Grimes | Inspektor Jury und die Frau in Rot | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 23, 416 Seiten

Reihe: Ein Fall für Inspector Jury

Grimes Inspektor Jury und die Frau in Rot

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-18803-0
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, Band 23, 416 Seiten

Reihe: Ein Fall für Inspector Jury

ISBN: 978-3-641-18803-0
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Inspektor Jury trinkt selten Champagner. Als er in einer noblen Londoner Bar Tom Williamson gegenübersitzt, genießt er ihn dafür umso mehr. Aber Williamson hat ein ernstes Anliegen: Vor siebzehn Jahren kam seine Frau Tess durch einen Sturz von einem steilen Treppenaufgang ums Leben, an einen Unfall will er aber noch immer nicht glauben. Jury nimmt sich des Falles an. Doch bevor er den Tatort in Devon inspiziert, besucht er seinen Freund Melrose Plant. Und wie es der Zufall will, fällt ihm dort eine Leiche quasi vor die Füße. Eine schöne Frau im roten Kleid soll sich von einem alten Turm gestürzt haben. Jury kann nicht widerstehen und steht bald vor mehr als einem Rätsel ...

Martha Grimes zählt zu den erfolgreichsten Krimiautorinnen unserer Zeit. Lange Zeit unterrichtete sie kreatives Schreiben an der Johns-Hopkins-University. Durch ihre Serien um Inspektor Richard Jury und die 12-jährige Ermittlerin Emma Graham wurde sie weltbekannt. Die »Mystery Writers of America« kürten sie 2012 für ihr Lebenswerk zum »Grand Master«, und ihre Inspektor-Jury-Reihe wurde nun auch fürs deutsche Fernsehen entdeckt und erfolgreich verfilmt. Martha Grimes lebt heute in Bethesda, Maryland.
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Vertigo 42, im Finanzdistrikt
Montag, 18.00 Uhr

1. Kapitel

Es war viel zu hoch oben. Die Old Broad Street unter ihm war nicht mehr zu erkennen, dafür boten die Fenster, die rings um den gesamten rautenförmigen Raum verliefen, einen der großartigsten Ausblicke auf London, die er je gehabt hatte. Die Themse, Westminster, die St.-Pauls-Kathedrale, Southwark, alles im Miniaturformat. So hoch oben war er, dass ihm in dem schnellen Aufzug, der nur einmal angehalten hatte, und zwar ganz oben auf dem Tower 42, fast ein wenig schwindelig geworden war.

Jury schaute hinunter auf die Themse. Flussabwärts lagen Gravesend und Gallions Reach, die von hier aus natürlich noch nicht zu sehen waren; in der anderen Richtung gelangte man zur Isle of Dogs und weiter nach Richmond und Hampton Court. Er malte sich all die Schiffe aus, die vor nicht allzu langer Zeit noch in Richtung Londoner Docks getuckert waren, auf Rotherhithe und das Blackwall Basin zu, im gleichen Licht wie dem, das Jury nun vor sich hatte: die untergehende Sonne über der St.-Pauls-Kathedrale. Im leuchtenden Sonnenuntergang, der über den Gebäuden verharrte, wirkten die Umrisse verschwommen. Es hätten auch dunkle Hügel sein können.

Er schaute zu den Docklands hinüber, einer Gegend, die sich früher von den West India Docks bis nach hinten zum Blackwall Basin erstreckt hatte, das nach Schließung der Docks als Einziges noch geblieben war, gut achtzig Hektar von dem, was heute das Canary-Wharf-Gelände bildete. Hier hatten einst Hunderte von Hafenarbeitern gelebt und ihr Tagwerk vollbracht, heute bevölkerten Büroangestellte die gläsernen Bauten und umgewandelten Lagerhallen.

Vertigo 42, die Bar ganz hoch oben auf einem der Finanztürme in der »Quadratmeile«, aus der Londons Finanzdistrikt bestand, mochte mit dem Ziel entworfen worden sein, dort unten die Illusion einer Stadt zu erschaffen. Vielleicht rührte dieser Gedanke aber bloß von dem Champagner her, den Jury gerade trank. Champagner trank er sonst eigentlich nie, war ihn nicht gewohnt, aber den gab es nun mal hier oben, deshalb kamen die Leute her: um Champagner zu trinken.

