Gustafsson / Blomqvist | Das Lächeln der Mittsommernacht | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Gustafsson / Blomqvist Das Lächeln der Mittsommernacht

Bilder aus Schweden
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-446-26837-1
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Bilder aus Schweden

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

ISBN: 978-3-446-26837-1
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Lars Gustafsson und seine Frau Agneta Blomqvist haben ein persönliches und zugleich nützliches Reisebuch über Schweden geschrieben. Vom äußersten Süden bis hinauf nach Norrland führt ihre Reise, von den schonischen Bauern bis zu den Lappen. Der Schwerpunkt aber liegt dort, wo sie zu Hause sind: an einem Fjord in Bohuslän, in Västmanland, am Mälarsee und in Stockholm. So vielseitig wie ihre Interessen, so abwechslungsreich sind ihre Ausflüge - in die schwedische Geschichte und in eine berühmte Bäckerei, in die Wälder und Moore, zum Beeren und Pilze sammeln, zu Elchen und Wölfen, zu Strindberg und an das Grab von Tucholsky. Kenntnisreich, liebevoll und poetisch - ein MUST HAVE für alle Schweden-Fans.

Lars Gustafsson (1936-2016) war einer der bedeutendsten Autoren Schwedens. Der Romancier, Lyriker und Philosoph lebte und lehrte lange Zeit im Ausland, u.a. an der University of Texas in Austin. Hinzu kamen mehrere Forschungsaufenthalte in Berlin, Bielefeld und Tübingen. Sein Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, 2009 erhielt er die Goethe-Medaille, 2015 wurde ihm der Thomas-Mann-Preis verliehen. Bei Hanser erschienen zuletzt Der Dekan (Roman, 2004), Risse in der Mauer (Fünf Romane, 2006), Die Sonntage des amerikanischen Mädchens (Eine Verserzählung, 2008), Frau Sorgedahls schöne weiße Arme (Roman, 2009), Alles, was man braucht. Ein Handbuch für das Leben (mit Agneta Blomqvist, 2010), Das Lächeln der Mittsommernacht. Bilder aus Schweden (mit Agneta Blomqvist, 2013),  Der Mann auf dem blauen Fahrrad (Roman, 2013), der Gedichtband Das Feuer und die Töchter (2014), Doktor Wassers Rezept (Roman, 2016) und Etüden für eine alte Schreibmaschine (Gedichte, 2019).
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Ein Held im Inland von Bohuslän


Auf einem kleinen gelben Schild mit rotem Rand steht Kaneröd 1. Wenn man mit dem Auto an dem Ort Brusen in Bullaren vorbeikommt, das im südwestlichen Schweden nahe der norwegischen Grenze liegt, fühlt es sich wirklich so an, als schlittere man auf der alten Schotterstraße hinunter. Und dann wieder hinauf. Man schlittert dann auch in der Zeit zurück, denn die Gegend erinnert daran, dass es parallel zu der unseren auch eine andere Zeit gibt: mit diesen kleinen Bauernhöfen, die noch in Betrieb sind, die Stille, die Reinheit, die Langsamkeit, weidende Viehherden, blühende Grabenränder.

Der Wald rechts von der Straße wirkt von hier aus verlockend — auch er fällt steil ab, steigt dann wieder an und verliert sich in dem grünen, geheimnisvollen Dunkel. Immer wenn ich auf dieser schmalen, kurvenreichen und hügeligen Schotterstraße fahre, fühle ich mich glücklich. So viel Natur ganz für sich allein zu haben! Das Recht, hier einzudringen, egal wo!

Dann öffnet sich die Landschaft wieder. Zäune und Wiesen. Ein paar Rehe weiden drüben am Waldrand — sie kümmern sich nicht um den Wagen, verharren nur reglos, bis die Gefahr vorüber ist.

Ein Bauer knattert mit seinem kleinen grauen Traktor auf seinem Feld herum, in seine unerschöpfliche Arbeit vertieft — wenn ich dieses Gefährt mit den gigantischen roten Traktoren vergleiche, die es auf den größeren Höfen gibt, wirkt es wie ein Spielzeug. In diesem Moment wirft er einen kleinen Seitenblick auf mein Auto, ich sehe es im Rückspiegel, es kommt nicht so oft vor, dass sich jemand von den größeren Straßen hierher verirrt. Ich meine fast, ihn zu kennen. Wie fürsorglich er seinen Boden pflegt! Er ahnt nicht, wie sehr ich ihn bewundere. Wenn er das erführe, wäre er vermutlich sehr erstaunt.

