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E-Book, Deutsch, 198 Seiten

Groner Der rote Merkur


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7584-9293-8
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 198 Seiten

ISBN: 978-3-7584-9293-8
Verlag: epubli
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Ein hässlicher, nasskalter Tag war der letzte Tag des Novembers. Vor einer Buchhandlung in der Wiener Ringstraße schritt ein junger Mann fröstelnd auf und nieder, ein recht hübscher Mensch. Eine große Ungeduld und eine peinvolle Unruhe schienen ihn immer wieder auf und ab zu treiben. Wie oft hatte er schon die Uhr gezogen, wie oft war er schon im Begriffe gewesen, die Buchhandlung zu betreten! Endlich schlug es zwölf von den Türmen, und gleich darauf traten drei Herren aus der Buchhandlung auf die Straße heraus. Merkwürdigerweise zog sich der so ungeduldig Wartende jetzt unter den nächsten Torbogen zurück. Er ließ die beiden vorderen vorbeigehen, erst den dritten, eine große und schlanke Gestalt, rief er leise an.

* 16. April 1850 in Wien; ? 7. März 1929 ebenda, gebürtig Auguste Kopallik, war eine österreichische Schriftstellerin. Sie veröffentlichte auch unter den Pseudonymen Olaf Björnson, A. von der Paura, Renorga und Metis.
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Kapitel 1


Ein hässlicher, nasskalter Tag war der letzte Tag des Novembers. Vor einer Buchhandlung in der Wiener Ringstraße schritt ein junger Mann fröstelnd auf und nieder, ein recht hübscher Mensch. Eine große Ungeduld und eine peinvolle Unruhe schienen ihn immer wieder auf und ab zu treiben.

Wie oft hatte er schon die Uhr gezogen, wie oft war er schon im Begriffe gewesen, die Buchhandlung zu betreten!

Endlich schlug es zwölf von den Türmen, und gleich darauf traten drei Herren aus der Buchhandlung auf die Straße heraus.

Merkwürdigerweise zog sich der so ungeduldig Wartende jetzt unter den nächsten Torbogen zurück. Er ließ die beiden vorderen vorbeigehen, erst den dritten, eine große und schlanke Gestalt, rief er leise an.

»Otto«, wiederholte er, »komm mit mir. Wir gehen gleich hier durch.«

Der Angerufene schaute den Wartenden kopfschüttelnd an und sagte: »Was bringt denn dich hierher? Und wie siehst du aus? Es ist doch hoffentlich nichts geschehen, Fritz? Ist der Mutter etwas zugestoßen? Hast du schlechte Nachrichten von daheim?«

Otto Falk faßte seines Stiefbruders Arm fest und zwang ihn so, stehen zu bleiben. Seine Augen suchten jedoch vergeblich des anderen Blick.

»So rede doch!« drängte Otto. »Was ist geschehen?«

»Daheim ist nichts geschehen. Es ist wenigstens kein Brief gekommen. Aber mir ist etwas passiert.«

»Was?«

»Ich habe mehr Geld verbraucht, als ich hatte.«

»Du hast also mit anderen Worten Schulden gemacht?«

»Auch.«

»Was heißt das? Fritz – du hast eine Kasse unter dir. Du wirst doch nicht …«

Otto Falk, der redliche Mensch, der, seit er seinen bescheidenen Gehilfengehalt bezog, jede Krone nicht einmal, sondern zehnmal umdrehte, ehe er sie ausgab, war sehr blaß geworden. »Schüttle mich doch nicht so!« murrte der Jüngere, sich dem Griff des anderen entziehend. »Damit kommen die achthundert Kronen, die ich ersetzen muss, nicht wieder in meine Kasse, und sie müssen doch morgen früh dasein, sonst zeigt mich Prantner, der alte Schnüffler, der dahintergekommen ist, dass ich nicht ganz korrekt …«

»Nicht ganz korrekt …«

»Gebucht habe«, vollendete Fritz, »beim Chef an. Was danach kommt, kannst du dir ausrechnen. Ich warte es jedenfalls nicht ab. Ich bin heute den ganzen Vormittag herumgerannt, um das Geld zu beschaffen. Aber mir leiht niemand mehr etwas.«

