E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Hearne Kerze & Krähe
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-608-12402-6
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Chronik des Siegelmagiers 3
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
ISBN: 978-3-608-12402-6
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kevin Hearne, geboren 1970, lebt in Arizona und unterrichtet Englisch an der High School. »Die Chronik des Eisernen Druiden« machte ihn unter Fantasyleserinnen und -lesern mit einem Schlag weit über die USA hinaus bekannt.
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1
Ein Bier am Ort der letzten Begegnung
Wenn du einen Hobgoblin engagierst, sagt dir niemand, dass du im Prinzip alle Pläne vergessen kannst. Klar, du kannst schon Pläne machen. Aber es wird schwierig, sie in die Tat umzusetzen, wenn du beispielsweise nach dem Duschen feststellst, dass er deine frische Unterwäsche mit einer Speckschwarte eingerieben hat, sodass du noch mal duschen musst und infolgedessen zu spät zu deinem Termin kommst. (Ich bin stolz auf meine Pünktlichkeit, doch wenn man die Wahl hat, entweder zu spät oder mit speckigen Eiern aufzutauchen, dann wird auch bei mir der Zeitplan über den Haufen geworfen.)
Dass mich niemand vor bestimmten Eigenschaften der Hobgoblins gewarnt hatte, lag daran, dass niemand mehr Hobgoblins beschäftigte, und den Grund dafür erfuhr ich fast täglich am eigenen Leib.
Von einem Hobgoblin wurde natürlich erwartet, dass er seinen Arbeitgeber ein wenig verarschte; es musste schließlich Nachteile haben, ihn zu beschäftigen, sonst hätte sich jeder so einen teleportierenden Laufburschen angeschafft. Das Problem war, dass ein wenig sehr subjektiv war und Buck Foi und ich sehr unterschiedliche Vorstellungen davon hatten. Buck wollte eine Legende unter seinesgleichen werden und den Dienst bei Menschen wieder salonfähig machen, also ging er an alles, was er tat – auch ans Verarschen –, mit dem Gedanken heran, dass es das Zeug zur Legende haben müsse. Im Prinzip erledigte er alles, was ich von ihm verlangte, fehlerfrei, wenn auch mit viel Gejammer. Andererseits konnte ich mich nie, wirklich nie entspannen, weil er immer schon den nächsten Streich plante.
Ich hatte ihn gebeten, die Sache kreativ und konstruktiv anzugehen, in der Hoffnung, dass mein Eigentum verschont bliebe und ihn das vielleicht bremsen würde. Doch er war kreativer als erwartet. Immerhin weitgehend zerstörungsfrei, wie ich zugeben muss, bis auf die ruinierte Unterwäsche.
Allerdings machte ich mir Sorgen wegen der Zerstörung, die sich gegen ihn selbst richtete. Er trank viel zu viel und hatte kürzlich herausgefunden, dass Hobgoblins von Capsaicin high werden, dem Alkaloid, das jedem Pfeffer seine Schärfe verleiht. Er hatte in all den Jahren bisher noch nie Curry gegessen, sonst wäre ihm das schon früher aufgefallen. Aber bei einem Besuch in einem mexikanischen Restaurant in Philadelphia entdeckte er diesen seltsamen Effekt, der einen Hobgoblin umhauen kann. Und seither war er vor lauter Salsa-Schlürfen und Whisky-Kippen oft nicht ganz bei Sinnen. So wie jetzt, als er über seinen Streich kicherte, bis er einfach umfiel.
[Du solltest weniger trinken, Buck], sagte ich zu ihm, oder besser gesagt, ich tippte es in meine Sprech-App. [Langsam mache ich mir Sorgen. Es muss einen Grund geben, warum du dir das antust. Soll ich einen Termin bei einem Therapeuten vereinbaren?]
