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E-Book, Deutsch, 223 Seiten

Haslbeck Medikamente und chronische Krankheit

Selbstmanagementerfordernisse im Krankheitsverlauf aus Sicht der Erkrankten
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-456-94749-5
Verlag: Hogrefe AG
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Selbstmanagementerfordernisse im Krankheitsverlauf aus Sicht der Erkrankten

E-Book, Deutsch, 223 Seiten

ISBN: 978-3-456-94749-5
Verlag: Hogrefe AG
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Medikamente sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Versorgung und Behandlung chronischer Krankheiten. Das zeigt das ungebrochene Interesse an medizinischen, pharmakologischen oder wirtschaftlichen Aspekten der Arzneimittelversorgung. Thema sind vor allem Fragen der adäquaten Anwendung von Arzneimitteln: Werden Medikamente verordnungsgemäß eingenommen? Wenn nein, warum und mit welchen Konsequenzen? Auf der Suche nach Antworten blieb die Perspektive der chronisch Erkrankten selbst – der „Patient View“ – lange Zeit unberücksichtigt. Ihre Sicht auf die sich im langwierigen Verlauf chronischer Krankheit stellenden Herausforderungen des Selbstmanagements von Medikamentenregimen ist Gegenstand der vorliegenden qualitativen Studie. Betrachtet werden besonders die Anfangsphasen chronischer Krankheit, die Zeit der Renormalisierung, aber auch die Phasen im Krankheitsverlauf, in denen ein Medikamentenregime durch weitere Krankheitskrisen, neue Erkrankungen oder unerwünschte Arzneimittelwirkungen komplexer wird. Zuvor mühsam erarbeitete Routinen werden dann wieder in Frage gestellt, neue Herausforderungen treten hinzu und bisherige Strategien im Umgang mit den Medikamenten müssen verändert werden – ein für chronisch Erkrankte keineswegs einfaches Unterfangen. Das Buch bietet mit der Fokussierung auf die Sicht der Erkrankten und die unterschiedlichen Phasen des Verlaufs chronischer Krankheit eine innovative und erkenntnisreiche Perspektive auf den Umgang mit Medikamenten. Die Studienergebnisse beinhalten zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Entwicklung von Konzepten zur Selbstmanagementförderung und leisten einen Beitrag zu einer nutzerorientierten Gestaltung der Versorgung chronisch Erkrankter.

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Weitere Infos & Material


1;Inhalt;6
2;1 Einleitung;8
3;2 Medikamente aus Sicht chronisch Erkrankter – Diskussions- und Forschungslinien;16
3.1;2.1 Verlaufschronologie des Diskurses;17
3.2;2.2 Forschungslinien zur Perspektive der Erkrankten;20
4;3 Umgang mit Medikamenten im Krankheitsverlauf – theoretische Annäherung;48
4.1;3.1 Konzeptionelle Perspektiven: Patient, Partner, Person?;48
4.2;3.2 Das Trajektkonzept – Verlaufs-, Handlungs-und Alltagsorientierung;61
4.3;3.3 Anknüpfungspunkte und heuristische Orientierung;72
5;4 Methodisches Vorgehen;76
5.1;4.1 Induktiver Ansatz mit Grounded Theory- Orientierung;76
5.2;4.2 Datenerhebung und -auswertung;80
5.3;4.3 Datenbasis;88
6;5 Erfordernisse und Schwierigkeiten mit Medikamenten im Verlauf chronischer Krankheit;92
6.1;5.1 Manifestation der Krankheit und Beginn der Medikamenteneinnahme;92
6.2;5.2 Restabilisierung – Normalisierungswunsch, ›Adhärenzstress‹ und Episodalitätserwartung;101
6.3;5.3 Im ›Auf und Ab‹ der Krankheit: Routinisierungs- und Informationsbemühungen;109
6.4;5.4 Komplexitätssteigerungen – Anpassung des Selbstmanagements;152
7;6 Chronische Krankheit und Medikamente – Resümee und Perspektiven;168
8;Literatur;198


