E-Book, Deutsch, 264 Seiten
Reihe: Classics To Go
Galsworthy Das Herrenhaus
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98744-483-8
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 264 Seiten
Reihe: Classics To Go
ISBN: 978-3-98744-483-8
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Horace Pendyce kämpft mit aller Tyrannei, deren er fähig ist, für seinen Besitz und eine Wahrung des Gesichts. Seine feinfühlige Frau, Mrs. Margery Pendyce, sucht mit aller Kraft hinter die wahren Absichten der undurchsichtigen Mrs. Bellew zu kommen, um ihren Sohn aus heillosen Verstrickungen zu befreien.
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Erster Teil
Erstes Kapitel Eine Jagdgesellschaft auf Worsted Skeynes
Es war das Jahr 1891, der Monat: Oktober, der Tag: ein Montag. Draußen, im Dunkel vor dem Bahnhofsgebäude von Worsted Skeynes nahmen die verschiedenen Gefährte von Mr. Horace Pendyce – Kremser, Coupé und Gepäckwagen – allen freien Raum für sich in Anspruch; und ebenso hatte das Gesicht seines Kutschers offenbar Monopol auf das Licht der einzigen Bahnhofslaterne. Rosig angehaucht, mit dichtem, kurzgeschorenem, grauem Backenbart und fest aufeinander gepreßten Lippen thronte er hoch oben in dem herben Ostwind gleich einem Wahrzeichen des Feudalsystems. Drinnen auf dem Bahnsteig warteten in langen Livreeröcken mit Silberknöpfen, das feierliche Aussehen gemildert durch die etwas schief gerückten Zylinderhüte, der erste Lakai und der zweite Reitknecht auf die Ankunft des Sechs-Uhr-fünfzehn-Zuges. Der erste Lakai zog aus seiner Tasche ein Blatt Briefpapier mit Wappen und Initialen, das die zierlichen, regelmäßigen Schriftzüge von Mr. Horace Pendyce zeigte. Mit näselnder, etwas spöttischer Stimme begann er laut zu lesen: »›Der Ehrenwerte Geoffrey Winlow und Gattin das blaue Zimmer mit Toilettenraum; die Jungfer das kleine gelbe. Mr. George das weiße Zimmer. Mrs. Jaspar Bellew das goldne. Der Herr Hauptmann das rote. General Pendyce das rosa Zimmer; sein Kammerdiener die hintere Dachstube.‹ So, das sind alle.« Der Reitknecht, ein rotbackiger junger Bursch, hörte nicht zu. »Wenn Mr. Georges ›Ambler‹ Mittwoch gewinnt«, meinte er, »dann hab' ich fünf Pfund sicher in der Tasche. Wer reitet für Mr. George?« »Na, James, natürlich.« Der Reitknecht pfiff durch die Zähne. »Ich will zusehen, daß ich morgen bei der Waage dabei sein kann. Hast du auch gewettet, Tom?« »Da steht ja noch etwas auf der andern Seite«, gab der Lakai zur Antwort. »Grünes Zimmer rechter Flügel – kriegt der Foxleigh; nicht viel los mit ihm. So eine ›Nimm was du kriegen kannst und rück nichts raus‹-Sorte! Aber zu schießen versteht er! Darum laden sie ihn ja auch bloß ein!« Hinter einer Wand dunkler Bäume hervor lief jetzt der Zug ein. Den Bahnsteig herunter kamen die ersten Reisenden, zwei Viehhändler mit langen Stöcken, die in ihren Friesröcken daherstapften und einen Geruch von Stall und schwarzem Tabak um sich verbreiteten. Dann hinter ihnen ein Paar und einige einzelne Gestalten, die sich möglichst weit entfernt voneinander hielten: Mr. Horace Pendyces Gäste. Ganz langsam kamen sie, einer nach dem andern, bis an die Wagen und blickten eifrig geradeaus, als fürchteten sie, einander zu erkennen. Ein hochgewachsener Mann im Pelz, dessen hochgewachsene Frau eine silberbeschlagene Ledertasche trug, redete den Kutscher an: »Abend, Benson! Mr. George sagt, Hauptmann Pendyce hätte ihm erzählt, daß er erst mit dem Neun-Uhr-dreißig-Zug ankäme. Ich denke, wir fahren –« Wie ein leiser Windhauch, der durch das starre Schweigen eines Nebels dringt, so wurde eine hohe, helle Frauenstimme vernehmbar: »Oh, danke sehr; ich nehme das Coupé!