Hiemke | Johannes Brahms. Ein deutsches Requiem | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 148 Seiten

Reihe: Bärenreiter-Werkeinführungen

Hiemke Johannes Brahms. Ein deutsches Requiem

epub 2

E-Book, Deutsch, 148 Seiten

Reihe: Bärenreiter-Werkeinführungen

ISBN: 978-3-7618-7200-0
Verlag: Bärenreiter
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Brahms löste sich von vielem, als er „Ein deutsches Requiem“ schrieb: von der traditionellen liturgischen Form, vom üblichen lateinischen Text, von der inhaltlichen Ausrichtung der Missa pro defunctis. Stattdessen stellte er biblische Texte zusammen, die die Vergänglichkeit des Menschen drastisch schildern, aber auch viele tröstende Worte zum Klingen bringen.

Sven Hiemke eröffnet in seiner Werkeinführung die Perspektive auf Brahms’ Intention, ein Requiem für die Lebenden zu schreiben, auf seine Inspiration durch Trauermusik alter Meister und Zeitgenossen, und auf die Frage, inwiefern Brahms’ eigene Religiosität das „deutsche Requiem“ beeinflusste. Es folgen ein Überblick über die Konzeption des Gesamtwerks und die anschauliche Vorstellung der einzelnen Sätze. Ein Kapitel zu Rezeption und Bearbeitungen des Werkes rundet das Taschenbuch ab.
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II. Inspirationen
1. Tradition und »Requiem«
»Ein lateinischer Text ist nun durchaus nicht am Platz bei diesem Stück. Sie werden das selbst einsehen, wenn Sie ein wenig die Sache überlegen. Anstatt des lateinischen [Requiems] kann es ja überhaupt in den Kirchen nicht gesungen werden.«1 Brahms’ Reaktion war unmissverständlich: Eine liturgische Verwendung des Deutschen Requiems, so signalisierte der Komponist seinem Verleger Jakob Melchior Rieter-Biedermann (1811–1876), sei nicht im Mindesten beabsichtigt, dessen Idee, der Druckfassung des Werkes zusätzlich einen lateinischen Text zu unterlegen, also völlig abwegig. In der Literatur werden denn auch vornehmlich die Unterschiede zwischen dem Deutschen Requiem und der lateinischen Totenmesse herausgestellt.2 Berührungspunkte – textlich wie musikalisch – bestehen allerdings durchaus:3 Ebenso wie im Introitus, dem Eröffnungsgesang des römisch-katholischen Requiems, der Gewissheit des Sterben-Müssens die Vorstellung künftiger Seligkeit gegenübergestellt wird, beginnt auch Brahms’ Werk mit dem Gedanken, Leid und Trauer müssten nicht von Dauer sein. Bemerkenswert ist die melodische Ähnlichkeit zwischen dem Beginn des Deutschen Requiems und demjenigen der lateinischen Totenmesse (siehe Notenbeispiel 1). Notenbeispiel 1a: Introitus »Requiem aeternam« Notenbeispiel 1b: Ein deutsches Requiem, 1. Satz, Kontrabass und Viola T. 1ff. (Auszug) Die Sequenz »Dies irae, dies illa«, die Fortsetzung der Totenmesse, veranschaulicht mit plastischen Bildern die Auswirkungen des Gotteszorns und mündet abschließend in die Bitte um Gnade und Schonung im Jüngsten Gericht. Dieser Gegenüberstellung entspricht im 2. Satz des Deutschen Requiems die Abfolge von »unerbittlichen« Vergänglichkeitsbeschreibungen und finaler Darstellung himmlischer Freuden (»Die Erlöseten des Herrn werden wiederkommen«). Der Gestus eines eindringlichen Gebets, von dem im lateinischen Requiem das anschließende Offertorium »Domine Jesu Christe« geprägt ist, findet sich auch im 3. Satz von Brahms’ Werk. Der 4. Satz des Deutschen Requiems (»Wie lieblich sind deine Wohnungen«) lässt sich durchaus als eine Paraphrase des »Sanctus« auffassen. Zwar vermittelt sich das Lob des allmächtigen Herrschers, das im Text der Messe ganz unmittelbar ausgesprochen wird, in den Worten des 84. Psalms mit der Sehnsucht nach den himmlischen Wohnungen nur indirekt. Explizit zum Ausdruck kommt es aber in der groß angelegten Steigerungsfuge »Herr, du bist würdig« am Schluss des 6. Satzes. Der Ausblick auf das (Wieder-)Kommen Christi sowie die Besetzung mit einem Vokalsolisten im 5. Satz von Brahms’ Deutschem Requiem (»Ihr habt nun Traurigkeit«) lässt an das »Benedictus« der katholischen Messe denken, das in den klassischen Vertonungen ebenfalls größtenteils solistisch ausgeführt wird. Auch der 6. Satz des Deutschen Requiems (»Denn wir haben hie keine bleibende Statt«) hat Bezüge zum lateinischen Formular. Für die Posaune als Signum der Wiederkunft Christi und der Ankündigung des Jüngsten Gerichts vor einem allgewaltigen