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E-Book

E-Book, Deutsch, 239 Seiten

Haller Arbeit am Kindeswohl

Soziale Arbeit, Schule und Justiz in Kooperation
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-17-041280-4
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Soziale Arbeit, Schule und Justiz in Kooperation

E-Book, Deutsch, 239 Seiten

ISBN: 978-3-17-041280-4
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Fachkräfte der Sozialen Arbeit, Lehrerinnen und Lehrer sowie die Justiz stehen regelmäßig vor der Herausforderung, transdisziplinär das Wohl von Kindern sicherzustellen. Wie solche Kooperationen im Netzwerk der Institutionen, der Familien und weiterer nicht-professioneller Akteure gelingen können, zeigt dieses Buch forschungsbasiert für die Hilfesysteme in der Schweiz und in Deutschland. Dabei wird die Arbeit am Kindeswohl als transdisziplinäre Aufgabe anhand von empirisch untersuchten Fallverläufen im Kinderschutz vorgestellt. Außerdem thematisieren die Autorinnen und Autoren die Rahmenbedingungen des Kinderschutzes in Deutschland und der Schweiz mit einem Augenmerk auf die gesetzlichen Grundlagen sowie die Beziehungsgestaltung zu betroffenen Eltern und Kindern. Auch die besondere Bedeutung der Schule für den Kinderschutz wird erörtert.

