E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Gstättner Ich bin Kaiser
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7117-5471-4
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Österreichische Erzählungen
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-7117-5471-4
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Egyd Gstättners spitze Feder ist wieder im Einsatz: In seinen satirischen Erzählungen spannt er den Bogen von Sigmund Freud bis zum Song Contest – und arbeitet sich an so manchen Phänomenen der Gegenwart ab.
Was, wenn Österreich wieder einen Kaiser hätte? Und was, wenn der ein impotenter Maronibrater aus Klagenfurt wäre? Dann mu¨sste man wohl den Thronfolger via Castingshow bestimmen. Sigmund Freuds Inkognito-Urlaube am Wörthersee, Thomas Bernhards Ohrensessel und Wittgensteins Ururenkel: Egyd Gstättners scharfem Blick entgeht niemand. Er setzt der Lendkönigin mit dem losen Mundwerk ein Denkmal, spu¨rt dem Kopf des Franz Igele nach und hält ein Plädoyer fu¨r die Annehmlichkeiten des Rauchens. Und Gstättner outet sich als weltgrößter Fan des Grand Prix Eurovision de la Chanson, heute ESC genannt: Liebevoll, aber gnadenlos rollt er seine Geschichte auf.
Autoren/Hrsg.
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ich bin kaiser oder: wachablöse in schönbrunn
1
Mein Name ist Trotta, Kevin Kai Trotta. Meine Familie stammt aus Jugoslawien, genau genommen aus Slowenien. Mein Vater war Gastarbeiter. Später machte er sich als Maronibrater in Celovec selbständig. Sein Traum war, eines Tages ein Maroni-Spezialitätenrestaurant zu eröffnen, einzigartig auf der Welt, dessen Karte wirklich jedes Gericht offerieren sollte, das sich in der einen oder anderen Weise aus Kastanien zubereiten ließ, von der Maronisuppe bis zu Maronitagliatelle mit Maronisenf und Maronibier, vor allem aber Süßspeisen: Maroniknödel, Maronimousse, Kastanienpudding, Kastanienreis mit Schlagobers an dreierlei Maronilikör. Aber selten verdient ein Maronibrater mit einem kleinen Wagen, einem Kessel und fünf Säcken Kastanien genug, dass seine Träume in Erfüllung gehen. Ursprünglich war mein Vater Borut Trotta bei der ÖVP, aber das brachte nichts. In der ÖVP dachte jeder nur an seine eigene Karriere, aber niemand an einen Maronibrater, der sein Geschäft vergrößern wollte. Wenn es hochkam, erteilte einer dem Maronibrater gute Ratschläge, er könne außer den Maroni auch noch gebratene Äpfel und gebratene Kartoffel verkaufen. Aber gebratene Äpfel und gebratene Kartoffel, das waren doch Scheußlichkeiten, von denen auch niemand reich wurde. Dann ging Borut Trotta zur SPÖ, aber das nützte ebenfalls nichts. In der SPÖ dachten alle nur an ihre Gremien und manchmal an die Elenden hinter den Karawanken und hinter dem Himalaya – und an sprachpolizeiliche Maßnahmen. Sie nannten meinen Vater Maronibraterin und meinten, er sei mitgemeint. Schließlich ging mein Vater zur FPÖ und fühlte sich eine Zeit lang verstanden, dann aber doch genasführt. In der FPÖ dachten alle nur an den Führer, an ihren Führer natürlich. »Die gehören alle nach Steinhof«, erklärte Papà, »alle!« Und so blieb der Maronibrater Maronibrater. Eine österreichische Lösung. Noch unbändiger war Vaters Ehrgeiz, aus mir etwas Besonderes, etwas Besseres zu machen. Dass eines Tages schlichtweg das Beste überhaupt aus mir werden sollte, das höchste Wesen, das konnte Borut Trotta aus Podljubelj nad Tržic freilich nicht ahnen. Er »sparte sich das Geld vom Mund ab«, erklärte er, um mich Gastarbeiterkind aufs Gymnasium schicken zu können. Dabei war mein eigener Ehrgeiz längst nicht so ausgeprägt wie seiner. Für die meisten Gegenstände brachte ich kein wirkliches Interesse auf und mogelte mich bis zur Matura irgendwie durch, die ich schließlich mit Ach und Krach bestand. Nur das Schultheaterspiel in der nachmittäglichen Neigungsgruppe fesselte mich wirklich, und bei Goldoni-Stücken, bei Lope de Vega und natürlich bei Nestroy und Raimund ließ ich ein gewisses Talent zum Komiker aufblitzen. Wenn noch Zeit blieb, traf ich mich mit der kleinen Elisabeth vom Laubenweg und wir streiften übers Kreuzbergl. Mein Deutschlehrer besetzte mich als Rappelkopf und Knieriem. Das Publikum, also die Eltern, lachten, wieherten manchmal sogar, und mein Vater war sehr stolz. Dann ging ich zum Studium nach Wien. Weil nicht so viel auswendig zu lernen war wie in den Rechtswissenschaften und weil mir nichts Besseres einfiel, studierte ich wie alle anderen Volkswirtschaft. Während des ersten Semesters wohnte ich im Panoramaheim an der Brigittenauer Lände, aber nachdem sich bis Semesterende drei Kommilitonen vom Dach des Panoramaheims mit Blick auf das Kronen-Zeitungs-Gebäude in die Tiefe gestürzt hatten, wechselte ich in eine WG in der Mollardgasse im Sechsten, später in die Schopenhauerstraße im Achtzehnten, noch später in die Adambergergasse im Zweiten gleich hinter dem Donaukanal und dem Schwedenplatz und schließlich in