E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Gregg Mein schlimmster schönster Sommer
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-8412-1299-3
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-8412-1299-3
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Erst wenn man alles loslässt, kann das Leben neu beginnen.
Als Isabel aus dem Krankenhaus entlassen wird, weiß sie, dass nichts mehr ist, wie es war. Zum ersten Mal ist sie spontan: Sie kauft einen VW-Bus und fährt einfach los. Eigentlich will sie in die Provence, aber dann kommt alles anders. Eine Reise beginnt, bei der sie Menschen trifft, denen sie sonst nie begegnet wäre, bei der sie ihr altes Leben loslässt und ein neues anfängt - und vor allem eines findet: die Liebe ...
Stefanie Gregg, geboren 1970 in Erlangen, studierte Philosophie, Kunstgeschichte, Germanistik und Theaterwissenschaften, worin sie auch promovierte. Nach Stationen in Medienunternehmen und als Unternehmensberaterin widmet sich die Autorin dem Schreiben. Mit ihrer Familie wohnt sie in der Nähe von München.
Im Aufbau Taschenbuch sind ihre Romane »Mein schlimmster schöner Sommer«, »Der Sommer der blauen Nächte«, »Nebelkinder«, »Die Stunde der Nebelkinder«, »Die Hoffnung der Nebelkinder« und »Glaskind« erschienen.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Männerfaustgroß.
Männerfaustgroß ist größer als tennisballgroß. Klingt auch gefährlicher. Tennisballgroß konnte ich sportlich nehmen.
Tennisballgroß ist größer als kirschkerngroß, viel größer, besorgniserregend größer.
Taubeneigroß war für mich unklar. Legen Tauben kleinere oder größere Eier als Hühner?
Kirschkerngroß ist süß, jedenfalls im Rückblick. Damals jedoch der erste Schrecken.
»Machen Sie doch einfach Urlaub«, hatte der Typ in Weiß zu mir gesagt, »in vierzehn Tagen müssen Sie wieder hier sein zum Vorstellen.«
Vorstellen, mich kennt er ja schon, er möchte einen Blick auf die Männerfaust werfen. Vorstellen. Guten Tag, Herr Männerfaust, oder darf ich vielleicht Herr Tennisball sagen oder leider eher Herr Kürbis?
Ich habe ihn angesehen wie einen Kürbis. Machen Sie doch einfach Urlaub. Wie soll das gehen? Urlaub plane ich generalstabsmäßig Monate im Voraus.
»Krankgeschrieben sind Sie auf jeden Fall«, hat er hinzugefügt, als ob mir meine Zweifel auf der Stirn stünden. Und sich dabei über den Bart gestrichen. Wer so einen Bart trägt, macht wahrscheinlich Urlaub im VW-Campingbus, ganz spontan, dachte ich.
Während der Taxifahrt, auf dem Rückweg nach Hause, blickte ich aus dem Fenster und ließ die Häuser an mir vorbeiziehen. Schöne Häuser, hässliche Häuser, Wand an Wand. Als ob sie mich umstellten, um gleich darauf über mir zusammenzustürzen. Ich bemühte mich, ruhig zu atmen, aber dieses Gefühl der Enge blieb. Zwischen den Häuserreihen waren nur wenige Meter Himmel zu sehen. Tiefblau, mit ziehenden Wölkchen darin. Schönwetterwolken, Sommerwolken, die einem zuriefen: Komm, leg dich auf eine Wiese und guck uns beim Dahinschweben zu. Leg dich ins Gras und sieh, was du in uns erkennen kannst.
Ich versuchte mich auf diesen kleinen blauen Streifen zu konzentrieren, aber rechts und links drängte sich grauer Beton ins Bild.
Der Taxifahrer beobachtete mich mit gerunzelter Stirn im Rückspiegel, wie ich da saß, im Sitz nach unten gerutscht, um besser in den Himmel blicken zu können. Eine Frau, die man vom Krankenhaus abholte und die dann im Wagen in sich zusammensackte; bestimmt nicht unbedingt das, was er brauchen konnte. Mühsam setzte ich mich also wieder gerade hin und versuchte, unbeteiligt ordentlich nach draußen zu schauen. Die auf mich einstürzenden Häuserfronten zu ignorieren. Dann sah ich ihn, den gelben Campingbus mit weißem Dach und Regenbogenaufkleber auf der Heckscheibe und dem großen Schild »Zu verkaufen« im Fenster. Mit seiner grellen Farbe sprengte er geradezu die graue Häuserfront.
