Goldschmidt | Von der Notwendigkeit, den Weltraum zu ordnen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Goldschmidt Von der Notwendigkeit, den Weltraum zu ordnen


1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-95988-113-5
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-95988-113-5
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



»Pippa Goldschmidts Geschichten sind klug und mitfühlend, witzig und bittersüß, erfindungsreich und tief empfunden - eine echte Entdeckung!« THE INDEPENDENT Eine Studentin beginnt eine Affäre mit ihrem verheirateten Professor, und schon bald muss sie die Grundlagen der Astrophysik am eigenen Leib erfahren. Bertolt Brecht schreibt sein Stück Leben des Galilei im amerikanischen Exil neu und gerät vor das Komitee für unamerikanische Umtriebe. Auf einer einsamen Polarstation am Südpol trifft ein an Liebeskummer leidender Forscher auf seinen Rivalen. Albert Einstein versucht, mit dem Verlust seines ersten Kindes zurechtzukommen. Ein sprachgesteuerter Lift nimmt eine Anweisung etwas zu genau ... Goldschmidts geistreiche und berührende Erzählungen bieten faszinierende Einsichten in die menschliche Natur. Sie erzählen von der Rolle der Frauen in der Forschung, von Wendepunkten im Leben berühmter Wissenschaftler und Künstler, vom jüdischen Überleben nach dem Zweiten Weltkrieg, von Liebe und Sex und der immer aktuellen Suche nach Erkenntnis. Jede Geschichte, von der surrealen Miniatur bis zur epischen historischen Erzählung, ist ein Meisterwerk für sich. »Die Texte unterhalten auf großartigem Niveau, es ist, als nasche man beim Lesen vom Baum der Erkenntnis.« HAUKE HARDER, BUCHHANDLUNG ALMUT SCHMIDT

Pippa Goldschmidt wuchs in London auf und lebt heute in Edinburgh. Sie ist Absolventin des renommierten Masters-Kurs der University of Glasgow in Creative Writing. Die promovierte Astrophysikerin arbeitete mehrere Jahre als Astronomin am Imperial College, anschließend im öffentlichen Dienst, u.a. in der Weltraumbehörde. 2012 gewann sie den angesehenen Scottish Book Trust/Creative Scotland New Writers Award. Von 2008 bis 2012 war sie Writer-in-residence am ESRC Genomics Policy and Research Forum der Universtiy of Edinburgh. Ihr erster Roman 'The Falling Sky' erreichte den zweiten Platz beim Dundee International Book Prize. Ihre Kurzgeschichten erscheinen sowohl in englischer Sprache als auch in deutscher Übersetzung bei culturbooks.de.

