Hall | Quell der Einsamkeit | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 540 Seiten

Hall Quell der Einsamkeit


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-944576-65-7
Verlag: Verlag Krug & Schadenberg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 540 Seiten

ISBN: 978-3-944576-65-7
Verlag: Verlag Krug & Schadenberg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Quell der Einsamkeit« erzählt die Geschichte von Stephen Gordon, einer Frau aus der britischen Oberschicht, die eigentlich ein Sohn hätte werden sollen. Von Kind an hat Stephen das Gefühl, dass mit ihr etwas nicht stimmt - dass sie anders ist: Sie trägt gern Männerkleidung, begeistert sich für Fuchsjagd und Fechtkunst und verliebt sich von früher Jugend an in Frauen - zunächst in das Hausmädchen Collins, später in die mondäne Angela Crossby, deren eifersüchtigen Ehemann Stephen durch ihre Bewunderung seiner Rosenzucht zu beschwichtigen sucht. Als Krankenwagenfahrerin im Ersten Weltkrieg lernt Stephen schließlich Mary Llewellyn kennen und lieben. Die beiden Frauen gehen in den zwanziger Jahren nach Paris, schaffen sich zusammen ein Heim und schließen Freundschaften, doch ihr gemeinsames Glück ist massivem gesellschaftlichen Druck ausgesetzt ... »Quell der Einsamkeit« ist ein bis heute faszinierender historischer Roman und kann als ein Vorläufer von Leslie Feinbergs »Stone Butch Blues« gelten. Er löste Debatten über Sexualität, Homosexualität und Geschlechterrollen aus, die noch immer andauern.

Radcylffe Hall, ursprünglich mit dem Vornamen ?Marguerite? versehen, später jedoch nur noch als ?John? bekannt, kam am 12.8.1880 im englischen Bournemouth zur Welt. Mit 21 Jahren erbte sie von ihrem Großvater ein beträchtliches Vermögen und bezog ein eigenes Haus, hielt Reitpferde und eine Hundemeute, reiste viel und schrieb Gedichte. Mit 27 Jahren lernte sie in Bad Homburg die 50-jährige Mabel Veronica Batten kennen, genannt Ladyes, eine verheiratete Frau der Gesellschaft. Die beiden Frauen verliebten sich ineinander und lebten für die nächsten zehn Jahre zusammen. Die Idylle endete, als John sich in die 28-jährige Una Troubridge verliebte, die Frau eines Admirals und Mutter einer Tochter. Nach dem Tod von Ladyes lebte John mit Una Troubridge zusammen, trug das Haar kurz und kleidete sich in Männerhemden mit Krawatten und Tweed- oder Smokingjacken, allerdings stets zu Röcken, und rauchte in der Öffentlichkeit Zigaretten und Zigarren. Nach dem Studium der Schriften des Sexualwissenschaftlers Havelock Ellis betrachtete Radclyffe Hall ihre Homosexualität - die damals gemeinhin als Sünde, Krankheit oder moralisch verwerfliches Laster galt - als angeboren und daher als unabänderlich - eine von Schuldgefühlen enorm befreiende Sichtweise, die auch in ihren Roman »Quell der Einsamkeit« einfloss - dem ersten Roman über lesbische Frauen oder »Invertierte« außerhalb des pornografischen Genres. Er erschien 1928, erregte großes Aufsehen und wurde rasch verboten, was seiner Verbreitung jedoch eher zuträglich war. Mittlerweile gilt »Quell der Einsamkeit« als ein Klassiker der lesbischen Literatur - ein Buch, mit dem sich die Autorin seinerzeit mutig outete und für die Toleranz der Gesellschaft gegenüber Lesben warb - ein Buch, das als faszinierendes Zeitdokument zu lesen ist und als ein Vorläufer von Leslie Feinbergs Roman »Stone Butch Blues« gelten kann.
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Erstes Kapitel


1.


Unweit von Upton-on-Severn, genau genommen zwischen Upton-on-Severn und den Malvern Hills, liegt der Landsitz der Gordons of Bramley; wohlversehen mit Nebengebäuden und Umzäunungen, mit Waldungen und Gewässern, versorgt durch einen Bach, der sich gerade an der rechten Stelle gabelt, um zwei große Teiche auf dem Besitztum zu speisen.