»Und da kommst du nun zu mir, den du sonst niemals findest!«

»Ich bitte dich, Otto, sei nicht sentimental! Hilf mir lieber! Sonst muss ich – Na, mir täte es dann nur um unsere Mutter leid, denn die überlebt das nicht.«

Otto, der schon nach seines Stiefbruders ersten Worten stehen geblieben war, musste sich an die Mauer lehnen. »Nein, sie überlebte das nicht!« wiederholte er bitter. »Ihr Liebling darf nicht zugrunde gehen, wenn die alte kranke Frau noch weiter leben soll. Du wirst also keine Dummheiten machen. Das heißt, wenn ich es verhindern kann, dass du ins Zuchthaus kommst.«

»Otto!«

»Ach glaube gar, du willst noch den Beleidigten spielen!«

»Noch ist die Sache nicht bekannt.«

»Nur Herrn Prantner und mir und dir. Aber wenn auch nur du allein wüsstest, dass du ein Dieb bist, musstest du es spüren, dass du nicht mehr zu beleidigen bist.«

»Ach was, lass doch die moralischen Bedenken! Sag mir lieber, ob du mir helfen willst.«

»Wollen? Nein! Aber ich muss wohl.«

»Du hast immer solch liebenswürdige Manieren gehabt.«

»In liebenswürdigen Manieren bist du mir über. Solch glatte Burschen, wie du einer bist, die machen sich rascher beliebt.«

»Du beneidest mich um meine angenehmere Stellung, meinen höheren Gehalt. Was kann ich dafür, dass ich es weiter gebracht habe als du?«

»Ja, weiter hast du’s gebracht!« stieß Otto hervor, warf seinem Stiefbruder einen verächtlichen Blick zu und ging dann rasch weiter.

Die Zähne zusammenpressend, folgte ihm Fritz. »Wie ich diesen Tugendprotz hasse! Und nun muss ich ihm wie ein Hund nachlaufen!« stieß er zwischen den Zähnen hervor und bohrte den tückischen Blick schier in den Leib dessen, von dem jetzt sein Geschick abhing.

Ihr nächstes Ziel war nach etwa zehn Minuten erreicht. Vor einem gemütlichen Hause, nahe dem Theater an der Wien, blieb Otto, der sehr schnell gegangen war, stehen und hieß den hinter ihm herkeuchenden Fritz einstweilen auf ihn warten, dann eilte er in das Haus.

Nach wenigen Minuten kam er schon wieder zurück und ging, ohne ein Wort zu verlieren, weiter.

»Was hast du denn vor?« erkundigte sich Fritz. »Könnte ich nicht irgendwo auf dich warten? Ich habe außer dem Frühstück heute noch nichts im Leibe.«

»Ich auch nicht«, erwiderte Otto schroff, setzte aber nach einer Weile weniger unfreundlich hinzu: »Es hat in der Tat keinen Zweck, dass du mitrennst. Ich habe im Freihaus1 zu tun. Erwarte mich in dem kleinen Restaurant, das dicht daneben liegt.«

Dann ging er eilig davon.

Fritz ließ sich jetzt Zeit. Ein höhnisches Lächeln machte, dass sein hübsches Gesicht augenblicklich recht unangenehm wirkte.

Er saß sehr lange in dem Gasthaus, bis Otto, sichtlich abgehetzt, eintrat.

Mit einem schweren Seufzer ließ er sich in der tiefen Fensternische nieder, in der Fritz einen kleinen Tisch in Beschlag genommen hatte.

»Nun?« fragte der Wartende.

»Lass mich nur zuerst zu Atem kommen«, erwiderte Otto, wischte sich den Schweiß von der Stirne und bestellte bei dem herzueilenden Kellner Suppe und eine billige Fleischspeise.

Nach einer Weile sagte er: »Du hast, wie ich sehe, einen Hasenrücken verspeist?«

Fritz überhörte diese Anzüglichkeit. »Also was bringst du?« fragte er noch einmal.

»Einhundertfünfzig Kronen habe ich schon. Ein Bekannter hat sie mir gegeben. Ich ließ ihm einen Schuldschein und mein Postsparkassenbuch, das auf so viel lautet.«

Fritz war offenbar sehr wenig erbaut über den geringen Betrag. Er zuckte nur die Schultern.

