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E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Hickel Weniger ist mehr

Warum der Kapitalismus den Planeten zerstört und wir ohne Wachstum glücklicher sind

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-96238-817-1
Verlag: oekom verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Jason Hickel rechnet mit dem Kapitalismus ab: Statt alle Menschen aus den Fängen der Armut zu befreien, hat unsere Art zu wirtschaften ein Leben voll künstlicher Verknappung, sozialer Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung hervorgebracht - angetrieben von einer Elite, die immer reicher wird. Hickel ist überzeugt: Wenn wir das Anthropozän überleben wollen, müssen wir den Kapitalismus hinter uns lassen. Die Alternativen heißen jedoch weder Kommunismus noch radikaler Verzicht. Es geht vielmehr darum, die reale Wirtschaft in ein System zu transformieren, das zum Wohle aller Menschen agiert und unsere Lebensgrundlagen nicht zerstört. Hickel schlägt für diesen Umbau konkrete Schritte vor und liefert nebenbei einen bemerkenswerten Beitrag zu der Frage, wie der Schutz unseres Planeten sozial gerecht umgesetzt werden kann.

Jason Hickel ist Anthropologe und lehrt an der London School of Economics. Geboren in Eswatini (ehem. Swasiland) verbrachte er einige Jahre in Südafrika, um die sozialen Folgen der Apartheid zu erforschen. Hickel schreibt regelmäßig für Zeitungen wie den Guardian über Themen wie globale Ungerechtigkeit, Postwachstum und ökologisches Wirtschaften. Er warnt: »Wachstum verhält sich wie ein Virus.«
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Kapitel 1 Der Kapitalismus – eine Schöpfungsgeschichte Der Animismus hatte die Sache beseelt,
der Industrialismus versachlicht die Seelen. Max Horkheimer und Theodor Adorno Wir Menschen leben seit fast 300.000 Jahren auf diesem Planeten; voll entwickelt, die Intelligenz voll ausgeprägt, genauso wie wir heute sind. Etwa 97 Prozent dieser Zeit lebten unsere Vorfahren mehr oder weniger in Harmonie mit den Ökosystemen der Erde. Das soll nicht heißen, dass frühe menschliche Gesellschaften die Ökosysteme nicht veränderten oder dass es keine Probleme gab. Wir wissen zum Beispiel, dass bestimmte Gesellschaften beim Verschwinden gewisser Spezies der urzeitlichen Megafauna des Planeten eine Rolle spielten, etwa der Wollhaarmammuts, Riesenfaultiere und Säbelzahnkatzen. Aber sie lösten nie eine vergleichbare Krise aus wie die an vielen Fronten stattfindende ökologische Katastrophe, die wir heute erleben. Erst in Verbindung mit dem Aufstieg des Kapitalismus in den letzten paar Hundert Jahren und mit der atemberaubenden Beschleunigung der Industrialisierung seit den 1950er-Jahren gerieten die Dinge in planetarischem Maßstab aus dem Gleichgewicht. Sobald wir diesen Zusammenhang verinnerlichen, denken wir völlig anders über das Problem nach. Wir nennen dieses menschengeprägte Erdzeitalter das Anthropozän, aber eigentlich hat die Krise nichts mit den Menschen als solchen zu tun. Sie hat mit der Dominanz eines speziellen ökonomischen Systems zu tun: eines Systems, das erst vor kurzer Zeit entstanden ist, das sich an bestimmten Orten zu einer bestimmten Zeit in der Geschichte entwickelt hat und das nicht von allen Gesellschaften im gleichen Umfang übernommen worden ist. Wie der Anthropologe Jason Moore betont, leben wir nicht im Anthropozän – sondern im Kapitalozän.1 Das klingt jetzt vielleicht nicht direkt einleuchtend. Normalerweise nehmen wir den Kapitalismus als so selbstverständlich hin, dass wir schlicht davon ausgehen, er sei mehr oder weniger immer schon da gewesen, zumindest in seiner frühen Form; schließlich geht es beim Kapitalismus um Märkte, und Märkte sind uralt. Die Gleichsetzung stimmt aber nicht. Während es Märkte seit vielen Tausend Jahren gegeben hat, in unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten, ist