E-Book, Deutsch, 326 Seiten
Helleberg Die Kurtisane des Kaisers - Ein historischer Roman
1. Auflage 2019
ISBN: 978-87-26-35084-5
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 326 Seiten
ISBN: 978-87-26-35084-5
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Maria Helleberg wurde 1956 geboren. Sie studierte Dänisch und Theaterwissenschaften. Seit 1986 veröffentlicht sie Romane, Novellen, Kinderbücher, Reiseliteratur und Theaterstücke. Ihre Werke, für die sie etliche Auszeichnungen und Stipendien erhalten hat, wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.n
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2.
An jenem Morgen, an dem ich der Königinmutter die Bitte des Königs überbrachte, war sie sehr lange schweigsam. Sie sah mich eingehend an, und es kam mir vor, als wäre sie mir ausgesprochen wohlgesinnt. Ihre Freundlichkeit jedoch hat mich immer wachsam sein lassen, man konnte sich in ihrer Gesellschaft niemals sicher fühlen. Ptolemaios I. Soter und sie passen diesbezüglich sehr gut zusammen.
Die Stimmung zwischen uns aber war nie durch ein böses Wort getrübt, das hob sie sich für den König auf. Im Laufe der vielen Jahre war eine ganz besondere Liebe zwischen ihnen entstanden, die sich jedoch nicht durch besonderes Verständnis für den anderen oder gar ein großes Ausmaß an Milde auszeichnete.
Nach einer langen Pause sprach sie ausgiebig von Roxane, Alexanders erster Frau. Roxane hatte offenbar kurz vor ihrem Tod und dem ihres Sohnes versucht, Hilfe aus Ägypten anzufordern. Und es plagte Thaïs noch immer, daß sie keine Möglichkeit gehabt hatte, ihrer Freundin irgendeine Form von Beistand oder Hilfe zukommen zu lassen. Sie holte einen Brief von Roxane hervor, in dem Alexanders Witwe vorhersah, daß Kassander, der König von Makedonien, vorhabe, sie und den einzigen Sohn des Alexander töten zu lassen. Wie wir alle wissen, trat dies auch ein. Soweit ich gehört habe, soll unser König Ptolemaios auf die Nachricht sehr bestürzt reagiert haben.
Den Brief lege ich bei, da ich der Ansicht bin, daß er in die Königlichen Briefarchive gehört.
Teuerste Freundin, hochverehrte Thaïs,
Königinmutter und Hetäre des Königs,
ich stehe unter Hausarrest, und meine Zeit ist knapp. Einer von Kassanders Verwandten hat mir angeboten, Alexander gegen einen seiner Diener auszutauschen, der stumm ist. Wir waren beide der Auffassung, daß dies die einzige Möglichkeit wäre, zu überleben. Aber ich will das Leben meines Sohnes nicht retten, damit er ein ereignisloses und unscheinbares Dasein führen muß. Lieber das Schicksal des Achill teilen, als wie ein Bauer leben und sterben zu müssen. Jetzt liegt mein Schicksal und das meines Sohnes in deinen Händen. Nur eine Invasion kann uns retten, und die Zeit läuft ab. Was wir beide fürchten, steht unmittelbar bevor.
Kassander hat unsere Bewegungsfreiheit beträchtlich eingeschränkt, ich darf noch nicht einmal mehr das Kastell hier in Amphipolis verlassen. Und mein Sohn verkümmert. Die Umgebung besteht nur aus Marschland, und mit den Falken kann man nichts anderes jagen als kleine Vögel. Eine andere Beschäftigung oder gar ein Training kann er nicht ausführen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem er als junger makedonischer Prinz das Jagen und die Kriegsführung erlernen sollte, aber er sitzt den ganzen Tag bei mir herum. Voller Scham muß ich vermelden, daß er dick und träge geworden ist. Ich kann ihn unmöglich dem Heer präsentieren, die Makedonen würden ihn auslachen: Alexanders dicker Sohn, der noch nicht einmal mit den Waffen umgehen kann.
Ich bin bereit, den König von Ägypten zu heiraten, um das Leben meines Sohnes zu retten. Meine ganze Familie ist mir genommen worden. Thaïs, es steht sehr ernst um uns, und ich kenne sonst niemanden, den ich um Hilfe bitten könnte. Sonst enden wir wie Alexanders Mutter Olympias, die während der Belagerung von Pydna Pferdekadaver essen mußte, bevor sie sich ergab und an ihre Feinde ausgeliefert wurde.
Erinnere dich, was sie mit ihr gemacht haben. Ich weiß von ihren Zofen, daß sie ihre Leiche mit nur einer Hand verbrennen mußten.
Wenn die Nacht hereinbricht, bleibt mir nur die Hoffnung, daß das Ende schnell und möglichst schmerzfrei sein möge und daß wir in Würde sterben können, Alexanders Sohn und ich.
Ich mußte laut schluchzen, während ich den Brief vorlas. Ich wagte es nicht, Thaïs anzusehen, und war zum wiederholten Male ratlos: Warum nur hatte sie diesen Brief nicht an den König weitergeben können? Warum hatte der König nicht dem einzigen Sohn des Alexander zu Hilfe kommen wollen? Ich verstand sie beide nicht.
»Sie durften nicht in Würde sterben«, fügte Thaïs hinzu und rief ein junges Mädchen, das ihr mit einem kleinen Seidentuch die Tränen von ihren faltigen Wangen tupfte und danach ihre Schminke erneuerte.
