Grimes | Die Trauer trägt Schwarz | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 17

Reihe: Die Inspektor-Jury-Romane

Grimes Die Trauer trägt Schwarz

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-18835-1
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, Band 17

Reihe: Die Inspektor-Jury-Romane

ISBN: 978-3-641-18835-1
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Inspektor Jury und ein mysteriöser Mord im Herzen von London.

Mickey Haggerty, ein alter Kollege von Inspektor Jury, hat es sich in den Kopf gesetzt, eine Tragödie aufzuklären, die sich vor mehr als fünfzig Jahren innerhalb der reichen Londoner Brauerei-Familie Tynedale abgespielt hat – und er benötigt dringend Jurys Hilfe. Doch noch bevor Jury mit seinen Ermittlungen beginnen kann, ereignet sich ein mysteriöser Mord: Simon Croft, ein enger Freund der Tynedales, wird erschossen aufgefunden. Jury ahnt, dass er einen verborgenen Gegenspieler hat, der alles daran setzt, die Vergangenheit für immer ruhen zu lassen ...



Martha Grimes zählt zu den erfolgreichsten Krimiautorinnen unserer Zeit. Lange Zeit unterrichtete sie kreatives Schreiben an der Johns-Hopkins-University. Durch ihre Serien um Inspektor Richard Jury und die 12-jährige Ermittlerin Emma Graham wurde sie weltbekannt. Die »Mystery Writers of America« kürten sie 2012 für ihr Lebenswerk zum »Grand Master«, und ihre Inspektor-Jury-Reihe wurde nun auch fürs deutsche Fernsehen entdeckt und erfolgreich verfilmt. Martha Grimes lebt heute in Bethesda, Maryland.

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2


In der City von London hatte an Wochenenden noch nie geschäftiges Treiben geherrscht. Hier, im Herzen der Londoner Finanzwelt, war alles wie ausgestorben.

Jury verließ die Untergrundstation Tower Hill, blieb stehen und sah zur Lower Thames Street hinüber. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal vor dem Tower von London gestanden hatte. Die Touristen knipsten Fotos, ein paar hatten Wegwerfkameras, andere etwas anspruchsvollere Apparate. Vor Weihnachten waren immer besonders viele Touristen in der Stadt. In der Fenchurch Street kam er an einem indischen Restaurant vorbei, und wenn das geschlossen war, konnte er eigentlich wetten, dass alles andere ebenfalls zu war.

Bis auf die Polizeistation Snow Hill natürlich. Ein unglücklich dreinblickender Constable hatte hinter dem Auskunftsschalter Dienst und schien beinahe dankbar, dass Jury nichts weiter wollte als die Wegbeschreibung zu Haggertys Büro. Detective Chief Inspector Haggerty? Hier durch, da entlang, dort ist seine Tür. Jury dankte ihm.

Haggerty saß an seinem Schreibtisch und betrachtete Polizeifotos, als Jury hereinkam. Mickey Haggerty stand auf und kam um den Schreibtisch herum, um Jury die Hand zu schütteln und ihn ein paarmal freundschaftlich an die Schulter zu knuffen. Es war mehr als ein Handschlag und weniger als eine Umarmung. Jury hatte Mickey Haggerty und dessen Frau Liza seit Jahren nicht mehr gesehen. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er sich schon so lange nicht mehr bei seinem alten Kollegen gemeldet hatte. Aber das lag ja wohl nicht nur an ihm, oder? Mickey hatte es sich zum Teil selbst zuzuschreiben.

Kein Polizist (dachte Jury) war bei der Arbeit so in seinem Element wie Mickey Haggerty. Er passte so kantengenau hinein wie ein Pflasterstein auf einem frisch verlegten Gehweg. »Hallo, Mickey. Lange nicht gesehen.«

»Verdammt viel zu lang«, bekräftigte Mickey und deutete auf einen Stuhl für Jury, bevor er sich selbst wieder hinsetzte. »Wie läuft’s denn so, Rich?«

»Gut.« Diese Art von Wortwechsel hätte zwischen den meisten Leuten recht banal geklungen, doch bei Mickey steckte aufrichtiges Interesse dahinter. Sie unterhielten sich eine Weile über Liza und die Kinder, dann schob Jury ihm die mitgebrachte Akte über den Tisch. »Sieht nach einer Ausgrabung aus. Ist das ein Fall, an dem Sie gerade arbeiten? Erwarten Sie jetzt eine aufschlussreiche Antwort von mir? Mit forensischer Anthropologie kenne ich mich nicht so gut –«

Mickey schüttelte den Kopf. »Ich wollte bloß, dass Sie sich die Akte mal ansehen, damit Sie sich besser vorstellen können, wovon ich rede. Ja, es ist ein Fall, an dem ich gerade arbeite. Ich ganz persönlich. Sagen wir mal, es handelt sich um eine inoffizielle Angelegenheit. Oder sagen wir, ich will eigentlich gar nicht, dass sonst noch jemand davon erfährt. Es ist was Privates.« Er drehte ein Foto herum. Inmitten der Trümmer lagen zwei Skelette.

