E-Book, Deutsch, 210 Seiten
Gstättner Absturz aus dem Himmel
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-7117-5043-3
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 210 Seiten
ISBN: 978-3-7117-5043-3
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eines Morgens erhält der Schriftsteller Jan Philipp Möller seltsame Post: nämlich von sich selbst. Es handelt sich um ein verschollen geglaubtes Jugendmanuskript, das ein Vierteljahrhundert lang unterwegs gewesen und nun ungeöffnet zurück zum Absender gekommen ist. Diese merkwürdige Begebenheit animiert den Autor zu einem imaginären Dialog mit seinem jüngeren Ich. Gleichzeitig erstattet er über diesen vergessenen Teil seines Wesens Frau Großholtz Bericht, die gerade eine Doktorarbeit über ihn verfasst.Es entwickelt sich eine Art Stationendrama aus unpublizierten Romananfängen: Stationen eines Lebens, gewissermaßen von der ersten Liebe bis zum ersten Tod. Unordnung und frühes Leid, Irrungen und Wirrungen. Ein Künstlerschicksal mit Fehlstarts, jeder Menge Sackgassen und Misserfolgen, dann doch auch unerwarteten Erfolgen, Höhenflügen und Triumphen. Das Leben zwischen Provinz und Metropole, zwischen Sein und Nichtsein, das Leben mit dem Vater, das Leben als Vater, der Abschied vom Vater, schließlich der plötzliche Zusammenbruch der Existenz.Egyd Gstättner changiert meisterhaft zwischen satirischer Erzählhaltung und existenzieller Tiefe, er erzählt von den Qualen und Freuden einer Künstlerexistenz, von der Gleichzeitigkeit von Erfolg und Scheitern.
Autoren/Hrsg.
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3 (S. 47-48)
Eigentlich wollte ich – literarisch gerade wieder einmal frei geworden, was ein nervlich strapaziöser und auf Dauer wenigstens mir unausstehlicher Zustand ist – die Geschichte eines mündigen Staatsbürgers schreiben, der nach einem langen Wahlkampf in der Wahlzelle plötzlich von einer akuten Unentschiedenheit gepackt wird.
Denn er hält alle Parolen und Versprechungen und Gesichter aller Kandidaten aller Parteien gegeneinander und weiß partout nicht, in welchen Kreis er sein Kreuz machen könnte: eine Prosa übrigens, die deutliche autobiografische Züge enthalten soll; immerhin sagt eine meiner wenigen Literaturtheorien, dass meine Existenz von Haus aus derart dramatisch ist, dass ich keine andere benötige und nichts erfinden muss. Ich muss nur Ordnung schaffen.
Ich kann von meinem Leben leben. Weil er trotz der dringlichen Aufforderungen der Wahlhelfer der Parteien die Wahlzelle stundenlang nicht wieder verlässt mit der Begründung, eine solche Wahl sei eine heikle Angelegenheit und die gründlichste und genaueste Überlegung daher ein unerlässlicher Sachzwang, ungeachtet des sicher stimmigen Einwands, dass zunehmende Gründlichkeit und Genauigkeit dieser Überlegung eine daran anschließende Entscheidung für einen der Spitzenkandidaten, denen von der Meinungsforschung seriöse Gewinnchancen zugebilligt werden, keineswegs vereinfache, sondern im Gegenteil erschwere und verunmögliche, wird bald nicht nur die Warteschlange außerhalb der Wahlzelle, sondern auch das Fernsehen und damit das gesamte Bundesgebiet auf den Wähler aufmerksam, denn der Fernsehmoderator muss der am Höhepunkt der Hochspannung befindlichen Bevölkerung eingestehen, dass die für siebzehn Uhr angekündigte Hochrechnung, die das für das politische Leben der nächsten Jahre oder gar Jahrzehnte so richtungweisende und bedeutsame und mit einem [58]Wort entscheidende Endergebnis der Wahlen erfahrungsgemäß mit verblüffender Exaktheit vorwegnimmt, nicht ausgestrahlt werden könne, obwohl sie natürlich bereits vorliege, aber erst veröffentlicht werden dürfe, sobald das letzte Wahllokal geschlossen habe.
Ein einziges Wahllokal habe aber unvorhergesehen noch offen und könne bis auf Weiteres auch nicht geschlossen werden, ein Unikum in der Geschichte der Republik, vielleicht das Ende dieser und der Anfang einer anderen Republik oder überhaupt einer anderen Herrschaftsform. Das waren noch Zeiten, als man Republiken für unvergänglich und Atlanten für mehr oder weniger endgültig hielt. In Wirklichkeit ist mein Mittelschulatlas heute ein Märchenbuch, in Wirklichkeit purzeln Republiken immer über Lächerlichkeiten und werden von winzigen Details zu Fall gebracht.
Ein falsches Händeschütteln, und der Minister stürzt ein, und der einstürzende Minister reißt den Bundeskanzler mit sich, der Bundeskanzler reißt den Bundespräsidenten mit sich, der Bundespräsident reißt die Republik mit sich fort, und schon ist die Welt verändert und der Atlas antiquarisch. Sofort wird eine Konferenzschaltung vom Fernsehzentrum ins Landesstudio und ins Wahllokal gelegt und der unentschlossene Wähler durch die Trennwand hindurch interviewt. Zur Frage des Zeithorizonts wolle und könne er sich noch nicht äußern, sagt er, er sei sich als Einsiebenkommafünfmillionstelsouverän der ihm übertragenen Verantwortung, die vergleichsweise tonnenschwer auf seinen Schultern laste, voll bewusst, sagt er.