E-Book, Deutsch, Band 1, 400 Seiten
Reihe: Cape Coral
Heeger Cape Coral 1. Break through my Defense
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-96981-060-6
Verlag: Moon Notes
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Emotionaler New Adult Roman über Trauer, Bodyshaming und die große Liebe; für junge Erwachsene ab 16 Jahren
E-Book, Deutsch, Band 1, 400 Seiten
Reihe: Cape Coral
ISBN: 978-3-96981-060-6
Verlag: Moon Notes
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mimi Heeger wurde 1983 geboren und lebt bis heute mit ihrer Familie im Siegerland. Seit 2019 veröffentlicht sie zahlreiche Romane in verschiedenen Genres und machte damit ihre Leidenschaft zum Beruf.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Ich kann nicht klar sehen.
Und das liegt nicht an den Tränen, die mir die Sicht verschleiern. Wahrscheinlich bin ich die Einzige hier, die nicht weint.
Das habe ich die ganze Woche noch nicht getan. Ich habe es versucht. Habe geschrien und geflucht, gejammert und gebettelt, aber es wollten einfach keine Tränen fließen. Vielleicht stehe ich unter Schock, oder ich bin schlichtweg ein schrecklicher Mensch. Möglicherweise stimmt irgendetwas nicht mit mir, aber ich kann einfach nicht weinen.
Während um mich herum die Welt, wie ich sie kannte, nach und nach verblasst, stellt sich mein Blick langsam wieder scharf und starrt auf das Unausweichliche.
Erde.
Feuchte, braune Erde, die mit einem dumpfen Geräusch auf die strahlend weißen Särge fällt.
Niemand klärt den Blick für das, was sich tatsächlich genau vor uns abspielt.
Dass die Körper meiner Eltern bereits kalt und ausgetrocknet sind.
Dass die Autolyse eingesetzt hat und sie somit in der zweiten Phase der Verwesung stecken.
Dass es nur wenige Wochen dauern wird, bis die Würmer sich durch das Holz gefressen haben und anfangen, an ihnen zu nagen.
Vier Jahre. So lange wird es dauern, bis nur noch Skelette in den Särgen liegen.
Dann bin ich vierundzwanzig.
Ich werde in dem Jahr mit dem Musikstudium fertig sein, in dem von meinen Eltern nichts mehr übrig geblieben ist als ein Haufen Knochen.
All diese Details über den Tod zu googeln war ein großer Fehler. Ich kann nicht mehr schlafen, nicht mehr essen, und mir ist permanent schlecht, seit ich diese Einzelheiten kenne.
Der Haken am Wissen. Ganz gleich, wie sehr man sich auch wünscht, manches niemals erfahren zu haben, wenn es erst mal da ist, bekommt man es nicht mehr aus dem Gehirn.
Die schwülwarme Luft dieses, objektiv betrachtet, schönen Samstagvormittags will einfach nicht in meine Lunge. Es fühlt sich an, als drückte mich jemand gewaltvoll unter Wasser, und ich kann nicht atmen. Der brennende Schmerz in meiner Brust wird mit jeder weiteren Sekunde unerträglicher. Ich muss Luft holen, muss auftauchen aus diesem Albtraum. Doch mein Körper steht regungslos da und sieht dabei zu, wie die Särge meiner Familie unter einer Schicht Erde verschwinden.
Ich werde untergehen.
Ich werde in die Tiefe gezogen, und es gibt nichts, was ich dagegen tun kann.