Insbesondere die disziplinäre Verteilung des Studienspektrums zur Perspektive der Erkrankten sticht im jungen 21. Jahrhundert heraus. Soziologische Studien sind die Ausnahme (ex. Carder et al. 2003) und auch die Gesundheitswissenschaften greifen das Thema nur zögerlich auf (ex. Reid et al. 2006; Sidat et al. 2007). Der Diskurs wird nun mehrheitlich in der Medizin und Pharmazie geführt (ex. Benson/Britten 2006; Shoemaker/Ramalho de Oliveira 2008), die seit den 1990er-Jahren verstärktes Interesse an Konzepten der partnerschaftlichen Aushandlung und Entscheidungsfindung zeigen (vgl. Abschn. 3.1, S. 55ff.). Interessanterweise erfreut sich das Thema ›patient view‹ gerade in der Disziplin besonderer Aufmerksamkeit, die zu Beginn des Diskurses wegen ihrer paternalistischen Haltung und Vernachlässigung dieser Perspektive kritisiert wurde – ein Aspekt, auf den noch zurückzukommen sein wird. Zu erwähnen ist, dass gerade medizinische Publikationspräferenzen sowie -vorgaben mit dazu beitragen dürften, dass in Untersuchungen nun vorwiegend krankheitsspezifische Fragen zu bestimmten Charakteristika wie Alter, Geschlecht oder Medikament verfolgt werden. Ebenso fällt auf, dass sich im Zeitverlauf die in den Studien verwendeten Begrifflichkeiten verändern. Es wird weniger auf die einst vorherrschende Medizinkritik rekurriert; eher klingt eine Emanzipationsrhetorik durch, da in Einklang mit der gesundheitspolitischen Agenda Begriffe wie Autonomie, Eigenverantwortung oder Selbstmanagement verwendet werden.

Soweit ein erster Überblick über das Studienspektrum zum Medikamentenmanagement aus Sicht chronisch Erkrankter. Deutlich geworden sein dürfte, dass sich der Diskurs in diesem Themenfeld in mehrfacher Hinsicht gewandelt hat. Wohl steht die zu beobachtende exponentielle Zunahme an Studien in Einklang mit einem Trend hin zu qualitativer Gesundheitsund Pflegeforschung über chronische Krankheit (hierzu Thorne et al. 2002b). Ebenso scheint die Forderung nach intensiverer Auseinandersetzung mit dem ›patient view‹ auf Medikamente aufgegriffen worden zu sein, wenn auch verglichen mit der Publikationsfülle der Complianceforschung mit einiger Verzögerung. Einhergehend mit dem Publikationstrend charakterisieren allerdings auch Verlagerungstendenzen das vorliegende Studienspektrum. Die anfänglich auf die Soziologie bzw. Anthropologie sowie den angloamerikanischen Raum konzentrierte Auseinandersetzung mit dem ›patient view‹ ist nun von unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen rund um den Globus aufgegriffen worden. Daher soll nun analysiert werden, mit welchem Fokus die Sicht chronisch Erkrankter auf Medikamente empirisch untersucht wurde und welche Ergebnisse dabei erzielt worden sind.

2.2 Forschungslinien zur Perspektive der Erkrankten

Die anschließende Analyse folgt der Chronologie des fast vier Jahrzehnte währenden Diskursverlaufs und konzentriert sich wegen der im Studienspektrum erkennbaren Verlagerungstendenzen auf die Kontinuität der Themenlinien im Diskurs. Es soll beleuchtet werden, welche Themen in der empirischen Forschung zum ›patient view‹ auf Medikamente bei chronischer Krankheit in den Blick genommen wurden.

Beziehung zu Gesundheitsprofessionen

Ein besonderes Augenmerk der Studien zum ›patient view‹ auf den Umgang mit Medikamenten richtet sich seit jeher auf die Beziehung der Erkrankten zu den professionellen Akteuren der Gesundheitsversorgung (s. a. Leventhal et al. 1992; Zola 1980). Aus den Befunden vorliegender Untersuchungen der vergangenen Jahrzehnte erwächst hierzu ein kontroverses, sich mit der Zeit wandelndes Bild.

Bereits zu Beginn der 1970er-Jahre wird in der ersten umfassenden Literaturanalyse von Compliance-Studien eine eingehende empirische Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Erkrankten und professionellen Akteuren gefordert (Marston 1970). In diese Richtung gehen auch die Pionierarbeiten zum ›patient view‹ in der Complianceforschung, in denen die Beziehung zum Arzt und der Moment der Arzneimittelverordnung als ausschlaggebend für den weiteren Umgang mit Medikamenten erachtet wird (Hayes-Bautista 1976; Stimson 1974; Stimson/Webb 1975). Ein Besuch beim Arzt gilt als Voraussetzung für den Zugang zu Medikamenten und ihm wird hohe Bedeutung für die initiale Orientierung des weiteren Medikamentenmanagements attestiert (Stimson/Webb 1975). Denn die Erkrankten erwarten – so Donovan et al. (1989) – von professionellen Akteuren Informationen über ihre Erkrankung und Therapievorschläge zur Linderung ihrer Symptome. Daher wird eine vertrauensvolle Beziehung zum Arzt sowohl zu Beginn wie auch im Verlauf des Medikamentenmanagements als bedeutsam angesehen (Strauss et al. 1984).

