E-Book, Deutsch, 448 Seiten
Grant Geben und Nehmen
24001. Auflage 2024
ISBN: 978-3-492-60809-1
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Warum Egoisten nicht immer gewinnen und hilfsbereite Menschen weiterkommen
E-Book, Deutsch, 448 Seiten
ISBN: 978-3-492-60809-1
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Adam Grant ist Professor für Organisationspsychologie an der renommierten Wharton Business School. Seine Forschungsbeiträge im Bereich Motivation und Produktivität wurden vielfach ausgezeichnet. Er ist Autor mehrerer internationaler Bestseller, die Millionenauflagen erreichten und in 35 Sprachen übersetzt wurden.
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Vor mehreren Jahrzehnten lebte ein Mann, der aus armen Verhältnissen kam, den amerikanischen Traum. Er wuchs in Bauerndörfern in Missouri auf, in deren Häusern es keine Innentoiletten gab. Um seine Familie zu unterstützen, arbeitete er lange Stunden auf Farmen und als Zeitungsausträger. Er absolvierte das College an der University of Missouri, wo er als Mitglied von Phi Beta Kappa graduierte; er machte seinen Master und anschließend seinen Doktor in Wirtschaftswissenschaften. Er strebte eine Karriere im öffentlichen Dienst an, ging zunächst zur Navy und übernahm dann mehrere wichtige Posten in der amerikanischen Regierung. Man verlieh ihm die Navy Commendation Medal und die National Defense Service Medal. Danach baute er sein eigenes Unternehmen auf, in dem er fünfzehn Jahre lang als Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzender fungierte. Zum Zeitpunkt seines Rücktritts war das Unternehmen 110 Milliarden Dollar wert und hatte über 20 000 Mitarbeiter in vierzig Ländern in aller Welt. Fünf Jahre hintereinander ernannte seine Firma zu »Amerikas innovativstem Unternehmen« und zu einer der fünfundzwanzig besten Arbeitsstätten im Land. Als Antwort auf die Frage nach seinem Erfolg würdigte er die Bedeutung von »Respekt … der goldenen Regel … absoluter Integrität … Jeder weiß, dass ich persönlich einen sehr strengen persönlichen Verhaltenskodex habe, nach dem ich lebe.« Er gründete eine wohltätige Familienstiftung, spendete mehr als 2,5 Millionen Dollar an über 250 Organisationen und gab ein Prozent der Jahresgewinne seines Unternehmens für wohltätige Zwecke. Sein Geber-Verhalten erregte die Aufmerksamkeit des ehemaligen Präsidenten George W. Bush, der ihn als »guten Mann« und »großzügigen Menschen« lobte.
Dann wurde er angeklagt.
Sein Name war Kenneth Lay, und man kennt ihn vor allem als einen der größten Schurken im Enron-Skandal.[26] Enron war ein Energiekonzern mit Sitz in Houston. Im Oktober 2001 sank Enrons Eigenkapital um 1,2 Milliarden Dollar, nachdem der Konzern für das dritte Quartal einen Verlust von 618 Millionen Dollar gemeldet hatte – die größte Gewinnanpassung der amerikanischen Geschichte. Im Dezember ging Enron bankrott. Zwanzigtausend Mitarbeiter verloren ihren Job; viele mussten miterleben, wie sich ihre Ersparnisse und Pensionsansprüche praktisch in Luft auflösten. Die Ermittler stellten fest, dass Enron die Investoren durch unzutreffende Gewinnmeldungen und das Verheimlichen von Schulden in Höhe von über einer Milliarde Dollar getäuscht, die Energie- und Strommärkte in Kalifornien und Texas manipuliert und internationale Verträge durch die illegale Bestechung ausländischer Regierungen an Land gezogen hatte. Lay wurde in sechs Punkten der Verschwörung und des Betrugs für schuldig befunden.
Man kann darüber streiten, wie viel Lay wirklich von Enrons illegalen Aktivitäten wusste, aber es lässt sich schwer leugnen, dass er ein Nehmer war. Obwohl er für viele Beobachter wie ein Geber gewirkt haben mag, war er ein Täuscher: ein verkappter Nehmer. Lay fühlte sich berechtigt, sich an Enron persönlich zu bereichern. Wie Bethany McLean und Peter Elkind in schildern, nahm Lay exorbitant hohe Kredite bei dem Unternehmen auf und ließ sich von seinem Personal Sandwiches auf dem Silbertablett und auf feinem Porzellan servieren. Eine Sekretärin versuchte einmal, einem Manager ein Enron-Flugzeug für geschäftliche Zwecke zu reservieren, musste jedoch erfahren, dass Lays Familie zu diesem Zeitpunkt drei Enron-Maschinen für Privatreisen benutzte. Von 1997 bis 1998 zahlte Enron Provisionen in Höhe von 4,5 Millionen Dollar an ein Reisebüro, das Lays Schwester gehörte. Lay selbst wurde beschuldigt, unmittelbar vor Enrons Bankrott Aktien für mehr als 70 Millionen Dollar verkauft, also den Schatz vom sinkenden Schiff geborgen zu haben. Dieses Verhalten kündigte sich bereits in den 1970er Jahren an, als Lay bei Exxon arbeitete. Ein Vorgesetzter schrieb ihm ein Zeugnis, in dem er ihn wärmstens empfahl, jedoch warnte, er sei »vielleicht zu ehrgeizig«. Beobachter glauben heute, dass Lay schon 1987 die Aktivitäten zweier Händler bei Enron Oil billigte und zu verschleiern half, die Scheinfirmen gründeten, 3,8 Millionen Dollar stahlen und Enron zugleich massive Handelsverluste ersparten. Als die Verluste entdeckt wurden, musste Enron Oil Einbußen in Höhe von 85 Millionen Dollar melden, aber Lay bestritt, davon zu wissen und dafür verantwortlich zu sein: »Wenn jemand sagen kann, dass ich es wusste, soll er aufstehen.« McLean und Elkind zufolge wollte sich ein Händler erheben, wurde jedoch von zwei Kollegen unter Einsatz körperlicher Gewalt daran gehindert.
