E-Book, Deutsch, Band 16, 411 Seiten
Reihe: Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung
García García / Prinz / Reimann Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8233-0204-9
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Neue Konzepte und Studien zu Schulsprachen und Herkunftssprachen in der Migrationsgesellschaft
E-Book, Deutsch, Band 16, 411 Seiten
Reihe: Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung
            ISBN: 978-3-8233-0204-9 
            Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
            
 Format: EPUB
    Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mehrsprachigkeit ist seit Jahrzehnten eines der zentralen sprachen- und bildungspolitischen Anliegen in Europa, Mehrsprachigkeitsdidaktik eines der zentralen Forschungsfelder der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik. Der romanistischen Fremdsprachendidaktik kommt dabei eine wichtige Rolle zu, da die romanischen Sprachen beinahe die einzige Sprachenfamilie darstellen, aus der regelmäßig mehr als eine Fremdsprache im Laufe einer Schullaufbahn erlernt werden kann. In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Veränderungen in der Schülerschaft ergeben, aufgrund derer Mehrsprachigkeitsdidaktik 'neu gedacht', d. h. theoretisch und konzeptionell weiterentwickelt, weiter beforscht und unterrichtspraktisch ausgestaltet werden muss.
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1.3 Die deutsche Schrift – eine Alphabetschrift
Die Alphabetschrift, die erstmals von den Phöniziern zwischen dem 11. und 5. Jahrhundert v.Chr. entwickelt wurde, ist eine geniale Erfindung: Eigentlich muss ein Kind nur 26 Zeichen erlernen, um jedes erdenkliche Wort im Deutschen schreiben zu können; für die Großschreibung kommen, als Allographen der Kleinbuchstaben, noch 26 Buchstaben hinzu. Im Chinesischen benötigt man dagegen 3000-5000 Zeichen, nur um im schriftlichen Alltag bestehen zu können. Alphabetschriften sind phonographische Schriften, da ihre Buchstaben die Phoneme einer Sprache visuell repräsentieren. Wohlgemerkt: die Phoneme, nicht die Laute! Denn die Laute einer Sprache existieren in unterschiedlichen Varianten, den sogenannten Allophonen, die aber nicht bedeutungsunterscheidend sind.
Dazu ein Beispiel: Wenn Sie einmal die Wörter und nacheinander sprechen und anschließend nur den jeweils ersten Laut artikulieren, werden Sie feststellen, dass die beiden k-Laute unterschiedlich klingen: Der k-Laut in ist deutlich heller als der in , die Zunge liegt anders im Mund und die Lippen sind anders geformt. Es handelt sich also um zwei unterschiedliche Laute, die man als Phone bezeichnet. Dieser Unterschied hängt mit den nachfolgenden Vokalen zusammen, die die Aussprache beeinflussen.1 In der Schrift müssen diese phonetischen Varianten aber nicht unterschieden werden, da sie keine bedeutungsunterscheidende Funktion haben. Das /k/, das zwischen zwei Schrägstrichen notiert wird, ist ein Phonem, in welcher lautlichen Variante auch immer. Denn wenn man es mit anderen Phonemen wie /f/, /h/, /m/, /l/, /r/ oder /t/ in der gleichen lautlichen Umgebung kontrastiert, erhält man Minimalpaare wie oder . Mit einer derartigen Minimalpaaranalyse lässt sich feststellen, ob Phone eine bedeutungsunterscheidende Funktion haben und deshalb als Phoneme bezeichnet werden. Meint man dagegen Phone – wie in unserem Beispiel die unterschiedlichen k-Laute in und –, setzt man sie in eckige Klammern: [k].
Grapheme hingegen, die in der Regel aus einem Buchstaben bestehen, setzt man in spitze Klammern: <>. Grapheme können aber auch aus zwei oder drei Buchstaben bestehen wie beim <> oder <>. Für das Phonem /?/ steht im Deutschen das Graphem <> (), im Türkischen ein <> (), im Englischen ein <> (), im Ungarischen ein <> () und im Kroatischen ein <> ().
Das Phonem /r/ ist ein besonders interessanter Fall, da es im deutschsprachigen Raum höchst unterschiedlich artikuliert wird. Im Bairischen wird es durch rasche Bewegungen der Zungenspitze gebildet und in der Internationalen Lautschrift mit [r] notiert, im übrigen Deutschland meist als ein stimmhafter, am Gaumenzäpfchen gebildeter Reibelaut, der als [?] transkribiert wird, oder als [R], das mit dem Zäpfchen ‚gerollt‘ wird. Diese Unterschiede haben aber keinen Einfluss auf die Bedeutung von Wörtern. Ein bleibt immer ein , ganz gleich, wie das Phonem /r/ ausgesprochen wird.