der Kapitalismus vergleichsweise jung – nicht älter als rund 500 Jahre.2 Das Charakteristische am Kapitalismus ist nicht, dass es Märkte gibt, sondern dass er um ewiges Wachstum herum organisiert ist; er ist tatsächlich das erste von innen heraus expansionistische Wirtschaftssystem in der Geschichte. Er zieht ständig steigende Mengen an Natur und menschlicher Arbeit in die Kreisläufe der Warenproduktion hinein. Und weil es das Ziel des Kapitals ist, Gewinn zu entnehmen und Überschuss zu akkumulieren, muss es diese Dinge so billig wie möglich bekommen. Mit anderen Worten funktioniert der Kapitalismus nach einer simplen, praktischen Formel: Nimm mehr – von der Natur und von der Arbeit –, als du zurückgibst. Die ökologische Krise ist die unvermeidliche Folge dieses Systems. Der Kapitalismus hat uns aus dem Gleichgewicht mit der lebendigen Welt gebracht. Wenn wir das einmal verstanden haben, stürmen neue Fragen auf uns ein: Wie kam das zustande? Wo kommt der Kapitalismus her? Warum hat er sich etabliert? Üblicherweise bekommt man dann zu hören, dass es in unserer »Natur« liegt, eigennützige maximierende Akteure zu sein – wofür manchmal der Ausdruck homo oeconomicus verwendet wird –, die profitsüchtigen Automaten, denen wir in Lehrbüchern der Betriebswirtschaft begegnen. Man bringt uns bei, dass diese natürliche Veranlagung allmählich die Fesseln des Feudalismus sprengte, der Leibeigenschaft ein Ende setzte und den Kapitalismus, wie wir ihn heute kennen, entstehen ließ. Das ist unsere Story. Es ist unsere Entstehungsgeschichte. Sie wird so oft wiederholt, dass jede und jeder sie als selbstverständlich hinnimmt. Und weil der Aufstieg des Kapitalismus als ein Ausdruck der inneren Natur des Menschen dargestellt wird – der menschlichen Eigensucht und Gier –, erscheinen Probleme wie Ungleichheit und ökologische Krise als unvermeidlich und praktisch unveränderlich. Allerdings – und das ist bei einer Geschichte, die so tief in unserer Kultur verankert ist, schon sehr bemerkenswert – ist davon kein Wort wahr. Der Kapitalismus »entstand« nicht einfach. Es gab keinen sanften natürlichen »Übergang« zum Kapitalismus, und er hat nichts mit der menschlichen Natur zu tun. Die Historikerinnen und Historiker haben eine wesentlich interessantere und erheblich finsterere Geschichte zu erzählen – eine Geschichte, die allerhand überraschende Wahrheiten darüber zutage bringt, wie unsere Wirtschaft eigentlich funktioniert. Indem wir uns diese Geschichte klarmachen, bekommen wir die verborgenen treibenden Kräfte der ökologischen Krise besser zu fassen und erhalten wichtige Hinweise darauf, was wir dagegen tun können. Eine vergessene Revolution
Wir lernen alle in der Schule, dass der Feudalismus ein brutales System gewesen ist, das schreckliches menschliches Elend hervorbrachte. Und das stimmt auch. Feudalherren und Adelige beherrschten das Land, und die Menschen, die auf diesem Land lebten – die Leibeigenen –, mussten ihnen Abgaben zahlen in Form von Pacht, Zins, Zehnt und Frondiensten. Anders als unsere herrschenden Narrative behaupten, war es aber nicht der Aufstieg des Kapitalismus, der diesem System ein Ende setzte. Dieser Sieg ist bemerkenswerterweise auf einen tapferen Kampf zurückzuführen, in einer langen Tradition gekämpft von Alltagsrevolutionären, die aus irgendeinem Grund fast völlig in Vergessenheit geraten sind. In den frühen 1300er-Jahren begannen die einfachen Leute in ganz Europa, gegen das Feudalsystem zu rebellieren. Sie weigerten sich, Frondienste zu leisten, lehnten die Zahlung von Zins und Zehnten ab, den die Feudalherren und die Kirchen einzogen, und verlangten zunehmend direkte Verfügung über das Land, das sie bestellten. Dabei handelte es sich nicht um kleine, hier und da auftauchende Klagen und Beschwerden. Das war organisierter Widerstand. In manchen Fällen wuchs sich dieser zu regelrechten