Golluch Total vergurkt!
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8387-5857-2
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die dümmsten EU-Verordnungen
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-8387-5857-2
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Wie lang dürfen Schnullerketten sein? Wie krumm Salatgurken? Müssen Seiltänzer Schutzhelme tragen? Und was ist ein EU-konformer Schlafanzug? Norbert Golluch präsentiert die kuriosesten, unsinnigsten und schrägsten Gesetze, Richtlinien und Verordnungen der EU. Ein unerschöpfliches Kompendium technokratischer Regulierungswut und zugleich ein Fest für alle Fans von Realsatiren.
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Essen und Trinken mit der EU
Von der Hand in den Mund – so lebte man in ferner glücklicher Vergangenheit. Die Nahrungsmittel wuchsen entweder irgendwo im Wald oder liefen noch lebendig in freier Natur herum, man musste sie also jagen oder sammeln. Wer dazu nicht in der Lage war, hatte keine guten Chancen, seine Gene weiterzugeben. Wer sich als zu schwächlich erwies, um Ackerbau zu betreiben, verhungerte. Wer sich mit Pilzen und möglicherweise giftigen Pflanzen nicht auskannte, verließ diese Welt nach psychedelischem Abflug. Wer es nicht schaffte, Auerochs oder Mammut mit Keule und Speer zu erlegen, der segnete über kurz oder lang das Zeitliche.
Ein Wunder eigentlich, dass es heute noch Bürokraten gibt, denn schon ihre Vorfahren waren aller Wahrscheinlichkeit nach genau die Sorte Mensch, die von nichts eine Ahnung hatte und deshalb eigentlich hätte aussterben müssen. Es gab kein Regelwerk mit Verordnungen, die ihrem Verhalten einen Sinn hätten geben können. Woher wussten sie, was richtig und was falsch war? Sie wurden vom Mammut aufgespießt, von giftigen Pilzen und Pflanzen dahingerafft und sind mit dem für sie nutzlosen Grabstock in der Hand verhungert. Und dann gab es ja auch noch ihre Mitmenschen, die sie vermutlich mit ersten dilettantischen, in Stein gehauenen Vorschriften genervt haben, was sicherlich zu diversen der Zeit entsprechend drastischen Abwehrreaktionen führte. Schlechte Überlebenschancen eigentlich.
In irgendeiner Höhle muss sich jedoch wohl eine besonders fruchtbare Population steinzeitlicher Bürokraten gehalten haben, und diese erwiesen sich als auf rätselhafte Weise überlebenstauglich, sodass sie uns heute in alles reinreden, besonders auch, was unsere Ernährung angeht.
Aller Anfang ist schwer:
Der Versuch der Frühstücksrichtlinien
In ihrer Begeisterung für die eigenen gesamteuropäischen Pläne glaubten die Politiker in den 1970er-Jahren, dass ein gemeinsamer europäischer Markt nur dann zustande kommen könne, wenn es in allen Ländern vergleichbare Produkte mit etwa denselben Qualitätsstandards zu kaufen gäbe – die Idee von der europaweiten Produktangleichung war geboren. Das bedeutete mehr oder weniger: Alle Lebensmittel sollten nach einem europaweit einheitlichen Rezept hergestellt werden. So wurde zum Beispiel die Einheitswurst propagiert – Salami aus Italien sollte die gleichen Zutaten haben und genauso schmecken wie solche aus Deutschland. Käse aus Frankreich sollte dem aus Italien bis aufs Haar gleichen – eine unglaubliche Schnapsidee, die dennoch zum Teil realisiert wurde. Die Richtlinien für Schokolade, Honig, Marmelade, Fruchtsaft, Zucker, Dickmilch und für Kaffee- und Zichorienextrakte – eben die sogenannten Frühstücksrichtlinien, weil alle diese Produkte etwas mit dem Frühstück zu tun haben – sind das äußerst haltbare Endprodukt dieser Zeit und somit bürokratische Dinosaurier. Einige Beispiele:
- Kaffee muss der Richtlinie 77/436/EWG bzw. der Richtlinie 99/4/EG entsprechen und aus gerösteten Kaffeebohnen gemacht werden. Darüber lässt sich eigentlich nicht sinnvoll streiten.
- Bei der Schokolade geht es aber schon los: Schokolade darf nur Schokolade heißen, wenn sie mindestens 35 % Kakao enthält, davon 18 % Kakaobutter, Zucker, eine Spur Lecithin und … Palmöl oder nicht Palmöl? Wenn es nach dem französischen Geschmack geht, sollte Palmöl drin sein, denn es macht die Schokolade ein wenig weicher und bitterer. Britische Schokoladenesser allerdings mögen ihre chocolate lieber hart und süß, also ohne Palmöl.
Vorbei war es mithin schon in dieser frühen Phase mit dem Plan von den Einheitsprodukten, denn je länger man überlegte, desto mehr fiel auf, dass es viel zu viele Sonderwünsche in den an Zahl immer weiter zunehmenden EU-Ländern geben und ganz nebenher die kulinarische Vielfalt auf der Strecke bleiben würde. Mehr noch: Eine Gegenbewegung begann damit, nationale Spezialitäten zu schützen (siehe Pizza Napoletana).
