Grimes | Inspektor Jury geht übers Moor | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 10

Reihe: Die Inspektor-Jury-Romane

Grimes Inspektor Jury geht übers Moor

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-18837-5
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, Band 10

Reihe: Die Inspektor-Jury-Romane

ISBN: 978-3-641-18837-5
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als Richard Jury die schöne, schweigsame Frau zum ersten Mal sieht, erscheint sie ihm wie eine tragische Königinnengestalt aus einem Shakespeare-Drama. Am selben Abend erschießt die Unbekannte in der Lounge eines vornehmen Country Hotels vor Jurys Augen ihren Mann. Der Fall scheint klar, jedenfalls für die örtliche Polizei. Doch Superintendent Jury macht sich auf die Suche nach dem Motiv und findet bald heraus, dass der Tote nicht der Ehrenmann war, den alle Welt in ihm sah …

Martha Grimes zählt zu den erfolgreichsten Krimiautorinnen unserer Zeit. Lange Zeit unterrichtete sie kreatives Schreiben an der Johns-Hopkins-University. Durch ihre Serien um Inspektor Richard Jury und die 12-jährige Ermittlerin Emma Graham wurde sie weltbekannt. Die »Mystery Writers of America« kürten sie 2012 für ihr Lebenswerk zum »Grand Master«, und ihre Inspektor-Jury-Reihe wurde nun auch fürs deutsche Fernsehen entdeckt und erfolgreich verfilmt. Martha Grimes lebt heute in Bethesda, Maryland.
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2


Der Name Roger Healey sagte Jury nichts, als er ihn später am Abend zum ersten Mal hörte. Der Beamte der Polizei von West Yorkshire, der Healeys Frau im Gasthaus »Zum großen Schweigen« festgenommen hatte, erzählte ihm am nächsten Tag, dass der Mann etwas mit Kunst oder Musik zu tun hätte, was genau, wusste er nicht, nur, dass er prominent war. Der aus Keighley gerufene Detective Sergeant verbürgte sich jedenfalls dafür, dass die Familie in der Gegend sehr angesehen war, und es war ihm anzumerken, welch inneren Zwiespalt die Festnahme eines ihrer Mitglieder bei ihm auslöste.

Inneren Zwiespalt oder dergleichen kannte Superintendent Sanderson nicht; ihn scherte es weder, dass Jury der einzige Zeuge für den Mord an Roger Healey war noch dass in seiner Person die Londoner Kripo in seinem Revier wilderte. Sanderson war ein hoch gewachsener Polizist, dünn wie ein Laternenpfahl, dessen gut einstudiertes, undurchsichtiges Gebaren jeden aufs Glatteis hätte führen können. Falls Jury, was unwahrscheinlich war, je als Zeuge aufgerufen würde, hätte seine Aussage weitaus mehr Gewicht als die irgendeines kurzsichtigen Einheimischen. Was die derzeitige Untersuchung betraf, konnte sich Jury, was Sanderson anging, rasch aus dem Revier der Yorkshire-Polizei verziehen.

Sanderson hatte es aber auch leicht. Er musste nicht einmal Verdächtige auftreiben, keine Stammgäste aus dem öffentlichen Ausschank des »Großen Schweigens« befragen, die doch nur widersprüchliche Berichte geliefert hätten, wer was wem wann getan hatte; und die fünf Leutchen, die aus dem Ausschank in die Lounge gestürzt waren, hatten sehr erleichtert gewirkt, als sie hörten, dass sie aus dem Schneider waren. Denen hatte es vor Schreck die Sprache verschlagen, bis die Polizei eintraf. Jury hatte sie angerufen.

Und es war auch Jury gewesen, dem die Frau, schweigend, die 22er Automatik gegeben hatte. Widerstandslos. Sie sagte kein einziges Wort, sondern setzte sich wieder in den Sessel, beantwortete keine seiner Fragen und sah auch nicht mehr zu ihm auf.

Die gerichtliche Untersuchung der Todesursache wurde für den folgenden Tag angesetzt und diente lediglich der Feststellung gewisser Fakten wie beispielsweise der Identität des Toten. Die Identität der Täterin stand ohnehin fest.

Sie hieß Nell Healey, war eine geborene Citrine, und Jury hatte sich über die Beziehung, in der sie zu dem Toten stand, nicht getäuscht: Sie war seine Frau.