Ein Kellner hatte zwei Gläser vor ihn hingestellt und eines eingeschenkt, »im Auftrag von Mr Williamson, Sir«. Jury trank einen Schluck. Er hatte vergessen, wie Champagner schmeckte, großartiger Champagner jedenfalls, wenn er es denn überhaupt je gewusst hatte. Dieser edle Tropfen (er hatte auf der Karte nachgesehen) kostete Mr Williamson annähernd 385 Pfund. Die Flasche wohlverstanden. Marke Krug. Darf man ein derart teures Getränk eigentlich einfach so hinunterschlucken? Oder sollte man es lediglich im Mund behalten, während sich der Blick an den vom orangefarbenen Licht überzogenen Frachtkähnen dort auf dem Fluss festmachte.

Der Kellner kehrte mit einem Schälchen großer, hell glänzender grüner Oliven zurück. Er stellte sie auf die gläserne Ablagefläche, die direkt am Fenster vor den ziemlich trendig aussehenden, aber sehr bequemen Sesseln angebracht war.

Jury war nicht hier, um sich mit einem alten Freund zu treffen, sondern mit dem Freund eines alten Freundes, Sir Oswald Maples. Bei dem Freund eines Freundes handelte es sich um Mr Williamson, der den Champagner bestellt hatte. Oswald Maples hatte Jury gefragt, ob er Zeit für ein Gespräch erübrigen könnte, und Jury hatte gemeint: »Natürlich. Worum geht es?« Worauf Oswald nur erwidert hatte: »Sie werden schon sehen.« Jury schenkte sich noch einmal ein und trat an ein anderes Fenster zu einer anderen Aussicht auf die Themse.

»Meine Lieblingsaussicht«, sagte eine Stimme hinter ihm. Jury wandte sich um.

»Superintendent Jury? Tom Williamson. Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe.«

»Mir nicht«, erwiderte Jury und hob den Krug aus seinem Eisbett. »Sie werden feststellen, dass der hier schon ziemlich weit unter der Wasserlinie liegt.«

Tom Williamson lachte und schenkte sich selbst eine bescheidene Menge ein. Ein hochgewachsener Mann, ein ganzes Stück größer als Jury. »Zum Glück ist da ja noch jede Menge Meer.« Er erhob sein Glas, um Jury zuzuprosten. »Mögen Sie Schiffe, Superintendent?«

»Ich kenne mich nicht aus damit, weiß bloß, dass am Schiffsrumpf entlang eine Wasserlinie verläuft.«

Tom lächelte. »Ich liebe Schiffe. Mein Großvater war im Reedereigeschäft tätig. Früher lagen dort unten Dampfschiffe von der East India Company, beladen mit Gütern – Tee, Gewürzen –, bis zu tausend Schiffe fuhren zu den Docks. Und dazu die Frachtkähne. Heute haben wir Touristenschiffe und Rennboote. Immer noch viel Verkehr auf dem Fluss, aber eben nicht derselbe. Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen.«

Der Dank schloss sich den Gedanken zum Flussverkehr ohne Pause an. Seine Art zu sprechen, die Direktheit, als wollte er keinerlei Zeit verschwenden, brachte Jury zum Schmunzeln. Williamson hatte noch nicht einmal seinen Mantel abgelegt, was er nun nachholte und ihn über einen der eisblauen amöbenförmigen Sessel warf.

»Interessante Bar, die Sie da ausgesucht haben«, sagte Jury. »Und denen, die ich dort unten frequentiere, um Lichtjahre voraus.« Er deutete zum Fenster, in die herannahende Dunkelheit. »Arbeiten Sie im Finanzdistrikt?«

»Nein. Von Finanzgeschäften habe ich keine Ahnung. Sie fragen sich, warum ich die hier ausgesucht habe?«

Jury lachte. »Ich will mich nicht beklagen, glauben Sie mir. In ganz London hat man von hier bestimmt die beste Aussicht.«

»Stimmt. Ich komme nicht oft hierher.« Er lehnte sich zurück. »Vielleicht habe ich sie deshalb gewählt, weil man hier oben buchstäblich über allem steht.« Er nahm einen kleinen Schluck Champagner.

Jury lächelte »Und was ist dieses ›alles‹?«

Williamson musterte ihn verblüfft.