Die Folgen in der Praxis
Man einigte sich auf einen neuen Konsens: Produkte, die in einem EU-Mitgliedsland verkauft werden dürfen und die der Gesundheit nicht schaden, dürfen in allen EU-Ländern verkauft werden – eine weise Regelung, die recht gut funktioniert. Mehr noch: Die EU-Bürger begrüßen es, dass die italienische Salami anders schmeckt als solche aus Ungarn oder Deutschland. Auch die Tradierung regionaler Käsesorten kann gegenüber einem gesamteuropäischen »Einheitskäse« nur ein Gewinn sein. Auf der anderen Seite schmeckt nämlich Analogkäse einheitlich genug.
Die Frühstücksrichtlinien, eigentlich erste missglückte Versuche einer Vereinheitlichung, überlebten in abgeschwächter Form. Nichts ist eben schwieriger, als eine einmal erlassene Verordnung wieder zu beseitigen. Allerdings müssen sie immer wieder ergänzt, erweitert oder durch Ausführungsbestimmungen erläutert werden, und selbst das bereitet enorme Schwierigkeiten. So reagierten Bürger, Köche und sogar Verbraucherverbände mit wütenden Reaktionen, als die anfangs angefeindete, aber nun gültige Schokoladenrichtlinie geändert werden sollte. Wenn etwas einmal eingeführt ist, weiß man schließlich, was man hat, und verteidigt den Status quo …
Die Mutter aller Bürokratie-Monster:
Die Gurkenverordnung
Damals hieß die EU noch EWG, und die erließ die Verordnung (EWG) Nr. 1677/88 (Gurkenverordnung). Die halbe Welt lachte sich schlapp darüber:
Die maximale Krümmung darf nur zehn Millimeter auf zehn Zentimeter Länge betragen.
Wirklich, das stand zu lesen. Und weiter:
Der Gewichtsunterschied zwischen der schwersten und der leichtesten Gurke in einem Packstück darf nicht größer sein als 100 g, wenn die leichteste Gurke 180 bis 400 g wiegt.
Ist das nicht eine Bestimmung von überirdischer Schönheit?
Machen Sie sich selbst ein Bild. Allerdings werden Sie nach der Lektüre dieses Textes nicht mehr in der Lage sein, eine Salatgurke ohne Assoziationen zur EU-Bürokratie zu verzehren. Hier einige Auszüge – die bürokratischen Filetstücke sozusagen – aus dem Original im Wortlaut. Übrigens: Nicht nur die Passagen bezüglich der Krümmung bieten bei der Lektüre Anlass zur Heiterkeit, auch die übrigen Kriterien wie zum Beispiel Formfehler zeigen die humoristischen Qualitäten der Verfasser auf.
QUALITÄTSNORM FÜR GURKEN
I. BEGRIFFSBESTIMMUNG
Diese Norm gilt für Gurken der aus »Cucumis sativus L.« hervorgegangenen Anbausorten zur Lieferung in frischem Zustand an den Verbraucher. Gurken für die industrielle Verarbeitung und Einlegegurken (Cornichons) fallen nicht darunter.
II. BESTIMMUNGEN BETREFFEND DIE GÜTEEIGENSCHAFTEN
Die Norm bestimmt die Güteeigenschaften, die die Gurken nach Aufbereitung und Verpackung aufweisen müssen.
A. Mindesteigenschaften
In allen Klassen müssen die Gurken vorbehaltlich besonderer Bestimmungen für jede Klasse und der zulässigen Toleranzen sein:
– ganz,
– gesund; ausgeschlossen sind Erzeugnisse mit Fäulnisbefall oder anderen Mängeln, die sie zum Verzehr ungeeignet machen,
– von frischem Aussehen,
– fest,
– sauber, praktisch frei von sichtbaren Fremdstoffen,
– praktisch frei von Schädlingen,
– praktisch frei von Schäden durch Schädlinge,
– nicht bitter (vorbehaltlich der für die Klassen II und III im Abschnitt »Toleranzen« zugelassenen Sonderbestimmungen),
– frei von anomaler äußerer Feuchtigkeit,
– frei von fremdem Geruch und/oder Geschmack.
Die Gurken müssen genügend entwickelt, die Kerne jedoch noch weich sein.
Der Zustand der Gurken muss so sein, dass sie
– Transport und Hantierung aushalten und
– in zufriedenstellendem Zustand am Bestimmungsort ankommen.
B. Klasseneinteilung
Gurken werden in vier nachstehend definierte Klassen eingeteilt:
i) Klasse Extra
Gurken dieser Klasse müssen von höchster Qualität sein und müssen alle sortentypischen Merkmale aufweisen.
Sie müssen:
– gut entwickelt sein,
– gut geformt und praktisch gerade sein (maximale Krümmung: 10 mm auf 10 cm Länge der Gurke),
– eine für die Sorte typische Färbung haben,
– frei von Fehlern sein, einschließlich aller Formfehler, insbesondere solcher, die auf die Samenentwicklung zurückzuführen sind.
ii) Klasse I
Gurken dieser Klasse müssen von guter Qualität sein.
Sie müssen:
– genügend entwickelt sein,
– ziemlich gut geformt und praktisch gerade sein (maximale Krümmung: 10 mm auf 10 cm Länge der Gurke). Sie dürfen folgende Fehler aufweisen:
– einen leichten Formfehler, der jedoch nicht auf die Samenentwicklung zurückzuführen sein darf,
– eine geringe Abweichung in der Färbung, insbesondere eine hellere Färbung des Teils der Gurke, der während des Wachstums mit dem Boden in Berührung war,
– leichte Schalenfehler, die auf Reibung, Hantierung oder niedrige Temperaturen zurückzuführen sind, sofern sie vernarbt sind und die...