E-Book, Deutsch, 88 Seiten
Grof Psychedelische Selbsterfahrung und Therapie
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-03788-605-2
Verlag: Nachtschatten Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 88 Seiten
ISBN: 978-3-03788-605-2
Verlag: Nachtschatten Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses Smart Book befasst sich mit der Erkundung des eigenen Selbsts und den potenziell tiefgreifenden psychotherapeutischen Ansätzen, die mit Psychedelika verfolgt werden können. Dabei beantwortet der Pionier der Bewusstseinsforschung Stanislav Grof die grundlegenden Fragen rund um die Wichtigkeit von Set und Setting für psychonautische Erfahrungen, die therapeutischen Anwendungsmöglichkeiten sowie die psychospirituellen Dimensionen des Todes und des Sterbens - ebenfalls ein zentrales Thema menschlicher Existenz.
Das Smart Book ist eine Vorab-Auskopplung zweier Kapitel aus Band 2 der grossen Enzyklopädie Der Weg des Psychonauten, der im Herbst 2020 im Nachtschatten Verlag erscheint.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Psyche und Thanatos:
Die psychospirituellen Dimensionen von Tod und Sterben
Man kann sich kaum ein Thema vorstellen, das universeller und für jeden einzelnen Menschen persönlich bedeutsamer ist als Tod und Sterben. Im Verlauf unseres Lebens werden wir alle unsere Verwandten, Freunde, Lehrer, Bekannten und wichtige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens verlieren und irgendwann unserem eigenen biologischen Tod gegenüberstehen. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass die westliche Industriegesellschaft bis in die späten 1960er Jahre kaum Interesse am Thema Tod und Sterben zeigte.
Dies galt nicht nur für die Bevölkerung im Allgemeinen, sondern auch für Wissenschaftler und Fachleute in Disziplinen wie Medizin, Psychiatrie, Psychologie, Philosophie und Theologie, die eigentlich sehr interessiert an diesem Thema sein sollten. Die einzige plausible Erklärung für diese Situation ist Angst und eine massive Verdrängung des Todes, wie sie in der modernen Industriegesellschaft existieren.
Der US-amerikanische Kulturanthropologe Ernest Becker hat in seinem Buch gezeigt, dass die moderne Gesellschaft letztlich ein ausgefeilter symbolischer Verteidigungsmechanismus gegen die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit ist. Er schlug vor, die Menschen sollten versuchen, ihre Angst vor dem Tod zu überwinden, indem sie „Unsterblichkeitsprojekte“ schaffen, die es ihnen ermöglichen, sich vorzustellen, dass sie Teil von etwas werden, das größer ist als sie selbst, etwas, das den Tod überlebt. Laut Becker ist das Zusammenprallen der Unsterblichkeitsprojekte verschiedener Menschen für das meiste Unheil in der Welt verantwortlich – zwischenmenschliche Konflikte, Kriege, Fanatismus, Völkermord und Rassismus (BECKER 1973).
Das Desinteresse der modernen Gesellschaft am Tod ist umso verblüffender, wenn wir die Situation mit jener in antiken und vorindustriellen Kulturen vergleichen. Ihre Haltung gegenüber Tod und Sterben war eine grundlegend andere. Der Tod spielte eine zentrale Rolle in ihren Kosmologien, Philosophien, ihrem spirituellen Leben, ihren Ritualen und Mythologien sowie im Alltagsleben. Die praktische Bedeutung dieses Unterschieds wird deutlich, wenn wir die Situation einer Person, die dem Tod gegenübersteht, in diesen beiden unterschiedlichen historischen und kulturellen Umfeldern vergleichen.
Ein gewöhnlicher Mensch, der in einer der westlichen Industriegesellschaften stirbt, hat eine pragmatische und materialistische Weltsicht oder ist zumindest nachhaltig davon beeinflusst. Gemäß der etablierten westlichen Wissenschaft ist die Geschichte des Universums gleichbedeutend mit der Geschichte der sich entwickelnden Materie. Leben, Bewusstsein und Intelligenz sind mehr oder weniger zufällige und unbedeutende Nebenprodukte dieser Entwicklung. Sie tauchten nach vielen Milliarden Jahren der Evolution passiver und träger Materie in einem unendlich kleinen Teil eines unermesslichen Universums auf. In einer Welt, in der nur das real ist, was materiell, greifbar und messbar ist, gibt es keinen Platz für Spiritualität.
Obwohl religiöse Aktivitäten allgemein praktiziert, gesellschaflich akzeptiert oder sogar ausdrücklich gefördert werden, erscheint aus streng wissenschaftlicher Sicht jede Beschäftigung mit Spiritualität irrational und deutet auf emotionale und intellektuelle Unreife hin, die entweder auf einen Mangel an Bildung, Aberglauben oder den Rückfall in primitives magischen Denken zurückzuführen ist. Direkte Erfahrungen mit spirituellen Realitäten werden als Manifestationen einer Psychose, einer schweren psychischen Erkrankung, wahrgenommen und diagnostiziert. Die Religion, die ihrer Erfahrungskomponente beraubt wurde, hat die Verbindung zu ihren tiefen spirituellen Quellen weitgehend verloren und ist infolgedessen leer, bedeutungslos und im Leben eines durchschnittlichen Westlers zunehmend unwichtig geworden.
