Grauer Schorle für dich
1., Auflage 2014
ISBN: 978-3-8425-1624-3
Verlag: Silberburg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-8425-1624-3
Verlag: Silberburg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autorenporträt Sandra Grauer wurde 1983 in Mülheim an der Ruhr geboren. In Heidelberg studierte sie Sprach- und Übersetzungswissenschaften mit den Sprachrichtungen Spanisch und Englisch sowie Jura als Nebenfach. Zudem absolvierte sie ein fachjournalistisches Fernstudium an der Freien Journalistenschule in Berlin und ein Volontariat in einer PR-Agentur in Karlsruhe. Heute arbeitet sie als freie Journalistin und Autorin. Sandra Grauer lebt mit ihrem Mann im oberschwäbischen Herbertingen.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
»Wo soll’s denn hingehen?«
Der Mann hinter dem Verkaufsschalter musterte mich über seine randlose Brille hinweg. Egal, Hauptsache weg, hätte ich fast gesagt. »Also, ich hatte da diese Tante, Tante Erna«, begann ich, und der Mann hinterm Schalter verdrehte die Augen. Ich ließ mich dadurch nicht beirren und redete einfach weiter. »Die wohnte irgendwo in Schwaben, wenn ich mich richtig erinnere. Und dahin möchte ich.«
»Und genauer können Sie’s nicht sagen? Schwaben ist ziemlich groß.«
»Leider nicht, ich war noch sehr klein, als wir meine Tante damals besucht haben.«
»Tut mir leid, aber so kann ich Ihnen leider keine Fahrkarte verkaufen.«
Der Mann wollte schon den Nächsten in der Schlange zu sich heranwinken, doch so leicht gab ich nicht auf. Ich musste hier weg und zwar so schnell wie möglich. »Hören Sie, es ist mir egal, wohin es geht. Ich will nur weg von hier.«
Einen Moment sah mich der Mann neugierig an. Sein Blick wurde weicher. »Lassen Sie mich mal kurz überlegen. Erst neulich hab ich mit Bekannten gesprochen, die dort irgendwo Urlaub gemacht haben. Anscheinend gibt es da ein ganz tolles Keltenmuseum. Die beiden sind Archäologen, wissen Sie. Hat ihnen aber generell sehr gut gefallen, da unten. So viel Landschaft und Natur.«
»Das klingt doch gut«, meinte ich und ignorierte die Schlange hinter mir, die immer länger wurde. »Bei meiner Tante damals war es auch sehr ländlich.« Während der Mann überlegte, sah ich mir sein Namensschild etwas genauer an. Das war so eine Angewohnheit von mir. Manfred Baumeister war sein Name.
Manfred blickte immer noch an mir vorbei. Er schien die Menschenschlange ebenfalls zu ignorieren. Dann sah er mich auf einmal triumphierend an und lächelte. Dabei entblößte er ein paar gelbe Zähne. Die Leidenschaft für Kaffee hatten wir wohl gemeinsam. »Jetzt hab ich’s. Herbertingen war’s. Hab mir den Namen doch damals nur deshalb merken können, weil mein alter Onkel Herbert hieß.«
Ich lächelte zurück. Na bitte, so schwer war das doch gar nicht. »Hervorragend. Dann bitte eine Fahrkarte nach Herbertingen für mich und meinen Mops.«
»Die Fahrkarte soll ab sofort sein?«, fragte Manfred, der mir immer sympathischer wurde. Ich nickte. »Warten Sie mal. In zehn Minuten fährt ein ICE Richtung Süden. Oder ist Ihnen das zu schnell?«
»Je schneller, desto besser.«
Er warf mir einen mitleidigen Blick zu. »Dann lassen wir die Rückfahrt wohl offen?« Wieder nickte ich. »Haben Sie eine BahnCard?«
Ich schüttelte den Kopf. Keine BahnCard, keine Payback-Karte, ich besaß nichts dergleichen. Hinter mir räusperte sich jemand, aber ich drehte mich nicht um. Zwei Minuten später hatte ich mich von Manfred verabschiedet und hielt die Fahrkarte in mein neues Leben in den Händen.
»Aus dem Weg«, brüllte ich dem turtelnden Liebespaar vor mir zu, das einfach nicht in die Pötte kam und den Weg versperrte. Das konnte ich jetzt gar nicht gebrauchen, und mit meinem Anhang war es mir auch unmöglich, an ihnen vorbeizuziehen. Ich hatte zwei Koffer dabei, die ich mangels freier Hände aneinandergebunden hatte. Mit der linken Hand musste ich nämlich die Leine von Mayo festhalten, meinem Mops. Außerdem trug ich in der Hand noch den Transportkäfig, in dem meine beiden Meerschweinchen, Amalie und Abigail, saßen. Den großen Käfig hatte ich leider zurücklassen müssen. Ich konnte also nur hoffen, dass ich in Herbertingen noch ein geöffnetes Zoogeschäft auftreiben würde.
Jedenfalls hatte das mit den beiden Koffern nicht ganz so gut funktioniert, wie ich mir das gedacht hatte. Der erste Koffer ließ sich zwar auf seinen Rollen super ziehen, aber der zweite Koffer dahinter war binnen kürzester Zeit umgekippt und rumpelte nun hinter mir her. Ich hatte weder Zeit noch Lust, den Koffer wieder richtig zu platzieren. Außerdem würde es ja eh nicht halten.
