Geary | Das Schweigen der Bienen | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Reihe: HarperCollins

Geary Das Schweigen der Bienen

Familiendrama um die Geheimnisse des Erwachsenwerdens
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-95967-690-8
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Familiendrama um die Geheimnisse des Erwachsenwerdens

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Reihe: HarperCollins

ISBN: 978-3-95967-690-8
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Ein Tag war alles, was mir noch blieb.
Um nach den Bienen zu sehen.
Um Bears Unschuld zu beweisen.
Um die Scherben unserer Familie zusammenzukitten.'
Oregon im Sommer 1988:
Nach dem Tod ihrer Mutter ziehen die fünfzehnjährige Sam und ihre kleine Schwester zu ihrem Vater Bear, einem exzentrischen Bienenzüchter. Aber schon kurz nach ihrer Ankunft gerät der fragile Neuanfang in Gefahr: Im Crooked River wird die Leiche einer jungen Frau entdeckt und Bear als Mörder verhaftet. Sam ist von der Unschuld ihres Vaters überzeugt. Niemals könnte er jemandem Gewalt antun. Verzweifelt und allein auf sich gestellt macht sie sich auf die Suche nach dem wahren Täter, hilflos beobachtet von ihrer jüngeren Schwester. Seit dem Tod der Mutter kann sie kein Wort mehr sprechen - dabei hätte sie so viel zu sagen: Nicht nur zu der Toten im Fluß sondern auch zu Sams erster großer Liebe Travis ...
'Ein dichtes, dunkles Spiel um die Geheimnisse des Erwachsenwerdens.'
Library Journal
'Ein Buch wie ein mysteriöser Sommerabend, voller Gefühle, Geräusche und eindringlicher Empfindungen. Die Leser werden es nicht mehr aus der Hand legen wollen.'
Booklist
'Ein literarischer Thriller und eine psychologische Studie darüber, wie Verlust die Menschen beeinflusst. Gratulation zu 'Das Schweigen der Bienen'!
Huffington Post
'Gearys Charaktere sind realitätsnah und das Setting dynamisch. Der beängstigend mysteriöse Mordfall, die Geister der Vergangenheit ... Sie weiß, wie man eine fesselnde Geschichte erzählt, die einem im Kopf bleibt.'
Mystery Tribune



Die Autorin Valerie Geary machte sich in den USA bereits mit ihren tiefgründigen Kurzgeschichten einen Namen in den großen Literaturmagazinen. »Das Schweigen der Bienen«, ihr vielbeachtetes Romandebüt, war 2016 für den »Ken Kesey Award« nominiert. Valerie Geary lebt mit ihrer Familie in Portland, Oregon.

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sam

Wir entdeckten die bäuchlings im Wasser treibende Frau in dem kleinen Staubecken, wo der Crooked River eine leichte Biegung nach Norden macht, kaum einen Steinwurf entfernt von der besten Badestelle weit und breit. Die smaragdfarbene Bluse der Frau war halb aufgerissen, ihr dunkler Faltenrock bauschte sich um ihre Taille. Sie hatte eine runzelige graue Haut, die Beine waren aufgedunsen und voller blauer Flecken. Ihre Haarsträhnen wanden sich wie schwarze Schlangen in der Strömung. Ich stupste ihr mit einem Stock in den Rücken. Nicht fest, sondern ganz sanft – so, wie man jemanden anstupst, der schläft. Die Frau glitt heran, prallte gegen einen halb im Wasser liegenden Felsen und erreichte die Stelle, wo Ollie und ich am Ufer standen. Dort trieb sie nun, die Arme und Finger ausgestreckt, inmitten eines Gewirrs aus braunem Laub im Flachwasser umher, und es schien, als würde sie darauf warten, dass jemand anders sie fand. Als wären wir ihr nicht gut genug, Ollie und ich, nur zwei Mädchen mit dünnen Armen und dünnen Beinen, ohne einen blassen Schimmer vom Tod. Den hatten wir aber. Jedenfalls wussten wir mehr über den Tod, als uns lieb war.

Mit dem Stock plätscherte ich nahe beim Fuß der Frau im Wasser. »Was, glaubst du, ist ihr passiert?«

Neben mir zupfte Ollie an ihrem Zopf, ein heller, streng geflochtener Strick, der ihr über den ganzen Rücken reichte. Wenn sie das Haar offen trug, war es ab der Mitte ihrer Oberschenkel gewellt und reichte beinahe bis zu ihren Knien. Doch seit Moms Beerdigung band sie ihr Haar nach hinten und versteckte es. Nicht nur ihr Haar, auch ihre Stimme versteckte sie – bald vier Wochen hatte Ollie kein einziges Wort gesprochen.

»Wir sollten zur Weide zurückgehen und Bear holen«, sagte ich.

Ollie schmiegte sich an mein Bein und drehte dabei noch immer den Zopf in der Hand.