»Kassander benutzte Gift«, sagte sie mit bitterer und harter Stimme. »Danach mußte keiner mehr Alexanders Sohn aus der Verbindung mit Roxane fürchten. Unabhängig davon, wem er ähnlicher geworden wäre, er hätte ein großartiger Kämpfer werden können. Das ist mein und Ptolemaios’ Verbrechen, wir ließen die beiden sterben. Ptolemaios muß das selbst für sich verantworten.«
Als ich sie bat, mir von der ersten Begegnung zwischen Alexander und Roxane zu erzählen, willigte sie sofort ein. Roxane war ihre Freundin gewesen. Das war das erste Mal, daß ich die Vorgaben und Wünsche des Königs umgangen habe, was die Gesprächsthemen anging, aber der Brief hatte meine Neugierde geweckt. Für die Menschen in dieser Stadt ist Roxane nicht mehr als nur süßer Mythos: die erste Frau, in die sich Alexander verliebte.
Roxane
Alle wissen, was geschah, als Alexander mit Persien in Berührung kam. Bis zu dem Zeitpunkt, als wir in Kleinasien an Land gingen, um die griechischen Städte zu befreien, hatten wir die Perser als unsere Feinde angesehen, als Bedrohung unserer Lebensform und unserer Ideale. Für uns waren es unfreie, fremdartige Menschen mit dekadenten Bräuchen und Sitten. Am Anfang war es noch ein Spiel: Er wünschte, daß man ihn mit einer angedeuteten Verbeugung grüßen und seine flache Hand mit den Lippen wie zum Kuß berühren sollte. Doch schon kurze Zeit später ließ er einen griechischen Philosophen hinrichten, der sich diesem erniedrigenden Brauch nicht beugen wollte.
Alexander verliebte sich in das Land, in dessen Bräuche und besonders in seine Einwohner: diese blassen, zarten und feingliedrigen Menschen. Zuerst galt seine Begeisterung dem Geliebten des Königs Dareios, dem Eunuchen Bagoas, der schon bald in Alexanders Bett landete. Die anderen begriffen das erst nach und nach, Hephaistion jedoch hatte begonnen, bei mir im Zelt zu sitzen und mit den Kindern zu spielen, und von ihm erfuhr ich, was geschehen war. Hephaistion hielt sich zurück, kannte seinen Platz und ruhte in seiner Liebe. Er akzeptierte Bagoas’ Position, keiner sollte ihm Enttäuschung, Kummer oder gar Eifersucht nachsagen können. Aber ich konnte sehen, daß er litt und daß die Schmerzen auch nicht mit der Zeit abklangen. Er konnte Alexanders Untreue nicht verstehen.
Das Heer hatte eine Burg auf dem Gipfel eines Berges in einer fernen und barbarischen Gegend in Baktrien eingenommen. Der älteste Sohn des Satrapen hatte vergeblich versucht, die Burg wenigstens so lange zu halten, bis sein Vater zurückkehrte und ihm zu Hilfe kommen würde. Anstatt nun alles dem Erdboden gleichzumachen, schloß Alexander Freundschaft mit diesem jungen Menschen, dessen Mut er bewunderte. Alle waren verblüfft, daß ein so verbitterter Kampf in Freundschaft enden konnte, das hatte keiner erwartet. Erleichtert atmeten wir auf, denn Krieg war überflüssig und abscheulich.
Wir wurden zu einem Fest eingeladen – sogar ich – und bewunderten den Sohn und Herrscher der Burg, Oxyartes. Die fürstliche Familie sah so ganz anders aus als die gewöhnlichen Bewohner Sogdiens, die dunkel und untersetzt waren. Unsere Gastgeber waren groß und schlank, hellhäutig und hatten schwarze Haare und Augen. Sie zierten ferner jene feinen Gesichtszüge, die man nur bei den edelsten persischen Geschlechtern antraf. Sie sahen nicht besonders gesund aus, aber sie waren fein und zart.
Sie hatten noch nie zuvor Griechen und Makedonen gesehen und waren viel neugieriger als wir. Schon bald darauf schlug der Sohn vor, daß seine Schwester ihnen allen etwas vortanzen könnte. Sie sei das schönste Mädchen in ganz Sogdien, und die Familie würde sie »Kleiner Stern« nennen – Roxane.
Alexander erwiderte: »So, so, sagt man das« und schaute dabei den jungen Mann begeistert an. Warum wollten sie ihm Frauen anbieten, wenn sein Appetit doch bereits geweckt worden war?
Ptolemaios kniff mir in den Ellenbogen und küßte mich mit einem wissenden Lächeln. Ich war mir nicht sicher, ob der junge baktrische Prinz (so nannte er sich selbst) mit den Wünschen seines Gastes einverstanden war. Auf unserer Reise durch die Welt hatten wir bereits viele sonderbare Gebräuche kennengelernt, aber es gab eben auch Völker, die unsere Sitten abscheulich und unnatürlich fanden.
Uns wurde unbeschreiblich schlechtes Essen serviert, besonders gut kann ich mich an eingelegte Schafaugen erinnern. Wir tranken sauren Wein und taten so, als seien wir in einem Märchenland, denn so empfand der baktrische Prinz sein Zuhause, schließlich hatte er auch noch nichts von der übrigen Welt gesehen. Ptolemaios langweilte sich zu Tode und fragte dreimal, ob wir denn nicht bald der Höflichkeit Genüge getan hätten und uns zurückziehen könnten. Doch jedesmal warf ihm Alexander einen scharfen Blick zu und zeigte mit dem Finger zu Boden, was bedeutete: Alle bleiben, bis ich gehe.
Der baktrische Prinz bestand darauf, uns seine Schwester zu zeigen, seine einzige Schwester, wohlgemerkt. Ihre Schönheit sei in ganz Sogdien berühmt, sagte er wieder und wieder.
Ptolemaios legte seine große weiche Hand...