Mit Rücksicht auf den Ruf, den Reichtum und den Einfluss der Familie Citrine in West Yorkshire und weil sie keinerlei Vorstrafen hatte, wurde sie gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Damit, das wusste Jury, erkaufte sie sich wenigstens ein Jahr Freiheit; vorher würde der Fall kaum vors Bezirksgericht kommen, nicht bei der langen Latte anstehender Gerichtstermine. Blieb lediglich die Frage, warum sie es getan hatte, und die beantwortete sie nicht. Im Großen und Ganzen jedoch schien sich die Waagschale zu ihren Gunsten zu senken, da ihr ein früherer Schicksalsschlag Sympathien eingetragen hatte.

Und genau über diesen Schicksalsschlag informierte sich Jury jetzt aus der Zeitung, die auf seinem Schreibtisch im New Scotland Yard lag. Er entsann sich der Namen Healey und Citrine. Es war vor acht Jahren passiert, und er hatte es über alle Maßen schrecklich gefunden.

»Traurig, wirklich traurig«, sagte Detective Sergeant Alfred Wiggins, der die Ausschnitte ausgegraben, selber aber zu einem Exemplar von Time Out gegriffen hatte. »Wie kann man einem Kind nur so was antun?« Wiggins rührte langsam mit dem Löffel im Teebecher herum und klopfte ihn alsdann so weihevoll wie ein Messknabe, der das Weihrauchfässchen schwingt, am Becherrand ab.

Mit ebenso andächtiger Gebärde riss Wiggins eine Packung Scott’s Medizinische Kohlekekse auf, wobei er sich Mühe gab, nicht mit dem Zellophan zu knistern. Oft kam es nicht vor, dass Jury ihm nicht antwortete, doch heute war einer dieser Tage, und Wiggins sorgte sich (als wäre es seine Schuld) um den sonst so friedfertigen Superintendent, diese Seele von einem Menschen, der sich einen Fall so zu Herzen nahm, der nicht einmal seiner war.

Jurys Laune war so rabenschwarz wie der Kohlekeks, den Wiggins jetzt in seinen Becher bröselte; wider alle Vernunft reizte ihn sein Sergeant, der irgendeinem abgehobenen Gesundheitsideal nachjagte, während er selbst von der Entführung eines Jungen und dem Verschwinden seines Freundes las. Jury sagte (etwas scharf, fand Wiggins): »Wiggins, die meisten Menschen geben sich mit simplen Darmpillen zufrieden. Und die muss man auch nicht zu Matschepampe machen.«

Wiggins war rasch mit einer Antwort bei der Hand, nicht weil Jury sich bissig anhörte, sondern weil dieser überhaupt reagierte. Fröhlich sagte er: »Oh, Darmpillen bringen nun wirklich nichts, Sir. Wohingegen das hier –«

Jury sah sich genötigt, einen Vortrag über die segensreiche Wirkung von Kohle auf den Verdauungstrakt im Keim zu ersticken, und so erwiderte er rasch: »Gewiss, gewiss«, lächelte und ließ damit durchblicken, dass er sowieso nur Spaß gemacht habe.

Es war in Cornwall passiert, als Billy Healey dort mit seiner Stiefmutter, Nell Citrine Healey, Ferien machte. Sie hatten auch Billys Freund Toby Holt mitgenommen.

Ohne den Blick zu heben, schüttelte Jury eine Zigarette aus einer Packung Player’s, während er Roger Healeys Presseerklärung las. Sie war sachlich, fast pedantisch, wimmelte von Floskeln wie »gramgebeugter Vater« und Bemerkungen über die außerordentliche pianistische Begabung seines Sohnes, sodass man fast den Eindruck bekam, Entführer, die nicht Obacht gaben, dass der Junge jeden Tag übte, würden bei ihm eine Art Insulinschock auslösen. Das übliche »Wir tun alles, was in unserer Macht steht, damit wir unser Kind zurückbekommen«; das übliche »Die Polizei arbeitet rund um die Uhr«. Das Übliche eben.

Außer dass die Stiefmutter überhaupt keine Erklärung abgegeben hatte.

Jury versuchte, sich in einen Vater hineinzuversetzen, dessen Kind man entführt hatte. Er hatte keine Kinder, kannte jedoch ein paar gut genug, dass er zumindest ein wenig nachfühlen konnte, was in einem Menschen vorgeht, der eines verliert. Natürlich hatte er bei seiner Arbeit genügend untröstliche Eltern kennen gelernt. Einige hatten geschwiegen; andere hatten zu einem nicht endenden Wortschwall angesetzt. Aber noch keiner hatte eine Rede gehalten, die reif für das Unterhaus gewesen wäre. Er urteilte sicher nicht fair, dachte Jury. Schließlich war Healey als Musikkritiker und Kolumnist daran gewöhnt, Gedanken in Worte zu kleiden; er konnte sich klar ausdrücken und verstand es anscheinend, die Fassung zu wahren.

