Gotthard / Reinhardt | Das Alte Reich 1495 – 1806 | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 188 Seiten

Reihe: Geschichte kompakt

Gotthard / Reinhardt Das Alte Reich 1495 – 1806


5. bibliogr. aktualisierte Auflage 2014
ISBN: 978-3-534-73707-9
Verlag: wbg Academic in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

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Reihe: Geschichte kompakt

ISBN: 978-3-534-73707-9
Verlag: wbg Academic in Herder
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Das Heilige Römische Reich deutscher Nation, im Unterschied zum nationalen Kaiserreich das ›Alte Reich‹ genannt, war ein ungewöhnliches Gebilde. Nach seinem Untergang 1806 meist geringschätzig betrachtet, sind seine Aufgaben und Funktionsweisen oft nur schwer zu verstehen. Anders als der moderne Nationalstaat war es strukturell nicht angriffsfähig, besaß im Grunde keine eigenen Verwaltungsorgane oder Truppen. Seine Ziele waren Ausgleich der Kräfte und Interessen, Stabilität und Friedenswahrung. Axel Gotthard erläutert klar und luzide die geschriebenen wie die ungeschriebenen Regeln, stellt die wichtigsten Organe vor und fasst die zentralen Themen und Grundmuster der Reichsgeschichte zusammen. In einem Durchgang in Fünfzigjahresschritten von 1500 bis 1800 skizziert er die wesentlichen Sujets, Probleme und Veränderungen der Reichsgeschichte.