In dieser Form kann die Religion nicht mit der Überzeugungskraft der materialistischen Wissenschaft mithalten, die durch technologische Erfolge untermauert wird. Unter diesen Voraussetzungen hat die Religion sowohl in unserem Leben als auch in der Zeit des Sterbens und des Todes ihre lebendige Kraft verloren. Ihre Verweise auf das Leben nach dem Tod, die postumen Abenteuer der Seele und die Stätten des Jenseits, wie Himmel und Hölle, wurden ins Reich der Märchen und in die Handbücher der Psychiatrie verbannt. Die gesamte rituelle und spirituelle Geschichte der Menschheit wurde pathologisiert.
An der Wiege aller großen Weltreligionen standen perinatale und transpersonale Erfahrungen ihrer Gründer, Propheten und Heiligen. Wir können hier beispielsweise an Buddhas Begegnung mit Kama Mara und seiner Armee denken oder an sein Wiedererleben von Episoden aus seinen vergangenen Inkarnationen, begleitet vom „Zerreißen der karmischen Bindungen“. Das Alte Testament beschreibt Moses’ Vision von Jehova im brennenden Busch, und das Neue Testament berichtet von der Versuchung Jesu durch den Teufel in der Wüste, Sauls Vision von Jesus auf dem Weg nach Damaskus und Johannes’ Erfahrung der Apokalypse. Die islamischen Schriften schildern die Reise Mohammeds durch die sieben Himmel, das Paradies und die Hölle in Begleitung des Erzengels Gabriel. Nach Ansicht der herkömmlichen Psychiatrie sind all diese Erfahrungen ein Hinweis auf eine schwerwiegende psychische Erkrankung der betroffenen Individuen.
Auf dem Gebiet der Psychiatrie findet man eine Unmenge von Artikeln und Büchern, in denen über die beste klinische Diagnose für diverse berühmte spirituelle Figuren diskutiert wird, darunter Buddha, Jesus, Mohammed, Ramakrishna oder der heilige Antonius. Visionäre Erlebnisse im transpersonalen Bereich werden in der Regel auf eine schwere Psychose vom schizophrenen Typ oder auf Epilepsie zurückgeführt, wie im Falle Mohammeds. Der heilige Johannes vom Kreuz wurde als „erblich entartet” eingestuft und die heilige Teresa von Avila als „hysterische Psychotikerin”.
Anthropologen haben über die Frage debattiert, ob Schamanen Schizophrene, Borderline-Psychotiker oder Epileptiker sind. Es gibt sogar einen Artikel, der psychopathologische Kriterien auf die Meditation anwendet. Er trägt den Titel , und der Verfasser ist der berühmte Psychoanalytiker und Begründer der Psychosomatischen Medizin Franz Alexander (ALEXANDER 1931).
Gemäß der westlichen Neurowissenschaft ist das Bewusstsein ein Epiphänomen der Materie, ein Produkt der physiologischen Prozesse im Gehirn, und damit maßgeblich vom Körper abhängig. Der Tod des Körpers, speziell des Gehirns, wird dann als das definitive Ende jeder Form bewusster Aktivität angesehen. Der Glaube an die postume Reise der Seele, an das Leben nach dem Tod oder an die Reinkarnation wird gewöhnlich als Produkt des Wunschdenkens von Menschen abgetan, die außerstande sind, den offensichtlichen biologischen Imperativ des Todes zu akzeptieren, dessen Absolutheit unwiderlegbar wissenschaftlich bewiesen ist. Nur sehr wenige Menschen, auch unter den Wissenschaftlern, sind sich darüber im Klaren, dass wir absolut keinen Beweis dafür haben, dass Bewusstsein tatsächlich vom Gehirn produziert wird und wir nicht einmal eine entfernte Vorstellung davon haben, wie so etwas möglich sein könnte. Dennoch bleibt diese metaphysische Grundannahme eine der führenden Mythen der westlichen materialistischen Wissenschaft und hat einen tiefgreifenden Einfluss auf unsere gesamte Gesellschaft.
Diese Auffassung verhinderte effektiv das wissenschaftliche Interesse an den Erfahrungen sterbender Patienten und von Menschen in Nahtodsituationen bis in die späten 1960er Jahre. Die wenigen Berichte zu diesem Thema fanden kaum Beachtung, sei es nun in Form von Büchern für die breite Öffentlichkeit wie Jess E. Weisses (WEISSE 1972) oder Jean-Baptiste Delacours (DELACOUR 1974: dt. Aus dem Jenseits zurück) oder als wissenschaftliche Forschungsarbeiten, wie zum Beispiel die Studie von Karlis Osis zu Sterbebettbeobachtungen von Ärzten und Krankenschwestern und -pflegern (OSIS 1961).
Seit der Veröffentlichung des internationalen Bestsellers (dt. Leben nach dem Tod) von Raymond Moody im Jahr 1975 haben Elizabeth Kübler-Ross, Ken Ring, Michael Sabom und andere Pioniere der Thanatologie eindrucksvolle Zeugnisse für die außergewöhnlichen Eigenheiten von Nahtoderfahrungen gesammelt, von präzisen außersinnlichen Wahrnehmungen während außerkörperlicher Erfahrungen bis hin zu tiefgreifenden Persönlichkeitsveränderungen, die danach auftraten (KÜBLER-ROSS 1969, MOODY 1975, RING 1982, SABOM 1982).
Das Material aus diesen Studien wurde weit verbreitet und von den Medien in allen möglichen Formaten verwendet, von TV-Talkshows bis hin zu Hollywood-Filmen. Aber noch immer werden diese Beobachtungen, die möglicherweise Paradigmen vernichten und unser Verständnis von der Natur des Bewusstseins und seiner Beziehung zum Gehirn revolutionieren könnten, von den meisten Fachleuten als irrelevante Halluzinationen abgetan, die aufgrund einer...