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Einführung in die Relativitätstheorie
14-wöchiger Kurs. Gute Grundkenntnisse in Mathematik ­erforderlich. Woche 1
Du sitzt in der ersten Reihe des Hörsaals und hörst dem Dozenten zu. »Alice fährt mit der Bahn. Sie richtet die Taschenlampe auf Bob, der am Bahnsteig steht.« Den Dozenten kennst du noch nicht, er muss neu sein. Du rutschst auf deinem Sitz herum, und natürlich sieht er dich an. Er macht eine winzige Pause, stottert für alle anderen kaum merklich, während du siehst, wie er die Geometrie deiner Bluse analysiert. Du fragst dich, ob Alice regelmäßig mit dem Zug fährt und dabei mit ihrer Taschenlampe auf Männer leuchtet. Du stellst sie dir in einem Plastikregenmantel und hochhackigen Stiefeln vor. Du fragst dich, was Bob von der ganzen Sache hat, vielleicht steht er auf Alice. »Alice sieht, wie sich das Licht der Taschenlampe gleichmäßig in alle Richtungen ausbreitet und Spitze und Ende des Zugs gleichzeitig trifft.« Die anderen Studenten schreiben das in ihre Hefte. Du kritzelst ein Herz auf den Umschlag deines Heftes und denkst darüber nach, noch einen Knopf deiner Bluse zu öffnen. »Aber Bob sieht, wie das Licht zuerst das Ende des Zugs erreicht und dann die Zugspitze. Weiß jemand, wer recht hat? Alice oder Bob?« Stille. Du siehst zu den anderen ­Studenten rüber, bevor du die Hand hebst, und er nickt dir zu. »Sie haben beide recht. Aus Bobs Perspektive kommt das Ende des Zugs auf das Licht zu, und die Spitze bewegt sich davon weg. Deshalb sieht er, wie das Licht zuerst das Zug­ende erreicht, bevor es die Zugspitze trifft. Aber Alice fährt mit dem Zug, und für sie bewegen sich Spitze und Ende nicht. Aus ihrer Sicht erreicht das Licht gleichzeitig Spitze und Ende.« Du hältst inne. »Sie haben beide recht«, wiederholst du. Er nickt wieder, bevor er fortfährt. »Die Lichtgeschwindigkeit ist eine Konstante, und diese führt zu unterschied­lichen Versionen der Realität. Jede davon ist gleichermaßen zulässig.« Das gefällt dir. Kurz und knapp. Du malst weiter Herzchen, während er doziert. Woche 2
Bob tut dir ein bisschen leid. Nie geht er irgendwohin, er steht immer nur am Bahnsteig und wartet darauf, dass Alice mit ihm kommuniziert. Sie hat den ganzen Spaß. Dir ist aufgefallen, dass die anderen Studenten alles aufschreiben, was der Dozent sagt, aber sie können keine seiner Fragen beantworten. Du musst nichts aufschreiben. Du hast den ganzen Kram schon durch. Dir gefällt, wie er dich jetzt ansieht, wenn er eine Frage stellt, als würde er etwas von dir erwarten. Sein Ehering blitzt im künstlichen Licht des Hörsaals. Du streichst über die Knöpfe deiner Bluse. Woche 3
Alice befindet sich in einem Aufzug, der auf die Erde zustürzt. Der Dozent sagt, dass sie nichts fühlt, während sie fällt, nicht einmal die Schwerkraft, aber du bist dir ziemlich sicher, dass sie Angst haben könnte. Bob wartet wahrscheinlich immer noch an irgendeinem Bahnsteig auf sie und fragt sich, wo sie ist. Der arme, treue Bob. Was für ein Idiot. Es sind jetzt weniger Studenten geworden. Das passiert an diesem Punkt des Kurses immer. Sie kommen damit nicht klar. Die Extrapolation von alltäglichen Dingen – Uhren, Züge, Taschenlampen – zum Imaginären: Trägheits­kräf­te, gekrümmte Raumzeit, das Vakuum. Du bist daran gewöhnt. Du kommst klar. Am Ende der Vorlesung, wenn sich die anderen Studenten rausschieben, kommt der Dozent zu dir rüber. Du verdeckst dein Heft, damit er die Herzchen nicht sieht. »Sie schreiben nie etwas auf.« Wieder diese Schroff-
heit. »Das muss ich nicht«, und du lächelst und gehst. Woche 4
Dir wird eine Kursarbeit aufgegeben: »Messen Sie Newtons Fehler in seiner Ableitung der Umlaufbahn des Merkurs um die Sonne und belegen Sie, wie Einstein diesen Fehler ­mithilfe der allgemeinen Relativitätstheorie korrigieren konnte.« Das ist der übliche Lehrbuchkram. Du bist fast schon enttäuscht davon, dass der Dozent so wenig Fantasie zu haben scheint. Du hoffst, dass er in anderen Aspekten seines Lebens mehr Fantasie zeigt. Du schickst ihm eine E-Mail mit der Antwort und musst nicht lange warten, bis er zurückschreibt. Er will dich sehen, in seinem Büro. Es hat eine ­Woche länger gedauert als üblich, aber das ist egal. Es bleibt noch eine Menge Zeit. Du warst schon mal in dem Büro, als es der letzte Dozent noch hatte. Der jetzige hat die Möbel umgestellt, aber der Teppich ist noch an seinem Platz. Du erinnerst dich an den Teppich. »Es gibt einen praktischen Teil bei der Kursarbeit«, erklärt er dir. »Sie müssen sich ein Experiment aussuchen, das ich dann genehmige.« Du schlägst ein schnelles, unkompliziertes Experiment vor, eins, dass du mit ihm auf dem Boden seines Büros ausführen kannst. Er stimmt zu. Woche 5