Das Haus selbst ist ein roter Ziegelbau im Stil des achtzehnten Jahrhunderts mit entzückenden kreisförmigen Dachfenstern unter dem Giebel. Es atmet Würde und Stolz, ohne sich damit zu brüsten; spricht von Selbstsicherheit, ohne deswegen arrogant zu wirken, Ruhe ohne Trägheit; ein Zug leiser Zurückhaltung macht es denen, die seinen Geist kennen, als Heim doppelt lieb. Und tatsächlich gleicht es gewissen liebenswerten Frauen, die, gealtert, zu einer vergangenen Generation zählen – Frauen, die in ihrer Jugend bei aller Zurückhaltung doch leidenschaftlich waren; schwer zu gewinnen, aber einmal gewonnen, Erfüllung bedeuteten. Sie kommen und gehen dahin; ihre Heimstätten bleiben. Solch eine Heimstatt ist Morton.

Lady Anna Gordon hielt als Braut von knapp zwanzig ihren Einzug ins Herrenhaus Morton. Schön war sie, wie nur eine Irin schön sein kann. Ausgeglichenheit und stolze Ruhe lagen in ihrem Auftreten, sehnsüchtiges Verlangen in ihrem Blick. Ihr Körper war lockendes Versprechen. Sie war das Urbild der vollkommenen Frau, die Gott geschaffen und für gut befunden hat.

Sir Philip hatte Anna Molloy weit weg von hier in County Clare kennengelernt. Sie war damals ein schlankes Geschöpf, unberührt und rein. Gleich einem erschöpften Vogel, der auf sein Nest zuflattert, flüchtete er sich an ihre Brust, wie es ihren Worten nach wirklich einmal ein Vogel getan hatte, der vor den Gefahren eines Sturmes Schutz bei ihr suchte.

Sir Philip war ein Mann von hoher Statur und einnehmendem Äußeren. Doch entsprang sein Charme weniger dem Äußeren als einer gewissen Weitherzigkeit, einer nachsichtigen, duldsamen Haltung, die fast die Bezeichnung großmütig verdiente, und nicht zuletzt der Art seiner tiefliegenden haselnussbraunen Augen, die eine chevalereske Traurigkeit zeigten. Das feste Kinn war leicht gespalten, die Stirn durchgeistigt, sein Haar goldbraun überschimmert. Seine weit geschwungenen Nasenflügel deuteten auf ein heftiges Temperament, aber seine schön geschwungenen, sensitiven und von Leidenschaft zeugenden Lippen wiesen ihn als einen Träumer und einen Liebenden aus.

Als er mit neunundzwanzig heiratete, hatte er sich bereits gehörig die Hörner abgestoßen, doch in ihrem sicheren Instinkt vertraute Anna ihm vollkommen. Ihr Vormund, dem er missfiel, war gegen die Verbindung gewesen; aber schließlich hatte sie ihren Kopf durchgesetzt. Und wie sich dann herausstellte, erwies sich ihre Wahl als glücklich. Denn selten hatten zwei Menschen einander so lieb wie sie. Sie liebten sich mit einer Glut, der die Zeit nichts anhaben konnte. Mit der Reife ihrer Jahre reifte auch ihre Liebe.

Sir Philip hatte nie geahnt, wie sehr es ihn danach verlangte, einen Sohn zu bekommen. Als Anna etwa zehn Jahre nach ihrer Vermählung in anderen Umständen war, hielt er es für die Vollendung seines Glücks, für die Erfüllung aller Wünsche, auf die sie beide gewartet hatten. Als sie es ihm erzählte, fand er keine Worte, um seiner Rührung Ausdruck zu verleihen; er konnte sich nur abwenden und an ihrer Schulter weinen. Es schien ihm keinen Augenblick in den Sinn zu kommen, dass Anna ihm sehr wohl auch eine Tochter schenken könnte. Er sah in ihr nur die Mutter von Söhnen, ihre beschwörenden Bedenken fruchteten nicht das Geringste. Er taufte das ungeborene Kind Stephen, weil er die Kühnheit jenes Heiligen bewunderte. Da er von Haus aus nicht religiös war und eher etwas von einem Gelehrten an sich hatte, sah er die Bibel als Schöne Literatur. Der Heilige Stephan hatte es seiner Phantasie angetan. So kam er denn häufig auf die Zukunft ihres Kindes mit Worten zu sprechen wie »Ich meine, ich werde Stephen nach Harrow schicken«, oder »Es wäre mir lieb, Stephen bildete sich im Ausland aus – das weitet den Horizont.«.