In Norddeutschland wird das /r/ postvokalisch nach /a/ meist gar nicht realisiert, beispielsweise in , aber dennoch schreiben auch die Norddeutschen mit
Man möchte annehmen, dass es für Schreiber wie für Leser einer Sprache das Beste wäre, wenn immer genau einem Phonem ein Graphem entsprechen würde, so wie das weitgehend im Spanischen, Finnischen oder im Türkischen geregelt ist. Die erst 1928 neu entwickelte türkische Schrift ist tatsächlich einfach zu erlernen und problemlos zu lesen. In alten Schriftsystemen wie dem Englischen oder dem Französischen ist die Phonem-Graphem-Korrespondenz hingegen kompliziert. Das englische Wort mit sechs Graphemen korrespondiert kaum mit den vier Phonemen /inaf/. Und das französische mit fünf Graphemen wird mit nur zwei Phonemen als /kö/ gesprochen. Der Grund für die schwer zu erlernende englische und französische Orthografie liegt in ihrem Alter. Schreibungen sind wesentlich konservativer als die gesprochene Sprache, die sich rascher wandelt. In der Schreibung werden ältere Lautungen konserviert. Englische Wörter wie , oder werden am Anfang immer noch mit einem <> geschrieben, obwohl initial längst kein /k/ mehr gesprochen wird, während im Deutschen in , und das /k/ im Mündlichen erhalten blieb.
Das deutsche Schriftsystem beruht nicht, wie das spanische, weitgehend auch das türkische, auf einer 1:1-Phonem-Graphem-Korrespondenz, aber es ist auch nicht so undurchsichtig wie das englische oder französische. Spanische und türkische Kinder können deshalb relativ problemlos mit einer Anlauttabelle das Schreiben erlernen, während englische oder französische Anlauttabellen nicht funktionieren würden. Für das Deutsche ist dieses häufig eingesetzte Hilfsmittel zum Lesen- und Schreibenlernen allenfalls für den Einstieg geeignet, um das Prinzip der Alphabetschrift zu veranschaulichen. Ein längerer Gebrauch wäre aber nicht zielführend, da Anlauttabellen eine 1:1-Phonem-Graphem-Korrespondenz suggerieren, die es im Deutschen in eindeutiger Form nur bei wenigen Wörtern gibt. Stattdessen müssen zwei Alternativen bedacht werden:
-  für ein Phonem können mehrere Grapheme stehen 
-  ein Graphem kann mit mehreren Phonemen korrespondieren 
Im ersten Fall liegt das Problem beim Schreiber, der seine Mündlichkeit in Schrift umsetzen und dazu das entsprechende Graphem aus einer Reihe von Möglichkeiten auswählen muss. Im zweiten Fall hat der Leser das Problem, von einem Graphem auf die zutreffende Aussprache von mehreren möglichen zu schließen.
Für einen Schreiber, der beispielsweise für das Phonem /k/ ein entsprechendes Graphem finden muss, ist eine Anlauttabelle von geringem Nutzen, da sie ihm nur das <> als Klein- und Großbuchstaben anbietet. Für Wörter wie oder muss aber eine Kombination von zwei Buchstaben, die Digraphen <> und <>, gewählt werden, für das Wort benötigt man das Graphem <> für die Phoneme /k/ + /s/ und in Wörtern fremder Herkunft wie oder stehen der Monograph <> und der Digraph <> für das Phonem /k/. Für Schreiber, vor allem für Anfänger, ist diese Vielfalt sicherlich unangenehm, da sie mit einem erhöhten Lernaufwand verbunden ist, aber für Leser haben diese Schreibungen einen informativen Mehrwert, da sie sich mit ihrer anderen Schreibung vom Kernwortschatz abheben, dem Leser als ‚besondere Wörter‘ ins Auge fallen und ihm eine fremde Herkunft signalisieren können. Würde ein Schreiber von einer 1:1-Phonem-Graphem-Korrespondenz ausgehen und eine Anlauttabelle nutzen, würde er diese Wörter so schreiben: *, *, *, *, *. Für den Schreiber wäre das sicherlich leichter so, aber der Leser hätte Probleme mit der Sinnentnahme.
Ein anderes Problem hat der Leser damit, anhand eines Graphems zu erkennen, für welches Phonem es steht. So kann das Graphem <> für ein kurzes, ungespanntes /?/ wie in stehen, aber auch für ein langes, gespanntes /o:/ wie in . Das Graphem <> kann sogar vier mögliche Phoneme repräsentieren:
| (1) | /e:/ | 
| /e/ | 
| /?/ | 
| /?/ | 
Und schließlich kann das Graphem <> auch mit gar keinem Phonem korrespondieren, nämlich beim <> wie in , wo es als Längezeichen dient, oder beim umgangssprachlichen Wegfall (vulgo: Verschlucken) des /?/ in Wörtern wie oder .
Die Unterschiede in der Aussprache des Graphems <> sind nur für Leseanfänger und Deutsch-Lerner problematisch. Kinder im Anfangsunterricht lesen ein Wort wie häufig als [ge:be:n], da sie nicht beachten, dass das Graphem <> in unbetonten Silben immer nur als /?/, also als Schwa (Murmelvokal), artikuliert werden kann. Kompetente Leser dagegen erkennen seine Aussprache normalerweise leicht durch seine Position im Wort oder der Silbe. Beim <> in kann es sich nur um das lange, gespannte /e:/ handeln, da zur zweisilbigen Form verlängert werden kann, während das bei nicht möglich ist. In wird das <> als kurzes, ungespanntes /?/ realisiert, da zwei Konsonanten folgen, während in nur ein Konsonant folgt und das Wort zu...





