E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Geier Wie könnt ihr schlafen. Kriminalroman
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-944818-74-0
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der erste Fall für Bettina Boll
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-944818-74-0
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Wenn Sie Monika Geier noch nicht kennen, beginnen Sie mit diesem Buch. Ein sympathischer Krimi, der immer wieder überrascht, einen eigenen Sound hat, eine eigene Art des Erzählens und einen klugen und komischen Blick auf die Welt. Ausgezeichnet mit dem Marlowe. Ein Hochgenuss! Von wegen Urlaub. Kommissarin Bettina Boll wird von ihrem Vorgesetzten per Erpressung zum Dienst abgerufen und in die Wildnis geschickt: Aus einem Nest namens Kreimheim wurde der Fund einer Kinderleiche gemeldet. Als Verstärkung für ihren ersten eigenen Fall gibt man ihr den »kleinen« Willenbacher mit, einen farblosen Chauvi. Und dann informiert man sie in letzter Sekunde, dass die aufgetauchte Neugeborenenleiche bereits vor etwa 25 Jahren vergraben wurde. Viel Glück beim Ermitteln, Frau Boll! Doch plötzlich spitzt sich die Lage zu: Ein Mädchen verschwindet, und zwei nagelneue Morde überschatten das Verbrechen der Vergangenheit. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem gewaltsamen Tod der versoffenen Dorfputzfrau und dem Fund der Babyleiche? »Wie könnt ihr schlafen« führt uns mit viel Witz, Esprit und Menschenkenntnis mitten ins kleinbürgerliche deutsche Landleben. »Monika Geier verfügt über die Bösartigkeit aller guten Krimiautorinnen, über Witz und die Raffinesse für wirklich subtile Plots.« Tobias Gohlis, DIE ZEIT
Monika Geier, Jahrgang 1970, wurde in Ludwigshafen geboren. Nach dem Abitur folgte eine Ausbildung zur Bauzeichnerin. Für ihr Debüt wurde Geier mit dem Marlowe geehrt. Inzwischen ist sie Diplomingenieurin für Architektur, Mutter von drei Jungs, freie Künstlerin und Schriftstellerin.
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Für ihn war sie immer eine Helena gewesen, wie sie dastand, ihren Apfel weit und fast anklagend von sich gestreckt, nicht wirklich schön – eben der Phantasie eines Provinzbildhauers entsprungen – und nicht wirklich schuld an ihrer Untreue. Eigentlich seltsam, denn natürlich war Helena nie mit dem Apfel in Berührung gekommen, der ihr Schicksal besiegelte. In Wahrheit war es eine Marmorfigur der Persephone, die sich da im Holunder verbarg, und die Frucht, die sie so vorwurfsvoll ansah, verdiente die steingewordene Kritik vollkommen: Auch die Gattin des Hades verdankte ihr Unglück einem Apfel, der außerdem ein Granatapfel war, wohlgemerkt. Diese Feinheit hatte der Göttin weltlicher Schöpfer großzügig ignoriert, dafür aber vorsichtshalber ihren Namen in prunkvollen Lettern in den Marmorsockel gemeißelt. Der Künstler war ein Einheimischer gewesen, ohne Zweifel. Max Marquardt trat ein paar Schritte auf den wuchernden Holunder zu, der längst Sockel und Unterleib der Persephone in seine ausladenden Arme geschlossen hatte. Wie symptomatisch für ihn, dachte Marquardt, dass seine Helena eigentlich die Göttin der Unterwelt war, und wie bezeichnend für diesen verwilderten Park, dass er ihr auch noch willig als Heimstatt diente. Er sollte sie abreißen. Oder sie Klaras Spott überlassen; Klara gestatten, eine Installation daraus zu bauen, aus all den marmornen Griechen, die irgendwo im Park hinter einer Hecke lauerten. Etwas Neues beginnen, damit diese kalte blaue Viertelstunde kurz nach Morgengrauen nicht länger die Zeit war, in der er sich am lebendigsten fühlte, damit er wieder schlafen konnte und keine Zwiesprache mehr halten musste mit verwitterten Sagengestalten, die diesseits der Alpen nie eine Rolle gespielt