Hierdeis | Die Tote am Herrschinger Ufer: Bayern-Krimi | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Hierdeis Die Tote am Herrschinger Ufer: Bayern-Krimi


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-96152-027-5
Verlag: Schardt Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-96152-027-5
Verlag: Schardt Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der verwitwete Emeritus Bruno, der an einem Buch über das Glück schreibt, könnte ein beschauliches Dasein als Pensionist führen: Er lebt am idyllischen Westufer des Ammersees, hat keine finanziellen Sorgen, und auch seine beiden Kinder sind glücklich verheiratet und besuchen ihn oft. Aber plötzlich ist er so sehr in das Unglück seiner Freunde verstrickt, dass seine wissenschaftliche Arbeit ganz in den Hintergrund gedrängt wird. Ein junges Mädchen wird tot am Herrschinger Ufer aufgefunden. Über die Todesursache schweigt die Polizei. Durch diesen mysteriösen Fund geraten Brunos langjährige Freunde in Verdacht, und bisher verborgene Charakterzüge treten ans Licht. Das tote Mädchen löst Veränderungen aus, an deren Ende alle Beteiligten ihr Leben umkrempeln. Im Hintergrund agiert eine Sekte, die ihre rigiden Vorstellungen vom Glück der Jugend raffiniert kostümiert und konsequent durchsetzt.

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1


Bruno sah auf das Familienphoto, das er samt Silberrahmen vor einer Woche vom Institutsschreibtisch wieder nach Hause mitgenommen hatte, zusammen mit einigen Kartons voller Manuskripte und Bücher. Jetzt war er wirklich pensioniert, oder, wie es in der Sprache der Universität hieß, emeritiert. Ein Emeritus! Unglaublich! Sein Leben lang hatte er über seine alten Kollegen gelächelt, wenn sie, mit einem Blumenstrauß im Arm, der dann an die Gattin weitergereicht wurde, nach der Verabschiedung durch den Dekan wehmütig den jüngeren Kollegen die Hand gaben. Die meisten von ihnen kamen nach wie vor an ihre alte Arbeitsstelle, saßen Vormittage lang in der Bibliothek und schrieben und forschten weiter, als wären sie noch im Amt. Hin und wieder mischten sie sich auch in die Besetzungspolitik ein und intrigierten mit Hilfe alter Beziehungen, um ihre Kandidaten zu favorisieren. Zu diesen Unentwegten, die nicht aufhören konnten, wollte er nicht gehören.

Ja, das alte Bild mit ihm in der Mitte, Irene an ihn gelehnt, auf der einen Seite die ungewöhnlich ordentlich frisierte Martina, und, neben Irene, Christoph in Anzug und Krawatte. Eine gestellte Welt, die mit dem wirklichen Familienleben nicht viel zu tun hatte. So viel er sich auch zurückerinnerte, wo sein eigentlicher Platz innerhalb der Familie gewesen war – abgesehen von seinem Schreibtisch – er kam sich immer so vor, als sei er in der Luft gesessen, schwebend in oder über einer Familie, die ihr tägliches irdisches Leben ohne ihn abwickelte.

Aber so ein Photo hielt schwärmende Studentinnen ab – Kolleginnen allerdings weniger. Er lächelte unwillkürlich, dachte an Silvia, die ihm immer noch schrieb, obwohl sie jetzt in Norddeutschland lebte, Ordinaria, und seit ein paar Jahren sogar mit einem Kollegen von der Wirtschaftswissenschaft liiert war. Er hatte Irene nie etwas erzählt von ihrem Kongreßabenteuer in Bonn, wozu auch. Es war besser so. Ohnehin wäre Irene zu der Zeit nicht mehr eifersüchtig gewesen, so wie früher. Wann hatte sie sich geändert? Nach ihrer Affäre mit André, dem französischen Kollegen, der ein Semester lang bei ihnen gewohnt hatte. Auch Irene hatte nichts erzählt. Aber er hatte es geahnt, es eigentlich nicht so genau wissen wollen. André hin, André her, wir müßten ihm Andechs zeigen, mit ihm auf den Hohenpeißenberg, der eigentlich Hohenpreißenberg bei ihnen hieß, weil alle Besucher aus Norddeutschland stets in Trance fielen bei dem Gebirgspanorama. André war in Lyon versunken wie Silvia in Hamburg, und Irene – hier legte er das Photo weg. Zu viel Erinnerung hielt ab vom Alltäglichen, das er bewältigen mußte.

Er wollte die Kartons noch eine Weile im Gang stehen lassen und erst später einige Regale ausräumen. Vielleicht sollte er allmählich darüber nachdenken, sich von bestimmten Büchern ganz zu trennen und sie einer der neu gegründeten Universitäten überlassen. Weder Martina noch Christoph hatten seine Fächer studiert. Was sollten sie mit einer solchen Fachbibliothek, die schon fast zwei Zimmer füllte? Die Trennung von seinem Beruf war erst der Anfang. Er verscheuchte die traurigen Gedanken und setzte sich an den Schreibtisch.

Glückskinder. Wie war er auf diese Überschrift gekommen? Seine bisherigen Publikationen hatten wissenschaftliche Titel, etwa »Das Kulturphänomen der Abwesenheit. Eine Untersuchung zur Präsenz von Eltern und Erziehern.« Niemand, außer Kollegen oder Studenten, las solche Bücher. Und jetzt: »Glückskinder«. Seine früheren Kollegen würden bestenfalls schmunzeln. »Jetzt wird er alt, alt und populär.« In der deutschen Wissenschaft war populär stets das Gegenteil von wissenschaftlich. Möglichst wenige sollten eingeweiht sein, sich um Verstehen bemühen müssen. Das Nachschlagen von Fremdwörtern war schon Teil des Lesens. Mit zunehmendem Alter kam ihm diese Schreiberei immer fragwürdiger vor. Wieso sollten nicht auch andere Leute als seine Institutsangehörigen lesen und verstehen können, was er sagen wollte. Deswegen hatte er vor zwei Jahren, gerade als Irene gestorben war, mit dem Konzept zu diesem Buch angefangen.

