Garner | Das Zimmer | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Garner Das Zimmer

Roman
24001. Auflage 2024
ISBN: 978-3-8270-8085-1
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Roman

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-8270-8085-1
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Als sie ihre Freundin Nicola einlädt, für eine dreiwöchige Krebstherapie bei ihr zu wohnen, ist Helen nicht bewusst, was es bedeutet einen sterbenden Menschen zu begleiten. In einer glasklaren Sprache, getragen von liebevollem Humor, erzählt Helen Garner vom Ringen um das Leben, um eine Freundschaft und einen würdevollen Tod. Auf Wunderheilung hofft Nicola vergebens - es ist Helen Garner die ein Wunder vollbringt: wir lesen eine tieftraurige Geschichte und fühlen uns bewegt, gestärkt, amüsiert und auf wundersame Weise versöhnt mit der gebrechlichen Einrichtung unserer Welt. An alles hat Helen gedacht. Das Bett ist auf Nord-Süd-Achse gebracht, dem positiven Energiefluss des Planeten folgend. Die Bettwäsche ist von einem Rosa, das auch bleicher Haut schmeichelt, der alte Teppich mit den gefährlichen Fußangeln ist ausgetauscht, eine vegetarische Suppe köchelt auf dem Herd. Für drei Wochen will Nicola bei ihrer Freundin in Melbourne wohnen, um sich einer alternativen Krebstherapie zu unterziehen; das Zimmer steht bereit. Und doch trifft es Helen unvorbereitet - wie desolat Nicolas Zustand ist, wie kräftezehrend ihre Pflege, wie barbarisch die Bedingungen jener obskuren Therapie, wie wundergläubig ihre todkranke Freundin ist und vor allem, mit welch hilflosem, unbändigen Zorn sie selbst auf all dies reagiert. Mit entwaffnender Wahrhaftigkeit beschreibt Helen Garner eine Situation, wie sie unerträglicher nicht sein könnte. Doch sie setzt der hoffnungslosen Überforderung, die das Leben oftmals für den Menschen bereit hält, ein Maß an kluger Menschlichkeit und beherztem Witz entgegen, die Das Zimmer zu einer bewegenden und tröstlichen, auf wunderbare Weise heiteren Lektüre machen.

Helen Garner wurde 1942 in Geelong, Victoria, geboren und ist eine der wichtigsten literarischen Stimmen Australiens. Ihr erster großer literarischer Erfolg war 1977 der Roman »Monkey Grip«, der 1986 nach ihrem Drehbuch von Ken Cameron verfilmt und von Jane Campion fürs Fersehen adaptiert wurde.  2008 veröffentlichte Helen Garner den Roman »Das Zimmer« ; sie wurde dafür mitzahlreichen Preisen geehrt und das Buch entwickelte sich seinerzeit zu einem internationalen Bestseller. Nun, gute fünfzehn Jahre, später erlebt es eine ebensfalls internationale Renaissance.
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ALS ERSTES rückte ich in meinem Gästezimmer das Bett auf eine nordsüdliche Achse. Es heißt doch immer, dass das den Schlafenden mit dem positiven Energiestrom des Planeten verbindet, oder? Sie jedenfalls würde an so etwas glauben. Ich machte das Bett hübsch zurecht, mit einem frischen Spannbettlaken, dem in blassem Rosé, da sie sich durch ein feines Gespür für Farben auszeichnete und Rosé selbst dann der Haut schmeichelt, wenn sie gelblich geworden ist.

Würde sie ein flaches Kissen wollen oder ein dickes? War sie auf Bettfedern allergisch oder als Vegetarierin vielleicht sogar grundsätzlich gegen deren Verwendung? Ich würde ihr einfach die freie Wahl lassen. Ich suchte alle entbehrlichen Kissen aus dem Haus zusammen, steckte sie in gestärkte und gebügelte Bezüge und reihte sie gut aufgeschüttelt am Kopfende des Bettes auf.

Ich zog die hölzerne Jalousie hoch und öffnete das Fenster. Die Luft, die hereinströmte, roch nach Laub, obwohl kein einziges Blatt zu sehen war, solange man nicht das Fliegengitter mit Gewalt aufdrückte und sich aus dem Fenster lehnte. Sie hatte jetzt monatelang bei ihrer Nichte Iris gewohnt, im achten Stockwerk eines Art-déco-Wohnblocks in Elizabeth Bay, dessen Fenster wahrscheinlich nach Norden hinausgingen, über einen Baldachin der eindrucksvollen Sydney’schen Feigenbäume hinweg auf die blaue Fläche des Hafens.

