Hogeland | Die Antwort | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Hogeland Die Antwort

Roman
22001. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8437-2792-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-8437-2792-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Dieser Roman ist in seiner beeindruckenden Kompromisslosigkeit tatsächlich eine Antwort - auf Fragen, die wir endlich stellen sollten.' Mareike Fallwickl Ich weiß jetzt, was gemeint ist, wenn sie sagen, sie hätten das Baby verloren. Sie meinen, dass sie nicht wissen, wo das Baby ist. Margot und Anna sind Schwestern. Ihr Verhältnis ist weniger eng als früher, seit der Geburt von Margots Baby haben sie sich nicht mehr gesehen. Aber nun vertraut Margot sich Anna mit schonungsloser Offenheit an: Sie hat gerade ihr zweites Kind verloren. Doch nicht nur der Verlust, sondern auch die kühle Reaktion ihrer engsten Freundin auf die Fehlgeburt belasten Margot. Von ihrer Schwester bekommt Margot nun endlich die Anteilnahme, die sie braucht. Die Solidarität schweißt die Frauen zusammen, und auch Anna kann sich wieder öffnen. Sie erzählt von anderen Frauen. Von Corrie und ihrer Abtreibung, von Marisol und ihrer Eizellspende. Für jede von ihnen sind Schwangerschaft und Mutterschaft immer auch mit Ängsten und Schmerz verbunden. Aber radikaler Zusammenhalt gibt ihnen die Kraft weiterzugehen.

Anna Hogeland arbeitet als Psychotherapeutin in ihrer eigenen Praxis. Sie studierte an der Smith College School of Social Work und am UC Irvine. Sie lebt in Vermont.
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Elizabeth


Meine ältere Schwester, Margot, rief mich an und erklärte: »Du musst jetzt nichts sagen, ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich eine Fehlgeburt hatte. Eine ganz frühe«, schob sie schnell hinterher. »Mir geht’s gut.«

Ich war eher überrumpelt als traurig; ich hatte weder gewusst, dass sie schwanger war, noch, dass sie versucht hatte, schwanger zu werden.

»Das Schlimmste ist überstanden«, sagte sie. »Ich bin erleichtert, dass ich es verloren habe, als ich noch nicht sehr weit war. Ich wusste erst seit einer Woche, dass ich überhaupt schwanger bin. Also was Fehlgeburten angeht, war das eine von der leichten Sorte.« Sie und Nick hätten keine Schwierigkeiten gehabt, ihren Sohn, Alex, zu zeugen, der jetzt gut ein Jahr alt war, und es gebe keinen Grund zu der Annahme, dass es nicht schnell wieder klappen würde. Es sei unwahrscheinlich, dass es zu einer weiteren Fehlgeburt komme – auch wenn das Risiko jetzt etwas höher sei als vorher –, und sie wisse bereits, dass sie fruchtbar sei und ein gesundes Kind austragen könne. Sie müssten nur einen Zyklus abwarten, um es wieder versuchen zu können.

Mehr gebe es nicht zu sagen, meinte sie, es sei ihr nur viel lieber, wenn ich es von ihr erfuhr und nicht von unserer Mutter. Und wichtig sei ihr, dass ich mit ihr immer noch über meine Schwangerschaft reden konnte – ich war in der neunten Woche, als sie anrief; sie habe gezögert, mir all das zu erzählen, aus Angst, ich würde sie sonst ausschließen, und das wolle sie auf keinen Fall.

»Ehrlich«, sagte sie. »Ich freue mich so für dich. Das musst du mir glauben. Wie geht es dir denn? Langsam besser?«

Ich war mir nicht sicher, ob ich sie danach wieder anrufen sollte, ob sie noch weiter über die Fehlgeburt reden wollte, obwohl sie das Gegenteil behauptet hatte. Es überraschte mich, dass sie mir überhaupt davon erzählt hatte. Wir waren nie die Sorte Schwestern gewesen, die sich ihre empfindlichsten Geheimnisse anvertrauten, und da diese Dynamik immer eher ihre Entscheidung, nicht meine, gewesen zu sein schien, versuchte ich, sie zu respektieren.

In den Tagen danach schickte ich ihr Textnachrichten – ;  –, und Isaac und ich kauften ihr einen Fünfzig-Dollar-Gutschein für die Moose’s Tooth Pizzeria. Sie antwortete nur knapp: oder: Bald reagierte sie nur noch mit einem Blumenstrauß-Emoji oder einem gelben Herz. Nachdem meine letzte Nachricht –  – unbeantwortet blieb, beschloss ich, dass der nächste Kontakt von ihr ausgehen sollte, wann immer das sein würde.