Alice befindet sich jetzt in einem Raumschiff und reist fast mit Lichtgeschwindigkeit durch das Universum, während Bob, wie üblich, zu Hause auf sie wartet. Du vermutest, dass Bob jetzt nicht mehr so heiß aussieht, nach der ganzen Warterei auf Alice und den Gedanken, die er sich um sie macht. »Wer kann erklären, warum Bob schneller altert als ­Alice?« Er trägt heute ein schönes Hemd, frisch und gebügelt, vermutlich von seiner Frau. Du stellst dir vor, wie du deine Hände über seine Arme gleiten lässt, über seine Schultern und an seiner Brust hinab, und dabei die Wärme seines Körpers spürst. Heute sind nur noch drei andere Studenten im Hörsaal. Der Dozent wartet darauf, dass du antwortest, aber du bleibst still. Du siehst nicht ein, warum du die ganze Arbeit machen sollst. Woche 6
Du schlägst dem Dozenten vor, das Experiment zu wiederholen, nur um sicherzugehen, dass die Ergebnisse dieselben sind wie zuvor. Er stimmt zu. Danach sieht sein Hemd im Hörsaal ein wenig zerknittert aus. Die Raumzeit ist von deinem Experiment komprimiert worden. Der Dozent steht vor dem Whiteboard und stochert sich durch eine Gleichung, und er liegt gleichzeitig ausgestreckt auf dem Teppich, ein dünner Schweißfilm ist auf seinem Bauch zu sehen. Das Experiment wird nun regelmäßig wiederholt, gelegentlich auch zweimal täglich. In seinem Büro schließt er hinter dir die Tür, biegt deinen Kopf zurück und küsst deinen Hals. Woche 7
Der Dozent stellt Bob und Alice Carol vor. Carol ist abenteuerlustiger als die beiden. Sie fällt in schwarze Löcher, wo sie von der gekrümmten Raumzeit zu einem Faden lang gezogen und vom Rest des Universums abgeschnitten wird. Während sie eine letzte Nachricht aussendet, bevor sie hinter dem Ereignishorizont versinkt, sehen Bob und Alice eine statische Vision von ihr, die für immer über dem Abgrund balanciert. Du kannst sie ebenfalls sehen. Sie trägt deine Lieblingsjeans: die, die der Dozent eilig heruntergerissen hat. Du trägst sie heute wieder, obwohl der Stoff einen Riss hat. Du hoffst, dass er es bemerkt und sich erinnert. Woche 8
Der Dozent weicht vom Lehrmaterial ab und spricht über Dunkle Materie. Du stellst dir vor, wie sie durch das Universum gleitet und sich an allein stehenden Objekten befestigt. Du weißt schon, wie schnell sie auf bestimmte Kräfte reagiert, wie beispielsweise die Nähe einer Hand oder das Aufknöpfen einer Bluse. »Dunkle Materie füllt das Universum«, sagt er dir und den anderen Studenten. »Sie interagiert nicht mit Licht, nur mit Masse.« Mit dem Finger zeichnest du eine Spirale auf den Tisch. Du denkst an die langsamen, lieblichen Kurven von Körpern, die sich umkreisen, bevor sie nach innen fallen. Aber sein Ehering ist aus Gold, und auch wenn es weich genug ist, um deine Bissspuren abzubilden, wird es bestehen bleiben, bis die Erde und der Mond schließlich in die Sonne stürzen. Woche 9
Seine Frau ist schwanger. Er zeigt dir das Ultraschallbild des Babys, dessen Kopf ins Profil gebogen ist, als würde es in dem sternlosen Raum, der es umgibt, bereits nach ­Antworten suchen. Jetzt weißt du nicht, was du sagen sollst. Jetzt, als er dich an sich zieht, um an deinen Hals heranzukommen, fragst du dich, was in Zukunft geschehen wird. Du bist nicht daran gewöhnt, so zu denken. Diese Kurse sind vollkommen vorhersehbar. Das ist das Beste an ihnen. Die nächste Kursarbeit behandelt Masse und wie sie von Geschwindigkeit abhängt. Je schneller ein Objekt ist, desto schwerer wird es. Du denkst, dass Bob Alice vielleicht nicht mehr so attraktiv finden wird, wenn sie jetzt zunimmt und ihre Knöchel dick werden. Deiner Berechnung zufolge sollte er immer Carol bevorzugen, aber diese Lösung ist falsch. Es ist das erste Mal, dass dir so etwas passiert ist. Du fragst den Dozenten danach, aber er kann dir einen Fehler in deiner Logik nachweisen. Woche 10
Diese Woche spricht er über Entropie und die wachsende Unordnung und den zunehmenden Zerfall bei fortschreitendem Zeitverlauf von der Vergangenheit zur Zukunft. Dies widerspricht der Relativitätstheorie, die nicht von Zeit abhängt. Du hattest gehofft, dass die Relativität über die Entropie siegt, aber was Entropie ist, hast du nun erfahren. Jetzt zupft er sich nach jedem Experiment die Teppichfussel von seiner Kleidung, streicht sein Haar glatt und riecht an sich, bevor er dich aus dem Büro schickt. Er muss noch arbeiten. Andere Kurse vorbereiten. Du hast Schwie­rig­keiten, dich auf deine eigene Arbeit zu konzentrieren. Du weißt nicht, was du über das Experiment hinaus mit dir ­anfangen sollst. Du dachtest, es würde für...



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