»Was? Nee. Warte, meinst du das ernst? Quatsch, ich weiß, was in meinem Kopf vorgeht. Ich meine, jeder blickt in die Zukunft und fragt sich, ob seine Vergangenheit im Nachhinein eine gute Show oder eine Lachnummer abgibt, oder? Kein Grund, einem Fremden das Offensichtliche zu erklären.«
Das war nicht annähernd die Antwort, die ich erwartet hatte. [Willst du damit sagen, dass du dir Sorgen um dein Erbe machst und deshalb trinkst?]
»Nee. Ja? Nee. Na ja, vielleicht.«
[Wir reden später weiter, ich muss los. Aber überleg mal, ob du als besoffener Idiot in die Geschichte eingehen willst oder ob du das Potenzial hast, das zu verhindern.]
Er verzog genervt das Gesicht. »Um Himmels willen, Alter, musst du unbedingt so eine Spaßbremse sein?«
[Ich spreche als Freund zu dir. Wenn du nicht die Kraft hast, selbst aufzuhören, werden wir andere Wege finden.]
»Befiehlst du mir aufzuhören?«
[Nein, ich befehle dir, darüber nachzudenken. Sei ehrlich zu dir selbst und mach dir bewusst, was du tust. Wie gesagt, wir sprechen später darüber.]
Vielleicht war er ja schon süchtig nach Alkohol; andererseits deutete seine etwas vage Antwort darauf hin, dass er schlicht viele ungelöste Probleme hatte und trank, um sich ihnen nicht stellen zu müssen. Wenn ich ihn dazu bringen konnte, würde er vielleicht mit dem Trinken aufhören. Manche mögen das für naiven Optimismus halten, aber ich spreche hier aus eigener Erfahrung. Nach Josephines Tod habe ich viel zu viel Whisky getrunken und den gleichen Fehler gemacht wie unzählige andere: Ich dachte, ich könnte meinen Kummer im Alkohol ertränken. Bloß ging es mir nach drei durchzechten Nächten nicht besser, sondern schlechter, und die Trauer war noch genauso frisch und quälte mich unerbittlich. Ich musste also etwas anderes ausprobieren. Es tat weh, mich so verletzt und verlassen zu fühlen und nichts zu haben, womit ich den Schmerz hätte lindern können, doch ich trank ein Jahr lang keinen Tropfen und war schließlich zuversichtlich, dass ich es allein schaffen würde. Danach trank ich nur noch in Gesellschaft und schaute nie wieder zu tief ins Glas. Jetzt wollte ich, dass Buck es ebenfalls alleine schaffte, und wenn nicht, würde ich ihm helfen – oder Hilfe besorgen, je nachdem.
Ich ließ ihn schimpfend zurück und machte mich auf den Weg zu meiner Besprechung. Ich war sicher, er würde darüber nachdenken, und ich für meinen Teil würde saubere Unterwäsche nie mehr als etwas Selbstverständliches ansehen, sondern als den süßen Segen, der die Grundlage meines Wohlbefindens war. Ja, wir entwickelten uns.
Zum Glück war das Treffen informell, und man würde meine Verspätung entschuldigen. Ich hatte eigentlich gehofft, nach meiner Rückkehr aus Australien ein langes Wochenende zu haben, um am Problem meiner Zwillingsflüche zu arbeiten, aber bevor ich mich voll und ganz der Aufgabe hatte widmen können, hatte ich am Freitagmorgen eine unerwartete Textnachricht erhalten.
Al! Saxon hier. Ich bin wieder da. Neue Nummer. Wie wär’s heute Abend mit einem Bier am Ort unserer letzten Begegnung?
Saxon Codpiece zurück aus dem selbst gewählten Exil? Ich hatte mit mindestens einem weiteren Monat Funkstille gerechnet, da er sich neben seinen höchst illegalen Hacking-Aktivitäten für mich offenbar auch Zugang zu einigen Regierungsdateien verschaffen wollte. Ich hatte kurz gezögert, bevor ich zusagte.