Drei Wochen vergingen, bevor sie das nächste Mal anrief. Ich war gerade auf dem Heimweg von der Bibliothek, als ich ihren Namen auf dem Display sah, und kurz durchfuhr mich die Hoffnung, dass sie sich meldete, weil sie wieder schwanger war, bevor mir bewusst wurde, dass sie das lieber nicht sein sollte, noch nicht. Doch sie rief an, um mir von einem Konflikt mit ihrer Freundin Elizabeth zu erzählen, der ihr zu schaffen machte; in den kommenden Tagen ging mir das, was sie mir erzählte, nicht mehr aus dem Kopf.

»Du klingst außer Atem«, sagte sie. »Geht es dir gut?«

»Ich bin jetzt immer außer Atem«, erwiderte ich und ging langsamer. »Ich bemerke Steigungen, wo vorher nie welche waren.«

»Warte nur, bis es dir auf die Lunge drückt. Und die Blase.«

Sie war auf dem Weg zur Krippe, um Alex abzuholen, und wollte reden, solange sie noch Ruhe hatte. Uns ging es gut, versicherten wir einander. Ich hatte nicht viel geschrieben, konnte mich nur schlecht auf meinen Roman konzentrieren, so erschöpft und benommen, wie ich war, aber zu unterrichten fiel mir nicht allzu schwer. Margot hatte gerade mehrere lange Schichten im Krankenhaus hinter sich, sodass sie in den nächsten Tagen weniger arbeiten musste. Den Männern ging es gut, Alex ging es gut – er konnte jetzt alleine stehen, machte aber noch keine Schritte –, und er begeisterte sich sehr für Bananen und Reißverschlüsse. Es war kalt und regnerisch in Anchorage, wo sie wohnte, und warm und freundlich, wo ich war, in Irvine, Kalifornien.

Wir schwiegen kurz. Ihr Blinker klickte, dann hörte er auf.

»Sorry«, sagte sie; ich war mir nicht sicher, warum.

»Alles in Ordnung bei dir?«

»Ja, ich – es ist eigentlich nichts, nicht wirklich. Ich will dich nicht damit belästigen, aber ich weiß auch nicht, mit wem ich sonst darüber reden soll. Es geht um Elizabeth. Erinnerst du dich an meine Freundin Elizabeth?«

Ich war Elizabeth nur einmal begegnet, im letzten Sommer auf einem Grillfest bei Margot in Anchorage. Als Margot von unserer Mutter gehört hatte, dass Isaac und ich mit einer Hochzeitsreise nach Alaska liebäugelten, hatte sie darauf bestanden, dass wir ein paar Nächte bei ihnen blieben. Im Keller gebe es ein Gästezimmer mit eigenem Bad. Die Einladung hatte mich verblüfft, und ich war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte; in den Jahren zuvor hatten wir uns kaum gesprochen, von kurzen Pflichtanrufen zu Geburtstagen oder wichtigen Feiertagen einmal abgesehen.

»Du lebst von einem Graduiertenstipendium«, sagte sie, um mich zu überreden. »Ich weiß, dass du zu einer Gratis-bleibe nicht Nein sagen kannst.«

Mit Elizabeth hatte ich auf dem Fest nicht viel geredet; es waren noch andere Paare da, alle mit kleinen Kindern, und Elizabeth und ihr Mann Ari hatten die meiste Zeit vergeblich versucht, ihren vier Monate alten Sohn zu beruhigen. Sie waren als Letzte gekommen und als Erste wieder gegangen.

Aber Margot hatte mir viel von Elizabeth erzählt. Während unseres Besuchs in Anchorage war sie immer wieder auf sie zu sprechen gekommen; sie redete viel mehr über sie, als sie normalerweise über ihre Freundinnen sprach. Sie gab intime Details aus Elizabeths Leben preis, die sicher nicht für meine Ohren bestimmt waren, weshalb ich umso genauer zuhörte. Margot und Elizabeth verband offenbar die Art weiblicher Freundschaft, über die ich in Romanen und Lebensgeschichten gelesen hatte und die ich in meiner Kindheit und Jugend und sogar jetzt noch herbeisehnte, die ich aber nie gefunden hatte, nicht einmal für kurze Zeit – die Art weiblicher Freundschaft, die mit dem Verhältnis von Schwestern verglichen wird, nur nicht mit so einem wie dem von Margot und mir, das die meiste Zeit unseres Lebens von Distanz und Vorsicht geprägt war.