« Vom ersten Lakaien, der ihr die Sachen trug, begleitet, näherte sich eine Dame. Durch den weißen Schleier hindurch, der sie verhüllte, gewahrte des Ehrenwerten Geoffrey Winlow lässig umherschweifender Blick ein Paar schimmernde Augen. Nachdem sie sich noch einmal umgedreht hatte, verschwand sie in dem Coupé. Gleich darauf erschien ihr Kopf hinter der Schleierhülle wieder. »Hier drinnen ist noch Platz genug, George!« George Pendyce trat rasch heran und stieg zu ihr in den Wagen. Ein Räderknirschen, und das Coupé rollte davon. Der Ehrenwerte Geoffrey Winlow sah wieder zu dem Kutscher hinauf. »Wer war das, Benson?« Der Kutscher, der sich vertraulich hinunterbeugte, hielt seine plumpe, weißgekleidete Hand gespreizt in der Höhe von Winlows Hut und antwortete: »Mrs. Jaspar Bellew, gnädiger Herr. Die Frau Gemahlin vom Hauptmann Bellew, dem das Haus ›Die Föhren‹ gehört.« »Aber ich glaube, die wären nicht mehr –« »Nein, gnädiger Herr; sind sie auch nicht!« »Ah!« Eine ruhige, etwas dünne Stimme ließ sich vom Kremser her vernehmen: »Aber Geoff!« Der Ehrenwerte Geoffrey Winlow folgte seiner Gattin, Mr. Foxleigh und dem General Pendyce in den Kremser, und wieder hörte man Mrs. Winlows Stimme: »Darf meine Jungfer mit herein? – Kommen Sie, Tookson!« ... Der weiße, langgestreckte, niedrige Herrensitz, der stattlich dastand inmitten ausgezeichneter Güter, war durch eine Heirat mit der letzten Worsted in den Besitz von Mr. Horace Pendyces Ur-Ur-Ur-Großvater gekommen. Ursprünglich war der schöne Grundbesitz, in kleinere Anwesen geteilt, an Pächter vergeben gewesen, die, ohne daß man sich um sie gekümmert, recht gut vorwärtsgekommen waren und ansehnliche Pacht gezahlt hatten. Jetzt wurde das Gut nach neuesten Methoden bewirtschaftet und ergab ein kleines Defizit. Von Zeit zu Zeit machte Mr. Pendyce Zuchtversuche mit neuen Rindern oder Rebhühnern und ließ bei den Schulen einen Flügel anbauen. Sein Einkommen war glücklicherweise unabhängig von diesem Grundbesitz. Er lebte im besten Einvernehmen mit dem Pfarrer und den Verwaltungsbehörden und führte nicht selten Klage darüber, daß seine Pächter nicht auf dem Lande bleiben wollten. Seine Gattin war eine Totteridge und sein Wildbestand vortrefflich. Daß er ein erstgeborener Sohn gewesen war, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Seiner individuellen Überzeugung nach stand England im Begriff, am Individualismus zugrunde zu gehen, und er hatte sich zur Aufgabe gemacht, diesen Fehler zum wenigsten bei seinen Pächtern auszumerzen. Indem er an Stelle ihres Individualismus seine eigenen Neigungen, Ideen und Empfindungen, ja, man hätte sagen können, seinen eigenen Individualismus setzte – was ihn oft genug Geld kostete – hatte er einigermaßen seine Lieblingstheorie bewiesen, nämlich, daß die Entwicklung des Individualismus einen Niedergang des Gemeinwesens bedeute. Wenn man ihm jedoch die Sache derart vor Augen führte, konnte er sich sehr ereifern, denn er hielt sich nicht etwa für einen Individualisten, sondern für einen ›konservativen Kommunisten‹, wie er es nannte. Seinen