Impulse für die Coaching-, Beratungs- und Führungsarbeit in NPOs
E-Book, Deutsch, 366 Seiten, E-Book
ISBN: 978-3-7910-4932-8
Verlag: Schäffer-Poeschel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Teil 1: Organisationen, Strukturen, Netzwerke gestalten und entwickeln
1 Zu Geschichte und Ausrichtung des Organisierens
2 Ideen generieren - unterschiedlich Denken
3 Systeme aufbauen und organisieren
4 Elemente einer Betriebslehre für NPO und kleine Organisationen
Teil 2: Mit Organisieren Wirkung erzeugen, modellieren, verstärken
5 Handeln: Was alles möglich ist
6 Reflexion: Auswerten, Weiterentwickeln, neu beginnen
2 Ideen generieren – unterschiedlich Denken
Wie mit verschiedenen Denkansätzen mehr gesehen werden kann; Vor- und Nachteile verschiedener Zugänge; Einfluss des Zeitgeistes auf die Horizonte Eine Kollegin in einer Intervisionsgruppe gab mir die Rückmeldung, dass sie sich immer wieder überraschen und inspirieren lasse von meinen zusätzlichen Blickwinkeln bei der Besprechung der Fallbeispiele. Das brachte mich zum Nachdenken über das Denken und innere Denkbewegungen. Denken ist für mich fast gleichbedeutend mit Freiheit, die man gestalten kann und muss, da ich mit meinem Denken das präge, was die Welt und auch ich selbst für mich bedeuten – und da ich mit Gedachtem die Welt präge, in der ich mich bewege, also meine Welt (mit-)gestalten kann. Dasselbe tun wir gemeinsam – oder eben nicht. Neben dem historischen Zugang zum Organisieren wird so ein weiterer zentraler Zugang beschrieben, bevor wir dann zu anderen Gestaltungsmöglichkeiten von Organisationen vorstoßen, die Art und Weise, wie wir Situationen (be-)denken. Häufig werden in Diskussionen gegensätzliche Positionen aufgeführt (»das geht« oder »das geht nicht«, also die bekannte Ja/Nein-Logik). Mir wurde bewusst, dass (mindestens) zwei Denkleitsätze meine Begegnung mit Themen und Problemen leiten. Bei Gegensätzen liegt ein lebensförderlicher Entwicklungsansatz in der Suche nach etwas Drittem – »Such eine dritte Möglichkeit, dann bist du in der Vielfalt!« Der andere Leitsatz lautet: »Differenziere das Thema in verschiedene Richtungen«, z. B. durch weitere Kriterien, durch Konkretisierung oder Generalisierung oder durch das Modellieren von inneren Räumen mit Positionen, die die Informationsbasis erweitern. Der Duden definiert »Denken« als »menschliche Fähigkeit des Erkennens und Urteilens, mit dem Verstand arbeiten, überlegen«. In der buddhistischen Psychologie wird Denken als der Vorgang beschrieben, wie wir einem Etwas (der Leere, dem Potenzial, in das nachher alles wieder zurückgeht und das immer wieder erneut Form und Name bekommt) Form und Name geben. Diese Formen, denen wir Namen geben, sind unser individuell gewählter, für uns verarbeitbarer Ausschnitt der Wirklichkeit.44 Organisch gesehen ist das Hirn für das Denken zuständig, dafür, die Nervensignale aus dem ganzen Körper zu empfangen und ihnen eine Bedeutung zu geben – je nach Zielen, Werten und Wahrnehmungsfähigkeiten, aber auch je nach der Betroffenheit, Emotionalität oder auch Fokussierung der Person, die gerade denkt. Ein wichtiger Aspekt von Denken ist die Bewusstheit, was sich im Begriff »Erkennen« spiegelt. Dass auch der Körper denkt, ist heute anerkannt. So wird vom Darm als »Bauchhirn« gesprochen, was im Volksmund als das gute oder schlechte »Bauchgefühl« bezeichnet wird. Die Verkörperung von Gefühlen und Hinweise daraus, das sogenannte »Embodiment«, gilt in vielen Schulen (Körpertherapie, Systemaufstellungen, Selbstentwicklung, Kinesiologie) als wichtiges Instrument für Entscheidungsfindung, Orientierung und positive Lebensgestaltung. In östlichen spirituellen Lehren wie im Buddhismus ist der Körper der Tempel, der Lernerfahrungen in unserem Leben überhaupt ermöglicht. Im Hinduismus wird die Episode von Göttern erzählt, die sich ohne Körperempfindung langweilten und sich wieder einen Körper gaben, um das Leben in all seinen Facetten erfahren zu können. Denn nur mit einem Körper kann so wahrgenommen werden, dass Lernen und Veränderung und damit Lebendigkeit möglich sind. Denken als ganzheitliche Wahrnehmung in Verbindung von Verstand (Geist), Körper und Seele ist für mich zentral, um (Lösungs-)Möglichkeiten zu erweitern und um durch neue Blickwinkel beschränkende Sichtweisen zu überwinden. Dieses ganzheitliche Denken kann uns aus inneren Notsituationen befreien und stärkt sowohl unsere Autonomie und gleichzeitig unsere Verbundenheit mit unseren Mitmenschen und der Welt. Das eigene Denken zu beobachten, also mehr und mehr Bewusstheit zu