»Über dem Sie stehen wollen?«

Williamson nahm eine Olive, die er aber nicht verspeiste, sondern auf eine der kleinen Papierservietten legte, die der Kellner gebracht hatte. »Sie kennen doch jemanden bei der Polizei von Devon und Cornwall. Einen Commander Macalvie?«

Jury war so überrascht über diesen plötzlichen Gedankensprung, dass er seinen Champagner verschüttete, zum Glück aber bloß über sich selber. »Verzeihung.« Er wischte es mit einem Serviettchen auf. »Brian Macalvie? Aber sicher. Es war aber Sir Oswald Maples, der mir von Ihnen erzählt hat …«

»Natürlich. Entschuldigung. Ich jongliere hier mit zu vielen Bällen.« Er griff nach der Flasche im Eiskühler und schenkte ihnen beiden nach. »Ich weiß nicht, wie viel Oswald Ihnen erzählt hat …«

»Nichts, außer dass Sie für die Codierungs- und Entschlüsselungsabteilung der Regierung gearbeitet haben, die GC & CS. Nicht, als er dort war, sondern später, nachdem es in Government Communications Headquarters umbenannt und nach Cheltenham verlegt worden war.«

Tom Williamson nickte.

Jury fuhr fort. »Sir Oswald weiß, dass ich eine Schwäche für dieses Zeug habe. Ich war mal in Bletchley Park, um mir die Enigma-Maschine anzusehen. Die haben Unglaubliches geleistet, Alan Turing und die anderen.«

Williamson sagte: »Oswald war während des Krieges in Bletchley Park. Und zwar richtig mittendrin, sehr hoch oben. Ich nicht ganz so hoch, meine Arbeit war im Vergleich dazu Kleinkram. Ihr Name fiel – das heißt, Sie kamen ihm in den Sinn, als ich ihn eines Abends in Chelsea besuchte. Es geht um meine Frau, Tess.«

»Ihre Frau?« Jury schaute über die Schulter, eine ziemlich dumme Geste, als rechnete er damit, hinter ihren Sesseln Tess vorzufinden.

»Sie ist tot.«

Irgendwie hatte Jury es schon geahnt, als er sich gerade suchend nach ihr umgesehen hatte.

»Vor siebzehn Jahren.« Er machte eine lange Pause, als würde er jedes einzelne abzählen. »Wir hatten – wir haben es immer noch – ein Haus in Devon, sehr groß, eigentlich zu groß für uns. Mit Wald, weitläufiger Gartenanlage, so in Stufen angelegt und im Stil ziemlich italienisch. Zu viel Arbeit, obwohl wir schon seit vielen Jahren einen Gärtner haben. Tess interessierte es eigentlich gar nicht, den Garten, wie man so schön sagt, wieder in seine alte Pracht zurückzuversetzen. Sie mochte seine ungestüme Wildheit. Tess hatte etwas Romantisches an sich.«

Inzwischen war es dunkel geworden, und entlang des Embankment und in Southwark auf der anderen Flussseite waren die Lichter angegangen. »Tess und ich haben uns in Norfolk kennengelernt, an der Küste. Wir haben uns immer gern die Hafenlichter angeschaut. Das ist noch ein Grund, warum ich diese Bar mag. Dort unten. Wie die Lichter angehen.« Er verstummte.

Jury wartete ab.

Tom räusperte sich und fuhr fort. »Ich sprach gerade von unserem Haus in Devon. Für mich war es bloß ein Riesengrundstück mit einem ungepflegten Rasen, wirren Kletterpflanzen, wild wucherndem Unkraut und verwitternden Bäumen.« Sein flüchtiges Lachen klang nicht glücklich. »Im Garten hinter dem Haus gab es – gibt es immer noch – zwei ausbetonierte Becken, früher waren es wohl mal Zierbecken, inzwischen sind sie leer. Und einen breiten Innenhof mit ausladender Steintreppe. Rings um den Hof und am Fuß der Treppe sind Pflanzvasen platziert.« Er wandte den Blick von der dunklen Themse, die sich dort unten in der Ferne wand. »Verzeihen Sie die detaillierte Schilderung, aber dort ist sie gestorben. Am Fuß dieser Treppe. Tess hatte gelegentlich Schwindelanfälle.«

Jury fand das Gesagte beunruhigend, weil er wusste, dass sich dahinter Ungesagtes verbarg.

»Sie ist offenbar …«

Jury sah, dass der andere Mühe hatte, nach dem »offenbar« etwas herauszubringen, und sagte es an...


Grimes, Martha
Martha Grimes zählt zu den erfolgreichsten Krimiautorinnen unserer Zeit. Lange Zeit unterrichtete sie kreatives Schreiben an der Johns-Hopkins-University. Durch ihre Serien um Inspektor Richard Jury und die 12-jährige Ermittlerin Emma Graham wurde sie weltbekannt. Die »Mystery Writers of America« kürten sie 2012 für ihr Lebenswerk zum »Grand Master«, und ihre Inspektor-Jury-Reihe wurde nun auch fürs deutsche Fernsehen entdeckt und erfolgreich verfilmt. Martha Grimes lebt heute in Bethesda, Maryland.



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