Ich bat den Taxifahrer anzuhalten und stieg aus. Wie mechanisch wählten meine Finger die Telefonnummer, die mit dickem Stift auf den Pappkarton geschrieben war.
»Hallo. Ich interessiere mich für Ihren Campingbus.«
»Ja, gut.«
»Kann ich ihn mir ansehen?«
»Ja, klar.«
»Sind Sie auch dort, wo der Bus steht?«
»Äh, ja.«
»Dann würde ich mir den Bus gerne gleich anschauen.«
»Muss mich noch anziehen. Dann komme ich runter.«
Den Taxifahrer ließ ich warten. »Sie wissen aber schon, dass der Taxameter weiterläuft«, brummte er.
Ich nickte. Er sollte froh sein, dass ich nicht auf seinem Rücksitz zusammengebrochen war. Ich lehnte mich mit dem Rücken an eine der kühlen grauen Häuserfronten. Hinter sich konnte man sie einigermaßen gut ertragen. Mein Blick war nach vorne gerichtet und heftete sich auf den gelben VW-Bus.
Ein junger Mann mit lilagebatiktem Hemd, weiter Cargohose und Schlappen an den Füßen trat aus der Haustür neben mir und stockte, als er mich sah. Klar, ich war nicht der typische VW-Bus-Käufer: graue Anzughose, weiße Bluse, grauer, schmal geschnittener Blazer – wohl eher der BMW-Typ. Ich stellte mich betont gerade hin und blickte ihm direkt in seine skeptischen Augen.
Als er die Seitentür des Busses öffnete, schlug uns ein muffiger Geruch entgegen.
»Baujahr 85, 360000 km, ist aber schon ein neuer Motor, auf dem sind so etwa 100000 gelaufen.« Er sah mich fragend an.
»Wie viel?«, fragte ich.
Wieder betrachtete er mich stirnrunzelnd. »2900, hat noch fünf Monate TÜV.«
Ob er gerade den Preis erhöht hatte oder sowieso nicht daran glaubte, dass ich den Bus kaufen würde? Egal.
Ich sah mich im Inneren um. Abgewohnt, aber irgendwie gemütlich; in diesem Bus hatte man bestimmt schon viel Spaß gehabt.
»Fährt er sicher?«
»Seit dem neuen Motor fährt er eigentlich immer ordentlich. Ich bin ein Bastler, der Wagen ist so weit in Schuss, aber eine Garantie gibt’s in dem Alter natürlich auf nichts.«
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich zahle Ihnen 2000 Euro, und Sie leihen mir den Bus für 14 Tage.«
Er sah mich verblüfft an. »Wie? – Leihen – für 2000 Euro?«
»Ich möchte diesen Bus nur für 14 Tage leihen, dann kriegen Sie ihn zurück.« Ich sprach ganz langsam, wie zu einem kleinen Kind.
»Also, ganz ehrlich, dafür können Sie sich auch einen neuen Caravan mieten.«
»Ich will aber diesen Bus und jetzt sofort losfahren.«
»Jetzt sofort?«
»Jetzt sofort.« Wieder ganz langsam und mit weicher Stimme. Wobei ich nicht ganz sicher wusste, wen ich hier mehr überzeugen wollte: ihn oder mich. Dann wanderte mein Blick vom Bus zur wolkenhohen Häuserwand hinter mir und wieder zurück, zum gelben, häuserwändesprengenden Bus.
