Haase-Hindenberg | "Ich bin noch nie einem Juden begegnet ..." | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 385 Seiten

Haase-Hindenberg "Ich bin noch nie einem Juden begegnet ..."

Lebensgeschichten aus Deutschland
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-89684-592-4
Verlag: Edition Einwurf GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Lebensgeschichten aus Deutschland

E-Book, Deutsch, 385 Seiten

ISBN: 978-3-89684-592-4
Verlag: Edition Einwurf GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Ich bin noch nie einem Juden begegnet ...': Diesen Satz haben die meisten der rund 200.000 Jüdinnen und Juden, die heute in Deutschland leben, schon einmal gehört. Höchste Zeit also, mehr über den Reichtum und die Vielfalt jüdischen Lebens hierzulande zu erfahren. Gerhard Haase-Hindenberg erzählt die Geschichten der Kinder und Enkel von Shoah-Überlebenden, von Juden, die aus Russland, Israel und Amerika nach Deutschland gezogen sind, von der jiddischen Mamme und queeren Jüdinnen und Juden ebenso wie von Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen zum Judentum konvertierten. Ihre Erfahrungen, ihre Hoffnungen und ihre Gefährdung durch den ansteigenden Antisemitismus verwebt Haase-Hindenberg gekonnt mit Erklärungen über jüdische Geschichte, Glaubenspraxis und Symbole. Wer den Menschen in den einfühlsamen Porträts nahegekommen ist, wird nicht mehr behaupten: 'Ich bin noch nie einem Juden begegnet.'

Gerhard Haase-Hindenberg stand nach dem Besuch der renommierten Theaterhochschule 'Ernst Busch' in Berlin mehr als drei Jahrzehnte auf der Bühne. Vor der Kamera spielte er u. a. in Dieter Wedels Mehrteiler 'Der König von St. Pauli' und als Reichsmarschall Göring im Hollywood-Film 'Operation Walküre'. Seit den 2000er Jahren war er zunehmend publizistisch tätig - für die Welt /Welt am Sonntag, für ZEIT und ZEIT Magazin, den Cicero und seit 2016 als Autor der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN. Er hat mehr als zehn erzählende Sachbücher veröffentlicht. Das Buch 'Der Mann, der die Mauer öffnete' war die literarische Vorlage für den preisgekrönten Film 'Bornholmer Straße', die Sozialstudie 'Sex im Kopf' stand mehrere Wochen auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Gerhard Haase-Hindenberg lebt in Berlin.
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PROLOG

Leben mit den Juden – seit 1700Jahren …

Der Große Tempel von Jerusalem war 581Jahre lang das Heiligtum des Volkes Israel, dann begann die Revolte. Lange schon war die Unterdrückung durch die römischen Besatzer als demütigend empfunden worden, aber erst die Forderung des Prokurators Gessius Florus, Teile des Tempelschatzes seinem Kaiser im fernen Rom zu übereignen, brachte das Fass zum Überlaufen. Vier Jahre lang tobte der erste jüdische Krieg, dann endete er im Jahre 70 nicht nur mit der Zerstörung des Tempels, sondern auch mit der Verwüstung Jerusalems und der Zerschlagung jüdischer Verwaltungen in Judäa. 66Jahre später rief der Rebell Simon bar Kochba die letzten Juden erneut zu den Waffen. Nach anfänglichen Erfolgen wurde er im dritten Jahr des Aufstandes von römischen Truppen eingeschlossen. Seine Leute erkannten die ausweglose Lage offenbar eher als er. Durch die Belagerung ausgehungert, wandten sie sich gegen ihren Anführer. Gedankt wurde es ihnen von römischer Seite nicht. Dort, wo einst Jerusalem stand, wurde die römische Kolonie Aelia Capitolina errichtet, die zu betreten Juden fortan bei Androhung der Todesstrafe verboten war. Zum zweiten Mal in der Geschichte der israelitischen Stämme – nämlich seit der Vertreibung durch die Assyrer fast 800Jahre zuvor – begann eine Zeit der Verstreuung und die Griechen steuerten hierfür das Wort »Diaspora« bei. Rund um das Mittelmeer wurden jüdische Gemeinden gebildet und auch in Rom entstand am rechten Ufer des Tibers eine Siedlung mit zahlreichen Synagogen. Die Juden waren ihrer Heimat beraubt, nicht aber ihrer Identität.