»Halt dir wenigstens die Augen zu.«

Sie tat es nicht.

In dem Sommer war ich fünfzehn, Ollie war zehn, und vielleicht hätten wir überraschter oder angeekelter sein sollen oder was auch immer normale Kinder empfinden, die eine Leiche entdecken. Aber wir waren immer noch verstört von der Beerdigung und allem, was davor – und danach – geschehen war.

Dicht am Wasser kauerte ich mich hin und wollte die tote Frau anfassen. Ich fragte mich, ob sie sich genauso anfühlen würde wie Mom: kalt, wie Gummi, wie ein Ballon, aus dem die Luft entwichen war. Alles Leben, ihr Atem, ihre Wärme – verschwunden. Und in dem Moment, kurz bevor ich nach ihr griff und ihre Schulter packte und sie ein Stück herumdrehte, um ihr Gesicht erkennen zu können, verspürte ich eine furchtbare Angst. Die Angst, dass sie gar keine Fremde sein würde, sondern jemand, den wir kannten – ein weiterer geliebter Mensch, der uns viel zu früh genommen wurde.

Ihre Augen standen offen, haselnussbraun und blutunterlaufen. Ihr Mund, ein dunkles, klaffendes Loch. Einer ihrer Vorderzähne fehlte. Über dem linken Auge hatte sie eine tiefe Schnittwunde. Irgendetwas, ein Fisch oder vielleicht ein Flusskrebs, hatte rundherum die Haut aufgerissen und sich bis zum Knochen durch das darunterliegende Fleisch gefressen. An ihrer Bluse klebten Schlammspritzer, Unkraut hing ihr in den Haaren. Ihr Gesicht, die Arme, der Brustkorb und das Schlüsselbein waren mit Striemen übersät. Die dunkelsten Stellen, beinahe schwarz auf ihrer bleichen Haut, befanden sich rund um den Hals. Es waren Druckstellen von Fingern, die Daumen hatten ihr die Luftröhre zugedrückt.

Ich starrte auf ihr Gesicht, und als mir kein dazugehöriger Name einfiel, wandte ich mich zu Ollie. »Kommt sie dir irgendwie bekannt vor?«

Ollie schüttelte den Kopf und schob sich die Brille auf der Nase hoch.

»Mir auch nicht.«

Trotzdem, zu irgendeinem Menschen gehörte diese Frau, und so konnten wir sie doch nicht zurücklassen.

»Wir sollten etwas tun, oder? Jemandem Bescheid geben.« Und weil ich mir nicht sicher war, ob ich es beim ersten Mal laut ausgesprochen hatte, wiederholte ich: »Wir sollten etwas tun.«

Ich verstärkte meinen Griff an ihrer Schulter und versuchte, die Tote näher ans Ufer zu ziehen, aber sie war glitschig und viel schwerer als erwartet und schleifte über den Flussboden, als hätte sich ihr Fußknöchel an etwas verfangen. Ich grub meine Zehen in den Schlamm und zog kräftig, war aber nicht stark genug. Die Tote rutschte mir aus der Hand und platschte wieder bäuchlings ins Wasser, was eine Welle verursachte, die groß genug war, um sie aus dem Staubecken Richtung Flussmitte hinauszuschieben, wo die Strömung toste. Die Frau drehte sich, bis ihr Kopf flussabwärts deutete, und wurde fortgesogen.

Ich stapfte ihr hinterher, blieb aber stehen, als das Wasser meine Knie erreichte. Die starken Regenfälle des Frühjahrs und die Schneeschmelze hatten den Crooked River in einen reißenden Fluss verwandelt. Felsblöcke schützten unsere Badestelle vor den Stromschnellen, aber hinter ihnen, dort, wo ich stand, nahm das Wasser sofort wieder Fahrt auf und rauschte nach Norden um Terrebonne herum, um sich einige Meilen dahinter mit dem Deschutes River zu vereinen. Wildwasser schlug mir gegen die Waden. Meine Zehen brannten vor Kälte. Ich wartete weiter darauf, dass die tote Frau irgendwo hängen blieb, an einem Baumstamm oder einem Felsen, oder in eine andere Stauung hineingespült wurde, aber sie trieb geradewegs zur Flussmitte, hin zu den schäumenden Wassermassen. Nach ein paar Sekunden sah sie mehr wie ein Stock aus als wie ein Mensch. Nach einigen weiteren Sekunden verschwand sie vollends.

Vielleicht war sie ja nicht real gewesen, nur ein Trugbild aus Licht und Schatten. Aber mein Herz pochte so heftig, dass es wehtat, die Härchen an meinen Armen hatten sich aufgerichtet, und ich fühlte noch ihre kalte Haut an meinen Fingerspitzen, sah noch ihr Gesicht, spürte noch den Blick ihrer toten Augen auf mir. Sie war absolut real gewesen, realer geht es nicht. Und wir hatten sie verloren.