militärischen Konflikten aus. 1323 griffen Bauern und Arbeiterinnen in Flandern zu den Waffen in einem Kampf, der fünf Jahre dauerte, bevor sie vom flämischen Adel besiegt wurden. Ähnliche Aufstände brachen auch anderswo in Europa aus – in Brügge, Gent, Florenz, Liège und Paris.3 Diese frühen Aufstände hatten wenig Erfolg. In den meisten Fällen wurden sie von gut bewaffneten Truppen erstickt. Und als 1347 der Schwarze Tod zuschlug, schien alles nur noch schlimmer zu werden: Die Beulenpest raffte ein Drittel der europäischen Bevölkerung dahin und löste eine nie da gewesene gesellschaftliche und politische Krise aus. In der Folge dieser Katastrophe geschah aber etwas, das niemand erwartet hatte. Weil Arbeitskraft knapp war und Land reichlich vorhanden, hatten Bauern und Arbeiter plötzlich eine größere Verhandlungsmacht. Sie konnten niedrigere Pachten für das Land verlangen und höhere Löhne für ihre Arbeit. Die Feudalherren fanden sich in der Defensive wieder und das Machtgleichgewicht neigte sich erstmals seit Generationen zugunsten des gemeinen Volkes. Den einfachen Leuten wurde klar, dass dies ihre Chance war: Dies war die Gelegenheit, die Grundlagen der gesellschaftlichen und politischen Ordnung selbst zu verändern. Ihre Hoffnung wuchs, sie gewannen Selbstbewusstsein und die Rebellion nahm Fahrt auf.4 In England führte Wat Tyler 1381 eine Bauernrevolte gegen den Feudalismus an, inspiriert durch den radikalen Prediger John Ball, der berühmt wurde für den Aufruf: »Nun ist die Zeit gekommen, da ihr das Joch der Knechtschaft abwerfen und die Freiheit wieder erlangen könnt (wenn ihr wollt).« 1382 gelang es einem Aufstand in der italienischen Stadt Ciompi, die politische Führung zu übernehmen. In Paris kam 1413 eine »Arbeiterdemokratie« an die Macht. Und 1450 marschierte eine Armee aus englischen Bauern und Arbeitern gegen London, was später als Jack Cade’s Rebellion bekannt wurde. Ganze Regionen erhoben sich in dieser Zeit, schlossen sich zusammen und stellten Armeen auf. In der Mitte der 1400er-Jahre brachen in ganz Westeuropa Kriege zwischen Bauern und Feudalherren aus, und während die Bewegung der Rebellen anwuchs, erweiterten sich auch deren Forderungen. Ihnen ging es nicht darum, das System an den Rändern ein bisschen anzupassen – sie wollten nichts Geringeres als eine Revolution. Nach den Worten der Historikerin Silvia Federici, einer Spezialistin in der politischen Ökonomie des Mittelalters, »wollten die Rebellen sich nicht damit zufriedengeben, ein paar Einschränkungen der feudalen Herrschaft zu verlangen, und sie verhandelten auch nicht nur um bessere Lebensbedingungen. Ihr Ziel war es, der Macht der Feudalherren ein Ende zu setzen.«5 Obwohl die einzelnen Revolten in den meisten Fällen niedergeschlagen wurden (Wat Tyler und John Ball wurden zusammen mit 1.500 Anhängern hingerichtet), gelang es der Bewegung letztendlich doch, in weiten Teilen des Kontinents die Leibeigenschaft zu beseitigen. In England wurde diese Praxis im Nachklang der Revolte von 1381 fast vollständig abgeschafft. Die Leibeigenen wurde freie Bauern und ernährten sich von ihrem eigenen Stück Land, mit freiem Zugang zu den Gemeingütern: zu den Wiesen für das Weidevieh, den Wäldern für Jagd und Holz, den Wasserläufen zum Fischen und für die Bewässerung. Sie arbeiteten für Lohn, wenn sie zusätzliches Einkommen haben wollten – aber selten unter Zwang. In Deutschland erlangten die...


Hickel, Jason
Jason Hickel ist Anthropologe und lehrt an der London School of Economics. Geboren in Eswatini (ehem. Swasiland) verbrachte er einige Jahre in Südafrika, um die sozialen Folgen der Apartheid zu erforschen. Hickel schreibt regelmäßig für Zeitungen wie den Guardian über Themen wie globale Ungerechtigkeit, Postwachstum und ökologisches Wirtschaften. Er warnt: »Wachstum verhält sich wie ein Virus.«


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