Hähnel Gefundenes Fressen
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95552-206-3
Verlag: Jaron
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Morgenstern ermittelt. Ein Berlin-Krimi
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
            ISBN: 978-3-95552-206-3 
            Verlag: Jaron
            
 Format: EPUB
    Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Auf dem Hundespielplatz im Mauerpark ist ein Junge unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen. Ein Anschlag oder ein Unfall? Bei seinen Ermittlungen stößt Kriminalhauptkommissar Hans Morgenstern, Chef einer Berliner Mordkommission, auf zwei Mitschüler des Opfers, die regelmäßig Geld von ihm gefordert haben, eine Boulevardjournalistin, die offenbar mehr weiß als die Polizei, fanatische Hundeliebhaber und -hasser sowie den taffen Juniorchef eines Futtermittelkonzerns, dem der Großvater und Firmengründer ein Dorn im Auge zu sein scheint. Bald werden weitere Tote gefunden, und zusammen mit seiner neuen Kollegin, die sich reichlich unbeliebt zu machen versteht, taucht Morgenstern in die Abgründe des hauptstädtischen Lebens ein. 
Stephan Hähnel ist mit „Gefundenes Fressen“ ein grandioses Krimidebüt gelungen – voller Spannung, mit leiser Ironie und feinem Gespür für das Alltagsleben in seiner Heimatstadt. Sein Kommissar Morgenstern ist ein Berliner, wie er im Buche steht. Eigenwillig, unbeirrbar und mit sprödem Humor, deckt er einen Sumpf von Betrug, Erpressung und Korruption auf.
Autoren/Hrsg.
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Montag, 9.Juni
Wenn Hans Morgenstern eine Tageszeitung benötigte, holte er sich die am Bahnhof Schönhauser Allee bei einem Straßenverkäufer. Meist kaufte er ein Produkt seriöser journalistischer Arbeit. Diesmal jedoch verlangte er die . Wie immer wurde ihm das gute Stück mit den Worten in die Hand gedrückt: »Allet klar, Herr Kommissar! Picke bleibt sauber!«
Vor Jahren hatte Morgenstern den Mann, der seit seiner Fußballzeit Picke genannt wurde, beim Einbruch in eine Kneipe erwischt. Dummerweise hatte Picke sein eigentliches Ziel aus den Augen verloren gehabt und sich durch die Bestände der Bar getrunken, statt die Kasse zu plündern. Allzu weit war er nicht gekommen, und das Bedürfnis zu schlafen war stärker gewesen als der Durst. Morgenstern war in jener Nacht spät nach Hause gekommen und hatte sich gewundert, dass die Tür der Kneipe offen stand. Er hatte Picke mit einer Flasche im Arm schnarchend auf dem Tresen vorgefunden. Morgenstern hatte den Wirt informiert, und beide hatten lachend ein paar Sessel zusammengeschoben und Picke seinem Rausch überlassen. Auf eine Anzeige hatte der Wirt verzichtet. Man kannte sich.
Seitdem fand man Picke jeden Morgen ab vier Uhr an seinem Platz auf der Eselsbrücke hinter dem S-Bahnhof Schönhauser Allee.
Als Kommissar Bruno Biondi am Montagmorgen Morgensterns Büro betrat, merkte er sofort, dass er seinen Chef in der denkbar ungünstigsten Laune antraf. Offensichtlich war das Studium der Tageszeitung schuld an dessen verbissenem Gesicht. Die hatte einiges an Unbeherrschtheit über sich ergehen lassen müssen und lag ramponiert auf dem Schreibtisch.
Sigrid Lucatelo hatte Wort gehalten und ihre Ankündigung vom Vorabend, die Öffentlichkeit über das Geschehen im Mauerpark zu informieren, in gewohnter Weise umgesetzt.