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Weitere Infos & Material


1          Kindeswohl als Aufgabe von Familie und Gesellschaft
    1.1       Familialer Lebensvollzug und Kinderschutzverlauf
In der Arbeit am Kindeswohl treffen Familienakteure, das sind Kinder, Jugendliche, Elternteile und manchmal auch Verwandte auf institutionelle Akteure, das heißt auf Fachkräfte von Institutionen, die sich mit dem Wohlbefinden, der Ausbildung, der Begleitung, der Beratung und dem Schutz von Kindern befassen. Während der Zeit des Heranwachsens eines Kindes interagieren die beiden Akteursgruppen. Sie bilden rund um das Kind eine Handlungsgemeinschaft, die den Verlauf der Dinge stark bestimmt. Das Kindeswohl ist laut einer in der Schweiz gängigen Begriffsbestimmung gewährleistet, wenn die Lebensbedingungen von Kindern in einer Art gestaltet sind, dass eine gesunde Entwicklung der Heranwachsenden gewährleistet ist (vgl. Hauri & Zingaro, 2020, S. 11). Dabei sollen der Grundbedarf der Kinder und ihre subjektiven Bedürfnisse erfüllt werden. In Anlehnung an den Capability-Ansatz kann der Grundbedarf von Kindern mit folgenden Begriffen beschrieben werden:1 •  Körperliche Unversehrtheit und Sicherheit •  Materielle Bedingungen, die insbesondere eine regelmäßige Ernährung sowie Rückzug und Schlaf ermöglichen •  Gesundheit •  Beständige, liebevolle Beziehungen zu Menschen und zur natürlichen Umwelt, z. B. Haustieren •  Kognitive und emotionale Erfahrungen, die die individuelle Persönlichkeit und den jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes berücksichtigen •  Zugehörigkeit zu einem sozialen Netzwerk ohne Gewalt- und Erniedrigungserfahrungen •  Grenzen und Strukturen •  Stabile, unterstützende Gemeinschaften und kulturelle Kontinuität Das Kindeswohl ist eine gemeinsame Aufgabe von Familie und Gesellschaft. Im natürlichen Lebensvollzug der Familien bildet das Erziehen heranwachsender Kinder, auf ihre emotionale, kognitive und körperliche Entwicklung und ihre Bedürfnisse passend einzugehen, eine vielschichtige Aufgabe, die Eltern kontinuierlich während vieler Jahre erbringen. Gleichzeitig sind auf Seite der Gesellschaft die wichtigen Politikfelder Bildung, Soziale Wohlfahrt, Gesundheit, Justiz und Sicherheit in die Erziehung, die Bildung und den Schutz der Kinder und Jugendlichen involviert. Institutionen wie die Schule fördern die Entwicklung der Kinder. Entsprechend breit ist das Feld der institutionellen Akteure – der Institutionen und Berufe, die sich mehr oder weniger direkt mit dem Kindeswohl befassen. In dem Maß, wie Elternteile die gesunde Entwicklung von heranwachsenden Kindern und Jugendlichen fördern, bauen sie am Wohl des Kindes. Aus der Sicht der Gesellschaft ist es problematisch, wenn das Wissen, Können und/oder Wollen in Familien nicht ausreicht, um das Wohl des Kindes zu gewährleisten. Wenn Erziehungsberechtigte das Kindeswohl vernachlässigen oder beschädigen, kann mit einer Gefährdungsmeldung ein Prozess in Gang gesetzt werden, der die Gefährdungsabklärung und allenfalls explizite Kinderschutzmaßnahmen beinhaltet. Die Institutionen, die den Schutz und die Rechte des Kindes gewähren, müssen nun in Interaktion mit den Familienakteuren treten. Es beginnt ein Kinderschutzverlauf. 1.2       Familiale Werte und gesellschaftliche Werte
Das Erziehen, Fördern und Bilden der Kinder ist eine gemeinsame Aufgabe der Familien und der institutionellen Akteure. Allerdings lassen sich dabei die beiden Akteursgruppen tendenziell durch unterschiedliche Werthaltungen leiten. Elternteile sind eng verbunden mit ihren Kindern; sie sehen sich zuständig für deren Entwicklung zu Menschen, die sich in der Gesellschaft behaupten können. Was das Kindeswohl ausmacht – etwa liebevolle Beziehungen pflegen, Sicherheit und körperliche Unversehrtheit gewährleisten oder für ihre Entwicklung passende Aktivitäten ermöglichen –, geschieht im Familienalltag überwiegend auf natürliche Weise. Das Wissen der Mütter und Väter über Kindererziehung scheint maßgeblich als Teil eines Wissensvorrats vorhanden zu sein und von Generation zu Generation weitergegeben zu werden. Entsprechend betrachten Elternteile die Kindererziehung als eine natürliche Aufgabe, der sie sich gewachsen fühlen. Familie zu sein, ist eine grundmenschliche Daseinsform. Dass Eltern das Leben in ihrer Familie hoch gewichten und entlang ihrer eigenen Entwürfe gestalten wollen, bildet einen transkulturell anzutreffenden, sozusagen anthropologisch konstanten Wert. Die alleinerziehende Mutter zweier Kinder wird im Zuhause durch eine Familienbegleitung unterstützt. Sie erkennt an, dass sie ergänzende Unterstützung in der alltäglichen Erziehungsarbeit braucht. Zur Frage eine Fremdplatzierung äußert sie sich jedoch akzentuiert: »Da habe ich gesagt: ›Meine Kinder kommen sicher nicht von mir weg‹. Die sind alles, was ich habe. Wenn ich sie nicht mehr habe dann habe ich alles verloren.« Die elterliche Grundfähigkeit, Kinder zu erziehen, ist gesellschaftlich hoch anerkannt. Die Familie gilt als schützenswerte Einheit gesellschaftlicher Reproduktion und es werden ihr für die Ausgestaltung des Familienlebens große Spielräume gelassen. Es wirkt ein stark verankertes Primat der Elternschaft. In westlichen Gesellschaften stehen neben diesem in der Menschheitsgeschichte verankerten Primat der Familie neuere Wertesysteme wie die Charta der Menschenrechte und der Kinderrechte, auf die sich die Institutionen der Bereiche Bildung, Soziales und Justiz stützen. Die Gesellschaft verfügt damit über objektivierte Kriterien, die bezeichnen, was die Substanz des Kindeswohls ausmacht und die in Gesetzen und Verordnungen ausformuliert sind. Das Familiäre wird so gesehen von einem Set von Werthaltungen unterschiedlicher Herkunft geprägt, von langzeitig transkulturell verankerten, auf die Lebenswelten von Familien bezogenen Werten sowie von Werten, die im gesellschaftspolitischen Diskurs westlicher Gesellschaften während der letzten Jahrzehnte etabliert worden sind. In der Sorge für die Heranwachsenden ergänzen sich die Verantwortungen der Eltern und gesellschaftlicher Institutionen: Die Eltern sehen sich als zuständig für die Versorgung und die Sorge im Alltagsleben der Kinder. Die Gesellschaft regelt über das Rechtssystem vorerst die Grundrechte des Kindes nach seiner Geburt, insbesondere, wer für seine Sorge zuständig ist, und seine Bürgerrechte. Für die ersten Lebensjahre der Kinder stehen medizinische Dienste und immer mehr auch Betreuungs- und Förderungsangebote bereit. Doch sind es in der Regel die Eltern, die über die Nutzung dieser Angebote durch ihre Kinder bestimmen. Das heißt, dass Kinder im Vorschulalter vorwiegend in den Lebenswelten der Familien heranwachsen und ihre Entwicklung stark von familialen Werten geprägt ist. Erst mit dem Eintritt in den Kindergarten und die Schule kommen Kinder stärker in den Einflussbereich gesellschaftlicher Institutionen. Institutionen wie Kindergarten und Schule, Beratungsstellen und Kinderschutzbehörden orientieren sich an gesellschaftlichen Kriterien. Schulen verfolgen den Leitgedanken, den Jugendlichen mit einem Bildungsabschluss eine selbstbestimmte Zukunft im Umfeld der Leistungsgesellschaft zu ermöglichen (Primat der Leistung). Kinderschutzbehörden verfügen Maßnahmen, um bspw. Kinder vor Vernachlässigung durch psychisch beeinträchtigte Elternteile zu schützen. Zwischen diesen von Gesellschaft und Staat gesetzten Werten und dem Autonomieanspruch der Familien eröffnet sich ein Spannungsfeld, denn obschon sich Familien als Teil der Gesellschaft verstehen und die Gesellschaft Familien fördert, unterscheiden sich familiale Werte von institutionellen Werten. Zwar sind die Kinderschutzverläufe von verschiedenen Faktoren abhängig, wie im Kapitel zu Lebenswelten der Familien dargestellt wird ( Kap. 6). So prägen z. B. der Gesundheitszustand oder das intellektuelle Vermögen von Elternteilen und Kindern oder die materielle Situation und die Familiengeschichte die Fallverläufe. Die Daten der vorliegenden Studie zeigen jedoch ebenso markant, dass die subjektiven Werthaltungen der Beteiligten das Geschehen maßgeblich beeinflussen. Der Einblick in eine Fallgeschichte soll dies veranschaulichen. Der zwölfjährige D ist ein vermindert leistungsfähiges Kind, das in seiner Wohngemeinde zur Schule geht, zur sprachlichen Förderung langzeitig Logopädieunterricht erhielt und zurzeit Förderlektionen der schulischen Heilpädagogin besucht. D wird langzeitig mit Ritalin behandelt, was aus Sicht...


Dr. Dieter Haller ist Professor für Soziale Arbeit an der Berner Fachhochschule.



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