Hinter mir spritzte der Fluss auf, und dann schob Ollie ihre Hand in meine. Sie saugte an ihrer Unterlippe. Das Wasser umspülte ihre Taille. Die gierige Strömung krallte sich in sie, versuchte, sie hinabzuzerren, fort von mir. Ich verstärkte meinen Griff um ihre Hand. Blinzelnd schaute Ollie zu mir auf, dann blickte sie hinter uns auf den Wald und den Pfad, der uns zu unserer Weide zurückführen würde. Sie zog mich am Arm.

»Was meinst du? Bis wohin wird sie fortgespült?«, fragte ich, meinen Blick wieder auf die Stromschnellen gerichtet.

Ollie zog kräftiger, zerrte mich zum Ufer zurück.

Wir wateten an Land. Wasser tropfte von unseren nackten Beinen und unseren Shorts und verwandelte die Erde rings um unsere Füße in Matsch. Unsere Schuhe hatten wir auf einen gefällten Baumstamm gestellt. Ich nahm beide Schuhpaare bei den Schnürsenkeln, dann legte ich Ollie einen Arm um die Schultern und führte sie zum Pfad.

»Bear wird wissen, was zu tun ist«, sagte ich.

Schweigend gingen wir im Gänsemarsch zwischen den Bäumen hindurch. Normalerweise wäre von den Ästen und Zweigen um uns und über uns eine Sinfonie aus Vogelgesängen und Blätterrauschen zu hören gewesen, aber nicht heute. Die Vögel verbargen sich. Die Bäume regten sich nicht. Alles war viel zu leise, und im Schatten war es kalt. Ich drängte Ollie, schneller zu gehen.

Bears Weide lag zehn Minuten vom Fluss entfernt. Man erreichte sie über einen schmalen Pfad, der sich zwischen weißen Erlen und Zuckerkiefern hindurchschlängelte. Früher war die Weide Teil eines Alfalfa-Felds gewesen, dann wurde sie zur Pferdeweide umfunktioniert. Nachdem die Pferde gestorben waren, riss man den Zaun nieder und ließ das Gras wachsen und die Wildblumen blühen. Vor acht Jahren war Bear dorthin gezogen, aber er hatte nicht viel verändert. Er hatte ein Tipi aufgestellt, einen Gemüsegarten angelegt und eine Feuergrube ausgehoben, dazu gab es ein Klohäuschen und einen Picknicktisch und natürlich den Bienenstand. Strom gab es keinen, nur die Sonne. Keine Sanitäranlagen, nur den Fluss und eine Tonne, um das Regenwasser zu sammeln. Kein Dach über unseren Köpfen sperrte den Sonnenschein aus, kein Fernseher übertönte den Gesang der Vögel und Zikaden, kein Asphalt verbrannte uns die Fußsohlen. Die meisten Kinder hätten einen solchen Ort gehasst. Für mich aber war er mein neues Zuhause.

Seit meinem siebten Lebensjahr hatte ich den August stets bei Bear verbracht. Mom hatte uns immer am ersten Freitag des Monats von unserem Haus in Eugene zur Johnson-Farm kurz vor Terrebonne gefahren, wo Bear uns auf Zebs und Frannys Veranda freudig erwartete. Dann quetschten wir uns an den Küchentisch der Johnsons und frühstückten gemeinsam mit den alten Herrschaften. Anschließend gingen Bear und Mom nach draußen und setzten sich auf der Veranda in die Hollywoodschaukel, hielten Händchen und quatschten leise miteinander. Ollie stand immer an der Fliegengittertür und versuchte zu lauschen. Ich zog sie weg, denn was Mom und Bear besprachen, war nicht für unsere Ohren gedacht. Wenn es für Mom und Ollie Zeit wurde, nach Eugene zurückzufahren, brachten Bear und ich die beiden zum Auto. Mom zog mich heran, küsste mich auf die Stirn und ermahnte mich, artig zu sein und meinem Vater zu gehorchen. Ihm gab sie einen zärtlichen Abschiedskuss und hauchte ihm zu, dass sie ihn ewig lieben würde. Dann fuhren sie los, und Bear und ich gingen eine halbe Meile über den löchrigen Feldweg, der vom Farmhaus zur Weide führte. Unterwegs pflückte ich Blumen und erzählte meinem Vater von der Schule und vom Schwimmteam. Er trug meine Reisetasche und meinen Schlafsack und berichtete mir das...


Geary, Valerie
Die Autorin Valerie Geary machte sich in den USA bereits mit ihren tiefgründigen Kurzgeschichten einen Namen in den großen Literaturmagazinen. »Das Schweigen der Bienen« ist ihr vielbeachtetes Romandebüt, das 2016 für den »Ken Kesey Award« nominiert war. Valerie Geary lebt mit ihrer Familie in Portland, Oregon.



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