E-Book, Deutsch, 1250 Seiten
Gerstäcker Nach Amerika
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-1554-3
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 1250 Seiten
ISBN: 978-3-8496-1554-3
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In seiner unnachahmlichen Art erzählt der deutsche Reiseschriftstellers von seinen Erlebnissen in der neuen Welt. Dies ist die Ausgabe mit allen sechs Bänden.
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Capitel 4. Franz Loßenwerder.
In Heilingen, in der Glockenstraße, stand ein vortreffliches Weinhaus, in dem die wohlhabenderen Bürger Abends gewöhnlich zusammenkamen und ihr Fläschchen, aus denen auch oft zwei und drei wurden, tranken. Das Lokal war ziemlich gemütlich, und dem Zweck entsprechend, in eine Menge kleiner Zimmerchen abgetheilt, die theils durch wirkliche Thüren und Verschläge, theils durch Vorhänge von einander getrennt lagen, einzelnen Gesellschaften zu gestatten eben einzeln zu bleiben, und ihr Glas, ungestört von dem Nachbar, zu trinken.
Das Haus hieß »der Pechkranz« nach einer alten Sage, die der Wirth sehr gern mit der Heilinger Chronik belegte, und die noch in dem dreißigjährigen Kriege spielte; ein, über der Eingangsthür in neuerer Zeit erst aus Stein gehauener Bachus, hielt auch in der einen Hand einen Tyrsusstab, und in der anderen einen Pechkranz, in höchst wunderlicher Weise Sage und Geschäft mit einander vereinigend. Die Allegorie war aber gar nicht so übel angebracht, und hätte sich auch schon ohne Tilly recht leidlich und genügend erklären lassen, denn Bachus hatte hier schon in der That in manchen Kopf seinen Pechkranz hineingeworfen, daß es lichterloh zum Dache hinausbrannte, ohne weiter eben größeren Schaden anzurichten, als der alte Pechkranz in damaliger Zeit angerichtet haben sollte.
Der Wirth war übrigens nicht in Heilingen geboren und erzogen, sondern ein Rheinländer, der sich hier erst vor einigen Jahren niedergelassen, und durch gute Getränke auch bald gute und schlechte Kunden genug bekommen hatte. Seine Preise waren allerdings ein wenig theuer, »aber,« sagten die Heilinger, »wer einmal Wein trinkt, dem darf es auch nicht auf einen Groschen dabei ankommen, wenn er nur ächt und rein ist,« und Wirth und Gäste befanden sich wohl dabei.
Es war am Abend des nämlichen Tages, an welchem ich meine Erzählung begann, als die Gäste, die den Tag über meist auf Spaziergängen im Freien gewesen waren, anfingen einzutreffen, und die Kellner geschäftig herüber und hinüber sprangen, Wein und Speisen den Hungrigen und Durstigen zu bringen. Die kleinen Räumlichkeiten füllten sich nach und nach, und selbst in dem großen Mittelsaal, der ungefähr das Centrum des Ganzen bildete, hatten sich schon hie und da einzelne Gruppen gebildet, oder auch einzelne Gäste saßen in irgend einer Ecke, ihre Flasche Wein vor sich, und auf eigene Hand, in ungeselliger Gemüthlosigkeit, langsam Glas nach Glas zu leeren. Es ist das aber nicht die rechte Art; zu einer schönen Landschaft und einer guten Flasche Wein gehören mindestens zwei Personen, um Beides recht und ordentlich zu genießen, die eine sich darüber, die andere sich dabei auszusprechen; wenn man allein ist, geht mehr als der halbe Genuß von Beiden verloren. Es giebt allerdings Menschen, die sich zufriedener fühlen wenn sie Alles allein genießen können, aber denen geh' aus dem Weg; es sind Hypochonder oder Schlimmere, und der einzige Dank, den Du ihnen schuldig bist ist dafür, daß sie sich eben auch von Dir zurückziehn. Nur wer Niemanden hat an den er sich anschließen darf, wer allein und freundlos in der Welt dasteht und das Leid das ihn drückt, allein tragen, die wenigen frohen Momente seines Lebens allein genießen muß, den bedauere und hilf ihm, wenn Du kannst, denn er ist der Unglücklichste von Allen.
Es mochte neun Uhr Abends sein, als ein Bekannter von uns, der Kürschnermeister Kellmann, die Weinstube betrat und, sich überall umschauend, ob er nicht irgend einen Freund träfe zu dem er sich setzen könnte, in einer der Ecken eine bekannte Gestalt entdeckte. Aber er sah erst ein paar Secunden wirklich aufmerksam dorthin, ehe er seinen Augen traute, und sagte dann, auf Jenen losgehend und neben dem Tisch stehen bleibend:
»Hallo, Loßenwerder? Ihr hier im Pechkranz? na da möchte man doch, wie die Schwaben sagen, den Ofen einschlagen. Alle Wetter Mann und vor einer Flasche Rüdesheimer; nun das laß ich gelten und es freut mich wahrhaftig, daß Ihr endlich einmal aufthaut und unter Menschen kommt. Aber was ist denn heute los bei Euch? denn einen ganz besonderen Grund muß doch die Festlichkeit haben.«
»Ha — ha — ha — hat sie auch He — he — he — he — herr Ke — ke — ke — kellmann,« sagte der kleine Mann verlegen lächelnd und sich etwas schüchtern dabei umschauend, denn es schien ihm nicht angenehm, die Aufmerksamkeit der übrigen Gäste so direkt auf sich gelenkt zu sehn.