hatten. Marquardt versetzte dem Holunder stellvertretend einen Hieb und riss sich vom Anblick der derben Göttin los. Vor ihm lag die Wiese, die einstmals ein Rasen gewesen war, und darauf ein niedriger Dunstschleier, aus dem hier und da die weißen Dolden des Wiesenkümmels hervorspitzten. Vereinzelt bereiteten sich verwilderte Akeleien auf die baldige Blüte vor. Schon gab es unter den Büschen und an den waldigen Rändern des Parks ein paar Maiglöckchen; ihre weiße Farbe verschwamm mit dem Morgennebel zu einem schaumigen Flaum unter den noch nicht ganz belaubten Bäumen. Er stapfte in die Wiese hinaus. Um seine Füße herum verflüchtigte sich der Nebel; wo er ging, klarte es auf; ein Effekt, den er liebte. Als ob das Leben wirklich einfach wäre; als ob man nur darauf zugehen müsste. Als ob man dann nicht feststellen müsste, inmitten der Wiese, dass der Nebel heimlich um einen herumgekrochen war. Wenn man immer nur vorwärts schaute, würde man nie merken, dass Trübnis einen beim Gehen hinterrücks einschloss. Er drehte sich kurz um, wie um einen unsichtbaren Verfolger mit der Kraft seines Blickes festzunageln, doch alles, was er sah, war das Große Haus, sein Heim, sein Geburtshaus, dessen Rückseite nun finster auf ihn herabschaute. Obwohl nach Süden gerichtet, war dies die unfreundliche Seite des Gebäudes, weil hier mehr Fensterläden geschlossen blieben als vorne. Martins Räume lagen hier. Marquardt wandte sich erneut um. Dieses Spiel konnte er ewig mit dem alten Bau spielen, denn obwohl die Rückseite von so profanen Anbauten wie der Remise, ein paar Schuppen und einer düsteren Veranda gegliedert war, hatte der ganze Komplex doch etwas eigentümlich Geschlossenes, eine Art Persönlichkeit, die an manchen Stellen durch das noch relativ kahle Gerüst des wilden Weines hindurchschimmerte. Irgendwie hatte er immer erwartet, dass das Große Haus sich einmal regte und zu ihm spräche. Doch daraus würde heute nichts mehr werden. Denn da war schon der helle Ton, den er mehr ahnte, als dass er ihn hörte: ein Pfeifen, das aus dem Haus kam, ein Zeichen, dass Rebecca auf dem Weg nach unten war. Sie pfiff immer dieselbe Melodie, jeden Morgen, seit sie da war, einen ganzen Monat schon. Die klaren Töne durchdrangen die dicken Mauern und überwanden die Distanz zur Wiese; man hörte Rebecca, lange bevor man sie sah. Nun wurde das Pfeifen deutlicher, ein Thema aus einem Western, an den er selbst sich kaum erinnerte; unglaublich, dass Rebecca so etwas überhaupt kannte. Überraschend war auch die Leichtigkeit, mit der das Mädchen (die junge Frau?) die richtigen Töne traf. Nicht dass die Melodie besonders anspruchsvoll gewesen wäre – vielleicht überraschte es ihn bloß, weil er pfeifende Mädchen nicht gewohnt war. In Kreimheim taten die Frauen so etwas nicht. Hier auf dem Land galt Pfeifen immer noch als höchst unweiblich. High Noon? Er grübelte, woher er das Stück kannte. Das tat er schon seit einem Monat, allerdings nur dann, wenn er Rebecca hörte. Anschließend vergaß er die Frage sofort wieder. Früher war es ihm nicht so schwer gefallen, sich zu konzentrieren. Won’t you forsake me, oh my darlin’– Anfangs hatte er an Rio Bravo gedacht; nun tendierte er doch mehr zu High Noon, vielleicht weil Rebecca eine gewisse Ähnlichkeit mit Grace Kelly besaß. Sie war auch blond. Gleich musste sie aus der Hintertür kommen; die Töne schienen nun fast greifbar, was nichts an ihrer Süße änderte. Es war wohl die leise Wehmut der Melodie, die ihn am meisten erstaunte. Rebecca machte sonst einen eher handfesten, pragmatischen Eindruck. Da kam sie schon, schob ihr Fahrrad lässig mit der Linken, hielt den Einkaufskorb in der Rechten und winkte ihm damit zu. Dass sie es nicht merkwürdig fand, was er hier machte, ein Mann von Mitte vierzig, frühmorgens inmitten einer Wiese. Doch das war das Schöne an Rebecca: Sie grüßte und radelte dann munter davon. * * * »Mädchen, die pfeifen, und Hühnern, die krähn«, sang Marko Marquardt etwa zwei Stunden später und näherte sich Rebeccas gebeugtem Rücken, »soll man beizeiten –« Die blonde Studentin stellte das Pfeifen ein, hieb ihren Spaten in die Erde und drehte sich um. »Ja?