E-Book, Deutsch, 248 Seiten
Höcker Den Dritten heirat' ich einmal
1. Auflage 2015
ISBN: 978-87-11-44555-6
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 248 Seiten
ISBN: 978-87-11-44555-6
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
'Lilo wäre Bill und Arndt wohl kaum im Leben mehr begegnet, wenn Richard sie nicht an jenem Aprilmorgen in dem Berliner Blumengeschäft als Verkäuferin entdeckt und wenn er nicht bei seinen Kameraden ihre Einladung zu der Segelfahrt durchgesetzt hätte. Wenn sie damals geahnt hätte, durch welche Erniedrigungen, durch welche Kämpfe und Erschütterungen die Erlebnisse mit diesen drei Männern sie führen würden! Aber schließlich auch - zu welchem Triumph!'-
x
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Wenn Mama Marquetti in ihrem Schlafzimmer mit dem ungeheuren Himmelbett ihre erwachsenen Töchter zum Plaudern bei sich hatte und der Ton zwischen ihnen etwas ernster wurde, weil Lilo oder Fränze einen Anlauf nehmen wollten, das Gespräch auf schwerere Lebensdinge zu bringen, dann fiel Mama Marquetti todsicher sofort mit ihrem Lieblingsthema ein: Wie stand es um ihre Heirats-, um ihre Verlobungsaussichten? Dieses Thema konnte Lilo ganz und gar nicht ausstehen. Der grösste Teil ihres letzten Besuchs war ihr dadurch verdorben worden, dass die Mama nachträglich noch durchaus alle Einzelheiten ihrer ‚Flucht aus Berlin’ erfahren wollte. Sicher hing die doch mit einer Liebesgeschichte zusammen?! Mama war so oft in Tränen ausgebrochen, war ganz traurig darüber gewesen, dass ihr Kind in dem Allerwichtigsten des Frauenlebens so tiefe Geheimnisse vor ihr bewahrte. Fränze zierte sich gar nicht. Sie berichtete ganz leidenschaftslos: sie war schon zweimal versprochen gewesen, hatte sich aber noch rechtzeitig wieder entlobt. Einmal war’s ein Student, einmal ein Manager in einem Warenhaus gewesen. „Du hast sie also nicht geliebt, Franziska?“ fragte Mama Marquetti und rückte ihr gespannt näher. „Erzähle doch!“ „Es waren nette, gut erzogene, saubere Jungens. Der Student hatte so viel Geld von zu Hause und der Manager so viel Gehalt, dass wir hätten heiraten und — vor allem — dass ich meine Stellung als Lehrerin hätte aufgeben können. Aber weisst du, Mama, man konnte sich mit ihnen über nichts unterhalten. Ja, über Tanzen, über banale Alltagsdinge, verliebte Torheiten konnten sie reden. Wenn’s hoch kam, über ein neues Filmstück. Aber damit war alles erschöpft. Nein, Mama, die Männer, die bisher um mich angehalten haben, waren einfach zu dumm für deine Tochter. Wenn ich heirate, dann soll es ein echter, rechter Mann sein.“ „So wie Papa!“ fiel Frau Marquetti ein und machte junge Augen. „Oh, ich verstehe.“ Die Schwestern sahen einander verstohlen an. Meinte die Mama den Papa Marquetti? Nein, hernach kam es heraus: sie meinte ihren ersten Mann, den Professor. Dem klugen Redner wie dem mutigen Sportsmann bewahrte sie auch heute noch die dankbarste Verehrung. Als Österreicherin hatte sie auf den Strandpromenaden in ihrer Heimat am Adriatischen Meer ja immer schon viel mehr für die Reichsdeutschen übriggehabt als für ihre engeren Landsleute. Marquetti war sehr traurig gewesen, als er bei seiner allerersten Werbung einen Korb von ihr bekam und sie dem Blonden nach Kiel folgte. „Und du, Lilo, magst du auch jetzt noch gar nichts von den Männern wissen? Es ist also doch ein grosser, ernster Liebesroman gewesen, der dich damals aus Deutschland weggetrieben hat. Und willst mir auch heute noch nichts darüber sagen, Lilo? — Fränze, weisst du Bescheid?