»Die Muffins sind von Ms. O’Brian.« Die Stimme unserer Nachbarin reißt mich aus meinen Gedanken. Mit letzter Kraft zwinge ich meine Lider auf und bemühe mich, die Mundwinkel möglichst weit nach oben zu ziehen. »Danke, Lauren. Das ist sehr nett.«
Die Frauen aus der Gegend haben schon vor der Beisetzung ein gigantisches Büfett aufgebaut, von dem inzwischen nur noch die kläglichen Reste übrig sind. Die meisten Gäste sind mittlerweile gegangen. Den ganzen Nachmittag über war das Haus voller Leute. Trauernde, weinende Menschen, die sich in unserem Wohnzimmer und der Küche getummelt haben. Sie haben Erinnerungen an meine Eltern geteilt und neue Details zu dem grausamen Tod getauscht. Es war wie eine blutige Schatzsuche nach weiteren Puzzlestücken, die aus der Tragödie ein noch größeres Horrorszenario machte, als es ohnehin ist. Wenn Menschen auf unnatürliche Weise sterben, fühlt es sich an, als würde man eine Limonade nahe einem Wespennest aufstellen. Es dauert keine Minute, und alle scharen sich darum. Der Anschlag, bei dem meine Eltern umgekommen sind, ist für die ganze Stadt ein Schicksalsschlag.
Ich weiß, sie meinen ihren Besuch und die Beileidsbekundungen nur gut. Sie alle. Doch ich habe seit Stunden das Gefühl, mein Zuhause vor dieser Invasion verteidigen zu müssen.
Sehnsüchtig sehe ich auf die letzten Muffins und denke an meinen Dad. Er liebte Schokoladenmuffins. Wenn er heute hier wäre, würde er mir eine Hand auf die Schulter legen, und ein einziger Blick in sein Gesicht würde genügen. Er müsste mir nicht sagen, wie genervt er von Ms. O’Brian und ihrem ätzenden Sohn ist. Er müsste auch nicht laut aussprechen, dass er das alles meiner Mom zuliebe mitmacht. Ich würde es in seinem Gesicht sehen. Und ich würde mir einen Muffin nehmen und Mom anlächeln, damit beide glücklich wären. Aber meine Eltern sind nicht hier.
Ich bin allein.
Allein mit den Frauen aus der Nachbarschaft, die unsere Möbel wieder zurück an ihren Ort rücken und das Geschirr spülen. Allein mit Onkel Jeff, der mich den ganzen Tag beäugt, als rechnete er jede Sekunde damit, dass ich den Verstand verliere.
Und allein mit meiner endlosen Verzweiflung. Einem riesigen schwarzen Loch ohne Boden, bei dem ich keine Ahnung habe, wie ich je wieder daraus hervorkriechen soll.
Müde schleppe ich mich ins Wohnzimmer und stocke hinter dem Sessel. Dads Sessel. Der Sessel, in dem er laut geschnarcht hat, wenn er nach der Arbeit eingeschlafen ist.
Ich kralle meine Fingernägel in den abgewetzten Stoff. An die Stelle, an der sonst sein Kopf gelehnt hat. Es ist beinahe so, als könnte ich seine dunklen Locken unter meinen Fingerspitzen spüren.
Ms. Denver und Desiree von nebenan sind dabei, mit Jeff die letzten Gläser einzusammeln.
»Ich …« Mein Räuspern kann den Kloß in meinem Hals nicht wirklich beseitigen. »Ich gehe kurz nach oben.«
Ohne lange darüber nachzudenken, flüchte ich in die obere Etage und drücke die Klinke zum Schlafzimmer meiner Eltern hinunter. Der vertraute Geruch zwingt mich beinahe in die Knie.
Sofort schießen Dutzende Bilder auf mich ein.
Mom, wie sie mit ihrer Lesebrille an dem gepolsterten lila Kopfteil sitzt und einen schnulzigen Roman liest, während Dad, die Beine übereinandergeschlagen, irgendein altes Footballspiel im Fernsehen ansieht. Wie beide gemeinsam im Pyjama durchs Zimmer albern und wie Teenager kichern, wenn ich sie dabei erwische.
Heute kichert hier niemand mehr. Es ist still geworden im Hause Cunningham.
Bevor die Erinnerungen es schaffen, mich auf den Boden zu ringen, räuspert sich Jeff hinter mir.
»Es sind jetzt alle weg.«
»Gut.« Es ist nur ein Krächzen, das meine Lippen verlässt.
»Können wir … reden?«
Ich drehe mich zu meinem Onkel um. An der Geste, wie er sich ungelenk über den Nacken streicht, erkenne ich, dass er keine guten Nachrichten hat. Er tut das in den letzten Tagen häufiger.
