E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Hofer Das Heilige und das Nackte
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7022-4048-6
Verlag: Tyrolia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Kulturgeschichte
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-7022-4048-6
Verlag: Tyrolia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Spiel von Verhüllung und Enthüllung
Je mehr Moral beim Sex desto mehr Erotik in der Kunst
Heilig ist heilig – und nackt ist nackt. Doch der Versuch, Sexualität aus der Religion und dem religiösen Erleben zu verbannen, scheitert unweigerlich. Zu stark ist die Sexualität als sich Wege bahnende Kraft. Und dabei hat das Moralisieren noch nie viel genützt, sondern macht die Sache erst interessant!
In seinem– durchaus auch humorvollen – Gang durch die Kulturgeschichte erläutert der Autor pointiert und doch fundiert die vielen Gesichter des immerwährenden lustvollen Spannungsverhältnisses zwischen diesen beiden, den Menschen so bestimmenden Bedürfnissen. Von der Venus von Willendorf arbeitet er sich über göttliche Kurtisanen und barbusige Ägypterinnen vor zu der idealisierten Nacktheit der Griechen. Von der Lustfeindlichkeit des Augustinus gelangt er ins gar nicht so finstere Mittelalter der stillenden Marien oder bis in die gar nicht so aufgeschlossene, von Syphilis, Hexenwahn, Reformation und Gegenreformation gepeinigte Neuzeit. Dabei zeigt er deutlich: Je rigider die Sexualmoral einer Gesellschaft, desto nackter werden die Heiligen in der katholischen Bilderwelt, umso mehr blitzt der Busen der büßenden Maria Magdalena oder posed leidend der entblößte Sebastian.
Gab es das Goldene Zeitalter der Unschuld und ist Scham eine gesellschaftliche Erfindung? Welchen Zweck erfüllte Kleidung und war die Tempelprostitution nur ein Mythos? Wie war das mit den unbekleideten Männern des Michelangelo und wie mit der Ekstase der heiligen Theresa? Markus Hofer macht sich auf die Suche nach den nackten Wahrheiten biblischer Stoffe und stöbert in aristokratischen Privatgemächern lustvolle Werke der berühmtesten Künstler auf. Er zeigt, wie sehr die Kunst zur Versinnlichung des Glaubens beigetragen hat und wie die frühere Sehnsucht nach der Schönheit heute oft zum Geschäft mit Sexualität und Selbstdarstellung verkommen ist.
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UND SIE ERKANNTEN, DASS SIE NACKT WAREN
Lange dauerte für Adam und Eva die Freude am Paradies nicht, da kam schon die Herausforderung mit dem Baum der Erkenntnis, an der sie scheiterten. Die Schuld dafür schob man schön brav weiter: Adam auf Eva und Eva auf die Schlange. Die Folgen aber waren menschlich existentiell: „Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot essen, bis du zum Erdboden zurückkehrst; denn von ihm bist du genommen, Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.“ (Gen 3,19) Die paradiesischen Zeiten waren damit vorbei. Die Geschichte vom Sündenfall (Gen 3) ist eine sehr komplexe, deren Alter und Entstehung durchaus umstritten sind. Teile dürften aus dem 7. Jahrhundert v. Chr., einzelne Verse auch jüngeren Datums sein. Im Kern ist es sogar möglich, dass noch ältere orientalische Mythen hineingespielt haben. In der Endfassung, wie sie uns vorliegt, ist sie eine Erklärungsgeschichte, die den gegenwärtigen Zustand des Lebens in der Welt begreiflich machen will, die Mühen des Lebensunterhalts, die Spannungen unter den Geschlechtern, Leid und Tod, letztlich all die weniger erfreulichen Dinge des Lebens, die Gott so nicht erschaffen hat. Es ist keine Erklärung im naturwissenschaftlichen Sinn, was schon der orientalischen Denkweise widersprechen würde, sondern vielmehr eine Erzählung, die sinnstiftend ist und existentielle Fragen des Menschseins vom Ursprung her