die Josefstadt in die Lerchengasse, gleich neben dem Tigerpark. Wo immer ich wohnte, meistens saß ich im Kaffeehaus und schwatzte mit anderen Studenten: im Westend, im Schopenhauer, im Anzengruber oder im Hummel. Bei unseren Unterhaltungen ging es aber selten ums Studium, sondern meistens um Studentinnen zum Flachlegen, um die Austria, um Kreisky oder um Jobs, mit denen man sich – ich mir – das Studium finanzieren konnte, das mich nicht im Geringsten interessierte: Komparse an der Josefstadt, Garderobier im Simpl, Kabelschlepper am Küniglberg, Regieassistent im Schauspielhaus. Abends im Kaffeehaus wurde der Niedergang der verfilzten dekadenten Altparteien, der Tod der Kultur, der Literatur, des Kabaretts debattiert und betrunken (besonders firm war ich freilich noch immer nicht), und wenn sich keine Studentin zum Abschleppen fand, versuchte ich mich nachts an ersten eigenen Kabarettprogrammen, aber es kam im Rausch nur Stumpfsinn heraus. Einmal schleppte ich Paula, eine Germanistikstudentin ab, und als wir schon auf der Matratze lagen, fragte sie mich unvermittelt, ob ich »mit den Trottas verwandt« sei. »Mit welchen Trottas?« – »Na mit den Nachfahren des Helden von Solferino!« – »Welcher Held und welches Solferino? Wo ist das? Was ist das? Wer ist das?« – »Sag, willst du mich verarschen, Kevin Kai Trotta? Hast du im Geschichtsunterricht geschlafen? Hast du im Deutschunterricht geschlafen?« – »Hab ich. Gut sogar, ausgezeichnet!« Und dann schlief ich mit ihr. 2
Zweimal im Jahr, zu Weihnachten und in den Sommerferien, fuhr ich nach Hause und berichtete Papà von meinen Fortschritten im Studium der Volkswirtschaft – mein lieber guter alter Maronibrater glaubte mir alle »Erfolge« aufs Wort – wie viele Kontakte ich im Simpl, im Schauspielhaus, in der Josefstadt oder am Küniglberg knüpfen hatte können, wie viele neue Kontakte jeder Kontakt nach sich zog. Besonders stolz war der alte Herr, als ich an Sommertheaterbühnen in der Provinz von Friesach bis Langenlois engagiert wurde, meistens wieder Raimund oder Nestroy, wenn auch nicht als Rappelkopf und Knieriem, sondern in elenden Nebenrollen … Bei den Sommerspielen in Gars am Kamp saß einmal der Unterhaltungschef des Österreichischen Rundfunks mit seiner Mätresse im Publikum. Man glaubt es nicht: Es war Paula. Nach der Vorstellung kam er – leicht angeheitert, wie mir schien – auf mich zu und meinte, ich hätte das gewisse Etwas, mein Gesicht sei ausdrucksstark, ich sei ein It-Boy, ob ich nicht Lust hätte, in der einen oder anderen Fernsehproduktion mitzuwirken, anfangs in kleinen Rollen natürlich. Ich fragte mich, was ein It-Boy sein und wobei der hohe Herr dieses gewisse Etwas und meine Ausdrucksstärke bemerkt haben könnte, hatte ich in Gars am Kamp doch einen stummen Diener mit Silbertablett in der Hand gegeben. Aber ihn fragte ich nach diesen Mysterien nicht – wer fragt schon nach, wenn er entdeckt wird? –, sondern sagte sofort zu. Tatsächlich war ich bald darauf dann und wann in Fernsehspielen zu sehen. Meistens verkörperte ich Versager, Dummköpfe, genasführte Ehemänner oder kleine Gauner und ungeschickte Hochstapler. Paula, die Mätresse des Unterhaltungschefs, sah man übrigens auch: als Moderatorin der Hauptabendnachrichten. So entfernte ich mich immer weiter von der Volkswirtschaft. In der Rundfunkkantine saß der Unterhaltungschef mit einem anderen, mir unbekannten Herrn, und mir entging nicht, dass die beiden mich vom Nebentisch aus musterten. »Dieses Gesicht!«, flüsterte der Unbekannte dem Unterhaltungschef zu, aber doch so laut, dass ich es hören konnte, »unglaublich! Das ist es! Das ist er! Wir haben ihn gefunden!« Der Unterhaltungschef nickte, winkte mir zu und gab mir ein Zeichen, zu ihnen an den Tisch zu kommen. Er machte uns miteinander bekannt. Jacques Bärenfels! Kevin Kai Trotta! Bärenfels, der eigentlich Franz Tschuschnig hieß, aber Wert darauf legte, mit seinem Künstlernamen angesprochen zu werden – denn dafür hatte er ihn ja! –, fragte gleich nach: »Trotta? Sind Sie mit den Trottas aus Sipolje verwandt?« Sipolje? Ich kannte kein Sipolje und kein Solferino, ich kannte Celovec und Podljubelj nad Tržic. »Sehr gut«, lachte Bärenfels, »ein Original, ausgezeichnet, Originale sind so selten heute, ich glaube, Sie sind unser Mann! Sipolje gibt es auch gar nicht mehr. Es wurde nämlich im Krieg vernichtet. Es war einst ein Städtchen, ein kleines Städtchen, aber immerhin ein Städtchen. Heute ist es eine weite, große Wiese.« »Aha.« »Na, wie auch immer. Also hören Sie, Trotta, die Sache ist die: Wir planen eine große Programmreform, die größte in der Geschichte des Rundfunks. Es soll kein Stein auf dem anderen bleiben. Und deswegen wird es auch jede Menge neue Formate geben …« »Formate?« »Formate. Früher hat man Sendungen gesagt. Oder Sendeleisten. Oder besser Serien. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Formate sind jetzt Standard. Egal. Jetzt sprechen Sie mir nach: ›Na...