Wenn Anna ihn so sprechen hörte, ließ sie sich immer mehr überzeugen. Seine Sicherheit war dazu angetan, ihre unklaren Ahnungen zu zerstreuen. Sie sah sich bereits mit dem kleinen Stephen spielen, bald im Kinderzimmer, bald im Garten, dann auf der Wiese mit ihrem süßen Duft. ›Er, der liebenswerte junge Mann‹, sagte sie wohl in Gedanken an die gefühlvolle irische Ausdrucksweise ihrer Landsleute. ›Er, in dessen Augen das Sternenlicht funkelt und dessen Herz vom Mut eines Löwen erfüllt ist.‹

Wenn sich das Kind in ihr regte, dachte sie wohl, es stieße deshalb so kräftig, weil es ein tapferes männliches Geschöpfchen war, das sie trüge. Bei solchen Anlässen weitete sich ihr Sinn, und ihre Zuversicht, ein männliches Kind zur Welt zu bringen, wuchs ins Unermessene. Oft lag ihre Handarbeit auf dem Schoß, während ihr Blick in die Ferne auf die Hügelkette gerichtet war, die sich längs des Severn-Tales hinzog. Es verlangte sie danach, von ihrem Lieblingsplatz unter einer alten Zeder die Malvern Hills in ihrer ganzen Schönheit zu erblicken; ihre schwellenden Anhöhen schienen plötzlich eine andere Bedeutung anzunehmen. Sie wirkten auf sie wie schwangere Frauen mit schweren Brüsten, wie große, tapfere, mit Grün umgürtete Mütter herrlicher Söhne. So saß sie all die Sommermonate über da und blickte nach den Bergen. Gewöhnlich saß Sir Philip neben ihr, und gewöhnlich saßen sie Hand in Hand. Voller Dankbarkeit gab sie den Armen reichlich, und Sir Philip ging sogar in die Kirche, was er sonst höchst selten zu tun pflegte, und der Pfarrer erschien zum Dinner, und gegen das Ende hin kam manch ältere Frau herbei, um Anna gute Ratschläge zu erteilen.

Jedoch: ›Der Mensch denkt, Gott lenkt.‹ So kam es, dass Anna zu Weihnachten von einer Tochter entbunden wurde, einer schmalhüftigen, breitschultrigen kleinen Kröte von Tochter, die drei Stunden lang schrie und schrie, ohne aufzuhören, als sei es eine Zumutung, dass sie in die Welt gesetzt wurde.

2.


Anna Gordon stillte ihr Kind. Während es trank, wurde ihr schwer ums Herz; hatte ihr Mann sich doch so sehr einen Sohn gewünscht! Angesichts ihres Kummers verbarg Sir Philip seine Enttäuschung. Er herzte und hätschelte die Kleine und betrachtete ihre Fingerchen.

»Welch eine Hand!«, sagte er dann wohl. »An allen zehn Fingerchen hat sie tatsächlich schon Nägel – richtige rosige kleine Nägel!«

Dann trocknete Anna ihre Tränen und liebkoste das winzige Händchen mit ihren Lippen.

Er bestand hartnäckig darauf, das Kleine Stephen zu nennen, ja, es sogar auf diesen Namen taufen zu lassen. »Jetzt haben wir sie schon so lange Stephen gerufen«, sagte er zu Anna, »dass ich nicht einsehen kann, weshalb wir nicht dabei bleiben sollen.«

In Anna regten sich Zweifel, aber Sir Philip blieb dickköpfig, wie er es zeitweilig sein konnte, wenn er einer Marotte nachhing.

Der Pfarrer fand das ziemlich ungewöhnlich. Um ihn zu beschwichtigen, mussten sie weibliche Vornamen hinzufügen. So wurde das Kind dann in der Dorfkirche auf die Namen Stephen Mary Olivia Gertrude getauft. Sie gedieh, wurde kräftig, und als ihr das Haar wuchs, war es vom gleichen Kastanienbraun wie das Sir Philips. Auch ihr Kinn hatte schon eine winzige Spaltung, zuerst so winzig, dass es wie ein Schatten wirkte. Als eine Weile später die Augen ihre Bläue, wie sie jungen Hunden und anderen jungen Geschöpfen eigen ist, verloren, entdeckte Anna, dass sie sich ins Haselnussbraune veränderten und – wie sie meinte – den Ausdruck des Vaters annahmen. Alles in allem war sie ein wohlgeratenes Kindchen dank ihrer zweifellos guten körperlichen Verfassung. Abgesehen von ihrem ersten energischen Protest bei der Geburt schrie sie sehr wenig.