Wenigstens meinte Jury, zwei erkennen zu können. »Was ist das, Mickey?«

»Skelette, die man aus einem Ruinengrundstück geborgen hat.«

»Ruinengrundstück? Wo?«

»Hier. In der City. In der Nähe von Ludgate Circus. Wenn Sie es sich anschauen wollen, es ist nicht weit von St. Paul’s Cathedral, die Straße heißt Blackfriars Lane.« Mickey skizzierte einen kleinen Plan und reichte ihn ihm herüber. »Die letzte Kriegsruine in London.«

Fragend wanderten Jurys Augenbrauen ein Stückchen höher.

»Sie wissen schon, vom Zweiten Weltkrieg?«

Jurys Lächeln reichte nicht bis zu seinen Augen. »Ja, habe ich schon davon gehört.«

Mickey nahm die Zigarre, die in einem großen blauen Aschenbecher zu seiner Rechten vor sich hin geglommen hatte. Als er den Rauch ausstieß, sah Jury sehnsüchtig hinterher. Obwohl er seit fast zwei Jahren keine Zigarette angerührt hatte, war sein Verlangen danach nicht geschwunden. Das machte ihn ganz wütend. Er lächelte. »Also, weiter.«

Aus einem anderen Ordner nahm Mickey einen weiteren Bericht. »Zwei Skelette hat man dort gefunden.«

»Was ist das?«

»Das stammt von den Anthropologen an der University of London. Die haben die Skelette zu Studienzwecken mitgenommen. Sie interessierten sich natürlich dafür. Dachten wohl, die Überreste seien Funde aus grauer Urzeit.«

»Waren sie aber nicht?«

Mickey schüttelte den Kopf. »Es sind die Skelette einer weiblichen Person, Anfang zwanzig, und eines Babys, erst ein paar Monate alt, vermutlich zwei oder drei.«

»So genau können die das bestimmen? Bei einem Baby? Da werden die Knochen aber doch erst noch gebildet.«

»Die Zähne. Sie können sogar die Entwicklung eines Fötus an den Zähnen bestimmen. Die Zähne entwickeln sich im Kiefer. Das hier waren die einzigen Skelette, die man geborgen hat. Auf dem Ruinengrundstück stand früher mal ein Pub, das dann im Blitzkrieg zerstört wurde. 1940 war das, am 29. Dezember 1940, um ganz genau zu sein. Das Grundstück wurde jetzt von einem Bauunternehmer aufgekauft, der es erschließen will. Jetzt ist dort eine Baustelle.«

Jury lehnte sich wortlos zurück. Jedes Mal, wenn er über den Krieg nachdachte, überkam ihn ein gewaltiger Schmerz. Doch die intensiven Gefühle, die er mit dieser Zeit verband, verliehen ihr auch etwas seltsam und unangenehm Anziehendes.

Mickey nahm die Zigarre vom Aschenbecher und rauchte. Er dachte nach.

Das gehörte mit zu den Dingen, die Jury an ihm mochte: Er war ein Mensch, der gerne seinen eigenen Gedanken nachhing. Wie Jury selbst zog er keine voreiligen Schlussfolgerungen, handelte gleichzeitig aber auch nach Instinkt. Jury wusste, dass es schwer war, beides zu verbinden. Er erinnerte sich, wie er mit Mickey einmal in einem Pub gesessen hatte, als sie vor neun oder zehn Jahren zusammen an einem Fall gearbeitet hatten, und zehn Minuten lang kein einziges Wort zwischen ihnen gefallen war. Mickey erinnerte Jury an Brian Macalvie – alle beide brachten die Leute von der Spurensicherung mit ihrem ausgedehnten Schweigen zur Weißglut.

