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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Gesang Mit kühlem Kopf

Über den Nutzen der Philosophie für die Klimadebatte

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-446-26865-4
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Verzicht und Verbote? Oder Verantwortung und Solidarität? – Die philosophischen Fragen der Klimadebatte fundiert beantwortet.


Wollen wir die Erwärmung der Atmosphäre aufhalten, müssen wir unsere Art zu leben verändern. Doch damit stellen sich grundsätzliche Fragen: Welche Einschränkungen sind in einer freien Gesellschaft zulässig? Haben nicht auch arme Länder einen Anspruch auf Wohlstand? Warum reden wir nicht über Atomkraft oder Bevölkerungspolitik? Bernward Gesang greift als Philosoph in die Klimadebatte ein. Dabei kommen Irrtümer und Widersprüche ans Licht, die echte Veränderungen verhindern. Dürfen wir wirklich kein Fleisch mehr essen? Muss nicht deutlich mehr Geld in den Entwicklungsländern investiert werden? Die philosophische Reflexion führt zurück zu den Fragen der Alltagspolitik – und liefert Antworten.
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Einleitung Um was es geht
1  Die Mächte der Finsternis
Der Club of Rome*1 warnt uns seit Jahrzehnten davor, dass wir auf eine ökologische Katastrophe zulaufen, und findet inzwischen auch Unterstützung durch den Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change). Wie in einem Fantasy-Roman beginnt die Geschichte von der ruinierten Umwelt mit der schrecklichen Übermacht des Bösen, anders als in diesen Erzählungen aber nicht in dunklen Höhlen, sondern in Glashochhäusern, die von Krawattenträgern bevölkert sind. Hier fallen die Entscheidungen über unser Wirtschaften und seine Abgründe. Dabei denkt man spontan an zwei Bereiche, von denen das Unglück der Erde seinen Ausgang nimmt: globale Armut und ökologischer Raubbau an zukünftigen Generationen. Ein dritter Bereich fällt allen ein, die nicht nur ein Herz, sondern auch einen Kopf für Tiere haben: unsere Tierhaltung. Wenn Tiere Rechte haben, treten wir diese mit Füßen, genauso wie wir es lange Zeit mit den Rechten von Sklaven gemacht haben. Allerdings halten sich Fragmente der Klimaskepsis hartnäckig in den Hinterköpfen, obwohl man derzeit allerorten über Indizien für den Klimawandel stolpert. Ein paar elementare skeptische Thesen und Erwiderungen darauf, hier noch einmal in Kurzfassung (ausführlicher und mit Belegliteratur in Gesang 2011, 1. Kapitel; aktualisiert in Rahmstorf und Schellenhuber 2018): Erderwärmungen gab es immer wieder: Richtig ist, dass es gegen Ende des Perms vor 290 bis 245 Millionen Jahren erdgeschichtlich zuletzt so warm war, wie es dank Klimawandel in Zukunft zu werden droht. Dort ereignete sich die größte Massenauslöschung von Spezies in der Erdgeschichte, die über 90 Prozent aller Arten betraf. Obwohl sich Menschen schützen können, gibt es bislang keine Antwort auf die Frage, wie circa 10 Milliarden Menschen, die zum großen Teil an Küsten leben und die ernährt werden wollen, in der Hitze der Zukunft bestehen können. Vom Jahr 1000 bis 1800 ist keine wesentliche CO2-Veränderung messbar gewesen, aber es gab größere Klimaschwankungen (Warmzeit im Mittelalter): Richtig ist, dass kein Wissenschaftler die Erwärmung ausschließlich auf Klimagase zurückführt und dass nur globale Klimaveränderungen durch globale Antriebe (CO2) erklärt werden können. Die Warmzeit wurde jedoch in Europa beobachtet. Die Sonnenaktivität ist primär für die Erderwärmung zuständig, nicht der menschliche CO2-Ausstoß: Richtig ist, dass niemand einen Anteil der Sonne am Klimawandel leugnet, aber der IPCC setzt einen Beitrag von 0,5 Grad für anthropogene Treibhausgase im 20. Jahrhundert an. Die Sonne kann den Anstieg der Temperaturen in den letzten 40 Jahren nicht erklären. Das Klimasystem ist chaotisch, und man kann nicht prognostizieren, was bestimmte heutige Entwicklungen in vielen Jahrzehnten zur Folge haben: Richtig ist, der IPCC sieht die Probleme von Klimaprognosen sehr wohl. Es geht lediglich um das Abschätzen möglicher Alternativen. Dabei haben sich die Modelle des IPCC für die Berechnung vergangener Zustände sehr gut bewährt. Die Folgen der Erderwärmung sind nicht gravierend: Richtig ist, nur begrenzte Erwärmungen werden bezüglich positiver Folgen diskutiert, und die zusätzliche Erwärmung auf bis zu 3 Grad zu begrenzen setzt bereits eine energische Klimapolitik voraus. Seit Jahrzehnten versucht der Club of Rome uns mit seinen Kassandrarufen aufzuwecken (Meadows et al. 1972; v. Weizsäcker et al. 2017). In vielen Bücherregalen der Achtundsechziger stehen noch heute seine Berichte, wenn sie nicht auf dem Flohmarkt verhökert worden sind. Inzwischen