Groult Salz auf unserer Haut
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-426-43648-6
Verlag: Feelings
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 220 Seiten
ISBN: 978-3-426-43648-6
Verlag: Feelings
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Benoîte Groult wurde 1920 geboren. Nach dem Studium der Literaturwissenschaften arbeitete sie bis 1953 als Journalistin beim RTF. Ehe sie 1972 mit ihrem ersten eigenen Roman an die Öffentlichkeit trat, publizierte sie drei Bücher mit ihrer Schwester Flora. Benoîte Groult gehörte der Jury für den 'Prix Femina' an und war mit dem Schriftsteller Paul Guimard verheiratet. Sie hat drei Töchter und drei Enkelinnen. Benoîte Groult starb im Juni 2016 im Alter von 96 Jahren.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vorwort
Wie soll ich ihn überhaupt nennen, damit es seine Frau niemals erfährt? Einen bretonischen Vornamen werde ich ihm auf jeden Fall geben, denn einen solchen hatte er ja. Aber es sollte ein Bardenname sein, der Name eines jener irischen Helden, deren Mut absurd war und die ihre Schlachten meistens verloren haben, nie aber ihre Seele.
Wie wäre es mit einem Wikingernamen? Nein, die waren blond. Lieber einen Keltennamen – die keltischen Männer waren dunkel, stämmig, ihre Augen waren hell, und in ihren Bärten lag ein rötlicher Hintergedanke. Doch, zu diesem Volk mit ungenauer Geographie, mit umstrittener Geschichte, das allenfalls in der Dichtung, kaum in der Wirklichkeit überlebt hat, gehörte er.
Einen rücksichtslosen, rauhfelsigen Namen will ich ihm geben, einen Namen, der zu seiner kantigen Gestalt paßt, zu seinen dunklen, vorne ein wenig tief ansetzenden und im Nacken dicht gekräuselten Haaren; einen Namen, der zu seinen leuchtendblauen Augen paßt – blau wie zwei Meeressplitter unter dem Dickicht der Augenbrauen –, zu seinen Tatarenbackenknochen, zu dem kupferschimmernden Bart, den er sich wachsen ließ, wenn er auf See war.
Vor meinem inneren Spiegel probiere ich ihm mehrere solche Namen an … Nein, der eine würde nur ungenügend die verstockte Miene wiedergeben, die er immer dann aufsetzte, wenn man ihm Widerstand leistete; der andere paßt nicht zu seinem schweren Gang.
»Kevin«? Ja, aber ich müßte sicher sein, daß er englisch und nicht französisch ausgesprochen wird.
»Yves« klingt nach Islandfischer [1].
»Jean-Yves«, davon habe ich während meiner Bretagne-Ferien zu viele getroffen, immer waren es kleine Hagere mit Sommersprossen.
»Loïc«? Vielleicht … aber mir wäre ein noch seltenerer Name lieber, ein Name, der zu einem Kormoran passen würde.
»Tugdual« also? Oder »Gauvain« [2] nach einem der Zwölf von der Tafelrunde? Oder »Brian Boru« nach Irlands Karl dem Großen? Aber die Franzosen würden diesen Namen abscheulich verunstalten, und die sanfte Liebkosung des englischen »r« würde zu einem uncharmanten Krächzlaut.
Aber er braucht wirklich einen Ritternamen. Gab es einen treueren Ritter als Gauvain, Sohn des Loth, König von Norwegen, und der Anne, Artus’ Schwester, Gauvain, der im Zweikampf gegen Mordred fiel, Mordred, dem Verräter an seinem König. Maßvoll, weise, würdig, großmütig, von erschreckender Kraft und von unbeirrbarer Treue seinem Herrn gegenüber, so berichten die Texte der Artussage: Er war kein Dichter, sondern ein Mann der Pflicht, auch wenn ihm dies manchmal schwerfiel, er scheute kein Abenteuer und keine heroische Anstrengung. So wird er geschildert in dem bretonischen Zyklus, und so ist der Mann meines Berichts.
Im wirklichen Leben trug er einen Namen, den ich dümmlich fand. Gleich nachdem er in mein Leben eingetreten war, stattete ich ihn mit allerlei Kosenamen aus. Heute widme ich ihm diesen endgültigen Namen, der schön zu schreiben und schön zu lesen ist, denn mittlerweile kann ich ihn nur noch zu Papier bringen, mehr nicht.
Jedoch nicht ohne eine gewisse Scheu mische ich mich unter die zweifelhafte Schar der Schriftsteller, die versucht haben, auf einem jungfräulichen Blatt Papier jene Freuden dingfest zu machen, die man die fleischlichen nennt, die einem aber zuweilen heftig das Herz angreifen. Und ich entdecke, wie vermutlich viele unter ihnen und wie die noch viel zahlreicheren, die irgendwann aufgegeben haben, daß die Sprache sich wenig hilfreich zeigt, wenn man die Verzückung der Liebe ausdrücken will, jene äußerste Lust, die die Grenzen des Lebens fernrückt und in uns Körper gebiert, von denen wir nichts ahnten. Ich weiß, daß mir Lächerlichkeit auflauert, daß meine erlesenen Gefühle der Banalität nicht entkommen können und daß jedes Wort nur darauf wartet, mich zu verraten, jedes Wort: jämmerlich oder vulgär, fad oder grotesk, wenn nicht gar abstoßend.