Ein Kindchen in Morton bedeutete wahres Glück. Das alte Haus schien freundlicher zu werden, wenn das Kind, das rasch wuchs und laufen lernte, die Dielen, die schon so lange Jahre Kinderart kannten, entlang stolperte, krabbelte oder taumelte. Kam Sir Philip von oben bis unten beschmutzt von der Jagd, dann lief er, bevor er noch die Stiefel auszog, ins Kinderzimmer und ließ sich auf alle viere nieder, und Stephen kletterte auf seinen Rücken. Sir Philip stellte sich dann, als sei er ein kraftvolles Pferd; er bockte, bäumte sich auf, schlug heftig aus, so dass Stephen sich in sein Haar krallen oder an seinem Hals festhalten musste und ihn mit ihren frechen kleinen Fäusten bearbeitete. So fand Anna sie gewöhnlich, von dem Radau herbeigelockt, und deutete dann auf den schmutzigen Teppich.

Sie rief: »Genug jetzt, Philip, genug jetzt, Stephen! Es ist Zeit für euren Tee!«, so als ob alle beide ihre Kinder wären. Dann erhob sich Sir Philip, warf Stephen ab und gab ihrer Mutter einen Kuss.

3.


Der erhoffte Sohn schien lange auf sich warten zu lassen. Er war immer noch nicht da, als Stephen schon sieben Jahre alt war. Allerdings hatte Anna auch keiner weiteren Tochter das Leben geschenkt. Auf diese Weise blieb Stephen Hahn im Korbe.

Ob ein Einzelkind beneidenswert genannt werden kann, lässt sich stark bezweifeln. Einzige Kinder sind zur Selbstbeobachtung verurteilt; sie haben niemanden in ihrem Alter, dem sie sich anvertrauen können, außer sich selbst. Man kann kaum behaupten, dass der Geist einer Siebenjährigen von ernsthaften Problemen in Anspruch genommen wird, aber er beginnt schon zu tasten und kann schon kleine Anfälle von Schwermut erleiden, kann sogar bereits darum ringen, sich mit dem Leben...


Radcylffe Hall, ursprünglich mit dem Vornamen ›Marguerite‹ versehen, später jedoch nur noch als ›John‹ bekannt, kam am 12.8.1880 im englischen Bournemouth zur Welt. Mit 21 Jahren erbte sie von ihrem Großvater ein beträchtliches Vermögen und bezog ein eigenes Haus, hielt Reitpferde und eine Hundemeute, reiste viel und schrieb Gedichte. Mit 27 Jahren lernte sie in Bad Homburg die 50-jährige Mabel Veronica Batten kennen, genannt Ladyes, eine verheiratete Frau der Gesellschaft. Die beiden Frauen verliebten sich ineinander und lebten für die nächsten zehn Jahre zusammen. Die Idylle endete, als John sich in die 28-jährige Una Troubridge verliebte, die Frau eines Admirals und Mutter einer Tochter. Nach dem Tod von Ladyes lebte John mit Una Troubridge zusammen, trug das Haar kurz und kleidete sich in Männerhemden mit Krawatten und Tweed- oder Smokingjacken, allerdings stets zu Röcken, und rauchte in der Öffentlichkeit Zigaretten und Zigarren.
Nach dem Studium der Schriften des Sexualwissenschaftlers Havelock Ellis betrachtete Radclyffe Hall ihre Homosexualität - die damals gemeinhin als Sünde, Krankheit oder moralisch verwerfliches Laster galt - als angeboren und daher als unabänderlich - eine von Schuldgefühlen enorm befreiende Sichtweise, die auch in ihren Roman »Quell der Einsamkeit« einfloss - dem ersten Roman über lesbische Frauen oder »Invertierte« außerhalb des pornografischen Genres. Er erschien 1928, erregte großes Aufsehen und wurde rasch verboten, was seiner Verbreitung jedoch eher zuträglich war. Mittlerweile gilt »Quell der Einsamkeit« als ein Klassiker der lesbischen Literatur - ein Buch, mit dem sich die Autorin seinerzeit mutig outete und für die Toleranz der Gesellschaft gegenüber Lesben warb - ein Buch, das als faszinierendes Zeitdokument zu lesen ist und als ein Vorläufer von Leslie Feinbergs Roman »Stone Butch Blues« gelten kann.



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