Hank | Die Loyalitätsfalle | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 180 Seiten

Hank Die Loyalitätsfalle

Warum wir dem Ruf der Horde widerstehen müssen
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-641-26075-0
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Warum wir dem Ruf der Horde widerstehen müssen

E-Book, Deutsch, 180 Seiten

ISBN: 978-3-641-26075-0
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein leidenschaftliches Plädoyer für die befreiende Kraft des Widerspruchs

Loyalität genießt einen guten Ruf. Zu Unrecht, findet Rainer Hank. Denn sie steht der Freiheit entgegen, und nicht nur das: Sie blockiert Veränderung, sie fördert Betrug (etwa in der Firma) und sie führt dazu, dass wir an ungesunden Bindungen festhalten (etwa zum eigenen Milieu). Loyalität ist typisch für ein Stammesdenken, das sich aggressiv nach außen verhält, nach innen Gehorsam fordert und Abweichler als Verräter brandmarkt. An vielen Beispielen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zeigt Rainer Hank, warum Loyalität zur Falle wird und wie wir uns daraus befreien können – um wieder unseren eigenen Kopf zu gebrauchen.
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Seit geraumer Zeit müssen Journalisten in China eine Prüfung machen, bevor sie einen Presseausweis erhalten. Wer bestehen will, sollte mit den Lehren und Gedanken von Xi Jinping, dem chinesischen Präsidenten, gut vertraut sein. Wer dessen Lehren noch nicht beherrscht, muss unbedingt die Xi-App auf sein Mobilgerät laden. Das ist eine Art digitaler Nachfolger der Mao-Bibel, des kleinen roten Buches, das man früher in China und anderswo bei sich zu tragen hatte. Richtige Antworten sind solche, die von Xi stammen.

Früher wurde in den Prüfungen die Qualifikation der Journalisten getestet, heute geht es um den Nachweis ihrer Linientreue. Zensur oder Gleichschaltung will Xi das nicht nennen. Er spricht lieber von Loyalität, die er von allen seinen Bürgern erwartet und die in der Prüfung unter Beweis gestellt wird. Loyalität gilt der chinesischen Führung als Gebot von Patriotismus. Täglich auf der Xi-App sich einzuloggen, ist inzwischen erste Bürgerpflicht.

»Loyalität« ist ein positiver Begriff. Loyal zu sein, gilt als moralisch gut: Sie ist eine Tugend. Nicht nur in China. Und nicht erst heute. Man muss zueinanderhalten. Für seine Freunde steht man ein. Loyalität ist ein Wert an sich: Er muss nicht gelernt oder anerzogen werden. Er ist mit uns auf die Welt gekommen.

Das fängt schon in der Familie an: Wir stehen zusammen, weil wir zusammengehören. Familie bedeutet Zugehörigkeit, über die Generationen hinweg. Loyal zu den Eltern sind wir auch dann, wenn wir uns über sie ärgern oder – etwa in der Pubertät – sie uns peinlich sind und wir am liebsten wegrennen würden. Wir tun es nicht oder kommen gleich wieder zurück. Loyalität ist eine Form der Treue zu anderen. Schließlich bekommen wir auch etwas dafür: Ich halte zu meiner Familie, weil meine Familie zu mir hält. Wir gehen zusammen durch dick und dünn, meistens jedenfalls.

Loyalität, so nennen wir das starke und warme Band einer Zugehörigkeit. Dieses Band hat einen verpflichtenden Charakter, der in beide Richtungen wirksam ist. Ohne Loyalität gäbe es kein Zusammenleben. Eine Gesellschaft, der das Gefühl verpflichtender Zugehörigkeit abgeht, könnte nicht überleben. Sie müsste zerfallen. Zumindest in der abendländischen Tradition ist das Versprechen der Treue zwischen Mann und Frau Voraussetzung für Liebe, Ehe und Aufzucht der Nachkommen. Wer das Gebot, loyal zu sein, verletzt, gilt nicht nur als illoyal – »Das tut man nicht!« –, sondern wird nicht selten von der Gruppe geächtet, die er verlässt. Er oder sie ist ein »schwarzes Schaf«, ein Dissident. Kommt es noch schlimmer, wird er zum Verräter. Die Verpflichtung zu Loyalität gilt zwischen Freunden, sie gilt in der Familie. Es gibt sie in der Gemeinde (der Orts- und der Kirchengemeinde). Es gibt sie im Clan. Es gibt sie in der Ethnie (Schwaben, Bayern, Sorben); wir sprechen von Heimatverbundenheit. Geht es um eine Nation und Vaterland, nennen wir es Patriotismus.

