E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Grän / Mezei Glück im Weinland
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7472-0651-5
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-7472-0651-5
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Christine Grän wurde in Graz geboren, wo sie nach vielen Stationen in aller Welt heute auch wieder lebt. Die gelernte Journalistin wurde durch ihre Anna-Marx-Krimis bekannt. Bei ars vivendi erschien neben den Martin-Glück-Krimis u. a. ihr Kurzgeschichtenband Amerikaner schießen nicht auf Golfer.
Autoren/Hrsg.
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1
Hinter ihm: der Küniglberg und Jahre der Freiheit.
Vor ihm: Rosie und hundertzwanzig Hochzeitsgäste im Schloss Belvedere.
Martin Glück fährt im Schleichtempo durch Hietzing, was ihm nichts nützen wird, er weiß es, und auch das: Vielleicht liebt er Rosie, aber heiraten will er sie auf keinen Fall. Nicht Prinzgemahl einer Frau werden, die mehr Geld geerbt hat, als ihr guttut. Schon dieser Anzug, den sie ihm gekauft hat und der ein kleines Vermögen kostete. Er schimmert nachtblau, ist tailliert geschnitten, und ihm ist wurscht, ob das jetzt Männermode ist, er fühlt sich beengt und verkleidet. In vielerlei Hinsicht! Und Rosie, die es immer nur gut meint, versteht überhaupt nicht, warum es ihn so stört, wie sie ihn mit ihrem Geld zuschüttet …
Gedanken, die sich im Kreis drehen, und nichts kann er tun, als weiterzufahren zum Ort des Schreckens. Wenn Martin wütend ist, dann nicht auf Rosie, sondern auf sich selbst. Weil er all das zugelassen hat: die Heirat, den Anzug, das maßlos aufgeblähte Fest, die Hochzeitsreise in die Antarktis …
Den Hund, der vor dem Schloss Schönbrunn auf die Straße läuft, direkt vor sein Auto, sieht Martin erst in letzter Minute. Er tritt auf die Bremse und lenkt den Wagen nach rechts, auf ein Verkehrsschild zu, das er mit dem rechten Kotflügel streift, bis er zum Stehen kommt. Hinter ihm hupt ein Idiot, der beinah aufgefahren wäre. Martin steigt aus dem Auto und zeigt dem Fahrer den Vogel, als der schimpfend vorbeifährt, ihm und dem Hund ausweichend, 8der jaulend neben dem Auto liegt. Noch ganz, wie Martin erleichtert feststellt, doch aus seiner Pfote spritzt in hohem Bogen Blut. Eine Frau läuft über die Straße und schreit »Bedo«. Schrille Stimme, sie bleibt schwer atmend vor Martin stehen. »Oh mein Gott! Er hat ein Eichhörnchen gesehen oder eine Katze und hat sich losgerissen und ist über die Straße … Eine Sekunde hab ich nicht aufgepasst. Ist Ihnen was passiert?«
»Mir nicht, aber Ihrem Hund. Gestatten Sie …« Martin reißt ihr den Schal vom Hals und kniet neben Bedo nieder, einem Berner Sennenhund, ausgewachsen. Seine Pfote sieht schlimm aus, bei der Kollision muss eine Arterie verletzt oder durchtrennt worden sein, sonst würde er nicht so heftig bluten. Martin streichelt ihn kurz. »Ganz ruhig, Bedo, ich muss dich nur schnell verbinden, dann bringen wir dich in die Tierklinik.«
Der Hund scheint zu verstehen. Er legt den Kopf zur Seite und lässt Martin gewähren. Der mit dem Schal einen Druckverband anlegt, wie er es beim Erste-Hilfe-Kurs der Polizei gelernt hat. Hinter ihm steht wehklagend die Besitzerin, sie nervt ihn, deshalb sagt er in seinem strengen Vernehmungston: »Kein Grund zur Panik, es hätte viel schlimmer kommen können. Bedo muss wahrscheinlich operiert werden, um die Blutung ganz zu stoppen. Die nächste Tierklinik ist in Meidling. Da fahren wir jetzt hin. Helfen Sie mir, ihn auf die Rückbank zu legen.«
Sie ist keine große Hilfe, aber sie schaffen es schließlich, vierzig Kilo Hund ins Auto zu heben, und Bedo jault auf, als er mit der verletzten Pfote am Vordersitz anstößt. Sie öffnet die Beifahrertür und lässt sich auf den Sitz fallen. »Mein Gott, Ihr schöner Anzug ist ja voller Blut. Und das Hemd auch …«
9Martin startet den Wagen. »Kollateralschaden. Schnallen Sie sich an und behalten Sie Bedo im Auge. Er soll sich möglichst wenig bewegen, bis wir da sind.«
Es ist nicht weit bis zur Tierklinik, und Martin fährt noch langsamer als vorher, die Huper hinter ihm ignorierend. Sieht an sich herunter, Blut überall, und denkt: So kann ich wohl kaum zu meiner Hochzeit erscheinen. Rosie würde in Ohnmacht fallen. Oder einen Tobsuchtsanfall kriegen. Er schaut seine Beifahrerin an, sie hat kaum Blut abbekommen, ihr blauer Hosenanzug sieht fast unversehrt aus. »Ich bin übrigens Martin Glück. Bedo kenn ich ja schon. Und Sie?«
»Ich bin Katharina Fuchs, Kathi. Aus Glanz. Südsteiermark. Wird er es überleben? Er hat so viel Blut verloren …«
»Ich glaub schon.« Martin fährt den Wagen bis vor die Tür, steigt aus und holt einen Helfer mit fahrbarer Trage. Bedo bleibt ganz ruhig, als sie ihn aus dem Auto auf die Trage hieven. Martin parkt das Auto, erst dann greift er nach seinem Handy und wählt Rosies Nummer. »Hier ist Martin, du, ich …«
Weiter kommt er nicht. »Wo zum Teufel bist du?!? Alle sind hier, nur der Bräutigam nicht! Deine einzige Entschuldigung wäre jetzt ein Verkehrsunfall, und du auf dem Weg in die Intensivstation!«
»Tatsächlich gab es …«
Sie unterbricht ihn mit der schrillsten Version ihrer Stimme: »Ist mir egal. Wenn du in fünfzehn Minuten nicht hier aufkreuzt, blase ich die Hochzeit ab – und du wirst es bereuen.«
»Lass mich doch …«
Sie beendet das Gespräch. Martin versucht es erneut, doch sie geht nicht mehr ran. Er blickt auf die Uhr. Natürlich 10könnte er nach Hause und sich umziehen. Der sündteure Anzug ist hinüber, das Hemd vermutlich auch. Aber in einer Viertelstunde wäre das sowieso nicht zu schaffen, und er möchte schließlich wissen, wie es Bedo geht. Die klaffende Wunde hat im Auto weitergeblutet, ohne den Druckverband hätte Bedo wohl wirklich zu viel Blut verloren. Und seine Besitzerin war mit der Situation ganz offensichtlich überfordert.