Allerdings zeigen empirische Befunde auch, dass chronisch Erkrankte das Vertrauen in den Arzt verlieren (können), was Einfluss auf den Umgang mit Medikamenten nehmen kann. Gründe sind etwa, wenn Erkrankte keine Informationen erhalten, ärztliche Anordnungen verwirrend finden, die Sinnhaftigkeit verordneter Therapien schwer nachvollziehen können oder eine ärztliche Veränderung ihres vertrauten Medikamentenregimes sie verunsichert (Larsen/Hanse 1985; Morgan/Watkins 1988). Stimson und Webb (1975) zufolge zweifeln Erkrankte nicht selten sowohl an der ärztlichen Kompetenz als auch der Korrektheit einer Diagnose. Das erklärt, warum nur ein Teil chronisch Erkrankter die Verantwortung für therapeutische Entscheidungen gänzlich an den Arzt delegiert; die Mehrheit holt zuerst seinen Rat ein und möchte dann selbst entscheiden (Donovan et al. 1989).

In Studien werden in der Beziehung zum Arzt unterschiedliche Strategien chronisch Erkrankter identifiziert, um Veränderungen eines als inadäquat erfahrenen Medikamentenregimes zu erwirken (Hayes-Bautista 1976). Empirischen Befunden zufolge ergreifen sie eine aktive Rolle im Versorgungsgeschehen und fordern Ärzte direkt oder indirekt auf, eine medikamentöse Therapie zu verändern, indem sie Gefühle der Unangemessenheit einer Therapie äußern. Auch mit Fragen wird versucht, die Aufmerksamkeit des Arztes auf ein Problem mit der Arzneimitteltherapie zu richten. Neben dieser Überzeugungstaktik feilschen chronisch Erkrankte mit Ärzten über verordnete Medikamente, um einen Kompromiss und gemeinsamen Nenner im Medikamentenmanagement zu erzielen (ebd.). Andernorts wird hingegen betont, dass Schwierigkeiten mit Medikamenten und die individuellen Strategien der Erkrankten zum Umgang mit Arzneimitteln beim Arzt meist außen vor bleiben oder gar aktiv verschwiegen werden (Trostle et al. 1983).

Auch in den 1990er-Jahren wird der Beziehung zwischen chronisch Erkrankten und professionellen Akteuren große Aufmerksamkeit gewidmet. Studien aus diesem Zeitraum gelangen zum Ergebnis, dass die Compliance aus Sicht der Erkrankten im Kern an die Beziehung zum Arzt und die an ihn gerichteten Erwartungen geknüpft ist (Britten 1994; Dowell 1990). In Einklang mit dem Wandel der Patientenrolle im Gesundheitswesen gilt nun als Leitmaxime, dass eine aktive kooperative Beziehung zwischen Erkrankten und professionellen Akteuren sowie Zufriedenheit mit dem professionellen Versorgungsangebot zentral für die Verbesserung von Compliance sind (Donovan/Blake 1992; Roberson 1992). Erneut wird das Vertrauen in den behandelnden Arzt als wichtige Voraussetzung dafür angesehen, dass chronisch Erkrankte seinem Rat folgen. Ebenso wird unterstrichen, wie wichtig eine Vertrauensbasis ist, um Veränderungen eines Medikamentenregimes bewältigen zu können (Dowell et al. 1996). Ferner wird betont, dass chronisch Erkrankte nicht selten die Verantwortung für therapiebezogene Entscheidungen vollständig dem behandelnden Arzt übertragen und seinen Anordnungen »blind« folgen (Fallsberg 1994). Allerdings wird auch aufgezeigt, dass sie im Verlauf chronischer Krankheit mehr und mehr selbst die Verantwortung übernehmen, mit professionellen Akteuren direkt oder indirekt die medikamentöse Behandlung aushandeln und aktiv Therapieveränderungen herbeiführen (Kaljee/Beardsley 1992; Thorne 1990).

Gleichwohl erhärten sich Hinweise, dass die Interaktion chronisch Erkrankter mit professionellen Akteuren vor zahlreiche Schwierigkeiten gestellt ist, wenn es um Therapiefragen geht (Aversa/Kimberlin 1996). Oft bezweifeln sie – so Roberson (1992) – die Objektivität behandelnder Ärzte, deren berufliche Existenz an Arzneimittelverordnungen geknüpft ist. Infolgedessen verlassen sie sich bei krankheitsund arzneimittelbezogenen Fragen nicht ausschließlich auf ärztlichen Rat. Hinzu kommt, dass sie sich vom Arzt oft nicht ausreichend über Medikamente und deren Nebenwirkungen informiert fühlen, weswegen sie bei Apothekern, professionell Pflegenden oder in sozialen Netzwerken weiterführende Arzneimittelinformationen einholen (Stevenson et al. 1999).



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