Goldberg | Farnblütenträume | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Goldberg Farnblütenträume


12001. Auflage 2012
ISBN: 978-3-522-62061-1
Verlag: Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-522-62061-1
Verlag: Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Heute soll es passieren! Paula hat alles minutiös geplant: die Fahrt mit Alex auf die luxuriöse Hütte ihres Vaters, das Mittsommerfest und selbst das Wetter zeigt sich gnädig. Doch dann fehlt die Sahne für die Erdbeeren und damit nimmt der Tag einen höchst turbulenten Verlauf. Denn der Almbursche Chris, der eigentlich Musiker ist, hat weitaus mehr zu bieten als das bisschen Schlagsahne. Ungewollt bringt er Paulas ausgeklügelten Lebensplan beträchtlich ins Wanken ...

Siri Goldberg, geboren 1964, lebt als Klavierlehrerin und Autorin in Innsbruck. Sie liebt die Berge, Bücher und die Beach Boys.
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Schauen kann die! Ihre Augen sind so dunkel wie der Flötzer Moorsee an der tiefsten Stelle. Und je länger ich sie anstarre, umso mehr zieht’s mir die Füße weg und saugt mich rein, als wär’s ein richtiges Moor, aus dem man nicht mehr rauskommt. Nicht aus eigener Kraft.

Neugierig ist sie auch. Fragt Löcher in meinen Bauch und dabei hält sie den Kopf schief und drückt ihr Kinn nach vorn wie eine, die’s unbedingt wissen will und die keine Ruh’ gibt, bis sie nicht alle Antworten bekommen hat. Eigentlich ist sie nicht mein Typ. Klein und knochig. Wie eine magere Geiß. Und kurze Haare wie ein Bursch. Nicht mein Typ, aber hübsch. Und diese Augen! Dunkel wie Moorwasser und groß und glänzend wie Rehaugen. Wie Rehaugen? Hallo? Ich glaub, ich bin im falschen Film.

Bambi allein zu Haus …

Seit wann schmeißt mein Gehirn mit so schwülstigen Vergleichen herum, nur weil eine hübsche Augen hat und mich komisch anschaut. Und wieso hab ich jetzt die Romanze in F-Dur von Beethoven im Ohr? Diesen Schmachtfetzen! Der so verboten schön klingt, dass es wehtut, und so melancholisch, als hätte Beethoven beim Komponieren geweint. Und der ein fürchterlicher Ohrwurm ist, viel zu oft gehört in viel zu kitschigen Interpretationen.

Paula heißt sie also. Jetzt ist sie rot geworden. Weil ich sie auch die ganze Zeit anstarre wie ein Depp. Die Marie wär nicht rot geworden deshalb. Die hätte höchstens »Schau nicht so blöd!« gezischt. Oder: »Mach den Mund zu, es zieht!« Eine, die noch rot werden kann, ist eine Seltenheit, auch wenn mir nicht klar ist, was an ihren Zeichnungen so peinlich sein soll.

Aber versteh einer die Frauen – oder liegt’s dran, dass sie eine Deutsche ist? Eine Städterin? Da will man nett sein und dann ist ihr der eigene Kopf im Weg und die Tagesplanung ist in Gefahr! Das geht natürlich nicht; das kann so eine nicht zulassen, dass sie wegen ein bissl Graukäs aus dem Tritt kommt. Aber interessant: Die Musik, die sich in meinem Kopf eingenistet hat, seit ich zu lang in die Rehaugen geschaut hab, die spielt jetzt langsamer, grad so, als würden die Batterien nachlassen, und die Streicher klingen auf einmal verstimmt. Und dann, dann nimmt sie den Namen von diesem Unmenschen in den Mund, sagt, dass sie seine Tochter ist, und sofort bricht die Melodie ab. Alles stumm da oben. Hat sie wirklich Koslowski gesagt? Aus München? Muss dieser geldgierige Landschaftsverschandler so eine hübsche Tochter haben? Da hilft nur eins: umdrehen und gehen. Nicht mehr hinschauen, schon gar nicht in die Rehaugen.

Aber so ein verwöhntes Architektentöchterl rechnet nicht damit, dass sie einfach stehen gelassen wird, noch dazu von einem dahergelaufenen Kuhhüter. Und entweder sie kapiert die simpelsten Signale nicht oder sie ignoriert sie einfach. Ignoriert sie und ruft mir hinterher.

