Höcker | Die Frau am Quell | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 229 Seiten

Höcker Die Frau am Quell


1. Auflage 2015
ISBN: 978-87-11-44566-2
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 229 Seiten

ISBN: 978-87-11-44566-2
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als die junge Dina 1922 in der Tanzschule Dr. Lohmanns an der Havel Aufnahme findet, ist sie schon bald der von allen beneidete Star. Doch es beginnen auch Freundschaften, die schicksalshaft über viel Jahre bestehen bleiben. Mit Sonja, die in den Kriegswirren im Baltikum schweres Leid erfahren hatte, und mit Benedikt, dem jungen Komponisten, den Dina Jahre zuvor in einem Schweizer Sanatorium kennengelernt hatte. Es vergehen Jahre, bis Dine in dem Tanzdrama 'Die Frau am Quell' zur Musik Benedikts große Erfolge feiert.-

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Dina hatte sich in ihrer Einsamkeit der letzten Jahre ein allzu romantisches Bild von ihrer Mama gemacht. In ihrer Phantasie war Madelon das schönste und wonnigste aller weiblichen Wesen geworden, geschmückt mit allen Gottesgaben, die nur erdenklich waren. In Mailand, Wien und Paris hatte eine ganze Welt die berühmte Madelon d’Arrant gefeiert. Ach, Dina war so stolz auf sie. Sie fand es auch ganz selbstverständlich, dass man ein so wundervolles Wesen wie ihre angebetete Maminka überall verhimmelte und verzog. Und dass sie mit anderem Mass zu messen war als Frauen und Mütter, die nicht in solcher Goldlaune des Schicksals geboren waren. Nie wäre es Dina in den Sinn gekommen, sich etwa selbst mit Madelon zu vergleichen. Sie wusste, dass sie Zeit ihres Lebens zur Unscheinbarkeit verurteilt war. Vielleicht war dies der Keim für ihren starken Ehrgeiz gewesen, durch unermüdliche Arbeit an sich etwas zu erreichen, gerade auf dem Gebiet, das ihr nach der Meinung des alten Ballettmeisters niemals Lorbeeren bieten konnte. In den ersten Tagen des Wiedersehens schwärmte, liebte, verehrte Dina wie in all den Jahren zuvor. Ihr Herz brauchte die Entladung. Eine solche Last hatte sich darin angesammelt. Alles, was es an Zärtlichkeit in ihr gab, schüttete sich aus über Madelon. Und Madelon nahm es dankbar an, gefiel sich eine Weile sehr in der Rolle der über alles geliebten und gehätschelten Mama. Aber Dina zehrte doch eigentlich nur von der Erinnerung an die Phantasiegestalt, die in ihr mitgelebt hatte und mitgewachsen war. Mit der Wirklichkeit stimmte sie ja heute nicht überein. Dina war viel zu klug, viel zu kritisch, viel zu besinnlich und auch schon viel zu welterfahren und menschenerfahren, als dass sie den klaffenden Abstand nicht bald erkannt hätte. Aber sie schloss immer wieder die Augen, um sich selbst zu täuschen. Ja, sie wollte sich täuschen. Sie wollte in halbwachem Zustand einen beseligenden Traum der Nacht zwingen, sich noch immer weiterspinnen zu lassen, sie berauschend einzuhüllen. Jedenfalls wollte sie das Erwachen zur Nüchternheit des klaren Tages soweit wie möglich hinausschieben. So, wenn sie der drolligen Komödie, die Madelon fortgesetzt spielte, in tausend Alltäglichkeiten hinter die Kulissen sah. Wusste Madelon eigentlich, dass sie Komödie spielte? Meistens waren es wohl nur unbewusste Übertreibungen. Madelon hatte Seitenstechen – das ward gleich ein Herzkrampf. Madelon hatte zuviel Schlagsahne gegessen – da meldete sich eine unheilvolle Darmverschlingung. Madelon hatte nach einer abendlichen Champagnersitzung am andern Morgen etwas Höhenrauch – da erging sie