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  I. Hinführung: Wie funktionierte das Alte Reich?
1. Das Alte Reich, ein Unikat
Als sich Geschichtsbetrachtung zur Wissenschaft ausformte, im 19., dem nationalstaatlichen Jahrhundert, war das Alte Reich nicht wohl gelitten – bestenfalls ein drolliges Ungetüm, dessen wundersam verschnörkelten Aufbau und dessen Erzwingungsschwächen man gallig kommentierte, war es vielen sogar Inbegriff deutscher Schmach und nationaler Ohnmacht. Das Alte Reich hatte jene unseligen Zustände verschuldet, die die kleindeutschborussische Kampffront der Historiographie zu überwinden trachtete. Was man herbeischreiben und seit 1871 endlich, endlich im nationalen Taumel ganz unwissenschaftlich, weil distanzlos bejubeln wollte, war ein nach innen wie außen durchsetzungsfähiger Nationalstaat. Dessen Gefährdungen durch einen entfesselten Nationalismus, seine Übersteigerung im Totalitarismus, schließlich seine Einbindung in neue übernationale und föderale Strukturen: das gehörte nicht zum Erfahrungsschatz der Gründerväter unserer Wissenschaftsdisziplin. Die Maßstäbe ihrer Formationsphase (und mit ihnen die zur weltanschaulichen Grundausstattung des professionellen Historikers gehörende Geringschätzung des Alten Reiches) wirkten indes erstaunlich lange nach, um erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts ihre Verbindlichkeit einzubüßen. E „Altes Reich“
Weil die zeitgenössische Titulatur „Heiliges Römisches Reich deutscher Nation“ so lang ist, hat sich in der Forschung dieses Kürzel durchgesetzt; „alt“ ist das 1806 untergegangene Reich im Kontrast zum 1871 gegründeten Kaiserreich. Ein nach innen wie außen durchsetzungsfähiger Nationalstaat: das nun war das Alte Reich nicht. Es war strukturell nichtangriffsfähig (was heutzutage auch seinen Charme ausmachen mag) – Reichszweck waren nicht Machterweiterung und Expansion, sondern Rechtsschutz und Friedenswahrung. Rechtsschutz: das Reich hatte die Dynamik der Macht gerade einzudämmen, dafür zu sorgen, dass Untertanen vor der Willkür ihres Landesherrn geschützt wurden, kleine Reichsstände vor der Arroganz der großen, die Reichsstände überhaupt vor kaiserlichem Übermut – das Reich belancierte aus, überwachte den Status quo, war insofern tendenziell konservativ. Friedensschutz: der Reichsverband sollte verbürgen, dass in der Mitte des Kontinents Ruhe und Stabilität herrschten, dass Territorien, die auf sich allein gestellt wehrlos waren, nicht schikaniert oder gar annektiert wurden, weil es dem bösen Nachbarn so gefiel; dass das Reich nicht ähnlich geeignet war, seine Glieder gegenüber anderen politischen Systemen, vor einer zunehmend aggressiven europäischen Umgebung zu schützen, war sein größtes Defizit. Das Reich war nach innen viel weniger durchsetzungsfähig als die gleichzeitigen werdenden Nationalstaaten ringsum; was an einem Weniger an Staatlichkeit liegt, das dieses Büchlein noch erklären muss. Wir werden beispielsweise sehen, dass das Reich fast keine eigenen Verwaltungsstäbe besaß, deshalb für die Umsetzung des zentral Beschlossenen auf Personal und guten Willen seiner Gliedterritorien, ihrer Verwaltungen angewiesen war; dass es über kein eigenes einheitliches Heer verfügte; dass keine nennenswerten regelmäßigen Reichssteuern flossen; dass das Reichsoberhaupt nicht den Glauben der Bewohner des Reichsgebiets bestimmen konnte (für die Frühe Neuzeit ein wichtiges Attribut der Staatlichkeit). Das Reich hatte keine eigentliche Hauptstadt, dafür mehrere politisch und viele kulturell wichtige Zentren; es barg so große Vielfalt, bot so viele Freiräume, dass es den europäischen Zeitgenossen als guter Raum zum Leben galt. Das Alte Reich war in seiner Zeit wohlgelitten, der gute Ruf wurde erst nach seinem Untergang ruiniert, durch üble Nachrede des nationalstaatlichen 19. Jahrhunderts. Drei Ebenen Der Reichsverband war ein ausgeprägt dezentrales, föderatives Gebilde. Vormoderne deutsche Geschichte spielt sich nicht im dualistischen Miteinander Obrigkeit – homogener Untertanenverband, Regierung – Volk ab (was als ‘normal’ anzusehen uns die nationalstaatliche Epoche vererbt hat), spielt vielmehr auf drei Ebenen. Das Reich war ein Dachverband über Territorien, die indes nicht unmittelbar vom Reichsganzen, sondern von ihrer je eigenen Obrigkeit regiert wurden. Um von unten nach oben zu schauen: Der einzelne Einwohner (Ebene 3) eines Reichsterritoriums hatte den Gesetzen und Anordnungen seiner Territorialobrigkeit (Ebene 2), eines Fürsten oder eines reichsstädtischen Magistrats Folge zu leisten; diese wiederum waren den Spielregeln des Reichsverbandes unterworfen, anerkannten den Kaiser als (jedenfalls ideelles) Oberhaupt, waren den Gerichtsurteilen des Reiches unterworfen und im Prinzip auch den Beschlüssen des Reichstags. Direkter Kontakt zwischen Ebene 1 (Kaiser, Reichsorgane) und Ebene 3 (der einzelne Bewohner Mitteleuropas) kam nur selten zustande, war aber grundsätzlich möglich, beispielsweise, wenn Bauer X oder Handwerksmeister Y (Ebene 3) ihre Territorialobrigkeit (Ebene 2) vor einem Reichsgericht (Ebene 1) verklagten. Dass dieses Büchlein in den verschnörkelten Reichsbau drei Ebenen einzieht, mag den Kenner als Simplifizierung ärgern. Tatsächlich waren nicht nur jene Hochadeligen, die als Reichsstände Reichspolitik betrieben und als Landesherren Territorien regierten, sehr unterschiedlich privilegiert und mächtig, auch die altständische Gesellschaft innerhalb jedes einzelnen Territoriums war mannigfach in sich gestuft. Das ging so weit, dass im Alltag vieler kleiner Leute weniger die Landesregierung denn der Guts- oder Grundherr als verhaltensbestimmende „Obrigkeit“ erfahren wurde; dass nicht nur Kaiser und Reich weit weg waren, sondern genauso die Territorialobrigkeit, unter den damaligen Kommunikationsbedingungen auch geographisch, aber nicht minder im übertragenen Wortsinn. Andererseits waren die territorialen Eliten mancherorts, über Landtage, an der Innenpolitik des Territoriums beteiligt, so, wie eine Ebene darüber jeder Reichsstand als Reichstagsteilnehmer an der Reichspolitik mitwirken konnte. Noch einmal ganz schematisch formuliert: Die Territorialobrigkeiten (Ebene 2) waren in ihrer Eigenschaft als Reichstagsteilnehmer aktiv an der Gestaltung der Reichspolitik beteiligt; ein kleiner Teil der von der Territorialobrigkeit Regierten (Ebene 3) war, über den Landtag (in Reichsstädten: den Stadtrat), aktiv an der Gestaltung der Landespolitik beteiligt. Je genauer man hinschaut, desto mehr Ergänzungen verlangt das skizzierte Drei-Ebenen-Modell, freilich verliert es dann auch gleich wieder seine Griffigkeit. Es vermag nicht sehr weit zu tragen, kann aber eine erste Annäherung erleichtern. Das Reich überwölbt als Dachverband viele Territorien, Reichspolitik umrahmt viele Landespolitiken – ist Reichsgeschichte dann die Summe aller Landesgeschichten? Was ist das Anliegen einer Geschichte des Alten Reiches? Ebene 1 natürlich, aber nicht nur – auch, inwiefern Ebene 1 auf die beiden anderen Ebenen einwirkte, hat sie zu analysieren. Kaiser und Reichsorgane sind ihr Thema. Und die Reichsfürsten? Auf welcher Ebene wir ihr Tun ansiedeln müssen, hängt davon ab, in welcher ihrer Rollen sie agierten. Wenn sie als Reichsglieder handelten, sich beispielsweise zum Reichstag versammelten, trieben sie Reichspolitik – wie Kaiser und Reichsstände im spannungsvollen Miteinander Reichspolitik zu machen pflegten, das zu untersuchen ist vornehme Pflicht einer Geschichte des Alten Reiches. Wie dieselben Reichsfürsten ihre Rolle als Landesherren ausfüllten, interessiert sie nur von den reichsrechtlich vorgegebenen Rahmenbedingungen her. Was der einzelne Landesherr daraus machte, das darzulegen gehört nicht in eine Reichs-, gehört in eine der vielen Landesgeschichten. Die Reichsgrenzen Der dreistufige Aufbau des Reichsverbandes konsterniert heutige Studenten nicht mehr; die im Werden begriffene Europäische Gemeinschaft ist in der Grundanlage vergleichbar (natürlich kommt sie, tempora mutantur, ohne Kaiser aus …). Dass die Grenzen des Reiches nicht zuverlässig anzugeben sind: mit dieser Zumutung hingegen wagen den Lernenden viele Handbücher erst gar nicht zu behelligen. Es ist deshalb nicht weniger wahr. Auch von dieser Seite her zeigt sich, dass der Dachverband Reich auf dem Weg vom mittelalterlichen Personenverbands- zum modernen institutionalisierten Flächenstaat nicht so weit vorangeschritten war wie die werdenden Nationalstaaten ringsum. Eine wichtige Etappe auf dem Weg zum durchbürokratisierten Anstaltsstaat war die Herausbildung linear darstellbarer Außengrenzen anstelle von breiten Grenzsäumen mit Überlappungen und Bereichen verdünnter Herrschaftspräsenz – durch Grenzbereinigungen gewissermaßen, erst sie schufen ein präzise zu umreißendes „Staatsgebiet“; auch wenn letzte Unklarheiten erst im 18., gar 19. Jahrhundert ausgeräumt worden sind, kann man doch den europäischen Staaten wie auch den Reichsterritorien des 16. Jahrhunderts im Prinzip lineare Umgrenzungen bescheinigen. Das Reich hingegen hatte die ganze Neuzeit hindurch neben Kerngebieten Zonen mit verdünnter Reichspräsenz und auch Randbereiche,...


Reinhardt, Volker
Volker Reinhard ist seit 1992 Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Universität Freiburg. Seine Expertise der italienischen Renaissance durchdringt seine Publikationen: von »Leonardo da Vinci. Das Auge der Welt« (2019) bis zu »Blutiger Karneval. Der Sacco di Roma 1527« (2. Aufl. 2009). Für seine Machiavelli-Biografie erhielt er den »Golo-Mann-Preis für Geschichtsschreibung«.

Volker Reinhard ist seit 1992 Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Universität Freiburg. Seine Expertise der italienischen Renaissance durchdringt seine Publikationen: von »Leonardo da Vinci. Das Auge der Welt« (2019) bis zu »Blutiger Karneval. Der Sacco di Roma 1527« (2. Aufl. 2009). Für seine Machiavelli-Biografie erhielt er den »Golo-Mann-Preis für Geschichtsschreibung«.



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