Wie konnte ein Nehmer so erfolgreich werden? Er kannte jemanden. Tatsächlich kannte er eine ganze Menge Leute. Ken Lay profitierte zwar enorm davon, dass er die finanziellen Mittel seines Unternehmens für sich selbst beanspruchte, aber sein Erfolg beim Aufbau dieses Unternehmens beruhte großenteils auf etwas ganz Altmodischem: Er baute ein Netzwerk einflussreicher Kontakte auf und setzte sie zu seinem eigenen Vorteil ein.[27] Lay war von Anfang an ein hervorragender Netzwerker. Auf dem College beeindruckte er einen Wirtschaftsprofessor namens Pinkney Walker und begann seinen Aufstieg auf den Schultern von Walkers Verbindungen. Walker verhalf Lay zu einer Stelle als Ökonom im Pentagon und dann zu einer Position als leitender Mitarbeiter im Weißen Haus zur Zeit der Nixon-Regierung.
Mitte der 1980er Jahre übernahm Lay den Chefposten bei Enron, nachdem er im Gefolge einer Fusion den Umzug des Unternehmens nach Houston organisiert hatte. Während er seine Macht festigte, begann er mit politischen Strippenziehern zu verkehren, die Enrons Interessen förderlich sein konnten. Er setzte Pinkney Walkers Bruder Charles in Enrons Aufsichtsrat und baute eine Beziehung zu George H. W. Bush auf, der gerade für die Präsidentschaft kandidierte. 1990 führte er in Bushs Auftrag den Mitvorsitz beim Weltwirtschaftgipfel in Houston, legte eine blendende Vorstellung hin und bezauberte die Versammelten, darunter die britische Premierministerin Margaret Thatcher, den deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl und den französischen Präsidenten François Mitterrand. Nachdem Bush seine Kandidatur um eine zweite Amtszeit gegen Bill Clinton verloren hatte, nahm Lay sofort Kontakt zu einem Freund auf, der ein wichtiger Mitarbeiter des gewählten Präsidenten war und zusammen mit diesem den Kindergarten besucht hatte. Es dauerte nicht lange, dann spielte Lay Golf mit dem neuen Präsidenten. Mehrere Jahre später, als George W. Bush an die Macht kam, nutzte Lay seine Verbindungen, um sich für die Deregulierung des Energiesektors einzusetzen und seinen Unterstützern wichtige Regierungsämter in Texas und im Weißen Haus zu verschaffen, damit sie die Politik zu Enrons Gunsten beeinflussten. In nahezu jeder Phase seiner Karriere war Lay imstande, die Zukunftsaussichten seines Unternehmens – oder seine eigenen – mit Hilfe gut plazierter Kontaktpersonen seines Netzwerks deutlich zu verbessern.
Seit Jahrhunderten wissen wir um die Bedeutung des Networkings. Laut Brian Uzzi, Managementprofessor an der Northwestern University, bieten Netzwerke drei wesentliche Vorteile: private Informationen, unterschiedliche Fähigkeiten und Macht. Indem man ein starkes Netzwerk knüpft, kann man sich unschätzbar wertvollen Zugang zu Wissen, Sachverstand und Einflussmöglichkeiten verschaffen. Umfangreiche Untersuchungen zeigen, dass Personen mit großen Netzwerken bessere Leistungsbeurteilungen bekommen, schneller befördert werden und mehr Geld verdienen. Und weil Netzwerke auf Interaktionen und Beziehungen beruhen, dienen sie als mächtiges Prisma für das Verständnis der Auswirkungen von Reziprozitätsformen auf den Erfolg. Wie sind die Beziehungen innerhalb der Netzwerke beschaffen, und was wird als Zweck des Networkings betrachtet?
Einerseits ist allein schon die Idee des Networkings oftmals negativ konnotiert. Wenn wir jemanden kennenlernen, der den neuen Kontakt freudig zu begrüßen scheint, fragen wir uns häufig, ob er sich so freundlich verhält, weil er ehrlich an einer für beide Seiten nützlichen Beziehung interessiert ist oder weil er etwas von uns will. Irgendwann in Ihrem Leben haben Sie wahrscheinlich schon einmal erlebt, wie frustrierend der Umgang mit aalglatten Schleimern ist, die Ihnen wegen einer Gefälligkeit um den Bart gehen, Ihnen jedoch den Dolch in den Rücken stoßen – oder...




