Hislop | Feuer, Liebe und das Meer | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

Hislop Feuer, Liebe und das Meer


1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-311-70604-5
Verlag: OKTOPUS bei Kampa
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

ISBN: 978-3-311-70604-5
Verlag: OKTOPUS bei Kampa
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nachdem 1917 ein großer Brand weite Teile von Thessaloniki zerstört hat, wächst Dimitri Komninos, Sohn eines ehemals reichen Tuchhändlers, in ärmlichen Verhältnissen auf. Dennoch verbringt er eine glückliche Kindheit. Ihn verbindet eine enge Freundschaft mit Katerina, die auf der Flucht aus Kleinasien vor der türkischen Armee alles zurücklassen musste und ihre Mutter verlor. Dimitris und Katerinas Wege trennen sich, erst als Erwachsene sollen sie sich wiedertreffen – und lieben lernen. Doch Dimitri zieht schon bald in den Zweiten Weltkrieg. Die Nachricht von seinem Tod lässt Katerina verzweifeln. Als der Besitzer der Schneiderei, in der sie arbeitet, ihr einen Heiratsantrag macht, willigt sie ein. Dann steht eines Tages Dimitri vor ihr …

Im Jahr 2007 hört Mitsos, in England aufgewachsen, erstmals die Geschichte seiner Großeltern, die untrennbar verbunden ist mit ihrer Heimatstadt. Mitsos erkennt, dass in Thessaloniki auch seine Wurzeln liegen – und dass er eine Entscheidung treffen muss.

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Prolog


Mai 2007

Es war halb acht Uhr morgens. Nie war es ruhiger in derStadt als um diese Stunde. Über der Bucht hing ein silbriger Dunst, und das trübe Wasser plätscherte leise gegen die Kaimauern. Der Himmel war fahl und die Luft mit Salz erfüllt. Für manch einen ging eine durchzechte Nacht zu Ende, für andere begann ein neuer Arbeitstag. Ungepflegt wirkende Studenten tranken den letzten Kaffee und rauchten Zigaretten neben ordentlich gekleideten älteren Paaren, die ihren Morgenspaziergang unternahmen.

Als sich der Dunst langsam lichtete, kam in der Ferne über dem Thermaischen Golf der Olymp zum Vorschein, und Meer und Himmel warfen ihre bleiche Hülle ab. Wie Riesenhaie, die sich dunkel vor dem Blau abzeichneten, lagen Tanker vor der Küste, und weiter draußen fuhren ein paar kleinere Schiffe am Horizont.

Über die marmorgepflasterte Promenade entlang der großen Bucht bewegte sich ein konstanter Menschenstrom: Damen mit ihren Hündchen, Jugendliche, Jogger, Rollerblader, Fahrradfahrer und Mütter mit Kinderwagen. Zwischen der Promenade und den Reihen von Cafés schoben sich Autos im Kriechtempo in die Innenstadt, deren Fahrer, halb hinter Sonnenblenden verborgen, stumm die Lippen zu den neuesten Hits aus dem Radio bewegten.

Mit gemächlichen Schritten nach einer durchtanzten, feuchtfröhlichen Nacht ging ein schlanker junger Mann in teuren ausgefransten Jeans am Uferweg entlang. Bartstoppeln standen in seinem gebräunten Gesicht, doch seine schokoladenbraunen Augen wirkten frisch und hellwach, und er summte im Gehen leise vor sich hin. Sein entspannter Gang zeugte von einem Menschen, der mit sich und der Welt zufrieden war.

Auf der anderen Straßenseite, in dem schmalen Bereich zwischen Bistrotischen und Bordsteinkante, ging ein älteres Ehepaar zu seinem Stammcafé. Der Mann gab mit vorsichtigen Schritten das Tempo vor und stützte sich dabei schwer auf seinen Stock. Beide waren vielleicht um die neunzig, nicht größer als eins fünfundsechzig und sorgfältig gekleidet. Er in einem frisch gebügelten kurzärmeligen Hemd und hellen Hosen, sie in einem einfachen geblümten Baumwollkleid mit Gürtel um die Taille, die Art von Kleid, die sie wahrscheinlich schon seit fünfzig Jahren trug.

Alle Kaffeehausstühle entlang der Promenade waren zum Meer hin ausgerichtet, damit die Gäste das quirlige Treiben von Menschen und Fahrzeugen und auch die Schiffe beobachten konnten, die geräuschlos in den Hafen hinein- und wieder hinausglitten.