Wie weit geht die Pflicht zur Loyalität? Sehr weit. Sie würde den Regisseur Roman Polanski immer noch kompromisslos lieben, bekennt die französische Filmschauspielerin Fanny Ardant, auch wenn erwiesen wäre, dass er eine Minderjährige vergewaltigt habe. Polanski sei für sie »ein Teil meiner Familie«. Auch wenn eine ihrer drei Töchter jemanden umgebracht hätte, so Fanny Ardant, würde sie sie vor der Polizei verstecken: »Ich würde immer meine Familie verteidigen – auch wenn das ein moralisches Dilemma ist.«

Offenbar rührt Loyalität an etwas in unserem Inneren, das der Entstehung von Sittlichkeit, Moral und Recht vorgelagert ist. In den linken Kreisen, in denen ich groß geworden bin, gab es in den siebziger Jahren eine Debatte darüber, ob wir einem zum Terroristen gewordenen Freund aus der RAF Unterschlupf gewähren würden. Warum zeigten viele sich dazu bereit? Weil die frühere Verbindung gebietet, den Freund zu schützen? Weil wir möglicherweise immer noch gemeinsame Ziele haben, auch wenn wir uns in der Wahl der erlaubten Mittel unterscheiden?

Loyalität verliert ihre Unschuld, sobald man sich ihr nähert. Kann eine Haltung eine Tugend sein, wenn sie in letzter Konsequenz zu einem Verbrechen führen würde? Kann Loyalität uneingeschränkt für gut befunden werden, wenn dem Abweichler das Stigma des Verrats anhaftet und er nicht nur von denen verfolgt wird, die er verlassen hat, sondern auch tief im Innern von seinem Gewissen?

Loyalität steht offenbar im Gegensatz zur Freiheit. Sollte sie tatsächlich eine Tugend sein, eine liberale Tugend wäre sie nicht. Nicht zuletzt das eingangs erwähnte chinesische Beispiel zeigt dies überdeutlich. Womöglich ist Loyalität aber auch nicht nur keine liberale, sondern auch keine linke Tugend. Der amerikanische Philosoph Richard Rorty hat darauf hingewiesen, dass sich Loyalität und Solidarität schlecht miteinander vertragen. Loyalität gilt immer nur den wenigen, Solidarität ist universal. Loyalität schließt einige ein – zum Beispiel die Familie –, andere aber aus: alle, die nicht zur Familie gehören. Deshalb hat die Loyalität nicht nur ein Problem mit der Freiheit (sie ist nicht liberal), sondern auch mit der Gerechtigkeit (sie ist nicht links).

Allein kann man nicht loyal sein, es braucht ein Gegenüber. Sich selbst kann man treu bleiben. Loyalität beschreibt jedoch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe irgendwie gleichgesinnter Freunde, Kameraden, Kollegen. Wo ist die Grenze zum Netzwerk oder zum Filz, der die Zusammengehörigkeit über die Legalität stellt und Kriminalität in Kauf nimmt oder gar offensiv vertritt, wie bei der Mafia zu beobachten?

Den Untiefen der Loyalität soll in diesem Buch nachgespürt werden. Warum hat die Loyalität (etwa in Firmenphilosophien) einen so glänzenden Ruf? Ich glaube, Loyalität wird überschätzt. Illoyalität hingegen wird zu Unrecht moralisch verunglimpft. Dies hat auch mit der Begrifflichkeit zu tun: Illoyal klingt verwerflich, aufrührerisch, negativ. Könnte es positive Begriffe geben? Souveränität, Mündigkeit, Resilienz, Dissidenz? Vielleicht auch Befreiung, Integrität, Selbstbestimmung, Autonomie? Dies alles wären geeignete Kandidaten, die freilich in ihrem Begriff unterschlagen, dass man nichts geschenkt bekommt, gerade die Souveränität und auch die Freiheit nicht, denn ihr gehen schmerzhafte Ablösungsprozesse – Illoyalitätserfahrungen – voran.

