Glukhovsky | Sumerki - Dämmerung | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

Glukhovsky Sumerki - Dämmerung

Roman
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-641-06021-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

ISBN: 978-3-641-06021-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Dmitry Glukhovsky öffnet das Tor zu einer dunklen Welt

Merkwürdige Dinge geschehen in Moskau. Der Über setzer Dmitrij Alexejewitsch wird von einem anonymen Auftraggeber gebeten, einen Bericht spanischer Konquistadoren aus dem Jahre 1562 ins Russische zu übertragen. Reine Routine, denkt Dmitrij, doch plötzlich werden die in diesem Text geschilderten Ereignisse Teil seiner Realität: Er hört den Schrei eines Jaguars, findet rätselhafte Kratzspuren an seiner Tür, und ihm nahestehende Menschen kommen auf groteske Weise zu Tode. Verliert er den Verstand – oder kündet sich mit dem Bericht der Konquistadoren womöglich das Ende der Welt an? Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt ...

Dmitry Glukhovsky ist ein russischer Schriftsteller und Dramatiker. 1979 in Moskau geboren, machte er seinen Abschluss an der Hebräischen Universität Jerusalem. Er schreibt für die internationale Presse, darunter THE GUARDIAN, LA LIBERATION, DIE ZEIT und NOVAYA GAZETA. Glukhovsky ist Autor zahlreicher Bestseller, darunter der Welterfolg »METRO 2033«. Seine Bücher wurden in 40 Sprachen übersetzt. Als entschiedener Kritiker des Putin-Regimes wurde er zum »ausländischen Agenten« erklärt und 2023 von einem Moskauer Gericht in Abwesenheit zu 8 Jahren Haft verurteilt. Er lebt im Exil.Instagram: @glukhovsky, Twitter: @glukhovsky, Facebook: @glukhovskybooks
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CAPÍTULO II
Achtung Fangfrage: Wo in Moskau befindet sich die Itzamná-Straße?
Vernünftig betrachtet haben nach Maya-Göttern benannte Straßen, Boulevards und Plätze in dieser Stadt nichts zu suchen. Doch ich hielt in meiner Hand eine Notiz mit der Adresse: ul. Izamny, 23. Man erwartete mich dort. Und davon, wie schnell ich diese Straße ausfindig machte, hing weit mehr ab als nur mein persönliches Schicksal.
Es wäre töricht anzunehmen, dass auf den Karten und Automobilatlanten Moskaus sämtliche Gassen und Gebäude der Stadt eingezeichnet sind. Geheime Orte gibt es hier mehr als genug. Trotzdem hoffte ich noch immer, die Straße zu entdecken, die den Namen des ältesten Maya-Gottes trug, und so kroch ich weiter mit meiner Lupe über die riesige topografische Karte der Stadt hinweg.
Ich hätte den Auftrag nicht annehmen sollen. Hätte weiter in Ruhe meine Unternehmensstatuten, Bedienungsanleitungen und Lieferverträge übersetzen sollen, mit denen ich mir schon immer meinen Lebensunterhalt verdient hatte. Außerdem war das Spanische nie meine stärkste Sprache gewesen. Doch an jenem Tag blieb mir nichts anderes übrig. Gerade hatte ich dem Mitarbeiter des Büros eine dünne, mit Gummiband zusammengehaltene Mappe mit übersetzten Verträgen über den dunkelbraunen, polierten Tisch zugeschoben. Nachdem er mir mein Honorar ausgezahlt hatte, breitete er die Arme aus.
»Das war’s soweit. Bisher ist noch nichts Neues reingekommen. Schauen Sie nächste Woche wieder vorbei«, sagte er und wandte sich seinem Computer zu, wo eine Patience geduldig auf ihn wartete, das Lieblingsspiel aller Däumchendreher dieser Erde.
Seit gut drei Jahren kannte ich ihn schon. Seit der Zeit, als er in diesem Übersetzungsbüro angefangen hatte. Bislang hatte ich noch nie nachgehakt, wenn er wieder einmal gleichgültig ankündigte, dass keine neuen Aufträge anstünden und ich mindestens eine Woche lang kein Geld sehen würde. Doch diesmal gab ich mir einen Ruck und sagte: »Haben Sie wirklich gar nichts? Schauen Sie doch bitte noch mal nach. Ich hab gerade eine Rechnung reinbekommen und keine Ahnung, wie ich die bezahlen soll.«
Erstaunt über meine Beharrlichkeit riss er sich vom Bildschirm los, rieb sich die niedrige Stirn und fragte zweifelnd: »Na ja, Spanisch machen Sie doch nicht, oder?«