Morgenstern war durchaus bewusst, dass es nicht Lucatelos Naturell entsprach, ausgewogen über einen Sachverhalt zu berichten. Ihre Taktik, den Tod des Jungen als Aufhänger für eine bestimmte Botschaft zu benutzen, machte den Kommissar jedoch wütend. Dass ein Kind umgekommen war, las sich bei ihr wie eine Mahnung an die Berliner Hundebesitzer, jetzt erst recht auf ihre Lieblinge zu achten.
»Ziemlich viel Detailwissen«, bemerkte Biondi, nachdem er den Artikel gelesen hatte. Er stellte seine monströse Teetasse auf den Schreibtisch. »Ich frage mich, woher sie das alles weiß. Offiziell ist keine Information rausgegangen. Und was sind ?«
»Lucatelo hat gestern am späten Abend noch angerufen. Sie wollte wissen, ob ich bestätigen kann, dass es sich bei dem Täter um einen Hundehasser handelt.«
»Und was hast du ihr gesagt?«
»Aus ermittlungstechnischen Gründen…«
Biondi atmete tief ein. »Das klingt nach Ärger. Lucatelo verfügt über Insiderwissen. Ich glaube aber nicht, dass sie das von einem unserer Kollegen hat.«
»Ich treffe mich heute Nachmittag mit ihr. Inoffiziell.«
Einen Augenblick schwiegen beide.
Bevor Biondi den zusammengerollten Laborbericht über den Tisch reichte, der in der vergangenen Nacht per Fax gekommen war, trank er einen großen Schluck Tee. »Es gibt noch weitere schlechte Nachrichten.«
Morgenstern überflog den Bericht, bis er die Zeile fand, welche die Todesursache nannte. »Zyankali?« Erneut überflog er ungläubig den Laborbericht. Es gab keinen Zweifel. Sebastian war mit Zyankali vergiftet worden. Die Rechtsmedizinerin Sonja Bubka hatte das Ergebnis in einem Satz zusammengefasst und unterstrichen.
»Kennst du dich mit…«, Morgenstern studierte skeptisch die Bezeichnung, »…Kaliumzyanid aus?« Er selbst glaubte sich daran zu erinnern, dass in einem Lehrgang des Bundeskriminalamtes die tödliche Wirkung mit dem gleichzeitigen Versagen von Leber, Herz und Nieren erklärt worden war. Außerdem wusste er, dass es sich um das Kaliumsalz der Blausäure handelte.
Biondi trank erneut einen Schluck Tee, bevor er sagte: »Ich habe ein wenig recherchiert. In den achtziger Jahren gab es eine ominöse Sterbehilfeorganisation, die ihren Mitgliedern Zyankalikapseln zur Verfügung gestellt hat. Den Mitgliedern wurde das Gift noch bis in die neunziger Jahre für gutes Geld frei Haus geliefert. Inge Meysel hat damit kokettiert.«
»Inge Meysel?«, wiederholte Morgenstern erstaunt und legte den Laborbericht so vorsichtig auf den Tisch, als bestehe die Gefahr, dass weitere schreckliche Details daraus hervortraten. Erst dann fragte er: »War das nicht die Mutter der Nation?«
»Jedenfalls liebte sie es, so genannt zu werden. Die alte Dame des Films hatte medienwirksam darauf verwiesen, einmal selbstbestimmt in den Tod gehen zu wollen. Bei einer unheilbaren Krankheit wähle sie den Freitod, hieß es. Angeblich hat sie um den Hals immer einen Schmuckanhänger getragen, in dem sich eine Kapsel befand.«
»Und wie starb sie?«, erkundigte sich Morgenstern, der ahnte, dass Biondi auch dieses Detail aus dem Internet bezogen hatte.
»Pflegebedürftig. Mit 94Jahren.« Die Galionsfigur der humanen Sterbehilfe hatte sich am Ende eines erfüllten Lebens doch nicht selbst töten wollen.