Kathi Fuchs sitzt im Wartezimmer. Sie legt ihr Handy weg, als sie Martin sieht. »Sie haben Bedo für die OP fertig gemacht. Die Verletzung wäre an sich lebensgefährlich, ein Blutgefäß wurde durchtrennt. Aber Ihr Druckverband hat ihn gerettet, sagt die Tierärztin. Ein Glück, dass Bedo ausgerechnet in Ihr Auto gelaufen ist.«
Martin Glück dämmert, dass das Schicksal für ihn entschieden hat. Er kann unmöglich in einer Viertelstunde umgezogen zu seiner Hochzeit erscheinen. Oder so, wie er ist. Schmutzig, voller Blut. Rosie würde es nicht verstehen, so oder so. Also setzt er sich hin und schreibt ihr eine SMS. Ich hatte einen Verkehrsunfall mit einem Hund und musste ihn in die Tierklinik bringen. Bitte verzeih mir.
Kathi Fuchs reicht ihm ein Erfrischungstuch aus ihrer Handtasche, er wischt sich die blutigen Hände notdürftig ab. Geht danach zur Toilette und wäscht sich. Er sieht aus wie nach einem Schlachtfest. Martin löst den Knoten der Tausend-Euro-Seidenkrawatte von irgendeinem englischen Hoflieferanten, den man laut Rosie einfach kennen muss, und wirft sie in den Mülleimer. Zieht eine Grimasse im Spiegel. Sein Handy piepst. Rosie: Das ist die blödeste 11Ausrede, die ich je gehört habe. Ich schicke die Gäste jetzt nach Hause. Ich verzeihe dir nicht, Martin. niemals.
»Ich bezahle natürlich alles. Den Schaden am Auto, die Reinigung und den Anzug«, sagt Kathi Fuchs, als er zurückkommt.
Martin bewegt sich zwischen den Parametern von Euphorie und Verzweiflung. »Das mit dem Auto ist nicht so schlimm. Der Anzug kann weg, den brauche ich nicht mehr. Und Bedo? Hat er eine Krankenversicherung?«
Sie denkt kurz nach und nickt dann. »Ja, wenn ich mich recht erinnere. Ich bin so aufgeregt. Und allmählich lässt das Gedächtnis nach, finden Sie nicht?«
Martin nickt, obwohl er das für sich nicht behaupten würde. Sie könnten ungefähr im gleichen Alter sein, vielleicht ist sie ein paar Jahre älter als er. Im nächsten Jahr wird er fünfzig – sofern Rosie ihn nicht vorher umbringt.
Kathi Fuchs schreibt ihre Adresse und Telefonnummer auf einen Zettel. »Schicken Sie die Rechnungen, und ich bezahle.«
Martin steckt ihn in die Anzugtasche. »Ich fürchte, ich kann Ihnen keine Adresse geben. Im Schrebergartenhaus wohne ich offiziell nicht mehr, das gehört einem Freund, der wieder einziehen will, ich hab nur noch ein paar Sachen dort. Und aus der Villa meiner Verlobten werde ich mit Sicherheit rausgeworfen. Wir wollten nämlich heute heiraten. Und morgen in die Flitterwochen in die Antarktis fliegen.«
Er sieht auf seine Armbanduhr, ein Geschenk von Rosie, das ihm viel zu wertvoll ist. Er sollte sie ihr zurückgeben. »Vor ein paar Minuten wäre die Trauung gewesen. Bedo ist 12dazwischengekommen.« Er versucht ein Lächeln, das missglückt, und sie legt ihre Hand auf seinen Arm. Kathi Fuchs hat schöne braune Augen, passend zur Haarfarbe. Und sie trägt einen Pferdeschwanz, was für eine Frau ihres Alters ziemlich ungewöhnlich ist. Weiß der Teufel, warum er ihr jetzt von Rosie erzählt? Von Anfang an: über die wilden Jahre mit der leidenschaftlichen Anarchistin. Die Polizeiautos abfackelte und danach aus Wien verschwinden musste, worüber er damals beinah erleichtert war. Jahrzehnte vergingen, und dann traf er sie ausgerechnet in Kitz wieder. Nur war Rosie jetzt eine Oligarchenwitwe mit Villen in Kitzbühel, Wien, Petersburg, London und Rom. Eine gemeinsame Nacht, dann tauchte sie plötzlich in Wien auf, und bald darauf setzte sich Rosie in den Kopf, ihre Jugendliebe zu heiraten. »Eine protzige Veranstaltung, die ich von Anfang an nicht...