Gold in reichem Maße, und die Minen, in denen sie es finden, erschöpfen sich nie […] Außerdem gibt es auf dieser Insel reinste Orientperlen in großer Zahl. Sie sind rosafarben, rund und sehr groß, und ihr Wert übertrifft den der weißen Perlen.« Der Reichtum Zipangus war zu Ohren des Großen Kublai Khan gelangt und hatte in ihm das Begehren geweckt, es zu erobern, doch er war gescheitert. Aus den schillernden Seiten Marco Polos stiegen alle Schätze der Schöpfung auf; beinahe 13000 Inseln sollten im Indischen Meer liegen, mit Bergen von Gold und Perlen und zwölferlei Sorten Gewürzen in gigantischen Mengen, dazu weißem und schwarzem Pfeffer. Pfeffer, Ingwer, Gewürznelken, Muskatnuss und Zimt waren ebenso begehrt wie das Salz zum Pökeln des Fleisches im Winter, wodurch es aufbewahrt werden konnte, ohne zu faulen oder seinen Geschmack einzubüßen. Die Katholischen Könige beschlossen, die abenteuerliche Suche nach einem direkten Zugriff auf die Quellen zu finanzieren, um so die kostspielige Kette von Zwischenhändlern und Wiederverkäufern zu umgehen, die den Handel mit den aus geheimnisvollen Regionen des Orients kommenden Gewürzen und tropischen Pflanzen, dem Musselin und den blanken Waffen in der Hand hatten. Die Gier nach Edelmetallen, dem Zahlungsmittel im Handelsverkehr, war ein weiterer Antrieb für die Überquerung der verfluchten Meere. Ganz Europa brauchte Silber; die Minen in Böhmen, Sachsen und Tirol waren beinahe erschöpft.

Spanien befand sich in der Epoche der Reconquista. 1492 war nicht nur das Jahr, in dem Amerika entdeckt wurde, jene Neue Welt, die aus einem grandiosen Irrtum hervorgegangen war. Es war auch das Jahr der Rückeroberung von Granada. Ferdinand von Aragón und Isabella von Kastilien, die durch ihre Eheschließung die Zersplitterung ihrer Gebiete verhindert hatten, schlugen Anfang 1492 das letzte muslimische Bollwerk auf spanischem Boden nieder. Es hatte beinahe acht Jahrhunderte gebraucht, um zurückzugewinnen, was man in sieben Jahren verloren hatte1, und der Rückeroberungskrieg hatte die königlichen Schatzkammern geleert. Doch es war ein Heiliger Krieg, der des Christentums gegen den Islam, und es ist kein Zufall, dass ebenfalls im Jahr 1492150000 bekennende Juden des Landes verwiesen wurden. Spanien machte sich zur Nation, indem es Schwerter schwenkte, deren Griffe das Zeichen des Kreuzes zeigten. Königin Isabella hielt ihre Hand über die Heilige Inquisition. Das Wagnis der Entdeckung Amerikas ließe sich nicht erklären ohne die militärische Tradition der Kreuzzüge, von denen das mittelalterliche Kastilien geprägt war, und die Kirche zögerte nicht, die Eroberung der unbekannten Gebiete auf der anderen Seite des Ozeans als heilige Tat anzuerkennen. Der aus Valencia gebürtige Papst Alexander VI. machte Königin Isabella zur Herrin der Neuen Welt. Die Expansion des kastilischen Reiches erweiterte das Reich Gottes auf Erden.

Drei Jahre nach seiner Entdeckung führte Christoph Kolumbus persönlich den Feldzug gegen die Eingeborenen Santo Domingos an. Eine Handvoll Junker, zweihundert Fußsoldaten und einige für den Kampf abgerichtete Hunde dezimierten die Indios. Über 500 wurden nach Spanien geschickt; sie wurden in Sevilla als Sklaven verkauft und gingen jämmerlich zugrunde.2 Auf den Protest einiger Theologen hin wurde die Versklavung der Indios zu Beginn des 16. Jahrhunderts offiziell verboten. Tatsächlich kam dieses Verbot in Wirklichkeit einem Plazet gleich: Vor jeder Kriegshandlung mussten die Befehlshaber des Eroberungsfeldzugs den Indios in Gegenwart eines Amtsschreibers einen langen und umständlich formulierten Aufruf vorlesen, der sie dazu aufforderte, sich zum heiligen katholischen Glauben zu bekehren: »Solltet ihr dem nicht Folge leisten oder es mutwillig verzögern, so versichere ich euch, dass ich mit Gottes Hilfe gewaltsam bei euch einziehen und euch an allen Orten und auf alle mir mögliche Arten bekriegen und euch unter das Joch und den Gehorsam der Kirche und Seiner Majestät zwingen werde, eure Frauen und Kinder zu Sklaven machen, sie als solche verkaufen und über sie verfügen werde, wie Seine Majestät es verfügt, und dass ich euch eures Hab und Guts entledigen und euch alles Übel und allen Schaden zufügen werde, dessen ich fähig bin …«3