Der Blick aus meinem Gästezimmer fiel, falls es mir nicht noch gelang, ein paar Geranien in einem Blumenkasten am Fenster anzusiedeln, direkt auf den alten grauen Lattenzaun, der mein Grundstück von dem meiner Tochter Eva trennte, die nebenan wohnte. Immerhin lagen die Schiebefenster in Richtung Osten, und das Licht, das durch die Westseite von Evas Haus reflektiert wurde, machte den Raum bis weit in den Nachmittag hinein hell. Auch war es jetzt Ende Oktober, was in Melbourne Frühling bedeutet.

Ihre Füße machten mir Sorgen. Der Fußboden in ihrem Zimmer bestand aus blankem Holz, mit nichts als einem zerschlissenen Kelim darauf. Würde sie vielleicht mit ihren langen, grazilen Zehen darin hängen bleiben? Und hinfallen? Hausschuhe gehörten zu den Dingen, mit denen sie sich nie aufhielt, ebenso wie Koffer, Büstenhalter, Deodorants oder Bügeleisen. Ich rollte den gefährlichen Kelim zusammen und warf ihn in den Schuppen hinter dem Haus. Dann fuhr ich zu einem Laden gegenüber Piedimontes Supermarkt, von dem meine Freundin Peggy behauptet, er führe Nomadenteppiche – und in solchen Dingen kennt sie sich aus. Ich entdeckte auch gleich einen sehr hübschen: mit wassergrünen und lachsrosa Blüten, die sich über einen Pilzgrund rankten. Der Typ im Laden sagte, der komme aus dem Iran und sei mit Pflanzenfarben gefärbt. Ich nahm ihn, weil er wie ausgebleicht wirkte. Sie würde auf keinen Fall wollen, dass ich extra für sie etwas anschaffte, dass ich mir unnötige Mühe machte.

Würde sie in den Spiegel schauen wollen? Ich hatte sie seit Monaten nicht mehr gesehen: unser einziger Kontakt lief über E-Mail. Jedes Mal, wenn sich das, was da unter ihrem vergnügten Geschnatter mitschwang, gar nicht gut anhörte, hatte ich vorgeschlagen, nach Sydney zu kommen. Aber sie hatte mich immer wieder abgewimmelt. Sie sei zu einem Dinner eingeladen, bei dem sich der Termin nicht verschieben lasse, oder es sei gerade kein Bett für mich frei, oder sie wolle nicht, dass ich mein Geld zum Fenster hinauswerfe. Vielleicht würde sie es ja missverstehen, wenn in ihrem Zimmer kein Spiegel hinge. Hinter dem Bücherregal in meinem Arbeitszimmer fand ich einen, den ich einmal in einem Laden für Importware aus Asien am Barkly Square gekauft und dann doch nie benutzt hatte: ein schmales, hohes, rahmenloses Rechteck aus Glas, das an der Rückseite oben und unten immer noch mit einem Streifen Doppelklebeband versehen war. Ich suchte eine unauffällige Stelle, gleich neben ihrer Zimmertür, und drückte den Spiegel fest gegen den Verputz.

Auf dem Nachttischchen legte ich ein paar Hits für Saiteninstrumente aus, an denen wir uns mit unseren Ukulelen versuchen könnten – »Pretty Baby«, »Don’t Fence Me In«, »King of the Road«. Ich bog die Leselampe in einen hübschen Bogen, daneben stellte ich einen Krug mit mir unbekannten Kräutern, die ich in der Nähe des Schuppens gefunden hatte. Dann ging ich über den Gang zu meinem Zimmer auf der Vorderseite des Hauses und legte mich aufs Bett, ohne die Schuhe auszuziehen. Es war vier Uhr nachmittags.

Zehn Minuten später erwachte ich durch ein schreckliches Krachen, das so abscheulich, so überwältigend klang, dass ich glaubte, jemand habe einen Ziegelstein durch das Seitenfenster geworfen. Am ganzen Körper zitternd, schoss ich aus dem Zimmer und rannte über die Diele. Nichts bewegte sich. Im Haus war es still. Ich musste geträumt haben. Aber am Rand des alten Läufers, der in der Diele lag, glitzerte es an einer bestimmten Stelle auf halbem Weg zur Küche ganz seltsam. Ich stieg über diese Stelle hinweg und trat ins Gästezimmer. Den Spiegel gab es nicht mehr. Die Wand war leer und der iranische Teppich mit Glassplittern übersät.