Wie soll ich ganz nach meinem Herzen jene Auswüchse oder Einwüchse benennen, in denen das Begehren sich ausdrückt, sich auflöst und wiederersteht? Wie soll man anrühren, indem man »Coitus« sagt? Co-ire, gewiß, zusammen-gehen und, in meiner Sprache, zusammen-passen. Was wird jedoch aus der Lust zweier Körper, die zusammengehen, weil sie zusammenpassen?
Und »Penetration«? Klingt ungemein juristisch. »Ist es zur Penetration gekommen, Fräulein X?«
»Unzucht treiben« gehört in den Dunstkreis von Beichtstuhl und Sünde. Und »Kopulation« klingt nach Mühsal, »Begattung« klingt tierisch, »schlafen mit« ist langweilig und »vögeln« hört sich nach Schnellverfahren an.
Oder lieber »quindipsen« oder »das Schatzkästlein aufschließen«? »Den Specht hacken lassen« oder »die Liebesgrotte abkühlen«? Dies sind leider in Vergessenheit geratene Ausdrücke, heitere Erfindungen einer jungen, unbekümmerten Sprache, die sich noch keine Zügel hatte anlegen lassen.
Heutzutage, in einer Zeit der verbalen Inflation, wo sich die Wörter noch schneller abnutzen als die Kleider, bleiben uns nur noch die schweinischen Wörter oder die Wörter aus der Nuttensprache, die durch ständige Verwendung ihre Farbe verloren haben. Und dann gibt es ja auch noch das brave »ins Bett gehen«, es steht allzeit zur Verfügung und hat kaum noch einen emotionalen oder erotisch-skandalösen Beiklang. Es ist literaturunfähig, gewissermaßen.
Und wenn die Rede auf die Organe kommt, die besagte Lust kanalisieren, dann warten auf den Schriftsteller, und mehr noch wahrscheinlich auf die Schriftstellerin, neue Klippen. »Jean-Phils Rute war zum Bersten steif … Mellors Phallus ragte empor, majestätisch, schreckenerregend … Das Gemächt des stellvertretenden Direktors … Dein geliebter Hodensack … Sein Penis, deine Scham, ihr Liebesschlupfloch … Amanda, deine Vagina … deine Klitoris, liebe Doris …« Wie könnte man da der Komik entrinnen? Wenn es sich um Sex handelt, verliert sogar die Anatomie ihre Unschuld, und die Wörter, diese verdammten Schurken, die ihr Leben unabhängig von uns führen, zwingen uns feststehende Bilder auf und verbieten einen unbefangenen Gebrauch. Sie gehören zum Medizinerlatein oder zum Schundvokabular, zum Pennälerjargon oder zur Gossensprache. Wenn sie überhaupt existieren. Denn das Vokabular der weiblichen Lust erweist sich, sogar bei den größten Autoren, als bestürzend armselig.
Man müßte alles vergessen können, angefangen von der Fachpresse für Schwellkörper über die Photoromane mit Schleimhautgroßaufnahmen bis zu den Doppelaxel der Sexakrobaten, die von blasierten, schlecht bezahlten Redakteuren kommentiert werden. Und gründlicher noch müßte man die modische Hochglanzerotik vergessen, die von einer gewissen philosophischen Schickeria propagiert wird; leider gehört es zum guten Ton, sie zu schätzen, weil der intellektuelle Jargon ihre Schändlichkeit vernebelt.
Und doch: Die Geschichte, die ich erzählen möchte, existiert nicht ohne die Beschreibung der »Sünde Dideldum«. Die Helden meines Romans haben einander verführt, indem sie sich der Sünde Dideldum hingaben. Um Dideldum zu machen, haben sie sich quer über den Erdball verfolgt; einzig und allein deswegen konnten sie nie mehr voneinander lassen, obwohl sie eigentlich alles trennte.
Es wäre schmeichelhaft und, was die Erklärung dieser Liebe angeht, gewiß bequemer, wenn auf eine ideelle oder kulturelle Übereinstimmung, auf eine Kinderfreundschaft, auf eine seltene Begabung bei einem der beiden oder auf ein rührendes Gebrechen hingewiesen werden könnte … aber es bleibt nichts anderes übrig, als sich die nackte Wahrheit einzugestehen: Diese beiden waren dazu geschaffen, nichts voneinander zu wissen, ja sich zu verachten, und allein die unartikulierte Sprache der Liebe hat es ihnen ermöglicht zu kommunizieren, allein die Magie des Hineinsteckspiels – auch die Prädestinationsgeschichten, die man in solchen Fällen gerne anführt, ändern da nichts, auch nicht die geheimnisvollen Tropismen oder, das Spiel der Hormone oder sonst irgendwas – allein diese Magie hat sie so tief aneinander binden können, daß alle Schranken fielen.
Übrig bleibt die Aufgabe, den auf dieser Erde meistpraktizierten Akt als etwas Hinreißendes zu schildern. Denn wozu schreibt man, wenn nicht, um den Leser hinzureißen? Aber...