sich in schwerster Todesahnung. Jenen aufregenden Auftritt in Hamburg am Abend ihrer Ankunft durchlebte Dina wieder und wieder. Der Weinkrampf Madelons, ihre Verzweiflung darüber, dass Dina so rasch wieder abreisen wollte, war ja wohl echt gewesen. Unmöglich, sich vorzustellen, dass Madelon ihr eine solche Szene vorgespielt haben sollte, bloss einer Laune halber, bloss um ihren Willen durchzusetzen. In jener Stunde hatte Madelon gewiss so leidenschaftlich empfunden – wenn auch am andern Morgen die ganze, tiefe, seelische Erschütterung wie weggeweht war. Aber ganz leise hatte sich in Dina doch schon die Reue geregt. Jetzt wusste sie: Wäre sie Benedikts Ruf gefolgt, so hätte sich Madelon gewiss schon nach ein paar Stunden getröstet – und vielleicht wäre es Dina dann geglückt, ihr Werk doch noch zu retten! Ihr Werk – und das Schicksal ihrer Getreuesten! Sie musste jetzt die erste Gelegenheit wahrnehmen, nach Retzin zu fahren, sich den Gang der Ereignisse schildern zu lassen, ihre Habseligkeiten in Ordnung zu bringen, vor allem Näheres über Benedikts und Sonjas Verbleib zu erkunden. Aber es war ihr bange vor diesem Weg. Sie ahnte, dass sie erkennen würde: das Opfer, das sie Madelon gebracht hatte, war doch zu schwer, zu gross gewesen – es hatte nicht gelohnt! Der Professor widmete alle Freizeit, die ihm der Kongress liess, den beiden Damen. Er hatte eine köstliche Art, die kleinen unlogischen Ausbrüche seiner temperamentvollen Freundin mit anscheinend sachlichem Ernst zu behandeln. Dabei blitzte es aber schalkhaft in seinen klugen Augen. Oft huschte auch ein Blick raschen Einverständnisses zu Dina hinüber. Madelon tyrannisierte ihn – allein im Grunde beherrschte er Madelon. Sie merkte es nur nicht und war darum mit diesem Zustand zufrieden. Offener Widerspruch reizte sie, machte sie ungerecht, ja unliebenswürdig. Es gehörte schon ein überlegener Geist dazu, auf die Dauer mit ihr Frieden zu halten. Fühlte sie sich aber im Mittelpunkt, verwöhnt, geliebt, bewundert, dann konnte sie so viel Zauber entwickeln, dass Dina immer wieder alle Kritik über den Haufen warf. Nur durfte man sich in dem einen Punkt nicht täuschen: Madelon war zwar gutmütig, aber dabei doch masslos egoistisch. Und dann fühlte Dina sogar heraus, dass Madelon eifersüchtig auf sie war. Der Professor sollte ihr gehören, nur ihr. Seine väterlichen kleinen Galanterien, die er Dina ab und zu erwies, verstimmten Madelon schon ein wenig. Für das grosse Bankett im Zoologischen Garten, zu dem die Prominenten der Wissenschaft, der Regierung, des öffentlichen Lebens erwartet wurden, hatte der Professor drei Karten erhalten. Aber da Dina wusste, dass Madelon es unbequem sein würde, wenn Onkel Otto sich nebenher auch noch einer zweiten Dame anzunehmen hätte, lehnte sie die Einladung ab und schützte ein Unwohlsein vor. Nun war Madelon sofort rührend besorgt. Ja, als der Professor sie abholen kam, erklärte sie, lieber auch daheimbleiben zu wollen, denn sie werde auf dem Fest ihre arme, kranke, kleine Dina ja so sehr vermissen ... Und Viola wurde schon gerufen, um ihr den koketten Pariser Hut wieder abzunehmen. „Ist es denn so schlimm?