Grieser | Alles aus Liebe | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Grieser Alles aus Liebe

Glück und Leid in Wien um 1900
Überarbeitete und ergänzte Neuausgabe von »Eine Liebe in Wien« 2025
ISBN: 978-3-903441-43-9
Verlag: Amalthea Signum
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Glück und Leid in Wien um 1900

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-903441-43-9
Verlag: Amalthea Signum
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Es ist das Höchste der Gefühle Ob Egon Schiele oder Gustav Klimt, Arthur Schnitzler oder Stefan Zweig, ob Lina Loos, Alma Mahler-Werfel oder Vicki Baum - wir erleben die großen Künstlerpersönlichkeiten ihrer Zeit in den dramatischsten Momenten ihrer Liebesbeziehungen. Eine faszinierende Porträtgalerie, in der kein »Fall« dem anderen gleicht. Vertrautes steht neben dem Sensationsfund, Verzicht neben Erfüllung, Idyll neben Katastrophe, Capriccio neben Melodram. Sprachlich überragend, präzise, dezent, aber auch überraschend zupackend. »Literaturdetektiv« Dietmar Grieser versteht es auf unnachahmliche Weise, die recherchierten Schicksale zu einem beeindruckenden Panorama der Epoche um 1900 zu vereinen - einer Zeit, als Wien zu einer Welthauptstadt der Kultur wurde.

Prof. Dietmar Grieser wurde 1934 in Hannover geboren und lebt seit 1957 in Wien. Der »Literaturdetektiv«, der dem PEN-Club angehört, hat sich mit seinen Bestsellern, welche in mehrere Sprachen übersetzt und etliche davon auch fürs Fernsehen verfilmt wurden, einen Namen gemacht. Zu seinen Auszeichnungen zählen u.a. der Eichendorff-Literaturpreis, der Donauland-Sachbuchpreis, der Buchpreis der Wiener Wirtschaft, der tschechische Kulturpreis »Artis Bohemiae Amicis« und das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst sowie das große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.
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Richard Beer-Hofmann und Paula Lissy

MEIN MÄDEL IST EINE VERKÄUFERIN


5. Dezember 1895, kurz vor 20 Uhr. In wenigen Minuten schließt der elegante Laden an der dem Riesentor des Doms zugekehrten Hauptfront des Stephansplatzes. Einer der dienstbaren Geister, Hemdbluse aus mattem schwarzem Satin und Batistschürzchen mit Spitzeneinsatz, macht sich daran, in den Auslagen große Bögen Seidenpapier über die Tabletts mit dem Teegebäck zu breiten, über die Bonbonnieren, Krampusse und Nikolos. Bald werden auch die Rollläden heruntergelassen sein. Es ist also ein verflixt später Kunde, der da in höchster Eile noch knapp vor Torschluss das Geschäft neben der Textilhandlung Rothberger und dem Brautausstatter Riedel & Beutel betritt: Dr. Richard Beer-Hofmann, der 29 Jahre alte Dichter aus dem Kreis um Arthur Schnitzler, Hermann Bahr und Hugo von Hofmannsthal.

Er hätte leicht früher kommen können. Der Sohn aus gutem Haus, materiell unabhängig, ist an keinerlei geregelte Dienstzeiten gebunden, und auch der Weg, den er zurückzulegen hat, ist nicht der Rede wert: Seine Wohnung befindet sich in der Wollzeile, im fünften Stock des Berta-Hofs, des herrschaftlichen Hauses neben der Apotheke »Zum römischen Kaiser«. Nun, vermutlich ist ihm erst im letzten Augenblick eingefallen, dass er noch kein Nikologeschenk für die exzentrische Dame besorgt hat, die seit einigen Monaten in Wien zu Besuch weilt und im berühmten Café Griensteidl das Leben der Dichterrunde von »Jung-Wien« teilt: Lou Andreas-Salomé. Nietzsches Ex-Freundin, die bald auch ihre legendäre Rolle im Leben Rainer Maria Rilkes antreten wird, ist fünf Jahre älter als Beer-Hofmann: Der Dichter, der bis jetzt nur mit impressionistisch-psychologisierenden Novellen wie Camelias oder Das Kind hervorgetreten ist, zählt zu ihren Bewunderern.