»Und wenn Sie dann einfach mit dem Bus weg sind?«
»Er ist ja ohnehin nicht viel mehr wert. Aber ich kann Ihnen auch noch ein Pfand dalassen.«
»Hm, klingt gut. Aber, ehrlich gesagt, da gibt’s noch ein Problem. Ich muss noch nach Freilassing. Meine Mutter ist gestorben, und ich habe einen Termin beim Bestatter. Außerdem habe ich versprochen«, er zögerte, »ihre alte Kommode zu ihrer Schwester nach Füssen zu fahren. Dafür bräuchte ich ihn noch mal.«
Ich überlegte kurz. »Okay, dann fahren wir gemeinsam nach Freilassing, danach nach Füssen, und von dort aus fahre ich alleine weiter.«
Ich hatte nur eine ungefähre Ahnung, dass Freilassing nicht allzu weit entfernt war, und Füssen lag zumindest im Süden. Und Süden war gut. Solche gelben VW-Busse fuhren doch immer in den Süden. Da sind die Häuserfronten auch nicht so hoch.
»Echt wahr?« Er konnte das Angebot offenbar kaum glauben. Ich irgendwie auch nicht. Was tat ich hier eigentlich gerade?
War ich wirklich im Begriff, einen abgewrackten VW-Bus zu mieten? Ich, Frau-von-Technik-null-Ahnung. Solche Busse liefen selten mehrere hundert Kilometer, ohne dass sich jemand drunterlegen und daran herumschrauben musste. Ich hatte noch nie unter einem Bus gelegen. Könnte ich natürlich locker machen, mich unter ihn legen. Locker. Nur würde ich nicht wissen, was man dann darunter tun sollte. Trotzdem. Völlig egal. Ein Blick zur Häuserwand genügte mir, um ganz sicher zu sein. Ich musste raus aus dem Betonschlund.
Ich streckte ihm die Hand hin. »Echt wahr.«
»Ey, das ist das Verrückteste, was ich je erlebt habe.«
Ich musste grinsen. Da stand dieser Hippie vor mir mit seinen blonden Rastalocken und erklärte mir, dass mein Vorschlag das Verrückteste sei, was er je erlebt hatte. Dann konnte das alles doch gar nicht so schlecht sein. Oder?
»Äh, und wann kriege ich das Geld?«
»Wir fahren gleich an einer Bank vorbei.«
»Okay – Deal.«
»Deal.«
Das hatte ich noch nie zu jemandem gesagt. Kurz überlegte ich, mich jetzt noch cowboymäßig, mit gespreizten Beinen, hinzustellen. Nur nicht übertreiben. Aber ich fand mich gerade sehr cool.
Wir schüttelten uns die Hände. »Ich heiße Isabel, Isabel Drievers.«
»Rasso, Rasso Liebermann.«
»Liebermann – schöner Name.«
»Ja, bin ich auch, ein lieber Mann.« Er grinste. Und obwohl er den Scherz wahrscheinlich jedes Mal machte, glaubte ich ihm.
»Wie lange brauchst du, bis du fertig bist?« Es war sonst nicht meine Art, schnell und fraglos aufs Du überzugehen, aber alles andere wäre lächerlich gewesen. Ich konnte ja einen Rastaman nicht siezen.
»Fünf Minuten. Habe schon alles gepackt.«
»Gut, dann bezahle ich das Taxi und warte hier.«
Der Taxifahrer war erst mal sauer, als ich ihm erklärte, dass ich hierbleiben würde, beruhigte sich aber sofort wieder, als ich ihm einen 50-Euro-Schein gab – »stimmt so«.
Kurz lehnte ich mich an einen Baum und blinzelte in die Sonne da oben über den Häuserdächern. War das hier wirklich ich? Miss Perfect, Miss Plant-alles-ganz-genau. Und jetzt stand ich hier und tat einfach mal ganz spontan das, was ich wollte. Ohne über irgendwelche Folgen nachzudenken. Trotzdem fühlte es sich absolut richtig an. Ich entfloh den Häuserfronten. Auch wenn ich die Männerfaust natürlich mitnahm. Aber in einem gelben VW-Bus war bestimmt kein gutes Lebensklima für eine Männerfaust. Undenkbar. Peace. Keine Faust.
Mit ungewohntem Stolz begutachtete ich meinen Bus. Genauso einen hätte ich mit achtzehn haben wollen, um damit durch Sardinien zu fahren. Stattdessen war es ein weißer Polo gewesen, und ich war nur bis Jugoslawien gekommen. Danach gleich brav das Studium begonnen....