»Chris! Warte doch! Kann ich bei dir Sahne kaufen?«

Typisch. Als ob eine Alm ein Supermarkt wär. Wenn da jeder daherkäme! »Nein!« Obwohl ich schon zu weit weg bin, hör ich fast, wie sie den Mund öffnet und nach Luft schnappt. Und obwohl ich ihr den Rücken zudrehe, seh ich vor mir, wie sie ihr spitzes Kinn senkt und die Unterlippe vorstülpt. Vorstülpt wie einen Vorwurf. Als wär Sahnelosigkeit die größte Schweinerei, die die Welt den Koslowskis antun kann. Rasch werfe ich einen Kontrollblick über meine Schulter. Aber hey! Sie ist weg.

Penelope begleitet mich bis vor die Hüttentür. An dieser Kuh ist wirklich ein Hund verloren gegangen. Vielleicht war sie im vorigen Leben einer? Jedenfalls liebt sie mich heiß und innig. Nein, sie tut nur so. In Wahrheit ist sie ein Storchschnabeljunkie. Gierig schließen sich ihre Lefzen um die blassvioletten Blüten, die ich ihr immer vom Seeufer mitbringe. Sobald die letzte vertilgt ist, zeigt sie mir die kalte Schulter und trottet davon.

Geschieht mir recht. Was fall ich auch immer wieder auf berechnende Frauen rein?

Schwimmen macht hungrig. In der Hütte schlage ich mir zwei Eier in die Pfanne und brate die letzte Scheibe Speck. Hoffentlich denkt die Marie dran, mir Nachschub zu bringen, wenn sie den Graukäs abholt.

Nach dem Essen geh ich Kräuter suchen. Wer weiß, wie lang das schöne Wetter noch anhält. Die Almwiese ist voll von Quendel, am besten wächst er zwischen den Almrosen. Ich hab erst ein paar Büschel in den Leinensack gesteckt, als ich einen Motor brummen höre. Ein schwarzer Golf quält sich die Forststraße rauf. Münchner Kennzeichen. Er parkt direkt vor der Hütte.

Ein rotblonder Typ in meinem Alter steigt aus, Anzug, Krawatte, Scheitel wie mit dem Lineal gezogen. Marke Muttis Liebling. Grinst breit und schlendert auf mich zu.

»Gibt’s hier Sahne zu kaufen?«

Jetzt schlägt’s aber dreizehn. Schickt diese Koslowski doch tatsächlich ihren Bruder her, um mich mit der Sahne zu nerven! Oder ist es ihr Lover? Dann hat sie ja noch weniger Geschmack, als man ihr und ihren Koslowski-Genen zutrauen kann. Jedenfalls hat sie sich geschnitten. »Ich hab doch gesagt, dass ich nichts verkaufe!« Ich dreh mich um und suche das nächste Quendel-Nest.

»Zu wem? Zu mir wohl kaum.«

Blödstellen nützt dir nichts, Krawattenfutzi. »Fahr ins Dorf, da gibt’s einen Laden. Dort bekommt man alles.«

»Da war ich schon. Sahne ist aus. Die Besitzerin hat mich hierhergeschickt.« Jetzt steht er direkt vor mir und schaut auf mich herab. »Fahren S’ zur Flötzer Alm rauf, zum Chris, der hat frische Sahne«, sagt er im Falsett und so nasal, dass ich die Berta vom Laden fast vor mir sehe.

Ich verkneife mir ein Lachen und richte mich auf. Stelle zufrieden fest, dass ich ihn um einen halben Kopf überrage. »Da täuscht sich die Berta. Ich sehe genau zwei Möglichkeiten: Entweder du kommst ohne Sahne aus oder du versuchst dein Glück im nächsten Ort.«

»Aber hier gibt es Milchkühe, da muss es doch auch …«

»Ich verkauf nichts. Keine Milch, keine Butter und Sahne schon gar nicht.« Jedenfalls nicht an die Koslowskis.