deutet. Warum schämen wir uns? Und war das immer schon so? Diese Fragen dürften sich die Menschen schon in Urzeiten gestellt haben, wobei es vor allem um die sexuelle Körperscham geht. In der Schöpfungsgeschichte wird das Zusammenleben von Adam und Eva im Paradies nicht ausführlich beschrieben, aber aus dem Nachfolgenden wird klar: Sie waren nackt und machten sich nichts daraus. Das Problem begann offensichtlich mit dem Verbot Gottes, von dem einen Baum in der Mitte des Paradieses zu essen. Die böse Verführerin in der biblischen Erzählung ist zwar die Schlange, aber das Thema selbst beginnt mit einem Verbot, das deshalb nicht eingehalten wird, weil es zu verführerisch ist. Was sich später quer durch die christliche Kunst zeigt, scheint in dieser Ursprungserzählung schon angelegt: Das Verbot bewirkt die Übertretung. Adam und Eva essen von den verbotenen Früchten und sofort geschieht etwas Entscheidendes: „Da gingen beiden die Augen auf und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz.“ (Gen 3,7) In weiterer Folge fallen sie damit aus dem Paradies, anders gedeutet hieße es: Ab jetzt sind sie eigentlich Menschen. Auf dem Weg vom paradiesischen zum irdischen Menschsein steht demnach die Scham und so gesehen gehört das Feigenblatt zur Nacktheit wie der Mensch zur Erde. Eine zusätzliche Pointe erhält die Stelle durch die Worte „sie erkannten“, denn „erkennen“ hat im Hebräischen mindestens zwei Bedeutungen. Einmal ist es das Erkennen beispielsweise von Gut und Böse, wie es in der Erzählung vom Sündenfall beschrieben wird. Gleichzeitig kann das Wort „erkennen“ auch für den Vollzug des Geschlechtsaktes stehen. Ob damit bereits ein solcher Akt angedeutet ist, sei dahingestellt, aber eine sexuelle Note kommt mit ins Spiel. Im ersten Vers nach der Geschichte vom Sündenfall heißt es nämlich: „Adam erkannte Eva, seine Frau; sie wurde schwanger und gebar Kain.“ (Gen 4,1) Die Geschichte von Mann und Frau, die zuerst als Abbild Gottes erschaffen worden sind, beginnt gleichsam nochmals neu mit dem gemeinsamen Erkennen, mit der Nacktheit und dem schamhaften Feigenblatt – und sie beginnt mit dem Übertreten reizvoller Verbote. Die Phantasie vom Goldenen Zeitalter
Das gemeinsame Zusammenleben zwischen Adam und Eva im Paradies wird in der Bibel nicht geschildert und das Alte Testament geht dieser Frage gar nicht weiter nach; das tut dann folgenreich der Kirchenvater Augustinus. In der griechischen und römischen Antike gab es als Parallele dazu den Mythos vom Goldenen Zeitalter, einem friedlichen Idealzustand der Menschen in der Urzeit noch vor dem zunehmenden moralischen Verfall. In den antiken Erzählungen ist es eine paradiesische Zeit ohne Nöte, ohne Hunger und Arbeit, ohne Krieg und Verbrechen, frei von Kummer und Plagen. Die Schilderungen des „Goldenen Geschlechts“ bei Hesiod (8./7. Jahrhundert v. Chr.) haben noch keinerlei sexuelle Note, sondern dienen dazu, die Menschen seiner Zeit zu ermahnen und ihnen den moralischen Verfall vorzuhalten. Platon erwähnt zumindest, dass sich die Menschen unbekleidet in der Natur bewegten, da das Klima entsprechend warm gewesen sei. Der römische Dichter Tibull (1. Jahrhundert v. Chr.) deutet immerhin schon an, dass die Menschen der Urzeit einander überall geliebt hätten, offensichtlich eine Praxis der freien Erotik. Die Phantasie erotischer Freizügigkeit im Urzustand des Menschen Lucas Cranach der Ältere: Das Goldene Zeitalter, um 1530 In der frühen Neuzeit lebte das Motiv des Goldenen Zeitalters in den Phantasien der Dichter und Maler erneut auf. Jetzt wird es gleichsam zum erotischen Schlaraffenland, indem ein freizügiges Ideal von körperlicher Unbefangenheit phantasiert und ausgemalt wird. Cranachs einschlägige Eingebungen beispielsweise blühten bei diesem Thema richtig auf. Solche