« »... den Hals umdrehn«, sang Marko und grinste wie ein kleiner Junge. »Probier’s doch mal.« Rebecca verschränkte die Arme. Sie stand in unmittelbarer Nähe des Großen Hauses unter einem Holunderbusch und war gerade dabei, ein paar Maiglöckchen auszugraben. »Ich kann wenigstens pfeifen«, fügte sie hinzu und spielte damit auf Markos atonalen Gesang an. »Hör mal, meine Mutter war eine Welt–« »Weltklassepianistin, ich weiß.« Rebecca zog die Augenbrauen so hoch, dass sie fast an Markos Größe von einem Meter dreiundneunzig heranreichten. »Natürlich bist du wahnsinnig musikalisch, denn deine Mutter hat schon im zarten Alter von drei an der Scala gesungen ...« »Sehr komisch.« Marko runzelte beleidigt die Stirn. Er konnte zwar austeilen, aber mit dem Einstecken klappte es nicht so ganz. Dann hielt er Rebecca anklagend ein dick beschmiertes Brötchen vor die Nase. »Wir haben keine Nutella mehr. Das hier war die letzte.« »Ich hole nachher welche«, sagte Rebecca unerwartet friedlich, denn tatsächlich war sie als provisorische Haushälterin auch für die Nutellavorräte im Großen Haus zuständig. Max Marquardt und sein Neffe Marko, die beiden Bewohner, zahlten ihr einen fürstlichen Lohn dafür, dass sie einen »kompletten Frühjahrsputz« machte; eine Aufgabe, die in den kurzen Semesterferien kaum erledigt werden konnte. Daher hoffte Marko auch, dass Rebecca länger blieb. Oder in den nächsten Ferien wiederkam ... »Hoffentlich verhungerst du nicht bis dahin.« »Ich werde von Luft und Liebe leben«, sagte Marko obenhin und biss in sein Brötchen. Rebecca betrachtete ihren jungen Arbeitgeber zweifelnd und nahm wieder ihren Spaten zur Hand. »Es macht euch doch nichts aus, wenn ich hier ein paar Maiglöckchen ausgrabe?«, fragte sie dann. »So für die Küche, dachte ich.« Marko lächelte kauend und breitete die Arme aus. »Du kannst sie alle haben«, nuschelte er liebenswürdig. Dann schluckte er. »Moment. Du hältst den Spaten nicht richtig.« Das war so klassisch, dass Rebecca darüber staunte, wie jemand ihres Alters so etwas überhaupt noch über die Lippen brachte. Aber sie waren hier eben auf dem Land. Im tiefsten Pfälzerwald. Hier gab es auch noch Hühner auf der Straße und Stallhasen und – »Komm, ich zeig dir, wie man das macht.« Sie schüttelte Markos Hand von ihrem runden Arm. »Ich halte ihn nicht falsch, sondern anders – anders als du!« »Wie du willst.« Marko zuckte die Achseln und warf Rebecca einen nachdenklichen Blick zu. Ganz normal war sie nicht. Sehr hübsch, aber furchtbar kratzbürstig. Ob sie womöglich eine Lesbe ...? Jetzt hieb sie wieder den Spaten in die Erde, völlig ineffektiv natürlich, statt dass sie ihn einfach langsam und kraftvoll aus einem Winkel von etwa sechzig Grad – »Wieso bist du überhaupt noch hier? Du wirst wieder zu spät zur Arbeit kommen.« »Ach«, machte Marko wegwerfend, »die Leute sind doch froh, wenn sie mich nicht ständig im Nacken haben.« Die Arbeit im Sägewerk interessierte Marko nicht besonders – in Wahrheit hatte er vor, eine Band zu gründen, aber das würde er Rebecca erst auf die Nase binden, wenn er sich völlig sicher sein konnte, dass sie nicht doch vom anderen Ufer war. Und bis dahin war es ganz süß, morgens zu verschlafen, um von ihr geweckt zu werden. »Eigenverantwortung. Fördert die Arbeitsmoral.« »Ja, die Arbeitsmoral ...«, sinnierte Rebecca. Die Erde war sehr fest an dieser Stelle. Sie musste sich anstrengen,...