Der Krawattenfutzi kramt in seiner Brusttasche und fischt einen zerdrückten Zwanziger heraus, mit dem er vor meiner Nase herumwedelt. »Ich zahle auch gut.«

Wut kriecht mir den Nacken hoch. Dieser angeberische Lackaffe! Meint, für Geld kann er sich alles herausnehmen. »Schleich dich«, knurre ich. »Deine Kohle interessiert hier keinen. Wenn ich sag, ich verkauf nichts, dann verkauf ich nichts. Aus, basta.«

Endlich. Er hat’s kapiert. Kriegt große runde Augen und zieht den Schwanz ein. Schlappt zum Auto zurück, knallt die Tür zu und braust davon. Mit quietschenden Reifen, dass der Hütteneingang minutenlang in eine Staubwolke gehüllt ist. Der Gedanke, dass die Party der Koslowskis jetzt ohne Sahne abgehen muss, freut mich. Kindisch, eh klar. Aber bei den ganzen Problemen, die diese Leute machen, ist es halt ein winziger Triumph. Man gönnt sich ja sonst nichts. Ich versuche, mir Paulas Gesicht vorzustellen, wenn ihr Bruderherz mit leeren Händen auftaucht. Lippen vorgeschoben, Blick gesenkt.

Aber komisch. Ich seh nur die Rehaugen, wie sie unter den langen Wimpern dunkel glänzen. Dazu setzt wie auf ein Stichwort die Solovioline in meinem Kopf ein und beginnt wieder mit Beethoven. Die sehnsuchtsvolle Melodie. Sie lässt sich nicht abschütteln und das ärgert mich. Ärgert mich und ich reiß die Kräuter mit unnötiger Brutalität aus. Als ob das Grünzeug was dafür könnte!

Später kommt die Marie, um die Milch abzuholen. Sie setzt sich zu mir, ich schenke ihr Kaffee ein, sie tut Sahne dazu. Reichlich Sahne. Da erzähle ich ihr die Geschichte.

Die Marie spielt mit ihrem Zopf und hört mir zu und ihre Augen sehen aus wie Steine, die am Grund eines Gebirgsbachs liegen und an einem klaren Morgen durchs Wasser schimmern. Kühle Kiesel. Das absolute Gegenteil von Rehaugen.

»Meine Mutter hat ihn extra hergeschickt?«

Mit dem Zeigefinger tippt die Marie gegen ihre Stirn. So fest, dass ich das Pochen hören kann.

»Und du weißt nichts Besseres, als ihn …«

Wie so oft lässt sie den Satz unvollendet. Die Marie liebt unvollendete Sätze. Man kann sich ja denken, wie’s weitergeht, wozu Zeit für Unnötiges verschwenden? Zeit ist Geld und Geld ist die Voraussetzung für ein glückliches Leben, denkt die Marie, und deshalb geht sie jetzt auch nicht mehr mit mir, sondern mit dem Sohn vom Zenzinger, dem Mike. Der ist zwar kein so guter Gesprächspartner wie ich, mit dem man bis spät in die Nacht diskutieren kann, sagt sie, aber tüchtig ist er und wird bald die Tischlerei von seinem Vater übernehmen, einen der größten Betriebe in ganz Tirol.

»Ja, ich hab ihn abblitzen lassen. Na und?«

Sie springt auf. »Ich versteh dich nicht! Der Koslowski ist doch das Beste, was uns Flötzern passieren kann. Der tut was, der kurbelt den Fremdenverkehr …«

»Einen Schmarrn kurbelt der an, nur seinen eigenen Umsatz.« Und den vom Zenzinger und von meinem Vater, die mit ihm gemeinsame Sache machen und um keinen Deut besser sind.

»Dein Vater wäre stinksauer.«

»Ganz bestimmt.« Aber wir sprechen ja schon seit Jahren nicht mehr miteinander, also kommt’s nicht drauf an.

»Und wenn deine Oma wüsste, wie du mit dem Koslowski …«

»Die Oma ist auf meiner Seite. Der Koslowski ist schuld, dass die Alm der Skiarena weichen muss. Und wenn das Vieh im Sommer nicht mehr auf die Alm kann, muss die Oma es verkaufen, das weißt du so gut wie ich.«

»Na und? Bestimmt bekommt sie eine großzügige Abfindung und davon kann sie sich einen schönen Lebensabend …«

»Sie ist noch viel zu aktiv, um sich einen schönen Lebensabend zu machen.«

»Du wirst den Hof ja...


Goldberg, Siri
Siri Goldberg, geboren 1964, lebt als Klavierlehrerin und Autorin in Innsbruck. Sie liebt die Berge, Bücher und die Beach Boys.



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