Für eine so mondäne Person kommt nur ein Mitbringsel von erlesenem Geschmack in Frage, Beer-Hofmann entscheidet sich für kandierte Früchte. Fräulein Karolin, nicht nur an der Seidenbluse und an der Taftschürze, sondern vor allem an dem in Horn gefassten, an einer langen schwarzen Seidenschnur hängenden Zwicker als Leiterin der Confiserie erkennbar, wendet sich, bevor sie den Geschäftsdiener anweist, die Sicherheitskette vorzulegen, dem letzten Kunden zu und empfiehlt ihm eines der fertigen Körbchen: französisches Obst gemischt.

Nein, gemischt, erwidert er, wäre wohl nicht das Richtige. Er verlangt nach den kleinen bitteren Orangen. »Chinois?«

»Ja, Chinois. Die Hälfte grün, die Hälfte gelb.«

»Und wie groß darf das Körbchen sein?«

»Dreißig bis vierzig Stück.«

Fräulein Karolin nimmt Schreibblock und Bleistift vom Kassenpult und notiert: »Zwanzig grüne, zwanzig gelbe Chinois – Körberl viereckig – Atlasband extrabreit blau – am Deckel Ilex-Zweigerl – so rasch wie möglich.« Dann trennt sie den Auftragszettel vom Block, drückt ihn der Kassierin in die Hand und gibt Anweisung, das Fräulein Paula mit der weiteren Abwicklung zu betrauen. Gleichzeitig weist sie dem Kunden die Richtung: »Bitte bis ganz hinunter zu gehen – das letzte Fräulein, das mit dem gestrickten schwarzen Wollkragerl.«

Richard Beer-Hofmann bahnt sich den Weg an den noch immer von Kunden dicht umdrängten Ladentischen vorbei, bis er das Wandregal mit den gläsernen Aufsätzen erreicht, in denen das kandierte Obst gelagert ist. Woran es wohl liegen mag, dass er, entgegen seiner sonstigen Zerstreutheit, dem Hantieren der Verkäuferin, jeder einzelnen ihrer Bewegungen wie gebannt zuschaut? Wie sie mit der Silberzange nach den Früchten greift, sie in die gefältelten weißen Papierkapseln bettet, diese in das gepolsterte Körbchen einlegt, wie sie das durchbrochene Spitzenpapier darüberbreitet, von der Spule das genaue Quantum Atlasband löst, aus einer der Laden einen kleinen Zweig Ilex hervorholt, diese steifen, stacheligen und sattgrün glänzenden Blätter mit den rot leuchtenden Beeren, und mit ebensolchem Geschick wie ruhigem Gleichmaß ihr Werk vollendet?

Durch die Kunden, die sich vor ihm ums Ladenpult drängen, verdeckt, sieht er nur das Hantieren der Finger. Aber es genügt, um ihn in Ekstase zu versetzen, in eine unerklärliche, nie zuvor erlebte Faszination. Erst als die bisher stumme Erscheinung nach dem Herrn fragt, »der das Körbchen mit den Chinois bestellt hat«, der also Angesprochene wie ein Schulbub mit der Hand aufzeigt und an den zur Seite rückenden Kunden vorbei an den Ladentisch herantritt, steht er ihr Aug in Aug gegenüber: ein schlankes, hoch aufgeschossenes Mädchen von vielleicht 16 Jahren, seidig hellbraunes Haar.

»Soll vielleicht ein kleiner Krampus dazugelegt werden oder ein Nikolo?«, fragt sie und blickt nun ihren Kunden erstmals direkt an.

Richard Beer-Hofmanns Antwort ist nicht überliefert. Wohl aber, was weiter geschah.

Beer-Hofmann verlässt, das Päckchen in der Hand, den Laden und bezieht auf dem Stephansplatz Warteposten: »noch benommen, noch nicht genau wissend, was geschehen soll, nur entschlossen, nicht wegzugehen, ehe ich sie nicht nochmals gesehen«.

Misstrauisch beobachtet er den jungen Mann mit Brille, der so wie er vor den Schaufenstern der Firma Victor Schmidt & Söhne auf und ab geht und so wie er das Schließen des Geschäftes abzuwarten scheint. Sein Misstrauen steigert sich zur Qual, als die Filialleiterin auf die Straße tritt, ihren Paletot zuknöpft, den schmalen Pelzkragen aufstellt und den vorm Geschäftsportal Wartenden anspricht: »Oh, Herr Lissy, sie kommt gleich, die Paula.«

Paula – da stockt sein Atem. Ganz richtig – das ist ihr Name. Sie also ist es, die der junge Mann abholt. Ihr Verehrer? Ihr Verlobter? Ihr Mann?