Es gilt deshalb, die Dissidenz, den Mut zur Selbstbefreiung zu stärken und zugleich die Gefahren der Loyalität aufzuzeigen. Das ist das Ziel dieses Buches.

Soziale Bewegungen sind Gruppen starker Loyalität. In jüngster Zeit sind viele davon auf die Welt gekommen. Die staatlich verordnete Solidaritätszumutung in den Monaten des Corona-Shutdowns provozierte als Gegenschlag eine bürgerlich-populistische Protestbewegung, die den individuellen Freiheitsdrang im gesellschaftlichen Ausnahmezustand zur Sprache brachte, zugleich aber nach innen einen Loyalitätsdruck aufzubauen vermochte, dessen Konformitätserwartung sich aus allerlei kruden Verschwörungstheorien speiste. Sie nennen sich »Querdenker«, ohne sich bewusst zu sein, wie uniform die Opposition dieser Sozialbewegung daherkommt.

Als sozialer Protest versteht sich auch die Klimabewegung. Es gibt sie in der gemäßigten Variante der Fridays for Future (FFF) und in der radikalen der Extinction Rebellion, die mit Straßenblockaden die Selbstausrottung der Menschheit verhindern will. Diese Bewegungen wollen das Gute und bekämpfen das Böse, malen den Untergang der Welt an die Wand oder, kaum weniger schlimm, eine dramatische Verschlechterung der Lebensbedingungen auf dem Planeten.

Darin ähneln sich Corona-Protest, FFF und Pegida, so unterschiedlich die politischen Ziele und die Zusammensetzung ihrer Unterstützergruppen sind. Alle neigen sie zu einem gewissen Dualismus und Manichäismus: Wir sind die Guten, die Erleuchteten. Die anderen sind die Bösen, die Verblendeten. Die anderen – das ist der Mainstream. Auch Pegida – »Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« – ist eine Bewegung. Auch hier mischen sich Untergangsfantasien mit der Beteuerung, jetzt seien die letzten Tage angebrochen, um das Schlimmste verhindern zu können: die ethnische Überfremdung.

Die Bedeutung von Bewegungen nimmt zu. Ständig sind wir gezwungen, Stellung zu beziehen Mir sind all diese Oppositionsbewegungen nicht geheuer, die Querdenker nicht, FFF nicht und Pegida erst recht nicht. Pegida kann man rechtspopulistisch nennen, FFF kann man grünpopulistisch nennen. Der Corona-Protest ist weder links noch rechts, dafür aber umso mehr populistisch. Der Begriff des Populismus soll hier neutral gebraucht werden. Populismus bekennt sich zu einer Emotionalisierung des Politischen (das ist sowohl von rechts wie von links möglich). Populisten verstehen sich als Anwälte des Volkes, dem sie Stimme und politischen Einfluss verleihen wollen. Die Gegner der Populisten sind in der Regel die Eliten, die Mächtigen, die tonangebenden Schichten, denen vorgeworfen wird, sie hätten das Volk alleingelassen.

Typisch für...


Hank, Rainer
Rainer Hank, geboren 1953, ist Wirtschaftsjournalist. 2001 bis 2018 leitete er die Wirtschafts- und Finanzredaktion der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«, seither ist er als Publizist und Kolumnist für unterschiedliche Medien tätig, insbesondere für die FAS. 2009 erhielt er den Ludwig-Erhard-Preis, 2013 den Karl-Hermann-Flach-Preis und 2014 die Hayek-Medaille. Für sein 2017 erschienenes Buch »Lob der Macht« war Rainer Hank für den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis nominiert. Zuletzt erschien im Penguin Verlag »Die Loyalitätsfalle« (2021).



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