“ fragte der Professor, der ein ganz heimliches Lächeln in Dinas ernsten grauen Augen sah, und griff nach ihrem Puls. In das Augurenlächeln der beiden stimmte auch Viola mit ein, die ja gewitzt genug war und ihre Herrin zur Genüge kannte. Und einen Augenblick schien es so, als lächle nun auch Madelon selbst über diese kleine Komödie, die sie einander vorspielten. Aber der Professor musste ihr dann die Hand darauf geben, dass es bei Dina wirklich nichts Beängstigendes sei. Das tat er denn auch mit ehrpusslicher Feierlichkeit. Und jetzt erst ergab sich Madelon darein, dass sie allein mit dem Professor zu diesem Bankett fahren musste. Mit einem Seufzer allerdings. Nachdem das Paar abgezogen war, machte sich Dina fertig, um den Besuch in Retzin auszuführen. Sie suchte ein Kleid aus ihrem älteren Bestand aus. Viola war untröstlich darüber, dass sie diese unmodernen Sachen nicht schon längst weggeschenkt hatte. Die hätten vielleicht noch zu der schrecklichen Schneckenfrisur gepasst – aber ihr moderner Bubikopf, der ihr so reizend stand, mit dem bis zum Wirbel kurzgeschorenen Hinterkopf und dem schlanken, glatten Nacken, nein, der verlangte Hübscheres. Als Dina aus dem rückwärtigen Hoteleingang, der sich völlig in die Reihe der dortigen Ministerien und Bank-Paläste eingliederte, auf die Strasse trat, begegnete sie Lutz Steffeneck. Er grüsste wieder sehr ehrerbietig und hielt den Torflügel weit für sie offen. Sie dankte ihm und wollte weitergehen. „Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein, wir haben leider die Karten, die uns Fräulein Bensberg geschickt hat, nicht benutzen können. Am Samstag nachmittag stand es sehr kritisch um meinen Schwager. Ich wollte Fräulein Bensberg, auch im Auftrag meiner Schwester, anderntags darüber aufklären, hörte aber am Telephon, dass sie schon nach der Ostsee abgereist sei.“ Er meinte die Einladung zur Aufführung des Tanzdramas. „Sie hat überhaupt nicht stattgefunden“, sagte Dina. Unentschlossen, etwas verlegen, stand er da. „Oh, das ist schade.“ Immer noch hielt er den Torflügel. „Ich verstehe ja nichts davon. Aber es hat mich sehr gepackt.“ Sie sagte ihm in ein paar Worten, soviel sie selbst wusste: das Einschreiten von Dr. Lohmann, den Zusammenbruch ihrer Gruppe. – „Ich war gerade an dem entscheidenden Tag nach Hamburg gerufen worden; eine Erkrankung meiner Mutter.“ „Und die grosse Arbeit – alles war nun umsonst?“ Er liess die Tür endlich ins Schloss fallen und trat zu ihr auf die Strasse. „Ich bin eben auf dem traurigen Weg nach Retzin.“ „Darf ich ...“ Er wollte sie wenigstens noch bis zur Autohaltestelle begleiten. „Und werden Sie das Werk anderswo einmal einstudieren?“ Was Dina bei den bisherigen Begegnungen für Hochmut gehalten hatte, war nur Lebensungewandtheit. Ein paar melancholische Bemerkungen Dinas über Arbeitshoffnungen und Verzicht entlockten ihm ein Geständnis. Ganz sprunghaft und unmittelbar kam es, wohl weil diese Dinge ihn augenblicklich selbst so stark beschwerten. „Ich hatte auch Jahre hindurch ganz andere Arbeitsziele. Ja. Ich wollte Dozent werden. Aber nun heisst es, mit beiden Füssen in die Praxis hineinspringen. Mein Schwager wird wohl Entlastung brauchen. Sie wissen –? Ja, sehen Sie, da ist für mich nun auch viel Zeit unnütz vertan.“ „Arbeit ist aber nie unnütz. Ich bedaure die Mühe auch gar nicht. Es war doch eine Zeit der Hoffnung. Und irgendein Dichter sagt: die Sehnsucht ist das Schönste.“ Sie war an der Strassenecke stehen geblieben, wo die Autos hielten. Er wurde sofort wieder fremd und steif und zog den Hut. Sie reichte ihm die Hand hin. Er wollte sie hastig ergreifen, musste aber erst den Hut in die Linke nehmen. In der kleinen Pause fühlte er wohl, dass er sich linkisch benahm. Ein trotziger Zug trat in sein junges Gesicht, und er kniff die Augen fast...



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