Ich kehrte mit Besen und Schaufel, ich klopfte mit dem Reisigbesen, ich saugte in wohlüberlegten, kreuz und quer verlaufenden Zügen. Die Spiegelscherben waren ganz gemein verhakt und hartnäckig und manche so winzig, dass sie nur wie Lichtsplitter wirkten. Sie versteckten sich im Untergewebe des Teppichs, in den Flormaschen. Ich kniete mich nieder und holte sie mit den Fingernägeln heraus. Als das Tageslicht schwand und ich aufhören musste, rief mich meine Schwester Conny an.

»Ein Spiegel ist zerbrochen? In ihrem Zimmer?«

Ich schwieg.

Da sagte sie mit leiser, beschwörender Stimme: »Erzähl.

Nicola. Nichts davon.«

?

»Drei Wochen bleibt sie?«, fragte mein Freund Leo, der Psychiater. An diesem Samstag saß ich in der spartanisch eingerichteten Küche seiner Wohnung in South Yarra und sah ihm beim Kochen zu. Er schüttete die Pasta in ein Sieb und warf sie in kurzen Stößen hoch. »Warum denn so lange?«

»Sie hat sich hier zu einem Kurs für eine alternative Behandlung angemeldet. Bei irgend so einem Laden hier in der Stadt. Sie haben ihr ein Fast-Track-Intensivtraining angeboten. Sie soll dort gleich am Montagmorgen erscheinen.«

»Was ist das denn für eine Behandlung?«

»Ich hatte keine Lust zu fragen. Sie hat von Peroxidtropfen gesprochen, einem grässlichen Zeug. In Sydney kriegt sie schon die ganze Zeit Vitamin C in sehr hohen Dosen. Achtzigtausend Einheiten, sagt sie. Intravenös. Zusammen mit etwas, das Glutathion heißt. Keine Ahnung, was das ist.«

Er stand einen Augenblick ganz still, das tropfende Sieb in der Hand. Anscheinend versuchte er sich zu beherrschen: ich hatte bisher noch nie die Adern an seinen Schläfen bemerkt, unter dem lockigen weißen Haar. »Das ist der totale Scheiß. Helen.«

Wir begannen zu essen. Leo versank in das typische Schweigen des Seelenklempners, während er sein Essen in sich hineinschaufelte. Sein schwarz-weißer Terrier kauerte sich neben seinen Stuhl und schaute in hilfloser Liebe zu ihm auf.

»Der totale Scheiß ist das also?«, sagte ich. »Ich hatte gleich so ein Gefühl. Stell dir vor: Als der Darmtumor auf dem Bildschirm zu sehen war, hat sie den Onkologen gebeten, mit der Behandlung eine Weile auszusetzen. Damit sie Aloe Vera in großen Mengen einnehmen könne. Er sagte: ›Nicola. Wenn Aloe Vera einen Tumor zum Verschwinden bringen könnte, würde jeder Onkologe auf der ganzen Welt es verschreiben.‹ Aber sie glaubt an solche Sachen. Sie hat so eine magnetische Matte hinter ihrer Couch auf dem Boden liegen. Sie sagt: ›Leg dich auf die Matte, Hel. Das heilt deine Osteoporose.‹«

Leo lachte nicht. Er sah mich mit seinen dreieckigen braunen Augen an und fragte: »Und, hast du dich draufgelegt?«

»Natürlich. Das ist erholsam. Sie hat die Matte von einem Laden, kostenlos, zur Probe.«

»Die Chemo hat also nicht gewirkt.«

»Sie hat eine Zeit lang ständig so einen Beutel mit sich herumgetragen, der auf ihrem Handrücken angestöpselt war. Sie ist operiert worden. Sie hat Bestrahlungen bekommen. Irgendwann haben sie ihr dann gesagt, dass sie nichts mehr für sie tun können. Der Krebs sitze in den Knochen und in der Leber. Sie haben gesagt, sie solle nach Hause gehen. Sie war dann auch noch in so einem Petrea-King-Workshop. Ich hatte Gutes davon gehört, aber...



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