Phantasien sind eine Art sexuelle Projektionsfläche in einer sittlich zunehmend strengen Zeit, die Vorstellung einer quasi heiligen Freizügigkeit. Diese Phantasien kanalisieren eine gewisse Sehnsucht in einer doch ziemlich zugeknöpften Zeit und sie erlauben den Malern Bilder, die anders nicht möglich gewesen wären. Lucas Cranach der Ältere, einer der bedeutendsten Künstler der deutschen Renaissance, hat gleich drei Versionen des Goldenen Zeitalters gemalt. In der Variante, die in der Alten Pinakothek in München hängt, halten sich hinter einer Mauer in üppiger Vegetation die nackten Menschen paarweise auf oder tanzen als gemischte Gruppe in einem Reigen um einen Baum. Man wäre fast gewillt zu sagen, es sei der paradiesische Baum der Erkenntnis, von dem sie noch nicht genascht haben. Der Mythos wird hier zum erotischen Vorwand. Solche Bilder sind tatsächlich auch ein Versuch, sich hinter den biblischen Sündenfall ins vermeintlich ursprüngliche Paradies zurückzubegeben und dort die eigenen erotisch-sexuellen Phantasien zu platzieren. Bemerkenswert ist allerdings, dass dieses Thema die Bibel noch gar nicht interessiert hat und solche Bilder erst am Beginn der Neuzeit aufkommen. Nicht weniger bemerkenswert ist umgekehrt, wie sich Cranach bei aller Freizügigkeit doch nicht ganz hinter das Feigenblatt zurückgewagt hat. Die Popos sind frei sichtbar, doch vor jedem Genitalbereich, männlich wie weiblich, wächst zufällig ein Blatt oder ein Ast. Zumindest ein Minimum an Genitalscham scheint sich Cranach selbst in seiner Phantasie zu wahren. Das Feigenblatt bleibt also trotzdem. Soziologen, Ethnologen und Bordelle
Nun also: Warum schämen wir uns? Und war das immer schon so? Diese Fragen stellten sich nicht nur Menschen in antiker Zeit, noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entbrannte darüber ein Streit unter deutschen Wissenschaftlern. Der Soziologe Norbert Elias veröffentlichte 1939 seine beiden Bände „Über den Prozess der Zivilisation“, in denen er vom Frühmittelalter bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts einen fortwährenden Prozess der Verfeinerung der Sitten beschreibt, den er die Zivilisierung nennt. Meist beginnt es in den oberen Schichten, die dann von den unteren imitiert werden, worauf die oberen ihre Sitten nochmal verfeinern. So beschreibt er das allmähliche Sinken der Gewaltbereitschaft, die zunehmend stärker kontrollierte und unterdrückte Sexualität, die Tabuisierung der Ausscheidungsfunktionen, die zunehmend dem Blick anderer Menschen entzogen wurden, und nicht zuletzt die Tischsitten, die immer strenger und feiner wurden. In diesem Prozess, so beschreibt es Elias, werden die Zwänge von außen (Regeln, Verbote) zunehmend zu Selbstzwängen und die Körperscham ist dann das Ergebnis der verinnerlichten gesellschaftlichen Verbote. Auch wenn es Elias nicht ausdrücklich so behauptet, läge damit die Vermutung nahe, dass es vorher eine quasi schamfreie Gesellschaft gegeben habe, bevor der Prozess der Zivilisation einsetzte. Sein Werk wurde erst wirklich populär, als es 1969 der Suhrkamp Verlag als Taschenbuch neu herausbrachte. Das rief um eine Generation zeitversetzt den deutschen Volkskundler Hans Peter Duerr auf den Plan, der in einem monumentalen fünfbändigen und materialreichen Werk die Thesen Elias’ zu widerlegen suchte. Duerr greift sicher manches an, was Elias so nicht behauptet hatte, und ein wenig wird auch aneinander vorbeigeredet, doch umgekehrt waren die Angriffe auf Duerr aus dem Elias-Lager äußerst aggressiv und manchmal auch aus der unteren Schublade. Jedenfalls hat die Frage der Scham vor einigen Jahrzehnten noch die Gemüter heftigst erregt. Sicher ist, dass der Prozess der Zivilisation nicht so linear verlaufen ist, wie es bei Elias zeitweilig klingen mag,...