Sieben Tage.
Sieben Tage ist es her, dass meine Eltern gestorben sind. Sieben Tage, seit ein Mensch eine falsche Entscheidung getroffen und mir damit meine Familie genommen hat.
Sieben Tage ist der Bruder meines Vaters nun hier, und trotzdem stehe ich noch immer vor einem Fremden.
»Klar«, keuche ich und versuche, das Grinsen so lange aufrechtzuerhalten, bis er sich umdreht und aus dem Fenster in unseren Garten blickt. Er hat die schwarze Krawatte abgelegt und die oberen Knöpfe seines Hemds geöffnet. Durch die aufgerollten Ärmel kommen seine sonnengebräunten Arme zum Vorschein. Ich mag den Geruch seines Parfums, aber ich hasse es, dass er sich in unserem Haus verteilt und den Duft meines Dads überdeckt.
Seufzend steht Onkel Jeff eine ganze Weile da. Die Situation ist unbehaglich, und ich fürchte mich vor dem, was er sagen will. Unsere Gespräche sind allesamt eher kühl und strategisch. Keine Umarmungen. Keine aufbauenden Worte.
Langsam lasse ich mich auf die Bettkante meiner Eltern sinken. Ich kann nicht mal sagen, dass ich erschöpft bin. Seit Tagen funktioniert mein Körper wie auf Autopilot. Jeden einzelnen Moment denke ich, dass ich den nächsten nicht aushalten werde, doch dann vergeht Stunde um Stunde, und ich halte den Schmerz weiter aus.
Jeff dreht sich zu mir herum und lässt sich in den Sessel sinken, den Mom immer als Kleiderablage genutzt hat.
»Wie geht es dir?«
Obwohl ich mich Jeff nicht wirklich verbunden fühle, tische ich ihm nicht die gleiche Lüge auf wie allen anderen schon den ganzen Tag über.
»Ich glaube nicht, dass irgendjemand die Antwort auf diese Frage wirklich hören will.«
»Ich schon.« Mein Onkel lehnt sich nach vorn und stützt die Ellbogen auf die Knie. »Es ist wichtig, dass wir ehrlich zueinander sind, Pat. Ich will dir helfen.«
»Ich weiß.« Ich lasse die Worte aus meinem Mund gleiten. Am liebsten möchte ich ihm sagen, dass er mich nicht Pat nennen soll. Mein Name ist Payton. Es gibt nur einen Menschen, der mich Pat genannt hat. Und der ist tot. Müde streiche ich mir über die Stirn. Erst danach hebe ich den Kopf und sehe Jeff in die Augen. Sie erinnern mich schmerzhaft an die meines Dads … und an meine eigenen. Ein tiefes Blau, das wolkenlosem Himmel und Sommertagen gleichkommt. »Danke, dass du diese Woche für mich da warst.« Das verkneife ich mir.
»Wir müssen da noch ein paar Dinge klären, Pat.« Jeff reibt sich über das Gesicht und fährt sich durch die kurzen dunklen Haare. Sie sind schick frisiert, genau wie sein kurzer Bart so penibel getrimmt ist, dass man meinen könnte, jemand hätte ihn mit einem Lineal geschnitten. »Ich habe heute Morgen noch einmal mit Richard gesprochen.«
Der Kloß in meinem Hals verdoppelt sich bei der Erwähnung unseres Anwalts. Wir waren in dieser Woche bereits zweimal dort, um den Nachlass meiner Eltern zu regeln, allerdings fehlten noch immer Unterlagen von der Bank, um alles an Hinterlassenschaften zusammenzutragen. Die Tatsache, dass Jeff ohne mich beim Anwalt meiner Familie war, lässt all meine Alarmglocken schrillen.
»Waru…?« Meine Stimme bricht, weil die Worte einfach nicht an dem riesigen Ding in meinem Hals vorbeigehen wollen.
»Ich will dir nichts vormachen.«
»Du? Was? Ich verstehe nicht.«
Hitze schießt...