Inmitten all der Gemeinplätze wirkte das Foto von Billy selber beinahe fehl am Platz. Es war ein alter Schnappschuss, und die Kamera hatte den Jungen genau in dem Augenblick eingefangen, als er irgendetwas in der Ferne gesehen haben musste. Er reckte ein wenig das Kinn, hatte den Mund leicht geöffnet, seine Augen blickten gebannt, fast fragend. Das Foto war eine Gegenlichtaufnahme; sein Gesicht lag teilweise im Schatten, wodurch der Rest umso stärker hervortrat, was die gerade Nase und die hohen Wangenknochen noch betonte. Er war hübsch, blass, hatte dunkles, seidig glänzendes Haar. Er sah, fand Jury, ein wenig entrückt aus, abweisend und durch die Eindringlichkeit seines Ausdrucks unnahbar. Und er sah seiner Stiefmutter ähnlicher als seinem Vater.

Von ihr gab es nur ein Foto, wie sie aus dem Haus geführt wurde, und da musste sie sich rasch den türkisch gemusterten Schal übers Gesicht gezogen haben. Da sie obendrein den Kopf gesenkt hielt, hatten die Reporter kaum mehr als ihre Haare vor die Kamera bekommen. Und so ließen sie denn auch kaum ein gutes Haar an ihr; unterschwellig schienen sie es übel zu nehmen, dass Mrs. Roger Healey zu keiner Stellungnahme bereit war. Sie hatte das Reden ihrem Mann überlassen.

Die Stiefmutter hatte wirklich eine schlechte Presse. Sie war als Einzige zugegen gewesen, als die Jungen verschwanden. Der ziemlich geschmacklose Wust von Fotos und Schnappschüssen, den die Zeitungen brachten, ließ keinen Zweifel daran, dass man die Entführungsgeschichte gern am Kochen halten wollte. Alte Schnappschüsse von Billy rahmten die Berichte ein; auf einem war er mit Schulkameraden zusammen, sehr verschwommen. Auf einem anderen lehnte er mit dem anderen Jungen, Toby Holt, an einem Zaun. Vor ihnen saß ein kleines, dunkelhaariges Mädchen auf einer großen Steinplatte und blinzelte in die Kamera.

»Der Chef führt nicht gerade Freudentänze auf, wie Sie sich denken können«, sagte Wiggins, der seinen eigenen Gedanken nachhing.

»Tut er nie, jedenfalls nicht, was mich angeht.«

»Er fragt sich, was Sie überhaupt in Stanbury gesucht haben …«

»Nachbarort von Haworth. Ich bin ein großer Brontë-Fan.«

»… als Sie eigentlich in Leeds sein sollten.«

Jury blickte auf. »Was ist das, ein Verhör? Unheilschwangeres Gemurmel?«

»Man könnte Sie als Zeugen der Anklage benennen.« Wiggins ließ nicht locker.

»Wäre es ihm lieber, wenn ich als Zeuge für die Verteidigung aufträte? Er weiß verdammt gut, dass ich nicht als Zeuge vorgeladen werde. Sanderson wird meine Zeugenaussage abgeben. Der Fall gehört West Yorkshire, nicht mir.« Jury blickte auf die Notizen, die Wiggins gemacht hatte. »Dieser Verleger, für den Healey gearbeitet hat. Machen Sie bei ihm einen Termin für mich.«

»Jawohl, Sir.« Wiggins’ Hand zauderte...


Grimes, Martha
Martha Grimes zählt zu den erfolgreichsten Krimiautorinnen unserer Zeit. Lange Zeit unterrichtete sie kreatives Schreiben an der Johns-Hopkins-University. Durch ihre Serien um Inspektor Richard Jury und die 12-jährige Ermittlerin Emma Graham wurde sie weltbekannt. Die »Mystery Writers of America« kürten sie 2012 für ihr Lebenswerk zum »Grand Master«, und ihre Inspektor-Jury-Reihe wurde nun auch fürs deutsche Fernsehen entdeckt und erfolgreich verfilmt. Martha Grimes lebt heute in Bethesda, Maryland.



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