»Aber sie kann heute erst als Letzte weggehen«, fährt sie fort, »sie hat Dienst.« Dann dreht sich das Fräulein Karolin um und ruft dem Geschäftsdiener, der gerade die Rollläden der Auslagen herablässt, zu: »Sagen Sie dem Fräulein Paula, dass ihr Bruder wartet.«

Ihr Bruder – Richard Beer-Hofmann atmet auf.

»Es ist mir sehr recht, dass ich Sie einmal allein sprechen kann, Herr Lissy«, wendet sich Paulas Vorgesetzte, statt den Heimweg anzutreten, nochmals dem Wartenden zu, und Beer-Hofmann, seine gute Kinderstube vergessend, lauscht aus sicherer Entfernung dem Gespräch.

»Ich möcht’ Sie nicht gern ängstlich machen, aber Paula hustet stark.«

»Sie hat halt, wie sie sieben Jahr’ alt war, einen Lungenspitzenkatarrh gehabt. Und mit dreizehn abermals. Doch wie die Mutter, vielleicht ein halbes Jahr vor ihrem Tod, mit ihr beim Professor war, hat sie der beruhigt, sie sei völlig ausgeheilt.«

»Schauen Sie, Herr Lissy, sie ist so hoch aufgeschossen und schlank. Sie müssten mit ihr doch wieder zu einem Doktor. Vor allem dürfte sie jetzt, bei schlechtem Wetter, nicht ausgehen – und müsst’ viel Milch trinken und viel schlafen. Wenn sie in der Früh ins Geschäft kommt, sieht sie schon so müd aus und blass und ist so still und ernst. Der Chef hat mir jetzt bewilligt, dass sie von nächster Woche an statt einer Stunde anderthalb Mittagspause hat, damit sie nicht so hetzen muss, wenn sie nach Haus essen geht. Sie hat übrigens wunderschöne Hände, nur leider recht verdächtig heiß. Könnten Sie denn ohne das bissel Gehalt, das die Paula hat, in der Wirtschaft nicht auskommen? Muss sie unbedingt auch verdienen?«

Hier begann alles: mit einem Nikologeschenk für Lou Andreas-Salomé

»Aber nein, sie müsst’ nicht – wenn sie nicht so eigen wär’. Wir Brüder geben, so viel wir können, her. Wir müssen es uns schon sehr genau einteilen, aber wir sind noch immer ganz gut durchgekommen. Und das Zimmer von der Mutter, das wir ja nicht benützen, könnten wir leicht vermieten. Aber die Paula lässt’s nicht zu – sie erträgt es nicht, dass es uns auch noch was einbringen soll, dass die Mutter gestorben ist.«

In diesem Augenblick geht die Ladentür auf, und Paula tritt auf die Straße hinaus, in die schon etwas knappe schwarze Jacke mit dem Astrachankragerl gezwängt, ein Matrosenhütl aus steifem Lack auf dem Kopf. »Hängen Sie sich fest in mich ein«, fordert das besorgte Fräulein Karolin sie auf, »und geh’n wir rasch, da wird uns gleich wärmer, ich bring’ Sie bis zur Michaelerkirche.«

Beer-Hofmann, der sich den dreien kaum nachzublicken traut, so wanken ihm die Knie, folgt ihnen in gemessenem Abstand. Er muss achtgeben, dass er die Gruppe – nun, da es auch noch zu schneien begonnen hat – nicht aus den Augen verliert: Goldschmiedgasse, Graben, Trattnerhof, Kohlmarkt. Am Michaelerplatz...


Prof. Dietmar Grieser wurde 1934 in Hannover geboren und lebt seit 1957 in Wien. Der »Literaturdetektiv«, der dem PEN-Club angehört, hat sich mit seinen Bestsellern, welche in mehrere Sprachen übersetzt und etliche davon auch fürs Fernsehen verfilmt wurden, einen Namen gemacht. Zu seinen Auszeichnungen zählen u.a. der Eichendorff-Literaturpreis, der Donauland-Sachbuchpreis, der Buchpreis der Wiener Wirtschaft, der tschechische Kulturpreis »Artis Bohemiae Amicis« und das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst sowie das große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.



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