Dimitri und Katerina Komninos wurden vom Besitzer des Assos-Cafés begrüßt und wechselten ein paar Worte über den Generalstreik mit ihm. Da ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung an diesem Tag freihatte, würde das Café mehr Umsatz machen, also gab es keinen Grund zur Klage für den Wirt. Arbeitskämpfe waren in dieser Stadt ohnehin nichts Besonderes.

Sie mussten nicht ausdrücklich bestellen, denn sie tranken ihren Kaffee immer auf dieselbe Weise – stark und süß – und teilten sich dazu ein ein köstliches Gebäck, das wegen der dünnen Teigfäden auch Engelshaar genannt wurde.

Der alte Mann hatte sich gerade in die Lektüre der neuesten Nachrichten vertieft, als seine Frau aufgeregt seinen Arm tätschelte.

»Schau – schau, ! Da ist Dimitri!«

»Wo denn, meine Süße?«

»Mitsos! Mitsos!«, rief sie und benutzte die Verkleinerungsform des Namens, den ihr Mann und ihr Enkel trugen, aber der junge Mann konnte nichts hören im Lärm der hupenden Autos, die gerade mit aufheulendem Motor an der Ampel lospreschten.

Als Mitsos aus seiner Tagträumerei aufblickte, entdeckte er seine heftig winkende Großmutter und schlängelte sich lässig durch den Verkehr.

sagte er und schloss sie in die Arme, dann ergriff er die ausgestreckte Hand seines Großvaters und küsste ihn auf die Stirn. »Wie geht’s euch? Was für eine schöne Überraschung … ich wollte euch heute besuchen.«

Das Gesicht seiner Großmutter strahlte. Sie und ihr Mann vergötterten ihren Enkel, und der genoss ihre Zuneigung.

»Komm, wir bestellen was für dich!«, sagte seine Großmutter aufgeregt.

»Nein danke. Wirklich nicht. Ich möchte nichts.«

»Aber irgendwas möchtest du doch sicher – einen Kaffee, Eiscreme …«

»Katerina, ich bin sicher, er möchte keine Eiscreme!«

Der Kellner tauchte wieder auf.

»Ich möchte bloß ein Glas Wasser, bitte.«

»Ist das alles? Bist du sicher?«, fragte seine Großmutter. »Wie wär’s mit Frühstück?«

Der Kellner war schon wieder fort. Der alte Mann beugte sich vor und berührte den Arm seines Enkels.

»Also wieder keine Vorlesungen heute?«, fragte er.

»Nein, leider«, antwortete Mitsos. »Inzwischen bin ich daran gewöhnt.«

Der junge Mann besuchte einen Master-Lehrgang an der Universität von Thessaloniki, aber da sich auch die Dozenten gemeinsam mit allen Beamten des Landes im Streik befanden, hatte er frei. Nach einer langen Nacht in den Bars auf der Proxenou Koromila war er jetzt auf dem Heimweg, um sich schlafen zu legen.

Er war in London aufgewachsen, hatte aber jeden Sommer bei seinen Großeltern in Griechenland verbracht und von seinem fünften Lebensjahr an jeden Samstag eine griechische Schule besucht. Sein Jahr an der Universität war nun fast vorbei, und wegen der Streiks waren oft Vorlesungen ausgefallen, aber die Landessprache beherrschte er inzwischen absolut fließend.

Obwohl ihn seine Großeltern bedrängt hatten, bei ihnen zu wohnen, lebte Mitsos im Studentenwohnheim, aber er besuchte sie regelmäßig an den Wochenenden, und sie erdrückten ihn fast mit ihrer Liebe, wie es bei griechischen Großeltern üblich ist.

»Dieses Jahr hat es so viele Streiks gegeben wie noch nie«, sagte sein Großvater. »Aber wir müssen uns damit abfinden, Mitsos. Und hoffen, dass es besser wird.«

Neben den Lehrern und Ärzten befanden sich auch die Müllmänner im Streik, dazu fuhren wie gewöhnlich auch keine öffentlichen Transportmittel. Und für die Schlaglöcher in den Straßen und die rissigen Gehsteige fühlte sich auch niemand zuständig. Selbst in den besten Zeiten war das Leben hier schwer für die zwei alten Leute, und Mitsos wurde sich plötzlich ihrer Gebrechlichkeit bewusst, als er einen Blick auf den von Narben entstellten Arm seiner Großmutter und die arthritischen Finger seines Großvaters warf.