Richter, der Rechenschaft über alles irdische Tun fordert, findet Brahms allerdings keine Verwendung – im Deutschen Requiem steht sie vielmehr für die plötzliche Verwandlung. Nicht auszuschließen ist deshalb, dass Brahms mit der eröffnenden Tonfolge des Soprans auf den Beginn der »Dies irae«-Sequenz verweisen wollte,4 die aus den zahllosen Vertonungen der lateinischen Totenmesse ebenso wie als musikalisches Zitat in Instrumentalwerken mit semantischem Hintergrund – etwa in Hector Berlioz’ Symphonie fantastique und in Franz Liszts Totentanz für Klavier und Orchester – hinlänglich vertraut war (siehe Notenbeispiel 2). Notenbeispiel 2a: Sequenz »Dies irae« Notenbeispiel 2b: Ein deutsches Requiem, 6. Satz, Sopran, T. 3 In der Gegenüberstellung des Schlusssatzes von Brahms’ Deutschem Requiem (»Selig sind die Toten«) und der Communio der Totenmesse zeigt sich eine Korrespondenz in der (modifizierten) Wiederaufnahme des Textes vom Anfang. Überdies entsprechen sich die jeweiligen Schlussworte »cum sanctis tuis in aeternum, quia pius es« (»mit deinen Heiligen in Ewigkeit, denn du bist gütig«) bzw. »Selig sind, die in dem Herrn sterben von nun an« bis zu einem gewissen Grad auch inhaltlich.5 Auch im Blick auf den Aufführungsort – den Konzertsaal – steht das Deutsche Requiem keineswegs abseits: Vertonungen des traditionellen Requiems erklangen im 19. Jahrhundert von vornherein oder zumindest auch außerhalb des liturgischen Rahmens. Schon die Uraufführung von Mozarts Requiem 1793 in Wien hatte in einem Konzertsaal stattgefunden, und je öfter sich Requiem-Vertonungen als autonome Kunstwerke Geltung verschafften und ihre Aussage nicht mehr an die Liturgie gebunden war, desto selbstverständlicher fanden sie Eingang in das gängige Konzertrepertoire – man denke etwa an Berlioz’ Grande Messe des morts oder an Verdis Messa da Requiem, die beide zwar noch in einem Gottesdienst uraufgeführt wurden, dann aber nur noch im säkularen Umfeld erklangen.6 Übersicht der Textinhalte Missa pro defunctis Ein deutsches Requiem Introitus: Bitte um ewige Ruhe mit Blick auf die zu erwartende Seligkeit. 1 Leid, Trauer und Trübsal müssen nicht von Dauer sein. Gedanke der Erlösung. Sequenz: Beschreibung des zu erwartenden Endes in drastischen Bildern; abschließende Bitte um Gnade und Erbarmen. 2 Anfangs ebenfalls bildhaft, insgesamt aber deutlich hoffnungsvoller mit der Aussicht auf Erlösung. Offertorium: Gebet für die Verstorbenen mit der Bitte um Verschonung und um Führung in das »heilige Licht«. 3 Gebet in der Erkenntnis der menschlichen Nichtigkeit und der Zuversicht, dennoch in Gottes Hand zu sein. Sanctus: Anrufung Gottes in der himmlischen Herrlichkeit. 4 Himmlische »Wohnungen« sind das Ziel menschlichen Sehnens. Benedictus: Ausdruck des Lobes und der Freude über den wiederkehrenden Jesus. Ein großer Teil dieses Satzes wird meist solistisch ausgeführt. 5 Affekte der Freude und des Trostes; ebenfalls vokalsolistische Beteiligung. Agnus Dei: Das Lamm als Symbol für den Opfertod Jesu stammt aus der Apokalypse. 6 Betrachtung der Endzeit (unter Verwendung von Textpassagen aus der Apokalypse); Verherrlichung Gottes. Communio: Wiederaufnahme der Anfangsbitte um Erlösung. 7 Wiederaufnahme des Erlösungsgedankens aus dem 1. Satz. Die Abfolge der Sätze sowie einzelne Wörter und Wendungen des Deutschen Requiems erlauben also durchaus Assoziationen zu (Teil-)Sätzen der katholischen Totenmesse.7 Freilich stellt sich zu keiner Zeit der Eindruck einer unmittelbaren Anlehnung ein. Eine deutschsprachige Version des lateinischen Requiems zu schaffen, lag nicht in Brahms’ Interesse. Wohl aber diente ihm der Aufbau der Missa pro defunctis als Bezugspunkt, um seine Trauermusik zu strukturieren: Erst die formale Nähe zu einer historisch verbürgten Gattung, die Aufbau und Anlage in groben Umrissen vorgab, vermochte die inhaltliche Abgrenzung der eigenen Trauerkomposition deutlich werden zu lassen. Damit aber erscheint Brahms’ Werk gleichsam als ein Gegenentwurf – als ein...


Sven Hiemke (*1962) ist Professor für Historische Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. In der Reihe der „Bärenreiter Werkeinführungen“ verfasste er die Bände zu Beethovens „Missa solemnis“, zu Bachs „Orgelbüchlein“ und zu Schütz’ „Geistlicher Chormusik“.


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