landwirtschaftlichen Interessen gemäß, war er natürlich Schutzzöllner; ein Zoll auf Getreide, das war ihm klar, mußte für Englands Wohlstand von ungeheurer Bedeutung sein. Oft genug erklärte er: ›Ein Zoll von vier oder fünf Shilling auf Getreide, und ich würde aus meinem Grund und Boden einen Gewinn herauswirtschaften‹. Mr. Pendyce besaß hingegen andere Eigenheiten, in denen sich nicht allzuviel Individualität verriet. Er war ein Gegner jeder Änderung in der bestehenden Ordnung der Dinge, machte sich über alles schriftliche Notizen und fühlte sich nie glücklicher, als wenn er von sich, von seinem Grundbesitz reden durfte. Er besaß einen schwarzen Spaniel, John genannt, mit langer Schnauze und noch längeren Ohren, den er selbst aufgezogen hatte; und das Tier war nur glücklich in seiner Nähe. Der Erscheinung nach gehörte Mr. Pendyce eigentlich zur alten Schule, mit seiner hochaufgerichteten, beweglichen Gestalt und dem dünnen Backenbart, dem er jedoch seit mehreren Jahren einen Schnurrbart hinzugefügt hatte, der herunterhing und schon angegraut war. Er trug breite Krawatten und Gehröcke. Er war kein Raucher. An der Spitze seiner mit Blumen und Silber beladenen Tafel saß er zwischen der Ehrenwerten Mrs. Winlow und Mrs. Jaspar Bellew. Auffallendere und verschiedenartigere Nachbarinnen hätte er sich nicht wünschen können. Die Natur hatte sie beide gleich hoch an Wuchs, stattlich und schön geschaffen; und doch war zwischen diesen zwei Frauen ein Abstand, den auszufüllen Mr. Pendyce, ein Mann von hagerer Statur, vergeblich sich bemühte. Eine dem aschblonden Typ der englischen Aristokratie anhaftende Seelenruhe lag beständig auf Mrs. Winlows Antlitz, wie das Lächeln eines Frosttages. In seiner gewissen Ausdruckslosigkeit überzeugte es den Beobachter sofort, daß er eine Frau bester Herkunft vor sich habe. Wäre je ein entschiedener Ausdruck auf ihren Zügen erschienen, Gott weiß, welche Folgen das gezeitigt hätte. Sie hatte stets die Ermahnung ihrer Nurse befolgt: ›Um alles in der Welt, schneiden Sie kein Gesicht, Miß Truda; wenn die Uhr schlägt, bleibt's stehen!‹ Seit jenem Tage hat Gertrude Winlow, die von Hause aus und durch ihre Heirat zum Adel des Landes gehörte, nie wieder das Gesicht verzogen, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht einmal, als ihr Sohn geboren worden war. Und da mußte nun gerade auf der andern Seite des Hausherrn diese rätselhafte Mrs. Bellew mit den grüngrauen Augen sitzen, die von den würdigsten Vertreterinnen ihres Geschlechts mit instinktiver Mißbilligung angesehen wurde! Eine Frau in ihrer Lage hätte alles Auffällige vermeiden sollen; aber die Natur hatte ihr eine gar zu bemerkenswerte Erscheinung verliehen. Es hieß, daß sie sich vor zwei Jahren nur deshalb von Hauptmann Bellew getrennt und ihre Besitzung ›Die Föhren‹ verlassen hatte, weil sie einander überdrüssig waren. Man erzählte sich auch, daß sie George, den ältesten Sohn von Mr. Pendyce, in seinen Huldigungen offenbar ermunterte. Lady Malden hatte vor Tische zu Mrs. Winlow die Bemerkung gemacht: »Was ist's nur eigentlich mit dieser Mrs. Bellew? Ich habe sie nie gemocht. Eine Frau in ihrer Lage müßte sich viel zurückhaltender benehmen. Ich begreife überhaupt nicht, wie man sie hier einladen konnte, wo ihr Mann doch ganz in der Nähe wohnt. Es geht ihr übrigens pekuniär recht mäßig. Sie versucht es auch...