»Hast du denn gar nichts, das du hergeben könntest? Wie steht es denn mit deinen eleganten Kleidern? Und Schmuck hast du doch auch und Uhr und Kette.«

»Wird alles heute noch verkauft.«

»Ich kann dir einen Händler schicken, der dir das Fell nicht zu sehr über die Ohren ziehen wird.«

»Es werden kaum hundert Kronen bei der Geschichte herauskommen.«

»So!«

»Ich glaube, ich habe dir schon angedeutet, dass ich so ziemlich bis an den Hals in Schulden stecke.«

»Musst schön gelebt haben!«

»Na, wie ein Bettelmönch freilich nicht. Man ist nur einmal jung.«

»Auch ich bin jung, aber …«

»Aber du warst immer ein Knauser.«

»Wie genau du das weißt! Ein Knauser also! Ja – das war ich. Heute wirst du vielleicht Gott dafür danken, denn hoffentlich kann ich dir gerade meines soliden Rufes wegen das Geld beschaffen. Man hat mir Hoffnung gemacht.«

»Nur Hoffnung?«

»Glaubst du denn, die kleinen Leute, aus denen sich mein Bekanntenkreis zusammensetzt, brauchen nur so in die Tasche zu greifen, um die Hunderter herauszuziehen?«

»Warst du schon bei der Schubert?«

»Bei der Tante meiner Braut? Was fällt dir ein?«

»Die Frau hat doch Geld.«

»Wie du nur auf diese Idee kommen kannst!«

»Dass sie Geld hat? Auf diese Idee hast du selbst mich gebracht.«

»Ich?«

»Ja. Du hast einmal gesagt, dass die Alte eine Heimlichtuerin und dass sie misstrauisch ist. Womit sollte sie denn heimlich tun? Weshalb sollte sie denn misstrauisch sein? Da ist doch Geld dahinter.«

»Da kann es sich nur um ihr bisschen Erspartes, um ein paar Kronen handeln.«

»Das glaube ich nicht.«

»Also glaub was du willst.«

»Nein, was vernünftig ist. Deine Anna trägt ja Diamantohrgehänge.«

»Woher weißt du denn das?«

»Ach bin euch einmal nachgegangen.«

»Und da hast du diese wunderbare Entdeckung gemacht? Warum hast du mich denn nicht angesprochen?«

»Weil ich auch nicht allein war und überdies weiß, dass du mit mir keinen Umgang haben willst. Die Ohrringe sind mindestens sechshundert Kronen wert.«

»Hast du sie so gut abgeschätzt?«

»Die Dame, die ich begleitete, kennt sich in Schmucksachen aus.«

»Nun, die Ohrringe könnten ja auch falsch gewesen sein.«

»So altmodisch geformte Schmuckstücke sind nie falsch. Damals dachte ich gleich, dass deine Heirat nicht nur eine reine Liebesheirat sein wird.«

»Meinst du? Nun, dieser rauten besetzten Ohrringe wegen, brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Allerdings hat Frau Schubert sie Anna geschenkt, aber die alte Frau hat sie nicht gekauft, sie sind ihr auch geschenkt worden. Von einer jungen Dame hat sie sie bekommen, bei der sie zwölf Jahre hindurch Mutterstelle vertrat.«

»Mutterstelle bei einer jungen Dame, die solche Geschenke machen kann! Da wird diese zwölfjährige Mutterstelle der Alten ein hübsches Geld eingetragen haben.«

»Lass dieses ganz zwecklose Rechnen. Denk lieber an deine eigenen Verhältnisse, in die ich jetzt leider auch mit hineingezogen werde, und unter denen ich bitter leiden muss, denn natürlich ist jetzt meine Heirat weit hinausgeschoben. Mit Schulden heirate ich nämlich nicht, so weit wirst du mich kennen. Und da ich jetzt gezwungen bin, deinethalben – nein, unserer kranken Mutter wegen Schulden zu machen, muss ich noch lange auf Anna verzichten.«

Die Traurigkeit, mit der Otto das sagte, rührte seinen leichtsinnigen Stiefbruder denn doch ein wenig. Er streckte Otto die Hand hin und sagte hastig: »Ich verspreche...



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