erlangen, ist wichtig für die Selbstführung. Von besonderem Interesse ist die Art und Weise, wie sich das Denken im Verlaufe der Geschichte entwickelt hat: Durch welche Brille entstehen Wahrnehmen, Erkennen und Urteilen? Im Folgenden eine eigene Zusammenstellung von Logiken des Denkens entlang der Geschichte: Zwischen 5000 und 1500 v.u.Z. (je nach Weltregion): organische Logik – Werden und Vergehen im »ewigen« Zyklus der Natur. Wir Menschen sind ein Teil davon, verbunden mit allen Lebewesen (beschrieben z. B. von Meier-Seethaler45). Seit den Griechen (ca. 1600 bis 26 v.u.Z.): intellektuelle Ausdifferenzierung, auch durch Mythen, zum Aufstemmen des Abstandes zwischen Oben und Unten, Gut und Schlecht, Himmel und Hölle, Mann und Frau. Das schuf zahlreiche Dilemmata und in der Folge setzte die Entwicklung von Ethik ein. In der Zeit des römischen Reiches, der römisch-katholischen Kirche, der weiteren Entwicklung des christlichen Abendlandes und der Eroberungs- und Forschungsreisen der Kolonialreiche (England, Portugal, Spanien, Holland) und Entstehung der Ethnologie wurden immer wieder verschiedene Logiken aus den Berichten über Kulturen und Kontinente mit anderen Denk-, Deutungs- und Verarbeitungsmustern offensichtlich. Hier war eine deutliche Richtig-Falsch-Denkweise prägend, ein duales Denken, das tief verankert ist. Oder anders gesagt: die anderen brauchen noch viel, bis sie es auch richtig (also so wie wir) sehen können. Noch heute wird sichtbar, wenn Kulturkreise nebeneinandergestellt werden, dass hier im Abendland das duale Denken (richtig/falsch) bestimmend ist, was unter anderem die Technologieentwicklung begünstigte, aber auch vieles als konflikthaft oder dual im Sinne von »entweder/oder« erlebt wird. Das asiatische Sowohl-als-auch-Denken steht im Kontrast dazu für spirituelle Qualitäten und Harmonie und damit häufig eher mit einer Haltung, das Gegebene hinzunehmen und etwas weniger Wille zur Gestaltung der Um- und Mitwelt nach den eigenen Vorstellungen. Seit der Aufklärung (ab ca. 1700 n.u.Z.): rationale, materiell basierte Logik der aufkommenden Naturwissenschaft. Leitsatz aus der wieder erwachten Verehrung der Antike: »Der Mensch (Mann) ist das Maß aller Dinge« (Protagoras). Entwurf von Thesen und deren Verifizierung respektive Falsifizierung, was man als Vorläufer des dialektischen Denkens verstehen kann. Neuzeit, Moderne: Seit dem 18. Jahrhundert tritt vermehrt dialektisches Denken auf als ein Sprung nach vorne aus dem Richtig-Falsch-Spektrum. Das war bei uns lange mit dem Kommunismus verbunden, da nur in diesem dialektisch gedacht wurde. Gegenwart, Postmoderne: systemisches Denken, das Denken in ausbalancierten und unbalancierten Zusammenhängen und Wechselbeziehungen in einem definierten System (was eine konkrete Situation oder eine Organisation sein kann), um der komplexen Wirklichkeit besser gerecht zu werden. Jedoch: Verschiedene Denkstile ringen auch heute miteinander. Natalie Knapp stellt in ihrem Buch »Quantensprung des Denkens«46 eindrücklich dar, wie in der Physik eine dominante Denklogik vorherrscht(e), die es unmöglich macht(e), neue Fragen zu stellen und dass Erkenntnisse aus dem Andersdenken zuerst von Inhabern von Deutungshoheit (z. B. einer Hochschule) akzeptiert werden müssen, bevor sie sich etablieren können. Natalie Knapp entwickelt daher Übungen, die erkennen lassen, wie unser Denken durch den aktuellen Zeitgeist beschränkt wird – da wir nicht anders denken können, wenn wir es nicht bewusst trainieren. Noch umfassender hat Paul Feyerabend47 die engen, begrenzenden und auch scheuklappenartig Erkenntnisse verhindernden Regeln bei der »Wahrheitssuche« umschrieben. Eine zentrale Erkenntnis aus dem Studium von Geschichtsliteratur (z. B. bei Evans48) war für mich: Frei und eigenständig zu denken und die Gedanken auch äußern zu dürfen, ist ein erst vor 150 Jahren erkämpftes und uns geschenktes Privileg, das verpflichtet. Jedes Individuum hat die Freiheit, sein Denken zu entwickeln, zu gestalten und zu wählen – und soll das, nachdem wir nun in einer Zeit leben, wo diese große Freiheit für alle zugänglich und nicht mehr lebensbedrohlich ist, auch nutzen. 2.1 Das Tetralemma – eine Denk-Choreografie
An Anfang dieses Kapitels schrieb ich, einer meiner Leitsätze sei, Situationen auszudifferenzieren, um mehr Spielräume zu erhalten. Die Denk-Choreografie des aus Asien stammenden Tetralemmas (Kibéd/Sparrer49) hat sich immer wieder als hilfreich erwiesen, meinen inneren Denkraum zu öffnen. Da sie sehr strukturiert abläuft, funktioniert sie auch unabhängig von...