“ Lilo starrte finster vor sich nieder. Sie hatte die Hände zusammengepresst und liess sie zwischen den Knien hinunterhängen. Ihr Gesicht nahm etwas Steinernes an. „Wenn du alles wüsstest, Maminka, was dein Mädel hat durchmachen müssen, dann könntest du nicht mehr das liebe, frohe Kind sein, das wir alle in dir lieben.“ „Du, nein, höre! Ich, die Mutter, euer Kind?!“ „Schweigen wir doch davon, liebe Maminka. Genügt das nicht: ich bin durch viel, viel Unglück und Schmutz gegangen damals, bis ich mich endlich wieder geborgen hatte.“ Sie richtete sich tiefatmend auf. „Was das war, das werde ich nur dem Manne sagen, der einmal um meine Hand anhält.“ Ängstlich sah Mama Marquetti ihre Tochter an. „Und wenn er dann — ich setze den Fall, liebes Kind — wenn er dann erschrecken sollte und — und — “ „Und verzichten?“ Lilo verschränkte die Hände im Nacken und blickte durchs Fenster in die Ferne. „Nun, dann bewiese er damit, dass er für mich nicht der rechte war.“ „Es gibt viele Männer, liebe Liselotte, die nicht hinwegkönnen über — über —“ sie stockte und seufzte und schloss fast tonlos: „— über so etwas!“ „Vielleicht find’ ich den, der’s vermag. Vielleicht hab’ ich das Glück. Ich sehne mich doch danach, wirklich, Maminka, ich sehne mich danach, Kinder zur Welt bringen zu dürfen, so in Sicherheit und umhegt wie du. Wo es eine herrliche Gnade ist — kein Verbrechen, das verhindert werden muss.“ „O du Ärmste, wie sprichst du nur, Lilo!“ „Ich sagte dir ja, Maminka, das ist kein Thema für dich.“ Franziska streichelte die Mutter. „Lass sie doch jetzt, Ma! Wenn der Mann kommt, den sie liebt und der um sie anhält, dann wird sie dich’s schon wissen lassen.“ „Von der Stunde an werd’ ich erst recht keinen ruhigen Augenblick mehr haben. Ach, ihr wisst doch warum. In zitternder Angst werd’ ich sein. Ach, ihr Kinder, ihr Kinder.“ * ... Und nun war der Mann da! ... An dem Nachmittag, an dem die Schwestern ihre Koffer packten, weil sie des andern Morgens abzureisen gedachten, wurde Besuch aus Deutschland gemeldet. Zufällig waren alle Familienmitglieder im Haus vereint; der Tee wurde gerade aufgetragen. „Bill! Junge! Wie kommst du nach Palermo?“ Lilo ging auf den grossen Blonden zu, hielt ihm beide Hände entgegen, und er fasste sie an den Armen, zog sie an sich, und ehe sie sich’s versah, hatte er sie links und rechts auf die Backe geküsst. „Du hast Pfeife geraucht, mein Junge!“ sagte Lilo, sich den Mund wischend. „Hätte ich anders mein Kapitänsexamen machen können?“ „Was, so weit bist du schon?“ „Längst. Bin jetzt sogar schon stellvertretender Erster. Freilich nur auf der ‚Luise Bessemer’. Das ist ein kleiner Kippelkahn. Aber ich hab’ allerlei Aussichten.“ „Ach, du musst mir viel, viel, viel erzählen, Bill. Nun will ich dich aber erst einmal bekannt machen.“ „Ich störe gewiss, ihr habt hier grosse Teegesellschaft?