Irgendwie schaffte ich es mit meinem Gepäck in den Aufzug und zum Bahnsteig. Der ICE stand bereits dort, und der Bahnsteig war ziemlich leer. Ich warf einen Blick auf die Bahnhofsuhr und stellte fest, dass mir noch genau drei Minuten zum Einsteigen blieben. Suchend sah ich mich um und fand einen uniformierten Bahnmenschen. »Können Sie mir mal helfen?«, fragte ich und deutete auf mein Gepäck.
»Sie planen wohl eine längere Reise, was?«
»Kann man so sagen.« Ich erhaschte einen Blick auf sein Namensschildchen. David Meißner hieß er. Kam mir nicht bekannt vor, leider. Er sah nämlich ziemlich gut aus.
»Wo sitzen Sie denn?«, wollte David wissen.
Ich stellte den Käfig auf den Boden, wobei mir natürlich die Handtasche von der Schulter rutschte. Wenigstens saß der Rucksack fest und verschob sich nicht bei jeder Bewegung. Mayo jaulte laut auf, weil er die Handtasche auf den Kopf bekam. »Tut mir leid, mein Kleiner«, murmelte ich und schob die Handtasche zurück an ihren Platz. Dann holte ich die Fahrkarte aus meiner Hosentasche und nannte David meinen Sitzplatz.
Der sah auf seine Armbanduhr. »Dann mal los, es ist höchste Eisenbahn.«
Wie witzig, ich wusste gar nicht, dass die Leute von der Bahn Humor hatten. Aber wahrscheinlich brauchte man den, um bei dem Verein nicht verrückt zu werden. Ich bückte mich nach dem Käfig, wobei mir die Tasche erneut von der Schulter rutschte. David verkniff sich ein Grinsen, als ich ihm im Eilschritt zum richtigen Wagen folgte. Die Tür gab bereits piepsende Geräusche von sich, als er meine beiden Koffer in den Zug wuchtete. Ich hatte noch genügend Zeit, einen kurzen Blick auf seinen wohlgeformten Po zu werfen, bevor ich mir Mayo unter den rechten Arm klemmte und hinterherkletterte.
»Vielen Dank, das war sehr freundlich von Ihnen.«
»Nichts für ungut.« David tippte sich an seine Mütze und sprang noch rechtzeitig aus dem Zug, bevor sich die Tür hinter ihm schloss.
Ich blickte verzweifelt auf die beiden Koffer, als sich der Zug mit einem Ruck in Bewegung setzte. Mit den beiden Ungetümen würde ich es nie durch die engen Gänge zu meinem Platz schaffen. Also ließ ich sie erst mal stehen und bahnte mir so einen Weg durch das Abteil. Natürlich war mein Sitzplatz fast am anderen Ende. Die Leute beäugten mich neugierig, aber mit einem Hund und zwei Meerschweinchen war das wohl zu erwarten.
»Ach Gott, wie süß«, rief eine ältere Frau, als sie einen Blick auf Amalie und Abigail ergatterte.
Ich nickte ihr freundlich zu und war froh, als ich meinen Sitzplatz endlich erreicht hatte. Auf dem Sitz am Gang saß bereits ein älterer Mann. Er las in einer Zeitung und störte sich überhaupt nicht an meiner Anwesenheit. Hinter mir fingen einige andere Fahrgäste bereits an, zu drängeln. »Entschuldigung, ich müsste auf den Platz neben Ihnen«, sagte ich zu dem Mann.
Er warf mir einen Blick zu, faltete die Zeitung in aller Seelenruhe zusammen und verstaute sie dann in dem Gepäcknetz des Vordersitzes, bevor er aufstand.
Ich brauchte eine Weile, ehe ich Rucksack und Handtasche auf der oberen Ablage verstaut und mich mit den Vierbeinern auf den Sitz am Fenster gequetscht hatte. Amalie und Abigail saßen in meinem Fußbereich, der ohnehin schon viel zu knapp bemessen war. Und dabei hatte ich nicht mal besonders lange Beine, leider. Auch wenn das in solchen Momenten von Vorteil sein konnte. Und Mayo hatte es sich auf meinem Schoß bequem gemacht. Tja, das würde eine lange und unbequeme Fahrt werden, aber was tat man nicht alles, um möglichst weit wegzukommen.
Wir hatten uns gerade einigermaßen häuslich eingerichtet, als ein Kontrolleur kam. »Noch jemand zugestiegen?«, trällerte er freundlich und sah mich an.
Ich nickte, erhob mich umständlich, um an meine Tasche zu kommen und die Fahrkarte herauszusuchen.
Der Mann stempelte die Fahrkarte ab und reichte sie mir zurück. »Denken Sie daran, in Ulm umzusteigen«, sagte er und ging weiter. »Noch jemand zugestiegen?«, hörte ich ihn noch eine ganze Weile weiterflöten.
Ich sah mir den Fahrplan noch einmal genauer an, bevor ich meine Tasche wieder auf der Gepäckablage verstaute. Aus Versehen rempelte ich dabei den alten Mann neben mir an. Ich lächelte entschuldigend, während er in seinem Sitz genervt noch etwas weiter Richtung Gang rutschte.
Eine Weile starrten Mayo und ich aus dem Fenster. Wir waren mittlerweile fast in Düsseldorf, als ich ein paar Bahnmitarbeiter tuscheln hörte. Das Tuscheln wurde immer lauter und aufgeregter. Als ich schließlich Wortfetzen wie »Koffer«, »herrenlos« und »Bundesgrenzschutz« vernahm, fuhr ich erschrocken hoch. Mayo wäre fast...




