E-Book, Deutsch, Band 2, 416 Seiten
Reihe: Der Martini-Club
Gerritsen Die Sommergäste
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-31596-2
Verlag: Limes
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, Band 2, 416 Seiten
Reihe: Der Martini-Club
ISBN: 978-3-641-31596-2
Verlag: Limes
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jahr für Jahr kommen die Sommergäste nach Purity und beziehen die imposanten Ferienhäuser am Maiden Pond – misstrauisch beäugt von den Anwohnern, die den reichen Großstädtern nicht über den Weg trauen. Als eines Tages ein Mädchen aus einer der Urlauberfamilien verschwindet und kurz darauf menschliche Überreste aus dem See geborgen werden, spitzen sich die Ereignisse in der Kleinstadt zu. Die Polizei ermittelt erfolglos – bis Maggie Bird und der »Martini-Club« ihre Expertise zur Verfügung stellen. Der Club mag zwar aus Spionen im Ruhestand bestehen – doch das Ermitteln verlernt man nie …
Für noch mehr Nervenkitzel lesen Sie auch die mitreißenden Thriller um Detective Jane Rizzoli & Gerichtsmedizinerin Maura Isles von Tess Gerritsen!
So gekonnt wie Tess Gerritsen vereint niemand erzählerische Raffinesse mit medizinischer Detailgenauigkeit und psychologischer Glaubwürdigkeit der Figuren. Bevor sie mit dem Schreiben begann, war die Autorin selbst erfolgreiche Ärztin. Der internationale Durchbruch gelang ihr mit dem Thriller »Die Chirurgin«, in dem Detective Jane Rizzoli erstmals ermittelt. Seither sind Tess Gerritsens Thriller von den internationalen Bestsellerlisten nicht mehr wegzudenken. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Maine.
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3
Susan
Sie fuhren nordwärts nach Maine, mit George Conover hinten im Kofferraum.
Susan fand es mehr als nur ein bisschen pietätlos, die Asche ihres verstorbenen Schwiegervaters zwischen ihr Gepäck zu stopfen, aber niemand in der Familie hatte protestiert, warum also sollte sie sich daran stören? Sie hatte den Mann kaum gekannt, war ihm erst vor drei Jahren das erste Mal begegnet, als Ethan Susan und ihre Tochter Zoe seinen Eltern vorgestellt hatte. George war zwar durchaus höflich gewesen, aber auch kühl und distanziert – ein distinguierter Bostonian in Blazer und Segelschuhen, der sich sein Urteil über diese zwei neuen Familienmitglieder vorbehielt, solange sie sich des Namens Conover noch nicht als würdig erwiesen hatten. Als er vor drei Monaten an einem Schlaganfall gestorben war, hatte Susan nicht sonderlich getrauert. Es hätte ebenso gut die Asche eines Fremden sein können, die dort in der Urne lag – so wenig hatte sie den Mann gekannt. Und dennoch kam es ihr unschicklich vor, ihn wie irgendein Gepäckstück zu behandeln.
Eine Empfindung, die Georges Witwe nicht zu teilen schien. Als sie in Brookline haltgemacht hatten, um Ethans Mutter abzuholen, war es Elizabeth selbst gewesen, die die Überreste ihres verstorbenen Ehemanns zusammen mit ihrem Koffer ins Auto gepackt und den Kofferraumdeckel zugeschlagen hatte. Wenn Elizabeth entschied, dass eine Sache geklärt war, war keine Diskussion mehr nötig.
Susan drehte sich zu Zoe und Elizabeth auf dem Rücksitz um. Obwohl sie Seite an Seite saßen, beschäftigten sie sich überhaupt nicht miteinander. Die fünfzehnjährige Zoe war in ihr Smartphone vertieft, eine typische Jugendliche, ganz in ihrer eigenen Blase gefangen, in der Unterhaltungen mit Klicken und Wischen geführt wurden. Und auch Elizabeth schien sich in ihre eigene Welt zurückgezogen zu haben. Sie starrte aus dem Fenster, während sie die Küste von Maine entlangfuhren, durch eine Reihe von Ortschaften mit merkwürdigen Namen: Wiscasset, Damariscotta, Waldoboro. Vielleicht dachte sie an frühere Sommer, in denen sie mit George genau diese Strecke gefahren war, auf dem Weg zu ihrer Sommerresidenz am Maiden Pond. Nach fünfundfünfzig Jahren Ehe würde dies ihre letzte gemeinsame Reise nach Maine sein, und doch verriet ihre Miene keinen Kummer. Sie saß kerzengerade da, eine alte Dame, die stoische Gelassenheit ausstrahlte. So war Elizabeth nun mal: praktisch und unsentimental.