Eine Herde von Jungtieren liegt dämmernd auf einer noch grünen Wiese — sie käuen wieder und wedeln ein bisschen mit den Ohren, um die Fliegen zu verjagen —, sie wirken zufrieden. Ich bin fast erstaunt darüber, dass die moderne Zeit auch hier ihren Einzug gehalten hat — neben dem Wohnhaus liegt ein Haufen von Heuballen mit Plastiküberzug —, sie sehen aus wie von einem Riesen ausgestreute Zähne. Aber was ich hier beschreibe, ist doch nicht besonders bemerkenswert — so hat es doch immer auf dem Land ausgesehen! Ja, so hat es ausgesehen. Wie lange noch wird dieser in meinen Augen heldenhafte Bauer seinen kleinen Hof mit seinen Tieren, seinem Traktor und seiner Motorsäge weiter betreuen, sich selbst und anderen zur Freude? Wirklich rentabel, ganz abgesehen von den unbegreiflichen Vorschriften, die in der Landwirtschaftspolitik angewandt werden, ist seine Arbeit sicher nicht. Was geschieht nach seiner Zeit?

Früher haben mehr Menschen hier gewohnt. Die Auswanderung nach Amerika gegen Ende des 19. Jahrhunderts bewirkte in diesem Landstrich einen verheerenden Bevölkerungsschwund. Im letzten Herbst kam ich während einer meiner Pilztouren an einem kleinen Hof auf der anderen Seite der Straße vorbei. Er muss rasch auf eine rätselhafte Weise verlassen worden sein: Da liegt ein traditionell weißes bohuslänisches Wohnhaus mit Sprossenfenstern kurz vor dem endgültigen Verfall, das Dach ist eingeknickt, eine junge Birke wächst durch eins der Fenster hinaus, aber noch steht das Haus einigermaßen aufrecht. Jetzt ist es viel zu spät, als dass jemand es übernehmen könnte — vielleicht wäre das vor dreißig Jahren möglich gewesen. Warum hat das damals niemand getan? Es ist schade um das ursprünglich so feine Haus in einer so schönen Umgebung. In diesen Teil Schwedens ziehen heutzutage ziemlich viele Holländer, auch Deutsche, von denen einige das ganze Jahr über hier wohnen. Sie finden, dass ihr eigenes Land überbevölkert ist, und schätzen die angenehme Ruhe und die frische Luft. Der für das nördliche Bohuslän ungewöhnlich große Hof Tingvall in unserer Nachbarschaft wird beispielsweise von einer zugezogenen holländischen Familie betrieben.

Merkwürdigerweise sagen die frisch Angesiedelten, dass auch die schwedische Landwirtschaftspolitik besser sei als die holländische. Während die schwedischen Bauern so oft über ihre wirtschaftlichen Bedingungen hier in Schweden klagen — und über das Wetter natürlich.

In der Scheune des Einödhauses zeigen sich Reste menschlichen Lebens und Arbeitens: ein paar einzelne ausgetretene Arbeitsschuhe, etwas struppiges, verblasstes Heu, eine Holzharke, ein altes Kinderbett.

Noch immer ragt die eine oder andere tapfere Gartenblume zwischen den Brennnesseln auf, wo sich einst ein Beet befunden hat. Am Apfelbaum an der Hausecke wachsen verschrumpelte saure Äpfel — ich habe sie probiert — an dürren Ästen. Was für ein Leben haben die Menschen geführt, die dieses Haus einfach im Stich ließen? Es ist geradezu unheimlich still — ich würde ungern in der Dämmerung hier vorbeigehen. Wer weiß, vielleicht wacht jemand von denen, die einmal hier lebten, über das verlassene Zuhause …

Ich stelle das Auto so nah wie möglich am Straßenrand ab — dann bleibt noch genügend Raum, um auf der Straße vorbeizukommen. Wäre doch ärgerlich, wenn es der Bauer mit seinem grauen Traktor nicht schaffen würde … Ich will ihm zeigen, dass ich sowohl rücksichtsvoll als auch friedlich gesonnen bin. Am Grabenrand wachsen die Blumen des Spätsommers, lavendelblaue Skabiosen, Habichtskraut, weiße und rosa Schafgarben, zarte Glockenblumen und weiße Sumpfgarben. Und dann gehe ich, leichten Herzens, in der großen Stille des Spätsommers über den engen Pfad in einen »meiner« Wälder hinein — es ist nicht ganz einfach; Wasser fließt von der steilen Bergwand, die jäh aus der struppigen Wiese aufragt, und sammelt sich in einem Tümpel, alter, verrosteter Stacheldraht begrenzt eine seit langem verlassene Weide, und wenn man nicht aufpasst, kann man darüber stolpern und hängenbleiben. Einem Tier ist das passiert: ein Büschel von rauhen Haaren ist an den Stacheln zurückgeblieben.

Aber dort, ganz am Rand der schützenden Äste der großen Fichte, leuchten Flecken von Gelb. Genau so, wie es sein soll. Dort wachsen die großen gelben Pfifferlinge — sie sehen in ihrer Perfektion fast künstlich aus. Wie die schönsten Exemplare von cantharellus in einem Pilzbuch. Niemand scheint sie zu sammeln außer mir. Es liegt also in meiner Verantwortung, mich ihrer anzunehmen! Ich weiß, dass sie da sind, sie müssen dasein, ungewöhnlich viele diesmal. Der Korb ist bald halb voll. Die reinste Alltagsfreude!