Im Jahre 212 erklärte Kaiser Caracalla alle Bürger seines Reiches zu Vollbürgern mit völliger Niederlassungsfreiheit und bezog die »römischen« Juden dabei explizit mit ein. Das führte dazu, dass sich viele von ihnen als Legionäre zum römischen Heer meldeten, was der Imperator als positive Folge im Hinterkopf gehabt haben mag. Aber auch jüdische Zivilisten begleiteten die Legionen bis in die neu gegründeten römischen Städte am Rhein. Dort ließen sie sich als Händler und Handwerker nieder. Kaiser Konstantin der Große war es, der im Jahr 321 in einem Brief an den Stadtrat der Colonia Claudia Ara Agrippinensium – jenem Gemeinwesen, aus dem später die Stadt Köln wurde – erklärte, dass es ab sofort »durch allgemeines Gesetz gestattet« sei, Juden in die kommunalen Verwaltungen aufzunehmen. Historiker haben daraus geschlossen, dass es in der Colonia bereits eine größere jüdische Gemeinde gegeben haben muss. Wenn man dieser nachvollziehbaren Annahme folgt, so wäre dies vor 1700Jahren der urkundlich verbriefte Beginn jüdischen Lebens in jenem Gebiet, das heute Deutschland heißt.

Anderthalb Jahrhunderte später ging das Weströmische Reich unter. Längst hatten sich entlang des Rheins in den großen Verwaltungszentren jüdische Gemeinden gebildet. Deren Mitglieder waren die Nachfahren jener, die ursprünglich aus so unterschiedlichen Gegenden wie Judäa, Idumäa, Galiläa und Peräa jenseits des Mittelmeeres stammten. Was sie in der Ferne einte, war das Bemühen, ein Leben nach den Gesetzen der Tora zu führen, den fünf Büchern Mose in der jüdischen Bibel. Wie aber sollte ein solch bibeltreues Leben aussehen? Darüber gab es in jener Zeit teils heftige Diskussionen unter den Rabbinern. Seit dem 2. Jahrhundert entstand in Babylon und in den wenigen verbliebenen Gemeinden in Palästina eines der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums – der Talmud. Dieser besteht aus zwei Teilen: der Mischna und der Gemara. Als Mischna gilt die erste Niederschrift jenes Teils der Tora, den Gott nach jüdischer Überlieferung Moses gegenüber mündlich am Berg Sinai offenbart haben soll. Die rabbinischen Diskussionen darüber wurden dokumentiert. Diese bestehen aus Analysen und sich teils widersprechenden Kommentaren, die über juristische Fragestellungen hinaus Gebiete wie Medizin, Naturwissenschaften, Geschichte, Pädagogik und Sexualität berühren. Diese bilden den zweiten Teil des Talmuds und der wird eben Gemara genannt. Nach und nach kamen die Niederschriften ins aschkenasische Gebiet, also den »teutschen« Landen, was in der Folge auch hier zu sehr tiefen philosophischen Diskursen unter jüdischen Gelehrten geführt hat. Diese wurden in die Synagogen und die angeschlossenen Schulen getragen, was ein intellektuelles Klima in den jüdischen Gemeinden förderte.

Der erste Jude, der es in die deutschen Geschichtsbücher geschafft hat, hieß Isaak, war ein Aachener Kaufmann, seiner vielseitigen Sprachkenntnisse wegen aber auch von König Karl an dessen Hofe mit Dolmetscheraufgaben beauftragt. Ende des 8. Jahrhunderts war König Karl, sicher schon im Hinblick auf die angestrebte Kaiserkrone, darum bemüht, die politischen Beziehungen nach verschiedenen Seiten hin zu vertiefen. Dazu gehörten die zum Kalifen Harun ar-Raschid in Bagdad. Karl hielt Isaak für den richtigen Mann, um diesen als Gesandter zu besuchen und ihm Geschenke zu übergeben. In königlichem Auftrag machte sich Isaak auf die Reise und kam nach mehr als zwei Jahren am 20.Juli 802 wieder nach Aachen zurück. Fast die gesamte Schar seiner Begleiter hatte den Trip in den Orient nicht überlebt. Er aber freute sich des Lebens und übergab seinem König, der inzwischen von Papst Leo III. zum Kaiser gekrönt worden war, als Geschenk des Kalifen einen (angeblich) weißen Elefanten namens Abul Abbas. Mehr aber wissen die Geschichtsbücher nicht über den Juden Isaak. Dennoch gilt er als ein früher Repräsentant jener Eigenschaften, die vielen der weit gereisten Juden eigen waren. Dafür stand nicht nur ihre Vielsprachigkeit, was in einem zunehmend globalen Handel allein schon ein erheblicher Vorteil war, sondern auch die traditionellen Verbindungen nach Rom, Byzanz, Marseille oder anderswohin, wo sie vor Ort wiederum in den jüdischen Gemeinden vertraute Glaubensbrüder vorfanden. So verfügten sie über ein internationales Netzwerk, das sich Fürstenhöfe zunutze machten, ebenso wie Grafen, Ritter und zunehmend auch das neu entstehende städtische Bürgertum.