Die Rechnung lag tatsächlich auf meinem Tisch, und ihr vierstelliger Betrag veranlasste mich, es darauf ankommen zu lassen. Drei Jahre Spanisch an der Uni, vor anderthalb Jahrzehnten … Riesige Hörsäle mit beschlagenen Fenstern, stickiger Kreidestaub von zerkratzten Tafeln, dazu nutzlose, vorsintflutliche Lehrbücher, die einem Cervantes’ Sprache anhand von offiziellen Kontakten zwischen den beiden Sowjetbürgern Iwanow und Petrow und den Señores Sanchez und Rodriguez beibrachten. Me gustas tú. Ziemlich magere Grundlagen. Egal, ein Wörterbuch hatte ich noch zu Hause.
»Doch«, log ich also verlegen. »Hab vor kurzem damit angefangen.«
Wieder musterte er mich voller Zweifel, aber dann erhob er sich, schlurfte ins Nebenzimmer, wo die Dokumente aufbewahrt wurden, und kehrte mit einer schweren Ledermappe zurück, auf der in einer Ecke ein abgewetztes goldenes Monogramm prangte. So etwas hatte ich hier noch nie gesehen.
»Bitte.« Respektvoll legte er die Mappe vor mir auf den Tisch. »Unser ›Spanier‹ ist mit dem ersten Teil noch nicht fertig, und der zweite ist schon eingetroffen. Ich fürchte, wenn wir in Verzug geraten, verlieren wir den Kunden. Also machen Sie sich bald an die Arbeit.«
»Was ist es denn?« Ich nahm die Mappe vorsichtig und wog sie in den Händen.
»Irgendwelche Papiere. Archivmaterial, glaub ich. Hab nicht so genau hingesehen, schließlich gibt’s hier auch so genug zu tun.« Er blickte kurz auf den Bildschirm, wo noch immer ein aufgedecktes Blatt auf ihn wartete und der Zähler gnadenlos weitertickte.
Das Honorar für den Auftrag war dreimal so hoch wie üblich, also machte ich mich aus dem Staub, bevor der Bürofritze es sich anders überlegte. Die Mappe sah kostbar aus, irgendwie aristokratisch, so dass ich mich nicht traute, sie in meine schmuddelige Aktentasche zu stecken. Ich musste an die Geschichte des ewig hungrigen Timm Thaler denken, dem schlecht geworden war, als er zum ersten Mal in seinem Leben eine teure Cremetorte probiert hatte.
Das Übersetzungsbüro lag verborgen in den Gassen des Arbat. Es befand sich in einem alten Holzgebäude, das früher eine Kinderbibliothek beherbergt hatte. Schon als kleiner Junge war ich regelmäßig mit meiner Großmutter hergekommen, um Bücher über Weltreisen und heldenhafte Pioniere in der Gewalt der Faschisten auszuleihen. Daher hatten meine wöchentlichen Besuche im Übersetzungsbüro etwas Nostalgisches – als beträte ich einen verlassenen, verrosteten Vergnügungspark, über den ich dreißig Jahre zuvor an der Hand meiner Eltern geschlendert war. Das Aroma alter Bücher saß noch in den Tapeten und Holzwänden und überdeckte sowohl den scharfen Geruch der Geschäftspapiere als auch den süßlich warmen Plastikdunst der PCs. Für mich war dieses Büro immer eine Kinderbibliothek geblieben. Vielleicht war dies der Grund, warum ich mich im ersten Moment gar nicht besonders wunderte, als ich die Papiere aus der Ledermappe zog.
Ein Blick genügte, um zu begreifen, dass sie aus einem Buch stammten. Sie waren nicht herausgerissen, sondern sorgfältig mit chirurgisch genauen Schnitten abgetrennt worden. Ich stellte mir vor, wie eine Hand in einem Gummihandschuh mit einem Skalpell einen alten Folianten entlangfuhr, der aufgeschlagen auf einem OP-Tisch lag. Derartige Maßnahmen erschienen mir keineswegs übertrieben – sicher war das aus unbekanntem Grund zerlegte Buch äußerst wertvoll gewesen. Dem äußeren Anschein nach waren die Seiten mindestens zweihundert Jahre alt. Das feste Papier, das im Laufe der Zeit an einigen Stellen sandfarben geworden war, jedoch noch keine Anzeichen von Verfall zeigte, bedeckten etwas unregelmäßige Zeilen aus gotischen Buchstaben. Offenbar handelte es sich um gedruckte Schrift, obwohl die Lettern sich nicht immer vollständig glichen.
Die Seiten waren nicht nummeriert, doch auf dem obersten Blatt hieß es: Capítulo II. Das erste Kapitel befand sich vermutlich bei dem anderen Übersetzer, der vor mir begonnen hatte und nun mit der Rückgabe in Verzug geraten war. Der Grund für diese Verzögerung wurde mir klar, nachdem ich den Text überflogen hatte. Auch mir kamen jetzt Zweifel, ob ich meine Übersetzung termingerecht würde einreichen können. Ich brauchte einige Stunden, um mich an die seltsame Schrift zu gewöhnen und mich durch den ersten Absatz dieses widerspenstigen, vom Alter zäh gewordenen Textes zu beißen.