Im gleichen Moment bemerkte er einen Mann, der über den Gehsteig auf sie zukam und mit einem weißen Stock den Weg vor sich abtastete. Er hatte einen wahren Hindernisparcours zu bewältigen: rücksichtslos abgestellte Autos, die das halbe Trottoir versperrten, dazu verschiedene Straßenpoller und Kaffeehaustische, denen er ausweichen musste. Mitsos sprang auf, als er den Mann zögern und schließlich verwirrt vor einem mitten auf dem Gehsteig platzierten Reklameschild anhalten sah.

»Darf ich Ihnen helfen?«, fragte er. »Wohin möchten Sie denn?«

Er blickte in ein Gesicht, das jünger war als sein eigenes, und in milchige blinde Augen. Die Haut war auffallend blass, und über einem Augenlid verlief eine gezackte, schlecht genähte Narbe.

Der blinde Mann lächelte in Mitsos’ Richtung.

»Danke, aber ich komme schon zurecht«, antwortete er. »Ich gehe diesen Weg jeden Tag. Allerdings gibt es immer wieder unliebsame Überraschungen …«

Autos donnerten auf der kurzen Strecke bis zur nächsten Ampel vorbei, und in dem Lärm gingen Mitsos’ Worte fast unter.

»Darf ich Ihnen wenigstens auf die andere Seite helfen?«

Er nahm den Arm des jungen Mannes, und sie überquerten gemeinsam die Straße, obwohl Mitsos das Selbstvertrauen und die Entschlossenheit des Blinden spürte und es ihn deshalb fast ein wenig verlegen machte, ihm behilflich zu sein.

Als sie auf den gegenüberliegenden Gehsteig traten, lockerte er seinen Griff am Arm des Mannes. Ihre Blicke schienen sich zu treffen.

»Vielen Dank.«

Mitsos erkannte, dass nun eine neue Gefahr für den Blinden drohte. Ganz in der Nähe befand sich eine Böschung, die steil zum Meer abfiel.

»Sie wissen, dass Sie ganz dicht am Wasser sind?«

»Natürlich weiß ich das. Wie gesagt, ich gehe diesen Weg jeden Tag.«

Die anderen Spaziergänger, die nur mit sich selbst beschäftigt waren oder ausschließlich die hämmernde Musik ihrer MP3-Player wahrnahmen, bemerkten nichts von der Verletzlichkeit des Mannes. Seinen weißen Stock registrierten sie erst, wenn es schon fast zum Zusammenstoß gekommen war.

»Wäre es nicht sicherer, einen weniger überfüllten Weg zu nehmen?«, fragte Mitsos.

»Ja, schon, aber dann würde ich das alles hier verpassen …«

Er zeigte mit einer ausladenden Geste auf die Bucht, die sich in weitem Halbrund vor ihnen erstreckte, und deutete dann geradeaus auf die schneebedeckten Berge, die sich in etwa hundert Kilometern Entfernung jenseits des Meeres erhoben.

»Der Olymp. Die ständig sich verändernde See. Die Tanker. Die Fischerboote. Ich weiß, Sie denken, ich kann das alles nicht sehen, aber früher einmal konnte ich es. Ich weiß, dass sie da sind, ich sehe sie vor meinem inneren Auge, und das wird immer so sein. Außerdem sehe ich nicht das Gleiche wie Sie. Schließen Sie doch mal die Augen.«

Der junge Mann nahm Mitsos’ Hand und hielt sie fest. Mitsos war überrascht von der marmornen Kühle seiner Finger und dankbar für den körperlichen Kontakt. Plötzlich spürte er, wie es wäre, als einsamer, verletzlicher Mensch auf der geschäftigen Esplanade zu stehen.

Und in dem Moment, als er nichts mehr sah, schärften sich seine Sinne. Laute Geräusche verstärkten...


Hislop, Victoria
Victoria Hislop, geboren 1950 in Bromley in der Grafschaft Kent, studierte Anglistik und arbeitete bei Verlagen und als Journalistin, bevor sie 2005 mit ihrem Debütroman Insel der Vergessenen schlagartig internationale Berühmtheit erlangte. Der Roman wurde mit dem British Book Award ausgezeichnet und 2010 als Fernsehserie adaptiert. Seit 2013 engagiert sich Hislop ehrenamtlich als Botschafterin eines Vereins zur Unterstützung von Leprakranken. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Sissinghurst, Kent, verbringt aber einen Teil des Jahres auf Kreta und nahm im September 2020 die griechische Staatsbürgerschaft an.



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