»Hey, Ethan?«, sagte Zoe. »Du hast mir erzählt, dass das Haus am Maiden Pond ist. Wieso heißt der See so?« – so nannte sie ihn immer noch. Wie lange würde es dauern, bis er für sie endlich ihr war? Susan sah ihren Mann an und fragte sich, ob es ihm etwas ausmachte. Doch Ethan wirkte ungerührt und blickte seelenruhig durch seine Brille auf den Verkehr vor ihnen.
»Er heißt Maiden Pond, weil da vor langer Zeit mal ein Mädchen ertrunken ist«, antwortete Ethan.
»Echt? Wie lange ist das her?«
»Hmm … Mom? Weißt du das?«
Elizabeth riss sich aus ihren Tagträumen los. »Es ist mindestens hundert Jahre her. Eine Gruppe von Schulmädchen ist auf den See hinausgerudert, und das Boot ist gekentert. Das hat man mir jedenfalls erzählt.«
»Und das Mädchen konnte nicht schwimmen?«
Susan sah sich zu ihrer Tochter um. »Nicht jede ist so eine Meerjungfrau wie du, Schätzchen.«
»Und die Mädchen hatten damals viel mehr Kleidungsstücke an«, erklärte Elizabeth. »Unterröcke, lange Kleider. Vielleicht Stiefel. Die haben sie vielleicht in die Tiefe gezogen.«
»Auf dieser Website steht, dass der Maiden Pond eine maximale Tiefe von dreizehn Metern hat«, sagte Zoe, während sie durch ihr Handy scrollte. »Kann das hinkommen?«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Ethan.
»Aber fährt deine Familie nicht jeden Sommer rauf?«
»Mom und Colin, ja. Ich selbst bin schon lange nicht mehr dort gewesen.« Er hob den Blick zum Innenspiegel. »Mom, wie tief ist der See?«
Elizabeth seufzte. »Ist das wirklich so wichtig?«
»Hauptsache, er ist tief genug«, meinte Zoe. »Gibt es da irgendwas im Wasser, das beißt?«
»Oh ja«, antwortete Ethan. »Du könntest von Enten totgeknabbert werden.«
»Im Ernst, da ist nichts im See, was dich verletzen könnte, Zoe. In Maine gibt es nicht mal Giftschlangen.«
»Das ist gut, weil Schlangen das Einzige sind, wovor ich Schiss hab.«
»Aber ich warne dich: Das Wasser ist bestimmt sehr kalt. Die Seen hier im Norden werden erst im August einigermaßen warm.«
»Kaltes Wasser macht mir nichts aus. Ich will irgendwann mal beim Eisbaden mitmachen.«
»Da verzichte ich dankend.«
»Ich werde hier zehnmal am Tag schwimmen gehen. Ich kann’s gar nicht erwarten, endlich reinzuspringen!«
Ethan lachte. »Und ich kann’s nicht erwarten, dich kreischen zu hören, wenn du in das kalte Wasser eintauchst.«
Es tat gut, Ethan wieder lachen zu hören. In den letzten Monaten hatte Susan ihn nur sehr selten lachend erlebt, wenn er stundenlang vor seinem Computer saß und den Bildschirm anstarrte, während er auf eine Inspiration wartete. Wenn Inspiration doch nur etwas wäre, was man als Romanautor einfach herbeizaubern kann, hatte er ihr gesagt. Wenn es doch nur eine magische Pille oder eine Beschwörungsformel gäbe, um Worte auf der leeren Seite auftauchen zu lassen. Fünf Jahre nach dem Erscheinen seines ersten Romans stand der zweite immer noch aus, und mit jedem Monat, der verging, war seine Angst größer geworden, dass es nie einen zweiten Roman geben würde, dass die Worte nie wieder fließen würden. Dass er lediglich ein Hochstapler war; jemand, der die Kühnheit besaß, sich »Schriftsteller« zu nennen. Wie könnte er seinen Studenten im Schreibkurs am Boston College weismachen, dass er eine Autorität auf diesem Gebiet war, wenn er selbst nicht eine einzige zufriedenstellende Seite zustande brachte? Sie hatte gesehen, wie die Resignation seine Züge verändert hatte, hatte beobachtet, wie die Schatten unter seinen Augen dunkler und die Sorgenfalten in seiner Stirn tiefer wurden. In der Nacht merkte sie, wie er sich neben ihr hin und her wälzte, und sie wusste, dass es das Buch war, das ihn wachhielt. Das Buch, das sich weigerte, geschrieben zu werden. Sie hatte keine Ahnung, wie der Verstand eines Schriftstellers arbeitete, aber sie stellte sich vor, dass es war, als ob ein Dutzend verschiedene Stimmen in seinem Kopf durcheinanderschrien und verlangten, dass ihre Geschichte auf Weise geschrieben wurde. Es schien wie eine Form von Wahnsinn.