Mit angespannten Sinnen gehe ich weiter, ich muss keine Angst haben, einem Bären zu begegnen, es gibt sie nicht hier im tiefsten Süden. Dieser kleine Bauernwald ist nicht zerstört — noch kann man sich mit Leichtigkeit darin bewegen, ohne über Baumstümpfe und abgehauene Äste zu stolpern oder sich über die allzu tiefen Spuren der großen Waldmaschinen zu ärgern. Es handelt sich nicht um eine undurchdringliche Fichtenpflanzung oder verwüstete »Verjüngungsfläche«, sondern diese Gegend ist vom Menschen geprägt: Eine teilweise eingestürzte Steinmauer hat ihre Funktion verloren — hier weiden keine Tiere mehr. Wie viele schwere Arbeitsstunden muss es gekostet haben, sie aufzubauen! Ein verrostetes landwirtschaftliches Gerät, jetzt halb überwuchert, zeugt davon, dass hier jemand gearbeitet hat, ebenso wie ein Haufen Kies, der übriggeblieben ist. Ich gehe hinauf zur Kuppe und über den etwas sumpfigen Boden, der Duft von Gagel und stagnierendem Wasser schlägt mir entgegen. Ich folge einem der alten Pfade und werde ganz aufgeregt: gelbe Flecken von Pfifferlingen überall, hier ist also noch niemand gewesen! Alles ist mein! Ich kann mich einfach bedienen.

Lange habe ich vorgehabt, diesen mir unbekannten Lieblingsbauern zu besuchen — und in diesem Sommer ist es soweit. Ich fasse Mut und stiefele auf das kleine weiße Haus zu — der Schlüssel steckt im Schloss! Ich klopfe an und höre ein »Herein!«. Ich ziehe meine festen Schuhe aus und betrete eine sehr ordentliche kleine Küche, wo eine gestreifte Katze sich genüsslich auf der Küchenbank ausstreckt. Ein älterer Mann sitzt am Tisch und betrachtet mich mit freundlichem Blick. Ich sage meinen Namen, und dann ergibt sich ein sehr nettes Gespräch. Ich stelle eine Menge Fragen über diese Gegend und die Menschen, die hier gewohnt haben und noch wohnen. Seit es das Fernsehen gibt, treffe man sich nicht mehr so oft, früher habe man Zeit gehabt, ein paar Stunden zu verplaudern, Karten zu spielen, ja, einfach miteinander umzugehen, meint Karl Gustaf. So heißt der Bauer. Als ich ihn frage, ob er es wirklich wagt, den Schlüssel immer in der Tür steckenzulassen, antwortet er, hier vertrauen wir einander! Er hat den kleinen Landwirtschaftsbetrieb, eine...


Blomqvist, Agneta
Agneta Blomqvist, geb. Ylander, wurde 1942 geboren. Sie war Lehrerin für Religion und Literatur und ist Mitverfasserin eines Literaturlexikons.

Reichel, Verena
Verena Reichel, 1945 geboren, wurde für ihre Arbeit mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Johann-Heinrich-Voß-Preis. Sie übersetzte u.a. Ingmar Bergman, Katarina Frostensen, Lars Gustafsson, Henning Mankell, Anna-Karin Palm, Hjalmar Söderberg und Märta Tikkanen.

Gustafsson, Lars
Lars Gustafsson (1936-2016) war einer der bedeutendsten Autoren Schwedens. Der Romancier, Lyriker und Philosoph lebte und lehrte lange Zeit im Ausland, u.a. an der University of Texas in Austin. Hinzu kamen mehrere Forschungsaufenthalte in Berlin, Bielefeld und Tübingen. Sein Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, 2009 erhielt er die Goethe-Medaille, 2015 wurde ihm der Thomas-Mann-Preis verliehen. Bei Hanser erschienen zuletzt Der Dekan (Roman, 2004), Risse in der Mauer (Fünf Romane, 2006), Die Sonntage des amerikanischen Mädchens (Eine Verserzählung, 2008), Frau Sorgedahls schöne weiße Arme (Roman, 2009), Alles, was man braucht. Ein Handbuch für das Leben (mit Agneta Blomqvist, 2010), Das Lächeln der Mittsommernacht. Bilder aus Schweden (mit Agneta Blomqvist, 2013),  Der Mann auf dem blauen Fahrrad (Roman, 2013), der Gedichtband Das Feuer und die Töchter (2014), Doktor Wassers Rezept (Roman, 2016) und Etüden für eine alte Schreibmaschine (Gedichte, 2019).

Lars Gustafsson wurde 1936 in Mittelschweden geboren. Der Lyriker, Philosoph und Romancier lebte lange Zeit in Austin, Texas.
Agneta Blomqvist, geb. Ylander, wurde 1942 geboren. Sie war Lehrerin für Religion und Literatur und ist Mitverfasserin eines Literaturlexikons.



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