Margot war fast vier Jahre älter als ich, eine Jugendliche, als ich noch ein Kind war, dann am College und weit weg, und eine halbe Ewigkeit danach nur noch ein seltener Gast. In unseren gemeinsamen Jahren in einem hübschen Bostoner Vorort hatten sie mich oft verletzt, mit den alltäglichen kleinen Stichen, die eine ältere Schwester einer jüngeren so mühelos zufügt – verdrehte Augen, ein bissiger Kommentar oder gleichgültiges Schweigen taten mir noch tage- oder jahrelang weh, immer wenn ich daran denken musste. Wobei es wohl nicht viel geändert hätte, wären wir gleich alt gewesen. Für sie war die Welt ein geordneter und beherrschbarer Ort; ihr Leben bestand aus einer Reihe kleiner Hindernisse, die sie leicht überwinden konnte. Ich hatte immer das Gefühl, unter Wasser gesogen zu werden, wusste nicht, ob ich zum Grund oder zur Oberfläche schwamm, rang verzweifelt nach Luft. Und so hatte ich mich schließlich in die Rolle der Zuhörerin gefügt, wollte erfahren, wie andere ihr Leben führten, in der Hoffnung, dass ich lernen könnte, mein eigenes zu leben.

»Sei nicht so still«, hatte Margot mal zu mir gesagt, als sie noch zur Highschool ging und ein paar ihrer Freundinnen für das Staffelfinale von vorbeigekommen waren. Ich hatte ihnen das Sofa überlassen und auf einem Kissen am Boden mitgeguckt. »Das wirkt, als wärst du dumm.«

Wir hatten den Riss zwischen uns nie gekittet, um uns später näherzukommen, als vier Jahre Altersunterschied nicht mehr viel ausmachten. Ich wartete auf eine Geste von ihr – eine Geste, die von ihr ausgehen musste, denn ganz sicher hatte ich sie nie so getroffen wie sie mich –, eine Geste, die zeigte, dass sie nicht länger ein Kind in mir sah, sondern ihre Schwester, deren Leben von Interesse war. Aber die Geste war nie gekommen, und so vergingen die Jahre, bis wir als Erwachsene in weit entfernten Bundesstaaten lebten und wenig mehr als braune Augen und das Zuhause unserer Kindheit gemein hatten.

Margot liebte Elizabeth, das war offensichtlich, obwohl sie nicht sicher war, wie gut sie sie eigentlich kannte. Während unserer Reise entwickelte ich einen glühenden Neid, ja fast eine Fixierung auf diese mir unbekannte Frau, die so schnell einen Platz in Margots Leben eingenommen hatte, der bis dahin unbesetzt gewesen war. Ich hatte immer geglaubt, ich würde diese Leerstelle irgendwann füllen.

Damals in Alaska und jetzt wieder wurde mir bewusst, dass ich nur dann gefragt war, wenn Elizabeth das Thema war, das Margot beschäftigte.

»Ich habe sie auf dem Grillfest kennengelernt«, sagte ich. »Ari und ihr Baby...


Hogeland, Anna
Anna Hogeland arbeitet als Psychotherapeutin in ihrer eigenen Praxis. Sie studierte an der Smith College School of Social Work und am UC Irvine. Sie lebt in Vermont.

Somann-Jung, Britt
Britt Somann-Jung ist Übersetzerin und lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Zuletzt übersetzte sie Werke von Elizabeth Gilbert und Kate Davies. Für ihre Übertragung von Tayari Jones‘ In guten wie in schlechten Tagen wurde sie 2019 mit dem Hamburger Literaturpreis ausgezeichnet.

Anna Hogeland arbeitet als Psychotherapeutin in ihrer eigenen Praxis. Sie studierte an der Smith College School of Social Work und am UC Irvine. Sie lebt in Vermont.
Britt Somann-Jung ist Lektorin und Übersetzerin und lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Zuletzt übersetzte sie Werke von Elizabeth Gilbert, Kate Davies und Tayari Jones. Für ihre Übertragung von Tayari Jones‘ In guten wie in schlechten Tagen wurde sie 2019 mit dem Hamburger Literaturpreis ausgezeichnet.

Anna Hogeland arbeitet als Psychotherapeutin in ihrer eigenen Praxis. Sie studierte an der Smith College School of Social Work und am UC Irvine. Sie lebt in Vermont.Britt Somann-Jung ist Lektorin und Übersetzerin und lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Zuletzt übersetzte sie Werke von Elizabeth Gilbert, Kate Davies und Tayari Jones. Für ihre Übertragung von Tayari Jones‘ In guten wie in schlechten Tagen wurde sie 2019 mit dem Hamburger Literaturpreis ausgezeichnet.



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