wissen wir, dass einige dieser Berichte die Ressourcenknappheit dramatisierten, aber unterschätzt haben, wie knapp die Senken sind, also die Kapazitäten der Erde, Schadstoffe aufzunehmen (korrigiert in: Steffen et al. 2015). Allerdings bleibt die generelle Aussage gültig: Ungehemmtes Wachstum führt uns in eine beispiellose Krise. Durch den Klimawandel benachteiligen wir vorrangig auf der Südhalbkugel massiv zukünftige und auch gegenwärtige Generationen, ja wir verspielen ihre Existenzbedingungen. Zwar gibt es einige Philosophen, die meinen, dass Personen, die noch gar nicht existieren, auch keine Rechte haben. Aber auch wenn wir nicht wissen, welche Personen in Zukunft existieren werden, so wissen wir doch, dass irgendwelche Personen existieren werden. Diese haben vom Beginn ihrer Existenz an Rechte (im Sinne von Interessen, die mit Priorität zu schützen sind), wobei jetzt schon verunmöglicht werden kann, dass sie erfüllt werden. Zukünftige Personen haben vielleicht kein Recht, in Existenz zu kommen, sie werden jedoch jedenfalls Rechte haben, sobald sie existieren (Meyer 2018, 83ff.). Wenn ich heute leichtsinnig ein offenes Messer liegen lasse und sich nicht zufällig morgen, sondern erst in 100 Jahren jemand daran verletzt, wird meine Verantwortung durch den zeitlichen Abstand nicht geringer. Wir haben also Verpflichtungen gegenüber zukünftigen Generationen, und wir verletzen diese, so jedenfalls die Ansicht des IPPC (Pachauri 2014). Wie groß diese Verpflichtungen sind, kann man philosophisch austüfteln. Was gebietet der Wert der Gerechtigkeit? Sollen alle Menschen ein »gutes Leben« führen können, dürfen wir unseren Nachfahren den Planeten schlechter hinterlassen, als wir ihn vorgefunden haben? Aber das alles ist das Papier nicht wert, auf dem es steht. Für solche Fragen ist es schon zu spät, jetzt können wir gerade noch entscheiden, ob in Zukunft überhaupt Menschen leben werden und ob deren Grundbedürfnisse erfüllt werden können. Der Klimawandel ist die Speerspitze dieser Bedrohung zukünftiger Generationen. Wie in einem Fantasy-Roman geht es ums Ganze, um Sein oder Nichtsein. Darin unterscheiden sich die gegenwärtigen Bedrohungen von allen in der Vergangenheit. Inwiefern ist aber wirklich »das Ganze« betroffen, wessen Überleben ist bedroht? Die erste Antwort: das Überleben von jedem von uns. Schon heute sterben auch bei uns frühzeitig viele (vor allem ältere) Menschen an Hitzewellen im Sommer (im Sommer 2018 geschätzt 10.000 in Deutschland, Focus 2018). Tropenkrankheiten stehen an unseren Türen Schlange, samt der fiesen Mücken zu ihrer Übertragung. Corona könnte dagegen nur eine Fingerübung gewesen sein, die uns kurz unsere Verletzlichkeit demonstriert hat. Die zweite Antwort: Das Überleben unserer Kinder ist bedroht, umso mehr, wenn sie im globalen Süden leben. Die Klimakatastrophen werden in den nächsten Jahrzehnten immer weiter zunehmen, Schutz wird immer aufwendiger, verschlingt immer mehr Lebensqualität und ist selbst für Reiche nicht sicher möglich. Arme müssen naturgemäß als Erste bluten. Die dritte Antwort: Das Überleben vieler unserer Enkel und vieler weiterer Menschen in ferner Zukunft ist gefährdet. Für Menschen, die zwischen 2050 und 2200 leben werden, wird es jedenfalls noch schwieriger als heute. Bis dahin nimmt die Klimagaskonzentration in der Atmosphäre noch zu, gleichgültig, was wir heute tun, weil sich Klimagase nur langsam abbauen. Die vierte Antwort: Im schlimmsten Fall könnte es so weit kommen, dass sich die Klimaerwärmung selbst durch Rückkopplungsprozesse unaufhaltsam aufschaukelt, etwa wenn tauendes Eis immer weniger Sonneneinstrahlung reflektiert, was die Meere erwärmt und wiederum mehr Eis zum Tauen bringt (siehe unter Kapitel 2, Abschnitt 1; Friedlingstein et al. 2014). Dann könnte eventuell die gesamte Menschheit zur Disposition stehen (Lynas 2008), zumal wenn wir globale und vielleicht atomare Verteilungskämpfe um immer knapper werdende Ressourcen wie Wasser miteinberechnen. Das Armutsproblem verschärft die ökologische Krise schon jetzt und begrenzt unseren Handlungsspielraum. Derzeit leiden laut UN 821 Millionen Menschen an Hunger, was rund 11 Prozent der Weltbevölkerung entspricht. Alle drei Sekunden stirbt ein Mensch an Hunger, etwa...


Gesang, Bernward
Bernward Gesang, Jahrgang 1968, studierte in Bonn und Münster Philosophie und habilitierte sich 2000 in Düsseldorf, wohin er 2006 als Professor berufen wurde. Seit 2009 unterrichtet er an der Universität Mannheim auf dem Lehrstuhl für Philosophie mit Schwerpunkt Wirtschaftsethik. Letzte Veröffentlichungen: Wirtschaftsethik und Menschenrechte (UTB 2016), Darf ich das oder muss ich sogar? (Piper 2017).


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