Inzwischen war es draußen dunkel geworden. Ich hatte mich daran gewöhnt, häufig nachts zu arbeiten. Erst im Morgengrauen ging ich zu Bett und stand am Nachmittag auf. Sobald sich die Wohnung in Dunkelheit hüllte, machte ich nur zwei Lampen an – auf meinem Schreibtisch sowie in der Küche – und verbrachte die ganze Nacht zwischen diesen beiden Feuern hin und her wandernd. Beim warmen, gelben Schein der Vierzig-Watt-Birne ließ es sich viel besser denken – das Tageslicht hingegen stach mir in die Augen und höhlte meinen Schädel aus. Nicht einen einzigen Gedanken bekam ich dann zu fassen; sie schienen sich irgendwohin verzogen zu haben, wo sie bis zum Anbruch des Abends ausharrten.
Hatte ich die Nacht über durchgearbeitet, so legte ich mich meist um fünf Uhr morgens schlafen. Mit meinen dichten Vorhängen sperrte ich die ersten Sonnenstrahlen aus, schlüpfte unter die Daunendecke und schlief augenblicklich ein.
In letzter Zeit hatte ich mehrmals seltsam geträumt: Aus irgendeinem Grund war mir immer wieder mein geliebter Hund erschienen, der vor gut zehn Jahren gestorben war. Im Traum gab es natürlich keine Anzeichen für sein Ableben, und er verhielt sich wie ein völlig normales, lebendiges Tier. Was bedeutete, dass ich mit ihm Gassi gehen musste. Während dieser Spaziergänge lief er mir bisweilen weg (schon zu Lebzeiten hatte ich ihn nur sehr selten an die Leine genommen, höchstens um ihn über die Straße zu führen), so dass ich einen Gutteil des Traums damit verbrachte, nach ihm zu suchen und aus Leibeskräften seinen Namen zu rufen. Hoffentlich bekamen die Nachbarn nichts davon mit! Nicht immer gelang es mir, ihn wiederzufinden, bevor ich aufwachte. Aber das war nicht weiter schlimm: Bis zum nächsten Morgen fand er stets von selbst nach Hause, wartete bereits ungeduldig an der Schwelle zwischen Schlaf und Wachen auf mich und kaute verspielt auf seiner Leine herum. Ich hatte mich inzwischen so an seine selbstständige Rückkehr gewöhnt, dass ich mir, wenn er einmal nicht da war, sogleich Sorgen machte, ob ihm etwas passiert war.
Es fiel mir nicht leicht, den Sinn der ersten zehn Zeilen zu erfassen. Mindestens ein Fünftel der Wörter fehlten in meinem Wörterbuch – ohne dessen Hilfe hätte ich kaum mehr als ein Drittel eines Satzes verstanden. Außerdem begann jeder neue Absatz aus unerfindlichem Grund mit dem Wort »Dass«. Immer wieder abgelenkt von den gelblichen Flecken auf dem uralten Papier, begann ich akribisch jedes nachgeschlagene Wort auf ein Blatt Papier zu notieren. Einige musste ich später korrigieren, da sich der erste Übersetzungsversuch als falsch herausstellte. Die gesuchte Bedeutung war im Wörterbuch meistens mit dem Hinweis »veraltet« versehen.
Schon aus dem ersten Absatz wurde klar – und diese Hypothese bestätigte sich später, als ich mich bereits in...


Glukhovsky, Dmitry
Dmitry Glukhovsky ist ein russischer Schriftsteller und Dramatiker. 1979 in Moskau geboren, machte er seinen Abschluss an der Hebräischen Universität Jerusalem. Er schreibt für die internationale Presse, darunter THE GUARDIAN, LA LIBERATION, DIE ZEIT und NOVAYA GAZETA. Glukhovsky ist Autor zahlreicher Bestseller, darunter der Welterfolg »METRO 2033«. Seine Bücher wurden in 40 Sprachen übersetzt. Als entschiedener Kritiker des Putin-Regimes wurde er zum »ausländischen Agenten« erklärt und 2023 von einem Moskauer Gericht in Abwesenheit zu 8 Jahren Haft verurteilt. Er lebt im Exil.Instagram: @glukhovsky, Twitter: @glukhovsky, Facebook: @glukhovskybooks

Drevs, M. David
David Drevs, geboren 1968, studierte Anglistik und Slawistik. Er lebt und arbeitet als Übersetzer und Dolmetscher in München. Er übersetzte unter anderem Werke von Arkadi und Boris Strugatzki sowie die METRO-Romane von Dmitry Glukhovsky.



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