Amerika war das Reich Satans, das kaum mit Erlösung rechnen konnte, doch die fanatische Mission, die Ketzerei der Eingeborenen zu bekämpfen, vermischte sich mit dem Fieber, das die funkelnden Schätze der Neuen Welt unter den Eroberungsarmeen auslöste. Bernal Díaz del Castillo, einer von Hernán Cortés’ Soldaten bei dessen Eroberung Mexikos, hielt in seinem Bericht fest, sie seien nach Amerika gekommen, »um Gott und Eurer Majestät zu dienen und auch, weil es dort Reichtümer gibt.«

Als Kolumbus zum Atoll von San Salvador gelangte, war er geblendet von der Farbenpracht der Karibik, der grünen Landschaft, der milden, kristallinen Luft, den herrlichen Vögeln und den »gut gewachsenen«, fügsamen jungen Menschen, die dort lebten. Er schenkte den Eingeborenen ein paar »rote Kappen und Halsketten aus Glas und noch andere Kleinigkeiten von geringem Wert, worüber sie sich ungemein erfreut zeigten. Sie wurden so gute Freunde, dass es eine helle Freude war.« Er zeigte ihnen Schwerter. Sie kannten nichts dergleichen, fassten sie an der Schneide an und schnitten sich. Unterdessen, schreibt der Admiral in seinem Bordbuch, »beachtete ich alles mit größter Aufmerksamkeit und trachtete herauszubekommen, ob in dieser Gegend Gold vorkomme. Dabei bemerkte ich, dass einige von diesen Männern die Nase durchlöchert und durch die Öffnung ein Stück Gold geschoben hatten. Mit Hilfe der Zeichensprache erfuhr ich, dass man gegen Süden fahren müsse, um zu einem König zu gelangen, der große, goldene Gefäße und viele Goldstücke besaß.« Denn »aus Gold werden Schätze, und wer solche besitzt, ist frei, auf der Welt zu tun, was er will, und öffnet seiner Seele selbst das Paradies.« Noch auf seiner dritten Reise dachte Kolumbus, das chinesische Meer zu befahren, als er sich der Küste Venezuelas näherte; was ihn nicht daran hinderte, zu berichten, von dort aus erstrecke sich ein endloses Gebiet, das bis zum Irdischen Paradies aufsteige. Auch Amerigo Vespucci, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Küstengebiete Brasiliens erkundete, sollte Lorenzo von Medici schildern: »Die Bäume sind von solcher Schönheit und Lieblichkeit, dass wir uns im Paradies auf Erden fühlten […]«4 Erbittert schrieb Kolumbus 1503 von Jamaika aus an die königlichen Majestäten: »Als ich Indien entdeckte, sagte ich, dass dies die reichsten Gebiete seien, die es auf der Welt gibt. Und ich sprach von Gold, Perlen, Edelsteinen, Gewürzen …«

Ein einziger Beutel Pfeffer war im Mittelalter mehr wert als ein Menschenleben, doch Gold und Silber waren die Schlüssel, mit denen sich die Renaissance die Pforten zum Paradies im Himmel und zum kapitalistischen Merkantilismus auf Erden öffnete. Die epischen Unternehmungen der Spanier und Portugiesen in Amerika verknüpften die Verbreitung des Christentums mit der Aneignung und Plünderung der einheimischen Reichtümer. Europas Macht dehnte sich aus, um die ganze Welt zu umschließen. Die noch unerforschten Regionen, voller Urwälder und Gefahren, entfachten die Habgier der Befehlshaber, Junker und zerlumpten Soldaten, die auf die Eroberung fantastischer Kriegsbeuten aus waren; ihr Credo waren Kühnheit und Ruhm, »die Sonne der Toten«. »Den Mutigen steht das Schicksal bei«, sagte Hernán Cortés. Cortés selbst hatte sein gesamtes Hab und Gut verpfändet, um die Expedition...


Eduardo Hughes Galeano, 1940 in Montevideo/Uruguay geboren und dort 2015 gestorben, begann seine journalistische Karriere 1960 als Chefredakteur der Wochenzeitung MARCHA. 1964 wurde er Herausgeber von EPOCA, der Zeitschrift der "unabhängigen Linken" in Uruguay, 1973 Chefredakteur der Zeitschrift CRISIS in Buenos Aires. Ab 1976 lebte Galeano im spanischen Exil. 1985, nach Beendigung der Militärdiktatur in Uruguay, kehrte er nach Montevideo zurück. Für seine literarische Arbeit erhielt er u.a. den Preis der "Casa de las Americas" und den "American Book Award". Er ist Ehrendoktor der Universitäten La Paz, Havanna und Neuquén/Argentinien.



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