“ Auf italienisch berichtete Lilo, was der Ankömmling gesagt hatte. Da wurde nun stürmisch gelacht, und es konnte danach gar keine Steifigkeit mehr aufkommen. Bill überwand sich und küsste der netten, etwas fetten „Mamma“ die gutgepolsterte Hand. Marquetti und seine beiden Söhne rissen staunend die Augen auf. Ja, das war der richtige Tedesco, dieser Überlebensgrosse, Blonde und Blauäugige. Schön war er, strahlend schön. Aber Bill ging nach dem kurzen Händeschütteln mit ihnen voller Überraschung auf die Gruppe allerliebster junger Damen zu, die ihm Lilo als ihre Schwestern bezeichnete. „Ich weiss ja gar nicht, wo ich zuerst hingucken soll“, sagte er zu Lilo. Die hellblonde Amerikanerin mit den japanischen Augenbrauen besass eine herrliche Figur — aber die drei kleineren Italienerinnen bildeten ein ganz entzückendes Ensemble. „Richard hat mir schon allerhand von dem Kleeblättchen erzählt, aber er tat, als seien es Kinder, und das sind doch schon richtige Ladies. Freilich liegt da nun auch schon viel Zeit dazwischen.“ Lilo übersetzte, was er gesagt hatte, und wieder rollte allgemeines Lachen durch den Patio. „Elf, dreizehn und fünfzehn Jahre sind die Racker.“ „Kinder, Kinder, hier heisst es aber: sein Herz festhalten!“ Kameradschaftlich klopfte ihm Lilo auf die Schulter. „Ja, halte es nur fest, alter Junge. — Aber Franziska kannst du schon ein bisschen die Cour machen. Die Amerikanerinnen sind das so gewohnt. Und ich möchte doch gern feststellen, was für Fortschritte du in dieser Kunst gemacht hast.“ Die ganze Versammlung huldigte dem grossen Blonden in Miene und Blick. Er sah wirklich wie „Siegfried“ aus. Lilo fand, dass er seit der letzten Begegnung auch in seinem Auftreten viel sicherer geworden war, er beherrschte die gute äussere Form, war gewandt in der Konversation mit Damen. Und seine schönen kornblumenblauen Augen, sein emporstrebendes, starkes, rotblondes Haar, seine vorzüglich durchgeschulte schlanke Sportmannsgestalt mussten gerade in einem romanischen Lande besonderes Aufsehen erregen. Maria, Linda und Mafalda, sonst sehr schüchtern Fremden gegenüber, fassten sich nach dem Tee zur Kette und traten vor ihn hin, immer ein bisschen links, dann ein bisschen rechts schaukelnd. Sie richteten hundert Fragen an ihn und lachten Tonleitern, wenn er in seinem Schulitalienisch bewies, dass er sie ganz falsch verstanden hatte. Paolo hielt den Augenblick für gekommen, wo man Tanzplatten aufdrehen sollte. Nun wanderte Bill von Arm zu Arm. „Es wird dir kein Pardon gegeben, wie?“ fragte ihn Lilo nach einiger Zeit. „Ach, du, Lilokind, das ist hier ja himmlisch bei dir!“ Lilo lachte. „Ja, ja, so ein ganzer Harem, das kann dir wohl gefallen.“ Er hielt ihre Hand fest und sah ihr in die Augen. „Warum soll ich dir nicht sagen, dass ich glücklich bin, dich endlich wiederzuhaben?“ „Wiederzuhaben?“ „Nun ja. In der Zwischenzeit warst du doch sehr oft bei mir. Oder ich bei dir. In Gedanken. Ich bin dir wirklich sehr, sehr gut, Lilo.“ „Das ist so allgemeine Feststimmung jetzt, Bill.“ „Brauchst es gar nicht zu verkleinern, du Hexe.“ Ein paar Sekunden blickte Lilo ihm tief in die kornblumenblauen Augen. „Das ist’s wohl: Jugend steht wieder auf vor einem. Kindheit. Das Klingende Fliess mit seinen tausend Erinnerungen.“ Er schwieg eine Weile. Hielt ihren Blick lange aus. Dann sagte er: „Lass uns tanzen, Lilo. Bloss damit ich dich jetzt gleich einmal fest in den Armen halten und an mich drücken kann.“ „Du bist ja ganz verdreht, Bill. — Was für ein Tanz soll es sein?“ „Tango! Tango!“ rief Franziska, die gern einmal mit einem wirklich guten Tänzer den „Argentino“ getanzt hätte....