Es war im Sommer gewesen, und Martina, seine Tochter, verbrachte mit ihren zwei kleinen Kindern eine Woche Urlaub bei ihm. Sie bewohnte immer noch ihr altes Zimmer im ersten Stock, von dem aus man einen ungehinderten Blick auf den See und auf Andechs hatte. Auch ihre alte Einrichtung war hiergeblieben, ergänzt durch ein Kinderbettchen. Und wenn Thomas, ihr Mann, mitkam, konnte man das Sofa zum Doppelbett ausziehen. An einem dieser warmen Sommerabende, als sie Thomas vom Zug abgeholt hatten und miteinander auf der Veranda Wein tranken und Käse aßen, fingen die beiden Jungen davon an, was sie am nächsten Tag alles unternehmen wollten.

»Es paßt so wenig in die Stunden«, seufzte Thomas. Die beiden in ihrem Wunsch, möglichst viel in einen Tag zu packen – er würde mit den Enkeln einen Spaziergang zu einer alten Freundin machen, die sich freute, wenn sie mit den beiden spielen konnte –, flößten ihm Mitleid ein. Sie kamen ihm vor wie Hans Wundersam in der Geschichte vom Wunschhimmel. »Das will ich, und das!« – das Wesentliche war eben noch nicht dabei. Noch als die beiden diskutierten, ob sie an ihrem kostbaren freien Tag zuerst an die Osterseen fahren sollten und dann weiter zum Bergsteigen Richtung Garmisch – und am Abend nach München ins Kino und hinterher noch in eine der neuen Bars –, da senkte sich über ihn die Tarnkappe des Nachdenkens, und die Idee zu seinem neuen Buch war entstanden. Sie jagten mit Wucht ihrem Glück nach, und wieviel Zeit man auch investierte, es war nie genug.

Als Thomas und Martina einmal zu einem Festmahl heimgekommen waren – einer von den beiden hatte irgendein Examen bestanden, und Irene verbrachte Stunden in der Küche, um das Ereignis kulinarisch würdig zu begehen – da rief Thomas auf einmal mitten beim Essen aus: »Wieso bin ich jetzt schon bei der Hälfte meines Schnitzels? Bald werde ich’s aufgegessen haben, oh je!« Sie hatten alle schrecklich gelacht. Aber es war eigentlich nicht zum Lachen. Die Vergänglichkeit des Glücks, wenn auch nur in Form eines Schnitzels, war nur allzu schmerzlich klar gewesen. Ja, dachte er, kaum das Glück begriffen, ist’s schon wieder um die Ecke. Irene tauchte auf, in ihrem Hochzeitskleid. Nein, diese Erinnerung mußte er verscheuchen. Wissenschaft! Klarheit! Weg von den ablenkenden Einzelheiten! Aber waren es denn nicht gerade diese Einzelheiten, die ihn aufs Thema gebracht hatten und deren Verknüpfung er anderen erläutern wollte? Wieso hatte das Glücklichsein keine Rolle gespielt in seiner Jugend? Waren sie denn nicht glücklich gewesen? Das merkte man ohnehin erst hinterher. Sollte er mit einem erfundenen Sokrates-Dialog beginnen?

Ob das wohl eine gute Idee war, mit solchen umständlichen Dialogen zum Kern des Problems langsam vorzustoßen? Er wollte eine Pause machen. Kurz entschlossen packte er das dünne Manuskript an die rechte Seite seines Schreibtischs und ging nach unten. Ein Spaziergang, um die Gedanken erst einmal durch die Natur zum Verschwinden zu bringen, damit sie dann, erholt und ausgeruht, sich wieder weiterverfolgen ließen.

Er ging den Seeweg entlang, vorbei an seinem Lieblingsrestaurant, das er meistens nachmittags besuchte, wenn auf der Terrasse Tische und Sonnenschirme aufgestellt waren und man durch das goldene Seegras hindurch auf den blauen, grauen oder grünen See schauen konnte. Nie war es laut in diesem Restaurant, auch nicht an heißen Sommertagen, wenn alle Tische besetzt waren. Die Sicht auf den See befriedete die Menschen, und sie saßen ruhig und in Gedanken versunken da, den Blick aufs Wasser gerichtet.

Diesmal hatte er keine Lust auf Cappuccino, jedenfalls noch nicht. Er ging an der Schwingtür vorbei, den Bahndamm entlang, vorbei an den kleinen Badehäuschen, dem etwas größeren Yachthaus und den alten Einfamilienhäusern, in denen das Jahr über kaum einer wohnte. Als er zu der Birke mit den vielen verwachsenen Stämmen kam – Martina und Christoph waren als Kinder virtuos darin herumgeklettert –, sah er von weitem eine Frau mit Hund sich nähern. Weiße Leinenjacke, Blue Jeans – und der kleine Spitz rannte schon zu ihm hin und sprang an ihm hinauf. Eine Frauenstimme rief: »Nicht springen, Milva!« aber das war wie eine Begrüßung, und der kleine Hund sprang um Bruno herum, bis der sich hinunterbeugte und ihn streichelte.

»Du bist aber heute zeitig dran mit deinem Abendspaziergang.«

»Ja«, lachte die Frau, »ich bin gerade mal wieder allein, Ludwig ist in Tegernsee beim...



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