Der zweite Jude, der sich einen Platz in den Geschichtsbüchern sicherte, hieß Kalonymus. Von ihm weiß die Nachwelt etwas mehr als von Isaak. Am 13.Juli 982 rettete er Kaiser Otto II. bei dessen Flucht vor den Sarazenen im kalabrischen Cotrone durch einen körperlich wagemutigen Einsatz das Leben. Der Kaiser revanchierte sich, indem er seinem jüdischen Retter nach der Rückkehr in Mainz ein Haus schenkte und ihm die vollen Bürgerrechte verlieh. Dies war der Beginn des Aufstiegs der Kalonymiden zu einer einflussreichen Familiendynastie, die über eine lange Zeit nicht nur Kaufleute, sondern auch Gelehrte und Männer von politischer Bedeutung hervorbrachte.

Bald zählten die jüdischen Gemeinden in Köln, Mainz, Speyer und Worms mehr als tausend Mitglieder, die Juden waren geschätzte Bürger der jeweiligen Kommunen oder zumindest als solche akzeptiert. Bis auf die Beschaffung von koscheren Lebensmitteln, was die Existenz von schächtenden Metzgern und rituell produzierenden Brotbäckern voraussetzte, ging man zu denselben Handwerkern und besuchte dieselben Schankwirtschaften wie die christlichen Nachbarn. Man wohnte Wand an Wand, denn noch gab es keine Ghettos. Trotz aller religiösen und ethnischen Unterschiede (Assimilation hatte bis dahin noch nicht stattgefunden) lebte man friedlich miteinander, bis es Ostern 1096 zu einer folgenreichen Katastrophe kam. Fünf Monate zuvor hatte Papst Urban II. ins französische Clairmont (dem heutigen Clermont-Ferrand) zur Synode gerufen. Der französischstämmige Oberhirte war ein machtgieriger Mensch, weshalb er nicht nur den Gegenpapst Clemens III., sondern auch weltliche Konkurrenten mit dem Kirchenbann belegt hatte. Nun holte er zu einem vermeintlich ganz großen Schlag aus, der ihm seine Macht auch im Jenseits sichern sollte. Am zehnten Tag der Synode ließ er seinen Thron vor die Tore der Stadt tragen, wo er einer Menge von 13 Erzbischöfen, 315 Bischöfen, zahlreichen Äbten und einer großen Menge von Adligen und einfachen Leuten zurief, dass er, »der höchste Priester dieser Erde«, dazu berufen sei, das Heilige Land von den Muslimen zu befreien. Das Auditorium wurde aufgerufen, das eigene Hab und Gut zu veräußern, vom Erlös Waffen zu kaufen und gen Jerusalem zu ziehen. An jenen Ort, wo Christen bis dahin ebenso friedlich mit den Muslimen zusammenlebten wie an Rhein und Donau mit den Juden. Dem Papst aber ging es um die Ausweitung seines Machtbereichs, nicht um gegenseitige religiöse Toleranz. Um seine Söldnertruppen bei Laune zu halten, stellte er ihnen in Aussicht: »Ich gelobe euch, wer auf dem Weg dorthin sein Leben lässt, dem werden alle Sünden vergeben sein.« Vor allem die einfachen Leute gerieten in Verzückung und schlossen sich den beiden vom Papst ausgewählten Führern an: einem mittellosen Ritter und einem Mönch von geradezu demagogisch-charismatischer Überzeugungskraft. Bald formierten sich 20000 Menschen zu einem Kreuzzug, dem sich auf ihrem Weg weitere Kämpfer anschließen sollten. Keinem war die geografische Dimension dieser Reise klar – hinüber nach Deutschland, entlang der Donau über den Balkan und den Bosporus bis nach Palästina. Knapp fünf Monate später hatten sie gerade einmal 400 Kilometer geschafft. Tag für Tag war man durch karge Landschaften mit armer bäuerlicher Bevölkerung gezogen, dann kam das bereits desolate Heer mit durchgelaufenen Schuhen und lahmenden Eseln in die reichen Städte am Rhein. Dort gab es volle...


Gerhard Haase-Hindenberg stand nach dem Besuch der renommierten Theaterhochschule "Ernst Busch" in Berlin mehr als drei Jahrzehnte auf der Bühne. Vor der Kamera spielte er u. a. in Dieter Wedels Mehrteiler "Der König von St. Pauli" und als Reichsmarschall Göring im Hollywood-Film "Operation Walküre".
Seit den 2000er Jahren war er zunehmend publizistisch tätig – für die Welt /Welt am Sonntag, für ZEIT und ZEIT Magazin, den Cicero und seit 2016 als Autor der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN. Er hat mehr als zehn erzählende Sachbücher veröffentlicht. Das Buch "Der Mann, der die Mauer öffnete" war die literarische Vorlage für den preisgekrönten Film "Bornholmer Straße", die Sozialstudie "Sex im Kopf" stand mehrere Wochen auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Gerhard Haase-Hindenberg lebt in Berlin.



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