Freitagabends waren die Pubs voll mit jungen, betrunkenen und vergnügungssüchtigen Leuten, aber wenn wir früh genug wieder verschwanden, waren die Gäste vielleicht noch nicht allzu enthemmt. An solchen Abenden kam es vor, dass eine junge Frau meinen Kaschmirmantel und mein gepflegtes Äußeres abcheckte und kurz mit mir flirtete, bevor sie merkte, dass ich nicht der Sugar Daddy war, den sie suchte. Diese flüchtigen Intermezzi waren an sich nicht störend, führten aber mehr als einmal dazu, dass ein junger Mann sich bemüßigt fühlte, mich herauszufordern, weil er bereits entschieden hatte, dass die junge Frau zu ihm gehörte und deshalb nicht flirten durfte, mit wem sie wollte. Für den jungen Mann ging das nie gut aus, für mich aber auch nicht, denn es verdarb mir den Spaß, den ich sonst vielleicht aus dem Abend hätte ziehen können. Doch am Ort unseres letzten – und damit auch dieses – Treffens, der Bier-Halle in der Gordon Street, ging es mehr um Essen und Bier als um Anmache. Es sollte also nicht allzu schlimm werden.
Klar. Sieben?, fragte ich ihn.
Die Antwort kam sofort. Super, Kumpel. Wir sehen uns.
Nach dieser kleinen Ablenkung nahm die Arbeit in der Druckerei den ganzen restlichen Tag in Anspruch, und ich begriff, dass ich nicht vor dem Wochenende Zeit für die Arbeit an meinen Flüchen finden würde. Es gab viel zu tun, denn sowohl Nadia und ich als auch Gladys, die schon viel Scheiße erlebt hat, waren lange weg gewesen, und Gladys sollte sogar erst am Montag zurückkommen.
Da Saxon von der Polizei gesucht wurde, musste ich vorsichtig sein. Als es so weit war, setzte ich meine Melone mit dem Siegel des Verschluckten Lichts auf, das Kameras ausschaltet, und schnappte mir meinen Gehstock aus Karbonstahl, eine Waffe, die ein Mann in seinen Sechzigern unauffällig mit sich herumtragen konnte. Ich hoffte, dass ich ihn nicht brauchen würde, aber man weiß ja nie.
Auf dem Weg nach unten tastete ich in meiner Manteltasche nach dem Füllfederhalter und den Siegeln, die ich aus dem Büro mitgebracht hatte, denn ich wusste, dass Saxon für seine Dienste ein Siegel verlangen würde. Nicht dass ich seine Dienste im Moment benötigte, doch es war besser, vorbereitet zu sein. Zu meiner Erleichterung war alles an seinem Platz, einschließlich der Siegel, die ich meinen »offiziellen« Ausweis nannte, und einiger anderer, die ich immer überallhin mitnahm.
Buck durfte meine Tinte und Siegel nicht anrühren – schließlich sorgten sie dafür, dass wir sicher waren und unsere Rechnungen bezahlen konnten, und das war eine rote Linie, die er nicht überschreiten durfte. Allerdings lebte ich in der Sorge, dass er es trotzdem eines Tages tun würde.
Die rote Linie, die für mich galt, war die Erwähnung seines früheren Namens: Gag Badhump. Er sprach nie von seiner Familie – ich wusste nicht einmal, ob sie noch lebte, – und ich fragte mich gelegentlich, ob das vielleicht etwas mit seinem starken Alkoholkonsum zu tun hatte. Irgendwann würde ich der Sache nachgehen, wenn auch so unauffällig wie möglich.
Nach einem kurzen, strammen Marsch erreichte ich die Bier-Halle in der Gordon Street, deren grünes Vordach in fröhlichen weißen Buchstaben verkündete: IT’LL ALL END IN BEERS! Hier hatten wir uns getroffen, bevor Saxon untergetaucht war. Eine Treppe führte in...