Im Polizeirevier war es merkwürdig ruhig. Es mutete fast wie Grabesruhe an. »Wer hat die Überreste gefunden?«

»Die Bauarbeiter. Sie haben sie nicht berührt.« Mickey drehte das Foto mit den beiden Skeletten herum, damit Jury es sehen konnte. »Was sagen Sie dazu?«

»Sieht aus, als läge das Skelett des Babys dicht neben dem der Erwachsenen – der Mutter?«

»Ich will Ihnen eine kleine Geschichte erzählen.« Mickey hatte seine Schreibtischschublade aufgezogen und eine Hand voll Schnappschüsse herausgenommen, lauter alte Schwarzweißaufnahmen. Er griff nach der obersten und schob sie Jury hin. »Das wurde in Dagenham aufgenommen. Gleich zu Beginn der Evakuierung 1939. Die Kinder wurden mit dem Boot zu einem der Züge gebracht, die sie aufs Land bringen sollten.« Mickey schob ihm noch zwei Schnappschüsse hinüber. »Das ist in Stepney. Wieder während der Evakuierung. Mein Dad hat immer von dieser unheimlichen Stille erzählt. Lauter Kinder – und kaum ein Mucks zu hören.«

Jury betrachtete das Grüppchen, die grauen Gesichter der Mütter, auf denen sich kein Lächeln zeigte.

»Das war der Exodus 1940, während des so genannten ›Sitzkriegs‹, als London sich auf einen Krieg vorbereitete und dann eigentlich gar nichts passierte.«

Jury hasste Gespräche über den Krieg. Was wollte Mickey mit all diesen Bildern? Worauf wollte er hinaus?

Er schob ihm noch einen Schnappschuss hin. »Das hier sind vermutlich die Frau und das Kind, die in den Trümmern damals umgekommen sind. Alexandra Tynedale, ein- oder zweiundzwanzig Jahre alt, und ein etwa vier Monate altes Baby. Allerdings nicht ihr eigenes. Das Kindermädchen war mit Alexandras Baby an die frische Luft gegangen.« Mickey wirbelte wieder ein Foto auf Jurys Schreibtischseite hinüber. »Und so sieht das Baby heute aus: Maisie Tynedale.«

Jury betrachtete das Foto. Die Frau war attraktiv, Anfang fünfzig, schätzte er, allerdings mehr durch Errechnen der seither vergangenen Jahre als durch ihr Aussehen. Dem Foto nach hätte sie auch vierzig sein können. Die Aufnahme war besser als die anderen, aufgenommen mit einer anspruchsvolleren Kamera als der, aus der die Schnappschüsse stammten. Jury legte es hin. Inzwischen hatte er fünf Bilder aufgereiht vor sich liegen. »Die zwei von der Evakuierung – was ist mit denen? Was hat es damit auf sich?«

Statt einer Antwort schob Mickey ein weiteres Foto herüber. Auf ihm war eine junge Frau zu sehen, die der Kamera den Rücken zuwandte und zu einem Baby hinunterlächelte, dessen kleines rundes Kinn auf die Schulter der Frau gestützt war. Arm und Händchen lagen flach auf dem Rücken der Frau. Jury legte das Foto als Nummer sechs in die Reihe und sah Mickey fragend an.

»Kitty, das Kindermädchen. Katherine Riordin und die kleine Erin.«

Als ob er Spielkarten austeilte, schnippte Mickey ihm noch ein Foto hinüber. Zerbombte Gebäude waren darauf zu sehen, zerborstene rote Backsteine. Ein paar Leute bahnten sich mühsam einen Weg durch die Trümmer. Jury sagte: »Solche Szenen haben sich doch überall in London tausendfach abgespielt. Furchtbar, Mickey. Meine beiden Eltern sind im Krieg umgekommen.«

»Tut mir Leid, Rich. Es gibt da etwas –«

Jury sah ihn beunruhigt an. »Stimmt was nicht, Mickey?« Er glaubte in den Augen des anderen tatsächlich Tränen zu erkennen. Oder auch nicht. »Hören Sie, ich habe es nicht eilig. Wo ist das?« Er hielt die Aufnahme...


Grimes, Martha
Martha Grimes zählt zu den erfolgreichsten Krimiautorinnen unserer Zeit. Lange Zeit unterrichtete sie kreatives Schreiben an der Johns-Hopkins-University. Durch ihre Serien um Inspektor Richard Jury und die 12-jährige Ermittlerin Emma Graham wurde sie weltbekannt. Die »Mystery Writers of America« kürten sie 2012 für ihr Lebenswerk zum »Grand Master«, und ihre Inspektor-Jury-Reihe wurde nun auch fürs deutsche Fernsehen entdeckt und erfolgreich verfilmt. Martha Grimes lebt heute in Bethesda, Maryland.



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