Was Morgenstern allerdings mehr beschäftigte, war die Aussage der Kriminaltechnik. Im Magen des Jungen waren Reste einer Art Trockenmasse gefunden worden. Alles deutete darauf hin, dass es das Letzte war, was Sebastian zu sich genommen hatte. Neben diversen pflanzlichen Inhaltsstoffen hatten sich auch Substanzen nachweisen lassen, die unter dem Begriff »tierische Nebenerzeugnisse« zusammengefasst wurden. Das war alles andere als appetitlich. Diese Nebenerzeugnisse enthielten Schlachtreste aus Schweinefüßen, Lunge, Innereien und Knochenmehl– nicht unbedingt Bestandteile, die man im Magen eines elfjährigen Jungen vermutete. Das Labor war sich sicher, dass es sich bei dem Gemisch um Trockenfutter für Hunde handelte.
»Lucatelo kann den Bericht unmöglich gekannt haben«, sagte Morgenstern.
»Das sehe ich auch so«, bestätigte Biondi die Einschätzung seines Chefs. »Entweder hat sie einen siebten Sinn, oder sie weiß etwas, das wir nicht wissen.«
Der Rest des Laborberichts versprach, dass weitere Untersuchungen in den nächsten Tagen folgen würden. Die Experten hatten berechtigte Hoffnungen, die Marke des Hundefutters bestimmen zu können. Tierfutterproduzenten machten zwar ein Geheimnis aus ihren Rezepturen, die unterschiedlichen Zusammensetzungen ermöglichten jedoch eine genaue Differenzierung.
»Hat die Analyse der Fingerabdrücke etwas erbracht?«
Biondi trank den letzten Schluck Tee und stellte die Tasse auf den Tisch. Er war einer der wenigen Männer, die bewusst ihre zwei Liter Flüssigkeit gleichmäßig auf den Tag verteilt zu sich nahmen. »Auf dem Fahrrad befanden sich die Abdrücke Sebastians und die einer anderen Person, ich denke, gleichen Alters. Es sind eindeutig Fingerabdrücke kleiner Hände.«
»Gibt die Kleidung etwas her?«
»Die wird noch von der Kriminaltechnik untersucht. Vielversprechend sind einige Zeugenaussagen, wonach am Samstag drei Jungs gesehen worden sind. Ich habe alle Kollegen informiert. Dem Hinweis wird derzeit nachgegangen.«
»Gibt es schon Informationen aus dem Umfeld der Schule oder aus seinem Freundeskreis?«
»Sebastian war ein normaler Junge. Er gehörte zum guten Durchschnitt. Ruhig, fleißig, unauffällig. Er geht seit einem Jahr hier zur Schule. Unsere Neue trifft sich am späten Vormittag mit der Schulleiterin, um Genaueres zu erfahren.«
Wenn Biondi erwartet hatte, dass sein Chef den Einsatz Linda Mörikes missbilligend zur Kenntnis nehmen würde, hatte er sich getäuscht. Morgenstern stand auf und holte aus dem obersten Fach des Aktenschranks nachdenklich ein Schraubglas mit löslichem Kaffee. Er schaltete einen historischen Wasserkocher an, Modell fünfziger Jahre, und dachte nach. »Hast du eine Ahnung, wie man an Zyankali herankommt?«
Biondi schüttelte den Kopf. Es war jedoch ein zögerliches Schütteln, ein klares Jein. »Offiziell hat man keine Chance. Vielleicht kann man es sich in der Industrie besorgen, in der Galvanik zum Beispiel. Auch Apotheker könnten Zugriff darauf haben. Über den Schwarzmarkt ist es sicherlich auch zu haben«, gab Biondi zu bedenken.
»Untersuch das bitte!«, wies Morgenstern an und goss das sprudelnde Wasser in die Tasse.
»Ihr erstes Kind?«
Die Frage traf Linda Mörike wie ein Faustschlag. Der Mann, der sie gestellt hatte, schaute ernst auf das herausgezogene Fach im Kühlraum der Pathologie. Linda hatte nicht bemerkt, dass jemand hinter...