Vielleicht tat es ihm gut, dass er gezwungen war, sich von seinem Computer loszureißen, von dem unablässigen Stimmengewirr der Figuren in seinem Kopf, um zur Trauerfeier für seinen Vater zu fahren. Schon jetzt, während Boston hinter ihnen weiter und weiter zurückfiel, konnte sie sehen, wie seine Nackenmuskeln sich entspannten und seine Mundwinkel sich nach oben bogen, während mit jeder Meile eine weitere Schicht der Anspannung von ihm abfiel. Er brauchte diese Reise nach Maine. Und sie selbst auch.
Sie blickte sich zu ihrer Schwiegermutter um, die erneut aus dem Autofenster starrte. »Alles in Ordnung da hinten, Elizabeth?«
»Ich denke bloß daran, was ich alles tun muss, wenn wir dort sind.«
»Mom, es ist alles geregelt«, sagte Ethan. »Colin hat mir heute Morgen eine Nachricht geschrieben. Er und Brooke sagen, dass die Schlafzimmer fertig sind, du wirst also keinen Finger rühren müssen. Sie haben Kit im Dachzimmer untergebracht, sodass Zoe im Zimmer neben uns schlafen kann. Ach ja, und Arthur und Hannah kommen heute Abend auf einen Cocktail vorbei.« Er sah Susan an. »Du erinnerst dich doch an die Freunde meiner Eltern, Hannah Greene und Arthur Fox, nicht wahr? Von der Hochzeit. Sie haben auch Ferienhäuser am See.«
»Ja, natürlich«, antwortete Susan, obwohl ihre Erinnerung an die beiden zwischen all den Eindrücken von ihrem Hochzeitstag fast unterging: Ethans strahlendes Lächeln, als er mit ihr vor dem Altar stand. Zoe, platzend vor Aufregung in ihrem gelben Brautjungfernkleid. Und dann das plötzliche Gewitter, das die Gäste tropfnass und lachend ins Haus flüchten ließ. Sie erinnerte sich an Arthur, einen hochgewachsenen, aristokratisch wirkenden Mann in den Achtzigern, der an der Bar mit seinem alten Freund George Geschichten austauschte. Ähnlich verschwommen war ihre Erinnerung an Hannah Greene, eine füllige Frau in den Sechzigern, die munter von ihren Missgeschicken erzählte, als sie damals am See auf Ethan und seinen älteren Bruder Colin aufgepasst hatte.
»Bei der Trauerfeier werden auch ein paar Leute sein, die du nicht kennst«, sagte Ethan. »Der örtliche Pfarrer leitet den Gedenkgottesdienst, und ein paar von Dads Kumpeln aus dem Jachtclub haben auch gesagt, dass sie kommen wollen.« Er sah Elizabeth im Innenspiegel an. »Es wird sein wie in alten Zeiten, Mom!«
»Ethan, pass auf!«, rief Susan.
Ethan trat sofort auf die Bremse, das Auto kam mit quietschenden Reifen zum Stehen, und sie wurden alle nach vorne in ihre Sicherheitsgurte gedrückt. »Oh, Mann«, murmelte er, den Blick auf die Autoschlange geheftet, die vor ihnen abrupt zum Stillstand gekommen war. »Alles okay da hinten, Mom?«
»Wäre nett, wenn wir alle heil am See ankommen würden.«
»Ich habe nicht mit so viel Verkehr gerechnet.«
»Na ja, du warst ja auch schon einige Jahre nicht mehr hier. Da hat sich einiges verändert.«...