»Jetzt kann ich aber auch den Leuten widersprechen,« sagte Kellmann, seinen Hut und Stock an einen der nächsten Haken hängend und sich neben ihn setzend, »wenn sie behaupten Ihr tränkt nur Wasser, und Sonntags höchstens einmal ein Glas Dünnbier — ich kriege Leibschneiden, wenn ich nur an das Zeug denke — und sonst lebtet, als ob Ihr die Woche mit einem halben Thaler auskommen müßtet. Alle Wetter Mann, das ist recht, daß Ihr Euch auch manchmal ein Glas Rheinwein gönnt; das hält Leib und Seele zusammen, und stärkt die Nerven und Muskeln mehr wie Rindfleisch. Würde mir schwer ankommen, wenn ich unseren vaterländischen Wein entbehren müßte,« setzte er mit einem halbunterdrückten Seufzer hinzu.
»Ha — ha — ha — haben Sie a — a — a — auch wohl ni — ni — nicht nö — nö — nö — nö — nö — nöthig, be — be — be — bester He — he — he — he — he — he.«
»Ih nun wer weiß was Einem noch Alles bevorsteht,« unterbrach ihn Kellmann — »hier Kellner — mir auch eine Flasche von dem Rüdesheimer; der Duft hat mir Appetit gemacht.«
»Hallo Loßenwerder bei einer Flasche Rüdesheimer,« rief aber jetzt noch eine andere Stimme aus dem nächsten Stübchen, wo ein paar junge Kaufleute bei ihrem Glase zusammensaßen — »da müssen wir auch dabei sein; Loßenwerder hat vielleicht heute seinen splendiden Tag und traktirt — haben Sie was in der Lotterie gewonnen?«
Die jungen Leute, die Kellmann und Loßenwerder begrüßten, kamen mit ihrer Flasche heraus, und setzten sich an denselben Tisch, mit dem immer verlegener werdenden kleinen Mann anstoßend und trinkend. Denen gesellten sich aber noch bald darauf Andre zu; Loßenwerder war in der ganzen Stadt bekannt und oft auch, seiner körperlichen Mängel wegen, zum Besten gehalten. Vertheidigen konnte er sich aber schon seines Stotterns wegen nicht, was den Gegnern gleich nur noch mehr Anlaß und Stoff gegeben hätte; so wurde denn diese freilich gezwungene Zurückhaltung endlich für Gutmütigkeit ausgelegt, mit der er sich Scherz und Stichelrede ruhig gefallen ließ, und was die schärfste Erwiderung nicht vermocht, erreichte er unfreiwillig dadurch, daß man es endlich müde wurde, den sich nicht Verteidigenden zum Besten zu haben, und ihn eben zufrieden ließ. Aber in des Verwachsenen Betragen änderte das Nichts; abgestoßen und verhöhnt — in nur sehr wenigen Ausnahmen — von Allen, mit denen er in Berührung kam, zog er sich mehr und mehr in sich selbst zurück, ging, außer den nöthigen Geschäftswegen und außer der Geschäftszeit, fast nirgends hin, und lebte so einfach, ja fast dürftig, wie nur ein Mensch leben kann, der eben nur Geld ausgiebt, um zu existiren. In einem Weinkeller hatte ihn aber noch Niemand gesehn, und die Gäste dort, die überdies keinen weiteren Zweck da hatten als sich zu amüsiren, glaubten das einmal einen Abend mit dem kleinen »Stotterberg«, wie er spottweis, seines Stotterns und Höckers wegen genannt wurde, am Besten thun zu können.
Im Anfang wollte sich Loßenwerder aber auf Nichts einlassen, ja machte sogar zwei oder drei, wenn gleich vergebliche Versuche, sich zu entfernen, denn von allen Seiten wurde er gehalten, und Jeder wollte und mußte mit ihm trinken. Nach und nach aber fing er an aufzuthauen; der ungewohnte kräftige Wein mochte ihm das Blut leichter und rascher durch die Adern jagen. Nun sollte er erzählen, aber das ging nicht, sein Stottern wurde, mit der schwereren Zunge, kaum verständlich, bis Einer, im Spott eben, auf den Gedanken kam, ihn zum Singen aufzufordern. Loßenwerder weigerte sich erst ganz verschämt; das aber kam den Anderen zu komisch vor, und mit Lachen und Toben, während ein paar schon Champagner bestellten, den Genuß würdig zu feiern, räusperte sich Loßenwerder plötzlich und stieg, von dem Wein erregt, und jetzt unter dem lauten Jubel der ihn umdrängenden Gäste, auf einen Stuhl.
Was aber, wie sich die Uebrigen gedacht, Spott und Scherz hatte werden sollen, das erstarb in athemlosem Schweigen, nur von leisen Ausrufungen des Staunens und der Bewunderung unterbrochen, als der kleine verkrüppelte Mensch, mit einer hellen, glockenreinen Stimme, und Tönen, die zum innersten Herzen drangen, erst noch scheu, dann aber immer zuversichtlicher werdend, und wie von dem Inhalt des Liedes mit fortgerissen, dieses also begann:
»Ich habe schon zu oft geschaut
In Deiner Augen Glanz, Du Holde,
Auf meine Kraft zu fest vertraut,
Viel mehr, als ich vertrauen sollte.
Doch nein, für Dich Geliebte sind
Des...